Die Ölinteressen am Kaspischen Meer und die Kriegsdrohungen gegen den Irak

Die Entscheidung des Irak, Waffeninspektionen der Vereinten Nationen wieder zuzulassen, hat einen Militärschlag der USA zunächst verhindert. Doch die Krise ist nicht gelöst. Sie wird sich in den kommenden Tagen und Wochen zuspitzen, denn immerhin hat die Clinton-Regierung ihre Vorbereitungen auf einen Luftkrieg öffentlich mit dem Ziel in Verbindung gebracht, die Regierung Saddam Husseins zu destabilisieren und zu stürzen.

Hinter der Kriegstreiberei der USA stehen starke geopolitische Interessen. In vieler Hinsicht sind die Motive der US-Politik am Persischen Golf die gleichen, die bereits vor knapp acht Jahren zum Einmarsch im Irak führten. Ein "hoher amerikanischer Beamter" - höchstwahrscheinlich Außenminister James Baker - hatte wenige Tage nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait im August 1990 der New York Times erklärt: "Es geht um Öl. Kapiert? Um Öl, um vitale amerikanische Interessen."

Die Bush-Regierung hatte den Angriff des Irak auf seinen südlichen Nachbarn ausgenutzt, um die militärische Übermacht der USA unter Beweis zu stellen und deren Stellung in der ölreichen und strategisch wichtigen Region zu stärken, wo der Nahe Osten, Südosteuropa, Nordafrika und Zentralasien zusammenstoßen. Der Golfkrieg sollte den wichtigsten Rivalen des amerikanischen Imperialismus, vor allem Japan und Deutschland, als Warnung dienen. Beide waren stark von Ölimporten aus diesem Gebiet abhängig. Noch während der Krieg im Gange war, ließ Bush diese Absicht durchblicken. In einer Rede vor dem New York Economic Club sagte er im Hinblick auf Handelsgespräche mit Deutschland und Japan: "Wir werden damit über - ich will nicht sagen, einen Hebel -, aber doch Überzeugungskraft verfügen."

Seit 1991 haben sich jedoch bedeutende Veränderungen ergeben, allen voran das Auseinanderbrechen der Sowjetunion. Diese gewichtige Tatsache hat die geopolitischen Beziehungen im Nahen Osten, am Persischen Golf und in Zentralasien verändert und die Unzufriedenheit Amerikas über den Zustand des Irak noch verstärkt.

Die Verwandlung ehemaliger Sowjetrepubliken in unabhängige Staaten - politisch instabil, aber in einigen Fällen mit ungeheuren Öl- und Mineralstoffvorräten versehen - veranlaßte die USA, sich verstärkt in Zentralasien zu engagieren. Die enormen Ölvorräte im Kaspischen Meer haben Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan zu Objekten heftiger Konkurrenz zwischen den Großmächten werden lassen, die alle diesen Teil des Erdballs dominieren wollen.

Dieser Kampf erinnert an den langen Konflikt zwischen Großbritannien und Rußland um die Hegemonie im nahen Osten und Zentralasien zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Mit dem Beschluß zum Bau der Bagdadbahn versuchte Deutschland damals, ebenfalls einen Fuß in die Region zu bekomen. Die daraus resultierenden Spannungen trugen wesentlich zum Anwachsen des europäischen Militarismus bei, der sich schließlich im Ersten Weltkrieg entlud.

Heute spielt der amerikanische Imperialismus die erste Geige. Während der vergangenen Jahre spitzte sich der Kampf um die Vormachtstellung in dieser Region immer mehr auf eine Frage zu: Wo soll die Pipeline verlaufen, die das Öl aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku in den Westen bringen wird?

Die Azerbaijan International Operating Company (AIOC), ein Konsortium aus der staatlichen Ölgesellschaft von Aserbaidschan und internationalen Unternehmen (darunter British Petroleum und die vier US-Firmen Amoco, Unocal, Exxon und Pennzoil) hat für die nächsten Monate eine Entscheidung über den Bau der Pipeline angekündigt. Washington sieht darin eine entscheidende Weichenstellung für die strategische Stellung der USA im 21. Jahrhundert. Auch französische, japanische, russische und chinesische Firmen engagieren sich stark an Projekten, die die Förderung und den Transport von Öl aus dem Kaspischen Meer zum Ziel haben.

Die Clinton-Regierung räumt diesem Thema höchste Priorität ein. Bill Richardson, der als amerikanischer Botschafter bei den Vereinten Nationen im Winter 1997-98 die letzte Konfrontation mit dem Irak ausfocht, ist zum Energieminister bestellt worden. Er soll die AIOC davon überzeugen, die Pipeline entlang jener Ost-West-Route zu bauen, die von der amerikanischen Politik favorisiert wird.

Washington wünscht sich einen Verlauf der Pipeline von Aserbaidschan durch Georgien und die Türkei bis zu deren Mittelmeer-Hafen Ceyhan. Die Vorstände der Ölkonzerne neigen hingegen einer direkteren, kürzeren und kostengünstigeren Route zu, die südlich durch den Iran zum Persischen Golf führen soll. Eine dritte Alternative bestünde darin ,das Öl von Baku aus nordwestlich durch Rußland bis zum Schwarzmeerhafen Noworossisk zu transportieren.

Ein Bericht des US-Außenministeriums vom April letzten Jahres verdeutlicht, welchen hohen Rang die Clinton-Regierung dem kaspischen Öl in geopolitischer Hinsicht einräumt: "Die kaspische Region könnte im nächsten Jahrzehnt zum wichtigsten neuen Mitspieler am Weltölmarkt werden. Für die USA geht es hier um entscheidende Fragen der Außenpolitik - die Steigerung und Diversifizierung der Weltenergievorräte, die Unabhängigkeit und Souveränität der NIS [Neuen Unabhängigen Staaten] und die Isolation des Iran."

Eine Reihe außergewöhnlich freimütiger Artikel in der New York Times, der Washington Post, dem Wall Street Journal und einer Reihe spezialisierterer Organe der offiziellen Meinung und Politik bringen die Auseinandersetzung um den Verlauf der Pipeline in Zusammenhang mit der Frage, wer im kommenden Jahrhundert die Welt beherrschen wird.

Letzten Monat warnte ein Leitartikel der New York Times, daß der US-Plan für die Pipeline akut vom Scheitern bedroht sei. Es hieß darin: "Die kaspische Region ist die neueste Bühne geworden, wo auf Weltebene Großmachtpolitik betrieben wird. Sie bietet nicht nur den Ölkonzernen die Aussicht auf großen Reichtum, sondern auch den Weltmächten das Feld entscheidender Konkurrenzkämpfe... Vom Ergebnis hängt viel ab, denn die Pipelines werden nicht nur Öl transportieren, sondern auch neue Handels- und Machtkorridore abstecken. Die Nation oder das Bündnis, in deren Händen die Kontrolle über die Pipelines liegt, könnten auf Jahrzehnte hinaus über die kaspische Region disponieren."

Die New York Times zitierte den aus Kansas stammenden Senator Sam Brownbeck mit der Klage, daß das Gewicht der USA nachlasse, weil Clinton aufgrund der Skandale um seine Präsidentschaft "seine moralische Überzeugungskraft" verloren habe.

Seither hat sich die Clinton-Regierung wieder verstärkt eingemischt, und die AIOC hat die Bekanntgabe ihrer Entscheidung über den Pipeline-Verlauf verschoben. Bezeichnend für die Bedeutung, die dieser Frage auf höchster Ebene beigemessen wird, ist ein weiterer Artikel der New York Times vom 8. November, der sich in apokalyptischen Formulierungen darüber äußert: "Es geht um weitaus mehr, als um das Schickal der komplexen kaspischen Region an sich. Die hier ausgetragenen Rivalitäten werden entscheidend zur Formung der nachkommunistischen Welt beitragen und darüber bestimmen, wie viel Einfluß die Vereinigten Staaten auf ihre Entwicklung ausüben können."

Der Artikel zitierte Richardson mit allgemeinen Aussagen, die deutlich machen, daß Washington eine Pipeline-Route durch den Iran oder Rußland verhindern will, um den politischen Einfluß dieser beiden Staaten in der Region einzudämmen: "Es geht hier um die Energiesicherheit Amerikas, die davon abhängt, daß wir unsere Öl- und Gasquellen weltweit diversifizieren. Es geht auch darum, strategische Vorstöße jener abzuwenden, die unsere Werte nicht teilen. Wir versuchen diese neuen unabhängigen Länder an den Westen heranzuführen. Wir sähen sie lieber in Abhängigkeit von westlichen Handels- und politischen Interessen, als daß sie einen anderen Weg einschlügen. Wir haben in der kaspischen Region politisch einiges investiert, und es ist für uns sehr wichtig, daß sowohl die Pipeline-Route als auch die Politik den richtigen Verlauf nehmen."

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Entdeckung riesiger Öl- und Gasvorkommen im kaspischen Meer haben die US-Politik gegenüber dem Irak ganz maßgeblich beeinflußt. So lange sich die strategischen Interessen nur um den Persischen Golf drehten, hatte sich Amerika auf den Süden des Irak konzentriert. Washington war schließlich zu dem Schluß gelangt, daß eine militärische Besetzung und ein möglicher Zerfall des Landes zu riskant seien, da sie die gesamte Region destabilisieren könnten. Sie hatten also zum Ende des Golfkrieges entschieden, Saddam Husseins Republikanische Garde intakt und ihn selbst an der Macht zu lassen.

Das mittlerweile verstärkte Interesse Amerikas an den Ländern nördlich des Irak hat die militärischen und ökonomischen Prioritäten der USA verschoben. Um den Zugang zur kaspischen Region zu sichern, brauchen sie eine direktere militärische und politische Präsenz im Irak.

Aufgrund seiner geographischen Lage nimmt der Irak in der Region im Allgemeinen und in der Auseinandersetzung um die Pipeline im Besonderen eine strategische Stellung ein. Die Nation, die den Norden des Irak kontrolliert, wäre zum Beispiel in der Lage, eine Pipeline durch die südliche Türkei zu schützen oder Militärschläge gegen eine Pipeline durch den Iran durchzuführen.

Die USA möchten den Nordirak gern in eine neue Basis für amerikanische Militäroperationen verwandeln. Das läßt sich politisch nicht machen, so lange die gegenwärtige irakische Regierung an der Macht bleibt. Die US-Politik während der vergangenen sieben Jahre hat eine Normalisierung der Beziehungen zu Saddam Hussein - aus innen- und außenpolitischen Gründen - unmöglich gemacht. Er ist zu einem untragbaren Hindernis für die amerikanischen Ziele geworden. Er muß beseitigt und durch ein US-treues Marionettenregime ersetzt werden.

Es ist mehr als nur ein Zufall, daß Washington seine militärischen Vorbereitungen gegen den Irak genau in dem Moment verstärkt hat, in dem die Niederlage seiner Option für die Pipeline-Route besiegelt schien. Ein größerer Militärschlag gegen den Irak wäre ein unmißverständliches Signal an Rußland, Frankreich, den Iran und andere Rivalen: die USA sind nach wie vor die stärkste Militärmacht und schrecken nicht davor zurück, entsprechend zu handeln. Er würde allen Beteiligten verdeutlichen, daß der amerikanische Imperialismus nicht nur am Persischen Golf, sondern auch in Zentralasien am schnellsten und schärfsten schießt.

In der breiteren Weltarena spitzen sich Konflikte zwischen den USA und ihren imperialistischen Rivalen in Europa und Asien über eine Vielzahl ökonomischer und politischer Fragen zu. Allein in den letzten Tage hat Clinton Handelskriegsmaßnahmen gegen Japan wegen Stahlexporten und gegen die Europäische Union wegen deren Bananenimporten angedroht - ein zusätzlicher Anreiz, den Irak zum Sündenbock zu machen, um der ganzen Welt das militärische Vernichtungspotential Amerikas vorzuführen.

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