Das Ergebnis der Parlamentswahlen in Australien

Australien verliert seine politische Stabilität

Das Ergebnis der nationalen Wahlen vom 3. Oktober zeigt, daß in Australien die politische Stabilität zunehmend ins Wanken gerät. Obwohl die Regierung von John Howard - eine Koalition von Liberaler und Nationaler Partei - im Amt bestätigt wurde, ist ihre Mehrheit von 44 Sitzen auf gerade noch zwölf geschrumpft. Die Auszählung der Stimmen in einigen sehr knappen Wahlkreisen hat gezeigt, daß 3.400 Stimmen mehr für Labor genügt hätten, um die Liberalen zu besiegen. Dies wäre seit der Niederlage der Labor-Regierung 1931 das erste Mal, daß eine Regierung nach nur einer dreijährigen Amtsperiode hätte abtreten müssen.

Aber Labor konnte aus den schweren Verlusten der Liberalen fast nirgendwo Nutzen ziehen. Ihr Ergebnis kam mit 40,8 Prozent nur unwesentlich über ihr niedrigstes Ergebnis aller Zeiten hinaus, das 1996 die katastrophale Niederlage der Labor Party besiegelt hatte. Damals hatten hunderttausende Arbeiter ihrem Ärger über die Angriffe auf Löhne und Lebensstandard Luft gemacht, die Labor-Regierungen 13 Jahre lang durchgeführt hatten.

Am meisten hat die extrem rechte Partei One Nation von Pauline Hanson profitiert, die bundesweit ungefähr acht Prozent der Stimmen - das sind 1.2 Millionen - einheimsen konnte.

In den drei Wochen seit der Wahl wurden mehrere Statistiken veröffentlicht, die zeigen, wie stark mittlerweile die Wahlen überhaupt von der Bevölkerung abgelehnt werden. Obwohl Wahlpflicht besteht, haben sich fast eine Million eingeschriebene Wähler trotz drohender Strafverfolgung der Stimme enthalten. Weitere 407.398 Wähler stimmten ungültig. Darüber hinaus ließen sich 1,4 Millionen Erwachsene gar nicht registrieren, obwohl viele von ihnen wahlberechtigt sind. So haben sich im Ganzen 21 Prozent der ca. 13,5 Millionen erwachsenen Bürger geweigert, ihre Stimme abzugeben. Dies entspricht der niedrigsten Beteiligung, seitdem die Wahlpflicht 1924 eingeführt worden ist.

Howards Wahlkampagne konzentrierte sich auf die Befürwortung einer neuen Konsumsteuer, der GST (Goods and Services Tax - Mehrwertsteuer, die die unteren Einkommensschichten besonders stark belastet). Weitere Vorhaben waren: die Privatisierung der Telstra (nationaler Kommunikationsgigant), eine Ausweitung der Zwangsarbeit für Arbeitslose und eine "Beschleunigung der Arbeitsmarktreform" - ein schönfärberischer Ausdruck für die Zerstörung von Vollzeitarbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen. Es war ursprünglich die Absicht der Liberalen, die Wahl zu einem Plebiszit über diese Politik zu machen.

Unmittelbar nach der Wahl behauptete Howard zwar, sein Sieg sei ein "Mandat" für die Regierung, diese Politik umzusetzen. Aber die Wahlstatistik sagt etwas anderes. Die Liberalen erhielten nämlich mit 39 Prozent nicht nur die geringste Anzahl an Erststimmen seit ihrer Gründung im Jahr 1944. Wenn man die Enthaltungen mit einrechnet, dann zeigt sich, daß die Regierung kaum die Unterstützung von dreißig Prozent der erwachsenen Bevölkerung gewinnen konnte. Mit andern Worten: Siebzig Prozent machten in der einen oder anderen Weise ihre Opposition deutlich.

Das Abstimmungsverhalten unterstreicht die Krise der neuen Howard-Regierung. Auf der einen Seite hat die große Mehrheit der Bevölkerung deutlich gemacht, daß sie das Programm der Liberalen weitgehend ablehnt und von beiden großen Parteien tief enttäuscht ist. Auf der anderen Seite verlangen die großen Konzerne und Banken und ihre Sprachrohre in den Medien von der Regierung ein noch rücksichtsloseres Programm als in der ersten Amtsperiode.

Howard setzte die Wahl fünf Monate vor Ablauf seiner Amtszeit an, weil die herrschende Klasse immer stärker darauf drängte, die für nötig erachteten Maßnahmen nicht länger zu verzögern, bevor sich die Sturmwolken der globalen Finanzkrise über der australischen Wirtschaft ergießen.

Jetzt werden Befürchtungen geäußert, daß die Regierung den Anforderungen nicht gewachsen sein könnte. Ein Kommentar in Murdochs Zeitung The Australian kanzelte die minimalen Veränderungen ab, die Howard in seinem Kabinett gemacht hatte: "Howards Team hat nicht genug Biß für seine Aufgabe", lautete die Schlagzeile. Weiter hieß es: "Das neue Team scheint ein Mischmasch zu sein, das die Seilschaften der Liberalen Partei zufriedenstellt." Howard wird kritisiert, "weil er nicht den Mut gehabt hat, die Veränderungen zu machen, die das Kabinett als das eines ,neuen‘ Premierministers erscheinen lassen würden."

In herrschenden Kreisen gab es auch Kritik an Howards völlig unzureichendem Umgang mit dem Aufstieg der One-Nation-Partei. Um sich bei Pauline Hansons Wählerbasis beliebt zu machen - Teilen der Landbevölkerung, die von finanziellem Ruin und der Zerstörung der Infrastruktur auf dem Lande bedroht sind, kleinen Geschäftsinhabern, die im internationalen Wettbewerb auf der Verliererseite stehen, Schichten von Arbeitern, die sich von der Labor Party und den Liberalen angeekelt abwenden - drohe Howard die Interessen der wichtigsten Basis der Regierung, nämlich der großen Industrie, zu vernachlässigen. Seine altbekannte Opposition gegen eine "Aussöhnung" mit der Ureinwohnerschaft Australiens, den Aboriginals, komme den Interessen der großen Bergbaukonzerne in den Weg, die einen Kompromiß über Landrechte mit den Aboriginals unterstützen. Seine zweideutige Haltung zum Rassismus gefährde australische Investitionen in Asien.

Howards Positionen stießen auch die Vertreter des Multikulturalismus und des schwarzen Nationalismus vor den Kopf, eine Schicht von Unternehmern und Politikern, die aus Einwanderer- und Aboriginal-Kreisen stammen und der Labor Regierungen unter Hawke und Keating sorgfältig gehätschelt worden waren. Diese Schicht hatte früheren Regierungen gute Dienste geleistet, indem sie die Arbeiterklasse nach Herkunft spaltete und jede gemeinsame Opposition gegen ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik verhinderte.

Vor allem aber äußerte sich Howards Versuch, die Sympathisanten von One Nation zu umgarnen, in einer Neigung zu Protektionismus und nationalen Wirtschaftskontrollen - ein absoluter Sündenfall in den Augen der mächtigsten Teile der Bourgeoisie, der im völligen Gegensatz zu ihren Forderungen nach einer global wettbewerbsfähigen Wirtschaft steht.

Im Versuch, seine Kritiker zu beschwichtigen, gibt Howard sich jetzt große Mühe, seine neue Regierung - und sich selbst - als "geläutert" erscheinen zu lassen. In einem Interview mit der Fernsehgesellschaft ABC erklärte er am 15. Oktober: "Die Herausforderungen sind diesmal anders. Die Umstände sind anders. Ich denke jetzt anders. In gewisser Hinsicht bin ich seit meiner Wiederwahl zum Premierminister ein ganz anderer Mensch geworden." Er hat seine früheren Angriffe auf die sogenannten "Schwarze-Armbinden-Theorie" der Geschichte (historische Aufarbeitung des Völkermords an den Aboriginals) abgeschwächt, tritt für einen "harmonischen Übergang zu einer Republik" ein (er war bisher entschiedener Anhänger der Monarchie), und beteuert, er werde sich für eine "wirkliche Versöhnung einsetzen".

Für diese offensichtliche Rückkehr zu den "Visionen" der Ära Keating (des letzten Labor-Premiers) gibt es zwei Gründe. Erstens soll damit ein Signal an die Adresse der Konzernetagen gesendet werden, daß ihre Kritik in der Regierung angekommen sei, und zweitens will man die öffentliche Diskussion auf diese Fragen lenken, damit die Regierung ihr arbeiterfeindliches Programm ungestört durchsetzen kann.

Es geht um nichts weniger als die Zerstörung von allem, was vom Sozialstaat der Nachkriegszeit noch übrig ist. Die GST ist nur der Anfang. Es geht letztlich darum, die Wirtschaft und die Reichen generell von Steuern zu entlasten und diese den kleinen Leuten aufzubürden. Auch die Mindestlöhne stehen zur Disposition. Außerdem soll die staatliche Finanzierung des Schulwesen und der Gesundheitsversorgung privatisiert und durch ein System von Gutscheinen ersetzt werden. Die staatliche Rente soll zerstört und unbefristete Vollzeitarbeitsplätze durch schlecht bezahlte Teilzeitjobs und Gelegenheitsarbeit ersetzt werden. Alle Errungenschaften der Arbeiter, die dem ungehinderten Profitscheffeln im Wege stehen, sollen abgeschafft werden.

Während all diese Fragen im ganzen Wahlkampf nicht zur Sprache kamen, werden sie nun in akademischen Kreisen und in den Medien propagiert. In den letzten Tagen brachten die Titelseiten aller Zeitungen Berichte über einen Brief, den fünf führende Ökonomen an Howard geschrieben haben und in dem sie ihm ein "mehr marktorientiertes Lohnsystem" vorschlagen. Es soll durch ein vierjähriges Einfrieren der Löhne erreicht werden, das der Australian als "massive Reallohnsenkung" bezeichnet.

Am 26. Oktober brachte die Financial Revue, das Sprachrohr der Großkonzerne, einen Leitartikel mit dem Titel: "Es ist Zeit, die Rentenfrage zu entscheiden". Darin wurde Howard aufgefordert, die Kosten für Heimpflege massiv anzuheben, was er schon früher erfolglos beabsichtigt hatte. Vor zwei Wochen wurde auf der Konferenz des australischen Rates für Bildungsforschung in Melbourne eine Resolution eingebracht, die eine Verschmelzung der öffentlichen und privaten Bildung und die Einführung von Gebühren für alle Eltern befürwortet. Für die Krankenversicherung wird ein Gutscheinesystem diskutiert, das die kostenlose staatliche Gesundheitsversorgung ersetzen soll.

Dieser Entwicklung liegt die wachsende Angst vor einer Rezession zugrunde. Noch eine Woche nach den Wahlen behauptete Howard, die Gefahr einer Weltrezession bestehe nicht. Die australischen Wirtschaftsdaten würden verhindern, daß das Land in die Krise gerate, und die Probleme in Asien seien eine vorübergehende Erscheinung. Aber letzte Woche sprach er vor einem Bankiers-Forum in Sydney. Er warnte vor einer Rückkehr zur großen Depression der dreißiger Jahre und rief dazu auf, Maßnahmen zur Kontrolle der internationalen Kapitalströme zu ergreifen. Es wird nicht mehr lange dauern, und er wird von völlig neuen "ökonomischen Zwängen" sprächen, die die Regierung zwängen, ihre Offensive gegen die Arbeiterklasse noch zu verschärfen.

Die Labor Party ist seit den Wahlen in interne Querelen und gegenseitige Schuldzuweisungen über die Gründe der Wahlniederlage verstrickt. Zwei prominente Laborführer sind aus dem Schattenkabinett ausgetreten. Gareth Evans, ehemaliger stellvertretender Parteivorsitzender, will aus der Politik ganz ausscheiden, während Mark Latham, der frühere Schatten-Bildungsminister, sich auf die Hinterbänke zurückzieht, um sich eine bessere Ausgangsposition für einen zukünftigen Kampf um die Führung zu verschaffen. Unter offenem Beifall bedeutender Schichten der Bourgeoisie und der Medien, die der jetzigen Laborführung ein "Politikdefizit" vorwerfen, befürwortet er eine Umorientierung der Partei auf das Blair'sche Programm des "Dritten Weges". Er hat darüber vor kurzem ein Buch unter dem Titel "Civilising Global Capital" ("Das globale Kapital zähmen") veröffentlicht.

Aber Howard, die Liberale Regierung, die Labor Party und die herrschende Klasse insgesamt segeln in unbekannten Gewässern. Einerseits fordert die Bourgeoisie eine Politik, die immer größere Teile der Bevölkerung in Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Unsicherheit und tatsächliche Armut stürzt. Auf der anderen Seite sind sie mit dem kochenden Zorn großer Teile der Bevölkerung konfrontiert. Brüche, Spannungen und Konflikte dominieren das innere Leben aller kapitalistischen Parteien, und ihre soziale Basis schwindet. Die traditionellen Stammwähler haben sich von ihren Parteien abgewandt; zurück bleibt ein gähnendes politisches Vakuum.

Man darf die Augen nicht vor der Gefahr verschließen, daß die extremen Rechten dieses Vakuum ausfüllen könnten. Die verbreitete Abneigung gegen die Liberalen und die Nationale Partei hat das Mißtrauen in die Labor Party nicht abgeschwächt. Das Resultat ihrer dreizehn Regierungsjahre und ihres ständigen Verrats an allen Bestrebungen der einfachen Arbeiter drückt sich in wachsender Unterstützung für One Nation aus. Die Beteuerungen der Medien, One Nation habe ihre Kräfte erschöpft, schüren gefährliche Illusionen. Ihre Versuche, die Einwanderer, die Aboriginals und die schwächsten Schichten der Arbeiterklasse zu Sündenböcken für die Krise des Profitsystems zu machen, werden ihr weiterhin Unterstützung einbringen, solange die Arbeiterklasse nicht in der Lage ist, auf der Grundlage ihrer eigenen, unabhängigen Klasseninteressen einzugreifen und eine fortschrittliche, sozialistische Alternative zu entwickeln.

Es gab nur eine einzige Partei, die in dieser Wahl eine solche Alternative zu bieten hatte: Die australische trotzkistische Socialist Equality Party, die kompromißlos für die Interessen der Arbeiter und für eine völlige Neuorganisation der Gesellschaft auf der Grundlage wirklicher sozialer Gleichheit eintritt. Obwohl die Medien die Kampagne der SEP völlig totschwiegen, erhielten die vier Kandidaten der Partei, die in New South Wales und Victoria für den Senat kandidierten, rund 2.600 Stimmen, und zwei weitere Kandidaten, die für das Repräsentantenhaus in zwei wichtigen Industrieorten aufgestellt waren, 350 bzw. gut 100 Stimmen.

Die Unterstützung für die Socialist Equality Party hat gezeigt, daß eine kleine, aber wichtige Schicht von Arbeitern und besonders jungen Menschen den "freien Markt" als Allheilmittel in Frage stellt und nach einer Alternative zu Labor und den Liberalen sucht. Sie wenden sich einer Bewegung zu, die sich mit den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen auseinandersetzt, mit denen Millionen Menschen in Australien und auf der ganzen Welt konfrontiert sind.

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