Zwischenwahlen zum US-Kongreß

Rückschlag für die Republikaner

Die Zwischenwahlen zum Kongreß am 3. November wurden zum Debakel für die Republikanische Partei und zu einem Rückschlag für das Amtsenthebungs-Verfahren gegen Clinton. Die Republikaner verloren insgesamt fünf Sitze im Repräsentantenhaus, so daß sie dort jetzt noch über 223 Sitze verfügen. Die Demokraten haben 211 Sitze inne, zusätzlich gibt es einen unabhängigen Abgeordneten. Die den Republikanern verbliebene Mehrheit von 11 Stimmen ist die knappste Mehrheit im Repräsentantenhaus, die es in diesem Jahrhundert je gab.

Im Senat (dem Oberhaus des Kongresses) hatten die Republikaner mit einem Ausbau ihrer Mehrheit gerechnet, doch dort blieb alles beim Alten.

Jede Partei gewann drei Sitze, die zuvor von der anderen gehalten worden waren, so daß die Republikaner über eine Mehrheit von 55 gegenüber 45 Stimmen verfügen. Um einen Abbruch der Debatte über ein bestimmtes Thema durchzusetzen und eine Abstimmung über einen Gesetzentwurf zu erzwingen, wären hingegen 60 Stimmen erforderlich. Um Clinton seines Amtes zu entheben, sollte dies vom Repräsentantenhaus beschlossen werden, wären 67 Stimmen von Senatsabgeordneten erforderlich.

Zwei Senatoren der Republikaner, die stark mit den Ermittlungen gegen Clinton identifiziert werden, wurden geschlagen: Alfonse D'Amato in New York, Vorsitzender des Senatsausschusses, der die medienwirksamen Anhörungen zur Whitewater-Affäre abhielt, und Lauch Faircloth in North Carolina, der an maßgeblicher Stelle entscheidend zur Berufung des Sonderermittlers Kenneth Starr beigetragen hatte. Auch bei den Gouverneurswahlen in einzelnen Bundesstaaten verloren die Republikaner Stimmenanteile, besonders stark in Kalifornien, dem bevölkerungsreichsten US-Staat.

Der Sprecher des Weißen Hauses, Newt Gingrich, und der Führer der Republikanischen Mehrheit im Senat, Trent Lott, versuchten die Niederlage schönzureden, doch der Schock für die Republikaner ist offenkundig und eine Krise in ihren Reihen vorprogrammiert. Gingrich und Lott werden innerhalb ihrer Partei heftig kritisiert, weil sie die Gelegenheit versäumt hätten, eine geschwächte Regierung endgültig zu Fall zu bringen.

Die Wahlergebnisse schockierten nicht nur die Republikaner, sondern auch die Demokraten und die Medien. Eine Umfrage der Washington Post ergab, daß alle konsultierten "Experten" - Akademiker, Historiker, Medienkommentatoren und Wahlkampfberater - sowohl von Seiten der Demokraten als auch der Republikaner bedeutende Verluste der Demokraten vorhergesagt hatten.

Diese Experten hatten historische Präzedenzfälle über einen langen Zeitraum hinweg angeführt: keine Partei, die das Weiße Haus besetzt, hat jemals seit 1934, d.h. seit der ersten Wahl unter Roosevelts New Deal, bei den Zwischenwahlen zum Kongreß Stimmen hinzugewonnen. Keine Partei, die für eine zweite Amtszeit den Präsidenten stellt, hat jemals seit 1822, als James Monroe im Weißen Haus saß, bei Zwischenwahlen Sitze hinzugewonnen.

Das allgemeine Erstaunen unter den Spezialisten angesichts des Wahlergebnisses illustriert erneut, wie weit das politische Establishment von den Sorgen und Gefühlen der großen Masse der arbeitenden Bevölkerung entfernt ist.

Ein Zerrspiegel

Die Wahlen waren ein schwerer Rückschlag für die rechte Destabilisierungskampagne, die von Sonderermittler Kenneth Starr angeführt wird. Viele Menschen gingen deshalb zur Wahl, weil sie gegen die Starr-Ermittlungen sind und die Politik jener ablehnen, die Clinton aus dem Amt jagen wollen.

Dieses Verhalten ist nicht auf eine entsprechende Mobilisierung der Demokraten zurückzuführen. Diese hatten im Einklang mit den Republikanern und den Medien bestritten, daß die Wahlen ein "Referendum über die Amtsenthebung" seien. Nur eine Handvoll demokratischer Abgeordneter im Kongreß hatten das Thema überhaupt angesprochen. Doch einer von ihnen, Jay Inslee, schlug in einem Vorort von Seattle einen republikanischen Amtsinhaber, der für ein Amtsenthebungsverfahren in Sachen Clinton gestimmt hatte. Die Republikaner selbst hatten das Thema in letzter Minute in von Gingrich persönlich abgesegneten Wahlwerbespots aufgebracht, diese jedoch in nur dreißig Wahlkreisen ausgestrahlt. Achtzehn dieser dreißig Wahlkreise gingen an die Demokraten.

Meinungsumfragen am Tag der Wahl zeigten eine überwältigende Opposition der Wähler gegen ein Amtsenthebungsverfahren, wie es die Republikaner anstreben. Mehr als sechzig Prozent der Befragten sprachen sich gegen eine Amtsenthebung oder einen erzwungenen Rücktritt aus, und eine klare Mehrheit meinte, die Untersuchungen des Kongresses über Clintons Sexualleben sollten fallengelassen werden.

Am stärksten waren diese Einstellungen unter Wählern aus der Arbeiterklasse und aus gesellschaftlichen Minderheiten vertreten, die sich wiederum in weitaus höherem Maße an den Wahlen beteiligten, als bei den letzten Zwischenwahlen im Jahr 1994, bei denen die Republikaner die Mehrheit im Kongreß eroberten. Schwarze und hispanische Wähler machten 1998 16 Prozent aus, 1994 waren es 12 Prozent gewesen. Wähler aus gewerkschaftlich organisierten Haushalten machten 1998 22 Prozent aus, 1994 waren es 14 Prozent gewesen.

Das Wahlsystem in den USA ergibt nur ein sehr verzerrtes Bild der Einstellungen und Meinungen der breiten Massen, weil das Monopol der beiden großen Parteien des Big Business, der Einfluß von Konzerngeldern und die starke Rolle der Massenmedien zusammengenommen jede Diskussion über jegliche Programme und Perspektiven, die den Interessen der Kapitalistenklasse zuwiderlaufen, von vornherein unterbinden.

Die Wähler sahen keine andere Alternative zu den Republikanern, außer den Demokraten, deren Wahlprogramm nicht weniger reaktionär war - und in einigen Fällen nicht einmal diese, weil es für ein Viertel aller Kongreßmandate überhaupt keinen Gegenkandidaten gab. Das weit verbreitete Gefühl, daß eine Alternative zu beiden Parteien notwendig wäre, konnte nirgendwo einen Ausdruck finden - außer in Minnesota, und dort in einer eigenartigen, aber politisch aufschlußreichen Form.

Der Kandidat der Reform Party, Jesse Ventura, ein ehemaliger Profiringer, gewann dort die Gouverneurswahlen und verwies den Demokraten Hubert Humphrey III, den Sohn des berühmten Liberalen, auf den dritten Platz. Ventura stellte sich im Wahlkampf als Nicht-Politiker dar, dessen Programm im wesentlichen nur in seiner Ablehnung der beiden etablierten Parteien bestand. Das genügte, um die Mehrheit in der wichtigsten Großstadt dieses Bundesstaates zu gewinnen, in Minneapolis-St. Paul. In deren Arbeitergebieten erhielt Ventura mehr als fünfzig Prozent, und insgesamt über 50 Prozent unter den jungen Männern zwischen 18 und 30 Jahren.

Eine politische Gezeitenwende

Die Abfuhr für das Bestreben der Rechten, Clinton des Amts zu entheben, geht in ihrer politischen Bedeutung weit über dessen persönliches Schicksal hinaus. Es ist jetzt klar, daß der Sieg der Republikaner bei den Kongreßwahlen von 1994 beileibe nicht der Auftakt zu einer neuen Rechtswende im politischen Leben Amerikas war, sondern den Scheitelpunkt der politischen Reaktion markierte, die sich von den späten siebziger Jahren an entwickelt hatte.

Selbst der Wahlsieg von 1994 war weniger auf die Popularität von Gingrichs "Contract with America" zurückzuführen gewesen, als auf die allgemeine Enttäuschung über die Clinton-Regierung, insbesondere über das gebrochene Versprechen einer Krankenversicherung für jeden.

Sobald jedoch, nachdem die Republikaner 1995 die Mehrheit im Kongreß übernommen hatten, deren drakonische Sozialkürzungen deutlich wurden und sie im Winter 1995-96 die Bundesregierung mehrmals blockierten, begann die Opposition gegen die Politik der Republikaner zu wachsen.

Die Kräfte auf der Rechten stellten sich anfänglich hinter das Paula-Jones-Verfahren und leiteten dann die Starr-Ermittlungen in die Wege, um die Administration aus dem Gleichgewicht zu bringen und Clinton bei den Wahlen von 1996 eine Niederlage beizubringen. Nach seiner Wiederwahl bauten sie die juristischen Ermittlungen zu einer ausgewachsenen Verschwörung aus, um Clinton aus dem Weißen Haus zu vertreiben. Die äußerste Rechte war offenbar zu der Schlußfolgerung gelangt, daß sie ihre politischen Ziele nicht länger auf dem Wege von Wahlen erreichen konnte.

Die Stärke der politischen Reaktion in Amerika ist von den Medien stark übertrieben worden. Sie stellen es so dar, als fügten sich die Demokratische und die Republikanische Partei mit ihrer Rechtswende lediglich dem Druck der öffentlichen Meinung. In Wahrheit ist es so, daß die breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung nach links rücken, während die beiden großen Parteien gemäß den Bedürfnissen der amerikanischen herrschenden Klasse nach rechts gehen.

Nach den Wahlen

Beiden Parteien steht jetzt eine Periode zunehmender innerer Spannungen und politischer Krisen bevor. Auf republikanischer Seite sind die Zerwürfnisse offener und augenfälliger. Der Justizausschuß des Repräsentantenhauses beginnt mit den offiziellen Anhörungen über die Amtsenthebung, während die Republikaner selbst zutiefst zerstritten sind, ob überhaupt noch mit Nachdruck auf diese Amtsenthebung hingearbeitet werden soll, oder ob man sich nicht lieber mit dem Weißen Haus einigen sollte, da mit einer Zustimmung des Senats zur Absetzung Clintons ohnehin nicht mehr zu rechnen ist.

Gingrich und Lott werden von Präsidentschaftsanwärtern der Republikaner und von Aktivisten auf der äußersten Rechten heftig kritisiert, weil sie sich im vergangenen Monat mit dem Weißen Haus auf den Haushalt für das kommende Jahr geeinigt haben. Aber die Kritiker sind sich nicht einmal untereinander einig. Einige werfen ihrer Führung im Kongreß vor, sie konzentriere sich zu stark auf das Verfahren zur Amtsenthebung und vernachlässige die anderen Steckenpferde der Rechten, wie beispielsweise Steuersenkungen. Andere wünschen ein aggressiveres Vorgehen gegen Clinton.

Die Demokratische Partei wird ihren Wahlsieg als Signal interpretieren, noch weiter nach rechts zu rücken und sich mit den Republikanern zu einigen. Bereits einen Tag nach den Wahlen äußerte sich Clinton in diesem Sinne. Es sei an der Zeit, sagte er, "die Wahlen hinter uns zu lassen", und beide Parteien müßten nun partnerschaftlich zusammenarbeiten.

Bezeichnenderweise schlug er als ersten praktischen Schritt nach den Wahlen eine Gipfelkonferenz über die "Reform" der sozialen Sicherungssysteme vor. Wie schon bei der Sozialhilfe, bedeutet "Reform" in diesem Zusammenhang "Zerstörung". Breite Teile der Republikaner und der Demokraten im Kongreß unterstützen eine zumindest partielle Privatisierung des Sozialbudgets. Ein Teil der Rentenkasse soll in die Aktienbörsen investiert werden, um einerseits die Wall Street zu bereichern und andererseits die Märkte zu stützen, die durch die Finanzkrise, welche letztes Jahr in Südostasien ihren Ausgang nahm, erheblich geschwächt worden sind.

Man kann unschwer erkennen, worauf sich die beiden Parteien in groben Zügen einigen werden: Wenn die Republikaner das Amtsenthebungsverfahren totlaufen lassen, dann übernimmt das Weiße Haus bereitwillig die Führung im Angriff auf die Sozialhilfe und die medizinische Beihilfe für Arme, Medicare - die beiden letzten Überbleibsel des Sozialstaats, den beide Parteien mittlerweile ablehnen.

Schlimmer noch als diese Angriffe auf lebenswichtige Sozialprogramme werden sich die Folgen der Finanzkrise auswirken. Wenn Entlassungen, Fabrikschließungen und Firmenpleiten erst einmal um sich greifen, wird die Arbeiterklasse sowohl die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise als auch die bereits erfolgten Kürzungen der Demokraten und Republikaner in vollem Umfang zu spüren bekommen.

Was jetzt bevorsteht, ist eine Verschärfung der sozialen Krise und des Klassenkampfs unter Bedingungen, in denen die Arbeiterklasse dem bestehenden politischen System bereits zutiefst entfremdet ist. Bei den Wahlen am 3. November war die Wahlbeteiligung erneut zurückgegangen, und zwar auf 36 Prozent im Vergleich zu 38 Prozent bei den letzten Zwischenwahlen 1994.

Keine der beiden Parteien des Big Business befaßt sich mit der sozialen Krise in den USA und mit der enormen Zuspitzung der sozialen Ungleichheit. Im Gegenteil, beide Parteien vertreten eine Politik - von Steuersenkungen für die Reichen bis hin zur Vernichtung der letzten Sozialprogramme -, mit der die sozialen Gegensätze noch verschärft werden.

Unabhängig davon, wie sich das Wahlergebnis nun unmittelbar auf das Verfahren zur Amtsenthebung auswirken wird, bleibt die Bedrohung demokratischer Rechte bestehen, die in Form der rechten Verschwörung gegen das Weiße Haus zutage tritt. Diese Bedrohung ergibt sich unvermeidlich aus einem Gesellschaftssystem, in dem die Kluft zwischen einer reichen Elite und der Bevölkerungsmasse immer breiter wird.

Die Arbeiterklasse muß sich eine Alternative zu den Politikern der Demokraten und der Republikaner schaffen - und gegen das Wirtschaftssystem, das sie verteidigen. Die kommenden Wochen und Monate werden unterstreichen, wie notwendig es ist, daß die Arbeiterklasse ihre eigene Massenpartei aufbaut. Diese Partei braucht ein sozialistisches Programm, das die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung höher stellt als die Profite der Konzerne und die Vorgaben des Marktes.

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