Krankenhausschließungen in Berlin

"Wir sind wütend auf die ÖTV"

Tausende Krankenhausbeschäftigte demonstrierten in den vergangenen Tagen in Berlin gegen Pläne des Senats und der Krankenkassen, 21 Klinikstandorte, darunter sieben komplette Krankenhäuser zu schließen.

Rund 7000 Beschäftigte sollen ihre Arbeit verlieren, 4500 Betten von jetzt 26.500 Klinikbetten gestrichen und die Ausgaben der Krankenhäuser insgesamt um 800 Millionen Mark gekürzt werden.

Seit vergangenem Jahr werden immer neue Pläne für Krankenhausschließungen diskutiert. Ein Krankenhausgutachten des Kieler Gutachters Beske sorgte seit vergangenem Sommer für Unruhe. Anfang dieses Jahres hat nun die Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) gestützt auf das Gutachten ein konkretes Konzept vorgelegt. Schwerpunkt der Kürzungen sind die Betten im Bereich der Altersmedizin, für psychisch Kranke, Frauen und Kinder.

Auf der Schließungsliste stehen u.a. die Spezialklinik für Orthopädie Oskar-Helene-Heim, das gerade erst an Silvester viele Replantations-Operationen durchgeführt hat, die in anderen Kliniken nicht möglich waren, Teile des Max-Bürger-Zentrums für Geriatrie und Psychiatrie, die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik und das traditionsreiche Ostberliner Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus, die Frauen- und Kinderklinik Neukölln und auch große Häuser wie das Krankenhaus Moabit mit 600 Betten und das gerade erst modernisierte Gertrauden-Krankenhaus in Wilmersdorf.

Hübner kann sich bei ihren massiven Kürzungsplänen auf die Zustimmung des Koalitionspartners SPD stützen, die zwar diese oder jene Schließung ablehnt, aber insgesamt rigide Sparmaßnahmen verlangt.

Die Kieler Gutachter, der Senat und die Medien führen seit Wochen eine Kampagne, um in der Öffentlichkeit das Bild zu vermitteln, die Krankenhausversorgung der Stadt sei zu anspruchsvoll und zu teuer, es gebe zu viel Betten und eine zu hohe Fallzahl (die Zahl der Patienten, die in einer Abteilung oder einem Krankenhaus angemeldet werden). Dies sei der Grund für die katastrophale Finanzlage der Berliner Krankenkassen.

In Wahrheit sind es wachsende soziale Armut und Arbeitslosigkeit in der Hauptstadt und die Veränderung der Sozialstruktur durch die Abwanderung Besserverdienender ins Umland, die die sinkenden Kasseneinnahmen und das Defizit verursachen. Ein Gegengutachten von Prof. Michael Simon, das die Ärztekammer Berlin in Auftrag gegeben hat, sowie Statistiken beweisen, dass die Krankenhausversorgung in Berlin nicht teurer ist als anderswo. Im Gegenteil, die Fallzahlen sind niedriger als in anderen Ballungszentren. Ebenso liegt die Zahl der Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohner (1997) mit 76,8 in Berlin unter den Zahlen anderer Großstädte (München 109, Düsseldorf 102, Bremen 97, Hamburg 82). In einzelnen Fachbereichen ist das Verhältnis noch krasser.

Vor allem die Bundesvorstände der Krankenkassen aus reicheren Bundesländern, wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Bremen, drängen auf drastische Einsparungen in Berlin. Sie sind nicht länger bereit, über den Risikostrukturausgleich die notleidende Berliner Kassen zu unterstützen. Bei einem Spitzentreffen in Berlin vergangene Woche verlangten insbesondere die AOK-Vorstände aus Bremen und Süddeutschland massive Kostensenkungen, andernfalls würden sie eigenhändig die Versorgungsverträge mit einigen Berliner Kliniken kündigen.

Ähnlich wie beim Länderfinanzausgleich pochen reichere Landeskrankenkassen, unterstützt durch ihre Landesregierungen, auf die regionalen Interessen und stellen damit das Prinzip einer solidarischen und qualitativ gleichen Gesundheitsversorgung für alle Bundesbürger in Frage.

Die Gewerkschaften ÖTV und DAG haben den Angriffen auf die Gesundheitsversorgung nicht den geringsten Widerstand entgegengesetzt. Sie selbst sprechen sich für Sparmaßnahmen aus und arbeiten in Ausschüssen und Beiräten mit daran, die Gesundheitsversorgung nach marktwirtschaftlichen Kriterien umzugestalten und nach und nach zu privatisieren.

Die Gewerkschaft bietet sich als Expertin an, um den Arbeitsplatzabbau durchzusetzen, und greift dabei auf Instrumente zurück, die sie bereits bei den Massenentlassungen in Ostdeutschland ausgetestet hat: eine Beschäftigungsgesellschaft, auch Personalpool genannt, soll die 7000 Beschäftigten auffangen, die ihre Arbeitsplätze verlieren. Angeblich sollen sie dadurch vor Arbeitslosigkeit bewahrt werden. Letzlich wird sich der "Personalpool" jedoch ebenso wie die ostdeutschen Beschäftigungsgesellschaften als Verschiebebahnhof in die Arbeitslosigkeit erweisen. Ende 1999 wird der Beschäftigungssicherungsvertrag mit der ÖTV auslaufen. Spätestens dann können Tausende von Beschäftigten auch betriebsbedingt gekündigt werden.

In die Proteste gegen die Krankenhausschließungen mischt sich daher immer mehr Wut und Enttäuschung über die Gewerkschaft. Im Krankenhaus Moabit mit rund 1500 Beschäftigten, das ganz oben auf der Schließungsliste steht, sind Dutzende Gewerkschaftsmitglieder aus der Gewerkschaft ausgetreten.

Am vergangenen Montag hatte die ÖTV zur Kundgebung vor dem Roten Rathaus, dem Sitz des Berliner Senats aufgerufen. Rund 1500 Krankenhausbeschäftigte waren gekommen. Doch die Stimmung war gedrückt.

"Das hier ist doch Augenwischerei", sagte Jutta Gehrke-Unger, Krankenschwester des Krankenhauses Moabit und Frauenbeauftragte des Personalrats zum wsws."Bei uns fühlen sich die Kollegen nicht mehr von der Gewerkschaft vertreten. Als der Schließungsplan für unser Krankenhaus bekannt wurde, hat die ÖTV dazu geschwiegen. Wir fühlen uns belogen und betrogen. Anfang 1998, als die Privatisierung der Klinik in Kraft trat, wurden wir von Hübner und von der ÖTV gedrängt, in die gGmbH (gemeinnützige GmbH) überzuwechseln. Bei der 125 Jahr-Feier hielt Bürgermeister Diepgen eine Rede und erklärte, die Privatisierung sei der Weg zur Standortsicherung. Und jetzt?"

Ähnlich reagierten drei Betriebsräte des Max-Bürger-Zentrums. Das Zentrum soll zwei Standorte und den Bereich Psychiatrie verlieren. "Wir sind das einzige Zentrum, das sich auf die Altersmedizin konzentriert", sagte Rüdiger Martin. "Aber die alten Menschen, die diese Stadt aus den Trümmern aufgebaut haben, haben heute keine Lobby mehr." Von 381 Betten - vor sechs Jahren waren es über 800! - würden nach den Senatsplänen nur 140 Betten in der Geriatrie übrigbleiben, von 1200 Beschäftigten nur noch rund 600.

"Was wir erleben, sollte eine Warnung für alle Beschäftigten der Krankenhäuser sein", sagte der Betriebsratsvorsitzende Giovanni Ammirabile. "Unser Krankenhaus wurde bereits 1996 auf Betreiben der damaligen Gesundheitssenatorin Stahmer (SPD) und der Bezirksverwaltung Charlottenburg privatisiert und in eine gGmbH überführt. Die ÖTV hatte diese Privatisierung empfohlen - mit guten Wünschen und Versprechungen, dies sei der Weg zur Sicherung der Klinik! Wir sollten das Vorbild für die Umwandlung auch anderer Kliniken liefern. Jetzt stehen wir schlechter da als zuvor. Viele Beschäftigte vor allem aus dem Pflegeheimbereich haben 1996 nur eine dreijährige Bestandsgarantie für ihre Gehälter und Sozialleistungen erhalten, die jetzt ausläuft. Und alle Kollegen, die nach 1996 neu eingestellt wurden, haben von vorneherein nur befristete Verträge erhalten. Auch haben sie keinen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen. Die Beschäftigten sind die Verlierer der Privatisierung!"

Über die Gewerkschaft sagte Giovanni Ammirabile enttäuscht: "Wenn es um den Schutz der Interessen der Beschäftigten geht, muß man sich schon überlegen, ob nicht eine Rechtsschutzversicherung billiger und besser ist."

Betriebsrätin Petra Trescher ergänzte: "Wenn Sie wissen wollen, was die Beschäftigten der Krankenhäuser inzwischen von der Gewerkschaft halten, brauchen Sie sich nur umschauen. Nur etwa fünf Krankenhäuser sind auf dieser Kundgebung vertreten, obwohl 21 von Schließungen betroffen sind."

Eine Reihe von Ärzten, Schwestern und Pfleger wiesen das wsws darauf hin, dass die Kürzungspolitik der vergangenen Jahre bereits jetzt zu Engpässen in den Krankenhäusern geführt hat. Das Märchen vom Bettenüberhang in Berlin wies Cora Jacoby, Ärztin der Onkologie im Krankenhaus Neukölln, zurück. Seit einigen Wochen müßten in ihrem Krankenhaus Patienten auf den Fluren liegen, weil es an Betten fehlt.

"Eine Grippe-Epidemie wie in England würde auch hier zu großen Problemen führen", betonte sie. "In den letzten Jahren haben wir jetzt in Neukölln jeden Winter die Betten auf den Fluren gesehen, weil es berlinweit zu wenig Betten gibt! Und dies mitten in dieser ganzen Kürzungsdebatte. Es ist schrecklich." Ähnliches berichtete Oberarzt Raabe aus dem Krankenhaus Moabit. "Vor einigen Tagen wurde bei uns gemeldet, es gebe kein einziges internistisches Bett mehr."

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