Sozialkürzungen in Niedersachsen

Schröders Erben ebnen den Weg für Massenentlassungen

Trotz wochenlanger Proteste der Bevölkerung hat die niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Gerhard Glogowski (SPD) in der vergangenen Woche umfangreiche Sparmaßnahmen im Sozial- und Bildungsbereich durchgesetzt, die einen massenhaften Arbeitsplatzabbau vorbereiten.

Neben höheren Eigenbeiträgen zur Krankenversicherung für Beamte und dem Abbau von mindestens 5000 Stellen im öffentlichen Dienst stehen drastische Einschränkungen im Bereich der Kindertagesstätten (Kitas) im Mittelpunkt der "Reformen". Beschlossen wurde auch die Einführung von Studiengebühren, gegen die sich die SPD noch im Bundestagswahlkampf ausgesprochen hatte.

Seit November haben Schüler, Studenten, Kinder, Eltern und Erzieher sowie Beamte wiederholt gegen die Pläne der Landesregierung demonstriert. Den Höhepunkt der zahlreichen Protestaktionen bildete am Sonntag vergangener Woche die Demonstration von über 15.000 Eltern, Kindern und Erziehern in der Landeshauptstadt Hannover gegen die Aufhebung der Mindeststandards im Kitabereich.

Worum geht es ?

Im Rahmen des Doppelhaushalts 1999/2000 hat die Landesregierung beschlossen, den Kommunen von 1999 an die alleinige Verantwortung für die Kindertagesstätten zu übertragen. Die bisherigen gesetzlichen Vorgaben über Mindeststandards zur Größe der Gruppen, Ausstattung der Einrichtung, Öffnungs- und Betreuungszeiten und Qualifikation der Kita-Leitung und des Gruppenpersonals entfallen.

Gleichzeitig kürzt das Land seine Finanzhilfe für die Kindertagesstätten (bisher 20% der Personalkosten) von 280 Millionen 1998 auf 207 Millionen im Jahr 2000. Darüber hinaus wird das Geld in den kommunalen Finanzausgleich integriert und verliert damit seine Zweckbestimmung als - an Qualitätskriterien gebundene - Finanzhilfe für das Kita-Personal.

Offensichtlich soll den überschuldeten Kommunen mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden, auf Kosten der Kinder, der Beschäftigten und der Eltern im Kitabereich ihren Haushalt zu sanieren. Die Bezirksregierungen haben die Kommunen bereits aufgefordert, die Mehreinnahmen aus dem Finanzausgleich für einen verstärkten Schuldenabbau zu nutzen. Für die Kommunen würden sich Einsparmöglichkeiten in dreistelliger Millionenhöhe ergeben. Eingespart werden könne das Geld im wesentlichen beim Personal, umgerechnet mehrere tausend Stellen.

Die SPD zwingt auf diese Weise die Kommunen, sich die Kürzungen im Kita-Bereich selbst zu verordnen - und bezeichnet das ganze als größerer Autonomie für die Kommunen. Unter dem Strich laufen ihre Beschlüsse darauf hinaus, in den Kommunen, bei den Wohlfahrtsverbänden und den freien Trägern Massenentlassungen im Bereich der Erzieherinnen zu erzwingen.

Die Mindeststandards für die Kitas, die jetzt abgeschafft werden, hat die SPD vor sieben Jahren selbst eingeführt. In der Landtagswahl 1990 gehörte der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und eine Beteiligung des Landes an den Kosten für Fachpersonal zu ihren zentralen Wahlversprechen. Die Wahl führte zur Ablösung der langjährigen CDU-Herrschaft durch eine rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder, dem heutigen Bundeskanzler.

Im Dezember 1992 beschloß die rot-grüne Landtagsmehrheit ein Kindertagesstättengesetz, in dem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz festgeschrieben, die Mindeststandards für die Ausstattung von Kitas geregelt und die finanziellen Leistungen des Landes festgelegt wurden. In Niedersachsen wurde damit lediglich nachvollzogen, was in anderen Bundesländern bereits selbstverständlich war. Es war das letzte westliche Bundesland, in dem ein entsprechendes Gesetz eingeführt wurde, das zudem in vielen inhaltlichen Aspekten weiterhin das Schlußlicht in Deutschland bildete. Dasselbe trifft auf die Lernmittelfreiheit zu, die bereits in den vergangenen Jahren wieder massiven Einschränkungen unterworfen wurde.

Schröder blieb bis zu seinem Wechsel nach Bonn im September 1998 niedersächsischer Ministerpräsident. Seit 1994 konnte er sich auf eine absolute Mehrheit der SPD stützen, die bei den Landtagswahlen im März 1998 bestätigt wurde. Schröder bekräftigte damals in einer Regierungserklärung - und im August noch einmal in einem Schreiben an den DGB -, es werde bei den geltenden Finanzregelungen für die Kindergärten bleiben.

Die Streichlisten lagen allerdings schon in den Schubladen bereit. Führende Sozialdemokraten - wie der Vorsitzende der Landtagsfraktion Gabriel - wollen Schröder schon im Sommer vergeblich gedrängt haben, die Öffentlichkeit auf schmerzhafte Einsparungen vorzubereiten. Schröder hielt die Sparpläne unter Verschluß, um seinen Erfolg in der Bundestagswahl nicht zu gefährden. Es blieb seinem Nachfolger Glogowski überlassen, einen "eisernen Sparkurs" zu verkünden.

Glogowski hatte sich bisher als "Kanther des Nordens" einen Namen gemacht. Als Schröders Innenminister war er als Hardliner in der Innen- und Asylpolitik aufgetreten und hatte sich wie dieser als "Freund der Wirtschaft" einen Namen gemacht. Von Schröder persönlich zum Nachfolger erkoren, wurde er Ministerpräsident, ohne sich einer demokratischen Wahl stellen zu müssen, und gebärdete sich umgehend als Sparkommissar, der gegenüber öffentlichem Druck immun ist.

Wie immer müssen dafür angeblich "leere Kassen" herhalten. Wie fadenscheinig dieses Argument ist, zeigt die Tatsache, daß in dem Haushaltsentwurf für 1999/2000 zur Finanzierung des Fehlbedarfs der EXPO GmbH nahezu die gleiche Summe eingeplant ist, die durch die Kürzungen bei den Kitas, bei den Beamten und im öffentlichen Dienst und durch die Einführung von Studiengebühren erzielt wird.

Die Weltausstellung Expo 2000 in Hannover ist ein von Schröder über Jahre verfolgtes Prestigeobjekt, an dem sich zahlreiche Parteifreunde und Teile der Wirtschaft eine goldene Nase verdienen - allen voran Birgit Breuel, Bankierstochter und Geschäftsführerin der EXPO GmbH, die sich schon als Treuhandchefin bei der Abwicklung der Wirtschaft der neuen Bundesländer einen Namen gemacht hat.

Glogowski hat für seine sozialfeindliche, aber wirtschaftsfreundliche Standortpolitik die zynische Formulierung "Kultur und Ethik des Sparens" geprägt. Was genau darunter zu verstehen ist, bekommen die Kinder, Eltern, Erzieher, Studenten und Beamten in Niedersachsen nun zu spüren. Sein rücksichtsloses Vorgehen zeigt, was von seinem Vorgänger und Mentor im Kanzleramt noch zu erwarten ist.

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