Kriegspartei SPD

Sonderparteitag unterstützt die Bombenangriffe

Der SPD-Sonderparteitag warf am Wochenbeginn (12. April) grelles Licht auf die Verwandlung einer Partei, die in der Vergangenheit von sich behauptet hatte, die Interessen der sozial Schwachen zu vertreten. Obwohl der Parteitag vom ersten Krieg mit deutscher Beteiligung seit 1945 überschattet wurde, war aus den Reihen der Delegierten keine ernstzunehmende Kritik oder gar Opposition zu vernehmen. Als Verteidigerin sozialer und demokratischer Rechte hauchte die sozialdemokratische Partei am vergangenen Montag den letzten Rest ihres politischen Lebens aus.

Notwendig geworden war die außerordentliche Zusammenkunft der Delegierten im großen Saal des Bonner Nobelhotels Maritim, weil vor etwas mehr als vier Wochen der bisherige Vorsitzende Oskar Lafontaine alle politischen Ämter niedergelegt hatte. Erwartungsgemäß wurde Gerhard Schöder ohne Gegenkandidat zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Mit knapp 76 Prozent der Stimmen erhielt er das zweitschlechteste Wahlergebnis in der über 130jährigen Geschichte der SPD. Oskar Lafontaine hatte auf dem Mannheimer Parteitag vor knapp drei Jahren noch 93 Prozent der Delegiertenstimmen auf sich vereinigt.

Die Wahl Schröders ist das Ergebnis eines rapiden politischen Niedergangs der SPD und wird diesen Prozeß noch beschleunigen. Diese Entwicklung wurde auf dem Parteitag deutlich sichtbar. Nach Meinungsumfragen war bekannt geworden, daß über die Hälfte der immer noch etwa 800 000 Parteimitglieder den gegenwärtigen Nato-Krieg auf dem Balkan und vor allem die deutsche Beteiligung daran entschieden ablehnen. Doch diese Haltung, die mit einer breiten Ablehnung des Krieges in der Bevölkerung übereinstimmt, fand auf dem Parteitag keinerlei Gehör. Die Meinung der Mitglieder interessiert auf gehobener Funktionärsebene niemanden mehr. Die allgemeine Entfremdung zwischen der wachsenden Kritik in der Bevölkerung und dem kontinuierlichen Rechtsruck des politischen Establishment findet gerade auch in der SPD einen scharfen Ausdruck.

Gestützt auf die Meinungsumfragen hatten Journalisten in den Tagen vor dem Parteitag von einem "linken Flügel" in der SPD gesprochen und auch Kanzler Schröder schlug zu Beginn seiner Parteitagsrede ausgesprochen versöhnliche Töne an. Die SPD werde auch in Zukunft "die politische Heimat von Pazifisten bleiben", betonte er, stellte aber im gleichen Atemzug fest, daß sie gegenwärtig nichts zu melden haben und in Zukunft erst recht nichts. Als dann einige Vertreter des "linken Flügels" ans Mikrophon traten, wurde deutlich, daß sie auch nichts zu sagen haben.

Die Sprecherin der Nachwuchsbürokraten, Andrea Nahles forderte wortreich eine Feuerpause und die Errichtung eines "humanitären Korridors". Die "militärische Logik" müsse wieder durch die "politische Logik" ersetzt werden. Mit Tränen in den Augen schilderte sie anschließend vor laufenden Kameras, wie sie die ganze Nacht über den gemeinsamen Antrag von Jungsozialisten und Parteilinken politisch "entschärft" habe, der dann trotzdem nur von einem Fünftel der Delegierten unterstützt wurde.

Vorstandsmitglied Hermann Scheer gab seine Zweifel kund, ob die Nato ihr komplettes Verhandlungspotential ausgeschöpft habe, und bezeichnete das Fehlen eines UNO-Mandats als "grundlegenden politischen Fehler". Henning Voscherau, lange Jahre Parteivorsitzender in Hamburg, beschrieb den Riß, der durch ihn selber gehe: "Nie wieder Krieg" und "Nie wieder Völkermord" - beides sei geächtet. Und er beschrieb das "tragische Dilemma, daß wir dahin gekommen sind, daß wir uns zwischen beiden kontrovers entscheiden müssen".

Um die Seelennöte der Linken zu lindern, trat zum Abschluß der Debatte ein leibhaftiger Priester ans Rednerpult, der Theologe, Pazifist und Altlinke Erhard Eppler. Die Frankfurter Rundschau schildert die etwas gespenstische Situation:

"Es wird still im Saal und mancher Genosse begreift, daß nichts mehr so ist, wie es mal war. Eppler sagt, er würde gern über die Wiederkehr der Politik reden, ‚das, was sich in den nächsten Jahren wirklich entscheidet‘. Nun muß er über Krieg reden, er, der vor 20 Jahren zu Friedensdemonstration in den Bonner Hofgarten ging. Er bereue das auch heute nicht, sagt Eppler - und doch habe sich seit damals vieles verändert.

So wurde aus dem Friedensbewegten von damals ein nachdenklicher Befürworter des Nato-Einsatzes. Seit 1989, ruft Eppler mit bewegter Stimme den Delegierten zu, habe die Gewalt nicht ab-, sondern zu genommen, ‚aber außerhalb dessen, was als Krieg definierbar ist. Wenn sechs Banditen ein Hotel überfallen, dann ist die bewaffnete Polizei am Zug. Und wenn 600 Banditen eine Stadt überfallen...?‘"

Weshalb dann die Stadt bombardiert werden müsse, erläuterte Eppler nicht, doch die Delegierten klatschten Beifall.

Obwohl sich zum Zeitpunkt des Parteitags der Krieg bereits in der dritten Woche befand, die anfängliche humanitäre Begründung längst durch Tatsachen widerlegt war, die Nato-Bomben immer öfter zivile Ziele trafen und der Krieg mehr und mehr die Form des Terrors gegen Teile der Bevölkerung annahm, stimmten die SPD-Delegierten mit übergroßer Mehrheit diesem Krieg zu.

Was ist von einer Partei zu halten, auf deren Parteitag sich in einer so grundlegenden Frage nicht eine einzige prinzipielle Stimme der Opposition Gehör verschafft? Wie werden sich eine solche Partei und ihr Kanzler gegenüber der eigenen Bevölkerung verhalten?

Der Krieg beschleunigt alle politischen Prozesse, auch die Verwandlung der SPD. Schon Ende der fünfziger Jahre hat diese Partei mit ihren historischen Ursprüngen in der Arbeiterbewegung gebrochen und sich nicht mehr als Arbeiter-, sondern als Volkspartei bezeichnet. Jetzt vollzieht sie den Übergang zu einer Wirtschaftspartei, die das über Jahrzehnte geschaffene Sozialgefüge aufbricht und die unmittelbaren und engstirnigsten Interessen der führenden Wirtschaftsverbände vertritt.

Das jämmerliche und abstoßende Schauspiel, das die sogenannten Linken auf diesem Parteitag in der Kriegsfrage boten, machte deutlich, daß sie dieser Entwicklung nichts entgegenzusetzen haben. Schon die Art und Weise, wie Oskar Lafontaine die Brocken hinwarf, hatte diesen politischen Bankrott offenbart. Als klar wurde, mit welcher Schärfe und Rücksichtslosigkeit die Funktionäre der Unternehmerverbände ihre Interessen vertraten und wie stark deren Einfluß in der SPD bereits war, ergriff Lafontaine die Flucht. Auch er hatte keine ernstzunehmenden und tragfähigen Alternativen.

"Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich‘s völlig ungeniert", sagt der Volksmund und beschreibt damit eine Entwicklung, die jetzt auch bei der SPD zu beobachten ist. Nachdem in der Kriegsfrage alle Hemmungen fallengelassen und die Zweifler brüsk beiseite geschoben wurden, wird nun auch in den Fragen des Sozialabbaus, der Einführung von Niedriglohnarbeit und Einschränkung bzw. Abschaffung der Arbeitslosenunterstützung Tacheles geredet.

Die Benennung von Hans Eichel zum Finanzminister ist Ausdruck dieser Entwicklung. Das beste, was man über diesen Mann sagen kann lautet: er ist ein Buchhalter - ein Finanzbürokrat ohne das geringste politische Gespür, von Visionen ganz zu schweigen. Er bekommt seine Vorgaben in Form der Ansprüche der Wirtschaftsverbände und wandelt das in drastische Sparmaßnahmen und Kürzungen in allen Sozialbereichen um. Die sozialen Auswirkungen interessieren ihn nicht. Wichtig ist ihm nur, daß die Zahlenkolonnen seiner Buchführung stimmen.

Wohin derart stumpfsinnige Politik führt, zeigt sich im Bundesland Hessen, als dessen Ministerpräsident Eichel bis zur Wahlniederlage vor zwei Monaten eine rot-grüne Landesregierung führte. Das einst mustergültige Bildungssystem Hessens wurde unter seiner Verantwortung ruiniert und der soziale Niedergang dieses Landes schuf Bedingungen, unter denen die konservative CDU ihre Demagogie entfalten konnte und die Wahlen gewann. Auch die Berliner Finanzsenatorin Fugmann-Heesing, die aus der selben Schule hessischer SPD-Bürokraten stammt, steigert mit ihren hirnlosen, durch und durch unsozialen Sparprogrammen die Empörung und Wut weiter Teile der Bevölkerung.

In den siebziger Jahren reagierte die SPD auf soziale Proteste mit einem Programm sozialer Verbesserungen und politischer Reformen und faßte das mit der Parole zusammen: "Mehr Demokratie wagen!" Heute ist das Gegenteil der Fall. In dem Maße, in dem sich Widerspruch gegen die Auswirkungen ihrer Politik mehrt, ruft die SPD nach dem Polizeiknüppel und der Aufrüstung des Staats. Auch hier zeigt die neue SPD bereits ihr Gesicht in Form von Innenminister Otto Schily. Früher Gründungsmitglied der Grünen und Anwalt von RAF-Terroristen, gehört er heute zu den Scharfmachern der SPD und tritt für einen strammen Rechtskurs von Law-and-Order ein.

Im Verlauf des Kosovo-Konflikts hat sich für die SPD weit mehr verändert als nur ihre Haltung zum Krieg. Nachdem sie in der Außenpolitik begonnen hat, zu den Waffen zu greifen und die Bevölkerung eines souveränen Staates zu terrorisieren, fallen nun auch in der Innenpolitik alle Hemmungen. Die SPD hat Blut geleckt!

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