Linke ohne Sozialismus

Linke ohne Sozialismus

Die jüngsten Bemühungen von Künstlern und Intellektuellen, dem SPD-Kanzlerkandidaten Schröder Wahlkampfhilfe zu leisten, sind ziemlich spärlich ausgefallen. Begeisterung oder auch nur etwas Farbe vermochten sie diesem Schattenwahlkampf nicht zu verleihen.

Zwar kamen etliche Vertreter der Kulturszene zusammen, als der Plakatkünstler Klaus Staeck und der ehemalige französische Kulturminister Jack Lang Ende August zum "Ideen-Treff" ins Willy-Brandt-Haus nach Berlin riefen. Auch ließen sich einige wie Oskar Negt, der (ehemalige) Hoflinke der Gewerkschaftsbürokratie, oder der Philosoph Jürgen Habermas zu Sympathiekundgebungen für die SPD hinreißen. Aber der Nachhall blieb dürftig. Die heiße Phase läuft ohne das Engagement der Künstler und Kulturschaffenden für die SPD.

Auch Günther Grass, in den sechziger Jahren ein unermüdlicher Kämpfer für die SPD, weiß offenbar nicht so recht, wofür er diese Partei den Wählern eigentlich empfehlen soll. Zuletzt hatte er sich 1993 für Björn Engholm engagiert und gleich anschließend die SPD aus Protest über deren Haltung in der Asylpolitik verlassen. Jetzt hält er sich im Wahlkampf sehr zurück. Vier Veranstaltungen im Osten, das ist sein Beitrag für Rot-Grün.

Dabei liegt sein Schwerpunkt kaum auf der Politik der SPD oder gar dem Kanzlerkandidaten Schröder, zu dem ihm gerade einmal Lernfähigkeit als positive Eigenschaft einfällt. Er greift zwar die Regierung an, aber was er für wünschenswert hält, läßt sich im SPD-Wahlprogramm nicht finden. Denn kann man z. B. mit Politikern vom Schlage des Schröder-Spezis Glogowski Deutschland wieder zu einem gastfreundlichen Land machen?

Auch vom Wunsch des Schriftstellers nach einer neuen Verfassung ist im Wahlprogramm der SPD nichts zu finden. Und wenn er gegen Volker Rühes Bundeswehr und den Eurofighter polemisiert, dann tritt er damit immerhin einem von Schröder durchaus gewünschten Koalitionspartner auf die Füße. Auf die Fragen aus dem Publikum, weshalb man denn SPD wählen sollte, gibt Grass höchst verschlüsselte Antworten. Sein Engagement, das über das der meisten anderen Intellektuellen und Künstler hinausgeht, legt den Schluß nahe: Vermutlich weiß er die Antwort selbst nicht.

Ganz anders, als er in den sechziger Jahren für Willy Brandt und den ersten Machtwechsel in Bonn nach dem zweiten Weltkrieg gekämpft hatte. Damals hatte seine Formel: "Ich bin ein Sozialdemokrat, weil mir Sozialismus ohne Demokratie nichts gilt und weil eine unsoziale Demokratie keine Demokratie ist," noch der Hoffnung und den Illusionen vieler Ausdruck verliehen, die von der Adenauer-CDU-Herrschaft genauso abgestoßen waren wie von den stalinistischen Regimen im Osten.

Damals schien die SPD immerhin noch ein gewisses Kontrastprogramm zu bieten. Sie versprach sozialstaatliche Reformen und den blauen Himmel über der Ruhr. Letzterer kam tatsächlich, denn das Zechen- und Stahlwerksterben ging rasant voran unter den Sozialdemokraten, wenn auch noch "sozial abgefedert".

Zwar hatte die SPD seit Godesberg offiziell jeder sozialistischen Perspektive abgeschworen und sich in der Praxis seit 1914 dieser entschieden widersetzt. Ihre Politik war darauf ausgerichtet, den Kapitalismus bewohnbarer zu machen, und der Nachkriegsaufschwung verlieh dieser Perspektive eine gewisse Glaubwürdigkeit. Vor allem die längst überfällige Bildungsreform hatte die SPD mit dem Slogan der Chancengleichheit auf ihre Fahnen geschrieben, und diese Politik vermochte eine ganze Schicht von Bildungsbürgern und jungen Leuten aus den Universitäten anzuziehen. Auch Gudrun Ensslin warb damals für die Wahl der SPD.

Aber als die SPD dann in der großen Koalition an die Macht kam und gemeinsam mit der CDU unter dem Altnazi Kiesinger als Bundeskanzler die Notstandsgesetze durchsetzte und offen den Vietnamkrieg der USA unterstützte, wandten sich breite Schichten unter Intellektuellen und Studenten wieder von ihr ab. Die APO und die Studentenbewegung erhielten massenhaften Zulauf.

Noch entschiedener war die Wegwendung von der SPD, als unter den Bundeskanzlern Brandt und Schmidt unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung ein demokratisches Grundrecht nach dem anderen abgebaut, der Radikalenerlaß gnadenlos durchgesetzt wurde und letztlich sogar berühmte Autoren wie Heinrich Böll in Ungnade fielen, weil sie sich für eine menschenwürdige Behandlung der RAF-Gefangenen einzusetzen wagten. Dazu kamen dann noch die Unterstützung der Atomindustrie und der NATO-Nachrüstungsbeschluß, die zahlreiche Intellektuelle vollends gegen die SPD aufbrachten.

Niemand kann das Programm von Schröder noch mit Zielen wie sozialer Gerechtigkeit und dem Abbau von Privilegien in der Gesellschaft oder auch nur Chancengleichheit in Verbindungen bringen, für die sich Künstler und Intellektuelle in der Vergangenheit begeistern konnten. Deshalb fällt der Wiederbelebungsversuch der Staeck und Co. so mager aus. Eines von vielen SPD-Wahlkampfspektakeln, mehr kam aus dieser Initiative nicht heraus.

Aber können sich die Intellektuellen wenigstens eine großzügigere Förderung der Kultur von der SPD versprechen? Wohl kaum: Die Kulturpolitik von Ländern und Kommunen spricht Bände. Zum neuen von der SPD angeheuerten Frankfurter Kulturdezernenten Hans Bernhard Nordhoff meinte der Mannheimer Morgen: "Zunächst kommt die gesamte Kultur erst einmal auf den Prüfstand. Die Kulturschaffenden sollten sich warm anziehen. Denn ,Wenn der Kaiser nackt ist, dann muß man das doch sagen dürfen', droht der designierte Dezernent."

Und ist vielleicht der designierte Kulturbeauftragte Schröders, Michael Naumann, ein unabhängiger Geist, der frischen Wind in den bundesdeutschen Kulturmief bringen soll? Ein "Now-man", wie der Tagesspiegel begeistert kommentierte? Naumann ist einer, der eher in das Schema der kapitalistischen Spitzenkräfte paßt, die alle sozialen Zöpfe abschneiden wollen, wie sein Schattenkabinettskollege Stollmann. In den USA, wo er ein Tochterunternehmen des zweitgrößten deutschen Medienkonzerns leitete, war er weniger für kulturelle Erneuerung und soziale Utopien bekannt als für rücksichtslose Sanierungen. "Mehr Effizienz in die Museen" ist denn auch einer seiner Slogans.

Naumann ist gleich mit zwei medienwirksamen Äußerungen in den Wahlkampf eingetreten. Er ist gegen das Holocaust-Mahnmal im Regierungsviertel, aber für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Weil Kohl für das Mahnmal ist und sich einige Intellektuelle und Politiker in letzter Zeit kritisch dazu geäußert haben, gilt es jetzt als zeitgemäß, dagegen zu sein.

Von Schröder wurde Zustimmung zu Naumanns Vorstoß signalisiert. Auch die SPD will als Regierungspartei in Berlin zurück zu Preußens Glanz und Gloria, da stört so ein Mahnmal an die größten Verbrechen dieses Jahrhunderts mitten im Regierungsviertel eher.

Über Form und Angemessenheit der Entwürfe ist es sicher legitim zu streiten. Aber Naumanns Auffassung, hier handle es sich um umgekehrten deutschen Größenwahn, ist eine höchst bemerkenswerte Äußerung, wenn man auf der anderen Seite den alten Verfechtern der preußisch-deutschen Reichstradition das Wort redet, die unbedingt ihr Symbol, das Berliner Schloß, wiederhaben wollen.

Eine solche Meinung läuft letztlich auf dasselbe hinaus, was Bürgermeister Diepgen predigt, schließlich seien auch an anderen Orten Naziverbrechen verübt worden, deshalb brauche Berlin kein Holocaust-Denkmal.

Daß es unangemessen sei für das deutsche Volk, seine Schuld in solch monumentaler Größe auszustellen, klingt sehr nach den Parolen der alten Rechten, es müsse endlich Schluß gemacht werden mit den ewigen Schuldbekenntnissen. Selbst die nicht gerade SPD-kritische Zeit kommentierte diese Äußerungen Naumanns als "Schallverstärker" eines Stimmungsumschwungs unter den deutschen Intellektuellen, wobei sie offen läßt, wieweit sie ihn dabei unterstützt.

Kultur als "autonome, treibende Kraft, die die Politik nach vorne peitscht,... Intellektuelle als Verkörperungen eines höheren autonomen Gewissens", so die Zeit, sei nicht mehr gefragt. Mit der SPD und ihrem Programm haben sich auch die Intellektuellen verändert. Nur noch ein verschwindend kleiner Teil hält vielleicht noch an sozialen und demokratischen Idealen fest, ohne eine politische Heimat für sie zu finden. Der größere Teil stürzt sich ins Geschäft des Kulturmanagements und sucht Sponsoren für mehr oder weniger profitträchtige Unternehmungen.

Naumann ist ihr Mann, ein neuer Typus, der "einfache Antworten auf komplexe Fragen, und das alles mit der Autorität des managementerfahrenen Machers" gibt, wie die Zeit kommentiert.

Ihm geht es darum, die staatlichen Kultursubventionen auf den Prüfstand zu stellen, d. h. die Kultur und ihre Einrichtungen nach Marktgesetzen neu ordnen: Musicals statt Opernhäusern, Konzerthallen und Stadttheatern mit der Möglichkeit auch experimentelle neue Stücke zu bringen. Ein Konzept, in dem natürlich auch Ereignisse wie Popcom oder Love Parade ihren Platz hätten. Das dürfte der gar nicht so neue kulturpolitische Kurs der SPD sein, wenn sie die Wahl in Bonn gewinnen sollte: Eine Politik, die in vielen deutschen Großstädten schon durchgeführt wird, die aber durch bundesdeutsche Richtlinien und Mittelkürzungen oder Zuweisungen noch effizienter zu gestalten wäre.

Eines ist von Naumann mit Sicherheit nicht zu erwarten: Er wird nicht in der Lage sein, die Konservierung der föderalen altdeutschen Rückständigkeiten im Bildungssystem zu durchbrechen und eine Reform anzustoßen, die breiteren Schichten den Zugang zu Bildung und Kultur öffnen könnte.

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