Treffen der "Schanghai-Gruppe" in Bischkek

China reicht Moskau die Hand, um seinen Einfluss in Zentralasien zu stärken

Vom 24. bis 25. August fand in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek ein Gipfeltreffen der Staatsoberhäupter der "Schanghai-Gruppe" statt, der Russland, China, Kasachstan, Kirgisistan, und Tadschikistan angehören. Es war ein Versuch, die Zusammenarbeit zwischen Russland und China in Zentralasien auszubauen und ein Gegengewicht gegen den Einfluss des Westens in dieser Region zu schaffen.

Die entscheidende Rolle wird dabei von China gespielt, das im Unterschied zum ökonomisch und politisch geschwächten Russland in der Weltpolitik zunehmend als eigenständige Supermacht auftreten will. In Asien will es ein alternatives Kräftezentrum aufbauen, das sowohl den USA als auch Japan gegenüberstehen würde.

Die "Schanghai-Gruppe" wurde 1996 zur Regulierung von Grenzstreitigkeiten zwischen China und den GUS-Staaten gegründet. Damals unterzeichneten die fünf Länder in Schanghai eine gegenseitige Vertrauenserklärung. Ein Jahr danach wurde sie ergänzt durch einen Vertrag zur Rüstungsbegrenzung in den Grenzregionen, demzufolge diese zur "minimal militarisierten" Zone erklärt wurde, in der lediglich Grenztruppen stationiert werden sollen.

Eine Besonderheit der Zusammenarbeit im Rahmen der "Schanghai-Gruppe" war, dass die vier GUS-Staaten (Russland, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan) gemeinsam auftraten, obwohl zu dieser Zeit bereits beträchtliche Differenzen zwischen ihnen existierten. Jedes dieser Länder versuchte damals schon, eigenständige Beziehungen mit China zu entwickeln. Es kam zu bilateralen Treffen, auf denen die Grenzprobleme aber auch Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit diskutiert wurden.

Moskau bestand damals noch nicht darauf, die führende Rolle in den Verhandlungen der GUS-Staaten mit China zu spielen. Sein geschwächter Einfluss und die Abwesenheit Boris Jelzins auf dem Vorjahrestreffen, der sich vom damaligen Außenminister Jewgeni Primakow vertreten liess, wurde in Kirgistan, Kasachstan und Tadschikistan als Zeichen dafür gewertet, dass Moskau ihnen die Verhandlungen mit Peking überlässt. Auf der Suche nach einem stärkeren und stabileren Partner handelten sie mehr und mehr, ohne auf die Interessen Russlands Rücksicht zu nehmen.

Die veränderte Situation hat Moskau dazu veranlasst, aufgegebene Positionen in Zentralasien zurückzugewinnen und eine zielgerichtete Zusammenarbeit mit China anzuknüpfen.

Die Motivation zu diesem Treffen wurde in recht grober und direkter Form von Jelzin formuliert. Bei seiner Ankunft in Bischkek erklärte er noch auf der Gangway seines Flugzeuges stehend, dass er sich "in Kampfform" befinde und bereit sei, "mit jedem den Kampf aufzunehmen... besonders mit dem Westen".

Diese schockierende Äußerung löste unverzüglich einen Strom von Kommentaren aus der unmittelbaren Umgebung des Präsidenten aus. Außenminister Igor Iwanow "erläuterte", dass man Jelzins Erklärung im Kontext verstehen müsse, gegen Versuche vorzugehen, eine monopolare Weltordnung zu errichten.

"In der Welt findet gegenwärtig ein aktiver Kampf um die künftige Weltordnung statt, für den Aufbau einer multipolaren Welt im Interesse aller Länder", sagte er. "Es gibt aber Versuche eine monopolare Welt zu errichten, und Russland ist schon immer dagegen aufgetreten und wird es auch in Zukunft tun", hob er weiter hervor.

Die "multipolare Welt" war der Kernpunkt der in Bischkek verabschiedeten gemeinsamen Erklärung. In diesem Dokument wird die Multipolarität als allgemeine Entwicklungstendenz der modernen Welt bezeichnet, die international eine langfristige Stabilität gewähren solle.

Jelzins unbedachten antiwestlichen Äußerungen wurden sofort von der russischen liberalen Presse aufgegriffen. Die Zeitung Iswestja warf dem Präsidenten "Unangemessenheit" vor und erinnerte ihn daran, dass Russland "wie niemals zuvor, wenn nicht auf Bündnisbeziehungen mit dem Westen angewiesen ist, so doch zumindest auf dessen Loyalität".

"Mit einer monopolaren Welt", fährt die Zeitung mit dem den russischen Massenmedien eigenen Zynismus fort, "kann man effektiv (und, was wichtig ist, ungefährlich) im Wahlkampf auf Veranstaltungen unzufriedener Pensionäre kämpfen. Das ist das, was die kommunistische Opposition schon seit vielen Jahren erfolgreich tut. Aber der Präsident... lebt nicht in einer Illusionswelt ideologischer Mythen. Er beschäftigt sich (auf jeden Fall sollte er es) mit realer Politik. Doch in der realen Politik muss jedes Wort sorgsam abgewogen und die möglichen Folgen abgeschätzt werden."

Für Russland ergibt sich die Bedeutung des Treffens in Bischkek vor allem daraus, dass Russland in dieser Region und auch über seine Grenzen hinaus immer weniger als ernstzunehmender "Spieler" angesehen wird. Amerika, der wichtigste politische Partner Russlands verliert offensichtlich jegliches Interesse an den innenpolitischen Problemen des Landes. Die offensichtliche Schwäche Russlands, die sich während des Kosovokrieges gezeigt hat, aber auch in unzähligen Konflikten, die wie im Nordkaukasus jederzeit explodieren können (der jüngste Einfall islamistischer Separatisten in Dagestan konnte scheinbar vorerst zurückgeschlagen werden), zwingen den Kreml, alternative geopolitische Allianzen zu suchen.

Ein anderes wichtiges Moment, das Jelzin zwang, die Reise zu unternehmen, besteht in der grundlegenden Veränderung des innenpolitischen Gleichgewichts. Der Oppositionsbewegung "Vaterland - Ganz Russland" gelang es, eine Periode der Verfolgung durch den Kreml zu überleben und jetzt immer mehr Punkte zu sammeln. Nach der Aufstellung des vereinigten Wahlblockes Anfang August führte dieser Ende vergangener Woche zwei erfolgreiche Kongresse durch - einen in Moskau, den anderen in der baschkirischen Hauptstadt Ufa. Das Gewicht des Blockes erhöhte sich weiter mit dem Beitritt des ehemaligen Premierministers Jewgeni Primakow. Luschkow erklärte daraufhin, dass er bereit wäre, eine Kandidatur Primakows zum Präsidenten Russlands zu unterstützen.

Jegliche Versuche, ein ernstzunehmendes Gegengewicht aus verschiedenen, dem Kreml hörigen Organisationen zu dieser Allianz zu schmieden, scheiterten. Weiterhin gelang es nicht, die finanzielle Basis des Luschkow-Bündnisses zu unterhöhlen oder dessen Teilnahme an den kommenden Parlamentswahlen zu verhindern. Unter diesen Bedingungen verbleibt Jelzin keine andere Möglichkeit, als mit der Primakow-Luschkow-Gruppe selbst in Kontakt zu treten. Wenn diese ihm künftig persönliche Sicherheit garantieren würden (es gibt keinen Grund, warum sie es nicht tun sollten, sie haben es ja auch schon getan) und sich Jelzin von den verrufenen Figuren loslösen könnte, die ihn bisher immer wieder mit der Opposition der Nomenklaturoligarchen in Konflikt gebracht haben, könnte er es zu einem Kompromiss mit dem Block Primakow-Luschkow bringen.

Wenn sich Jelzin mit dem gemäßigten antiwestlichen Kurs Primakows solidarisieren würde, ließe sich für ihn wahrscheinlich eine "Ehrenrolle" (wie bei den früheren Generalsekretären) finden, bei der er als Repräsentant außerhalb der Grenzen des Landes oder als "Friedensstifter" figurieren könnte. Auch unter diesem Blickwinkel muss eine der Hauptinitiativen Jelzins in Bischkek gesehen werden, die auf die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in Zentralasien hinausläuft.

Des Weiteren sei daran erinnert, dass China unter breiten Teilen der neuen herrschenden Klasse in Russland großen Neid hervorgerufen hat. Am Beispiel Chinas sehen sie verpasste Möglichkeiten für Russland, gleich von Anfang an gegenüber dem Westen einen selbständigeren Weg einzuschlagen und "traditionelle" Formen der politischen Unterdrückung, d.h. Elemente des totalitären stalinistischen Regimes, beizubehalten.

Kirgistan, Kasachstan und Tadschikistan sind ihrerseits auch an der Entwicklung von Beziehungen zu China interessiert. Sie alle sind mit ernsthaften innenpolitischen Problemen konfrontiert und liegen direkt in dem instabilen zentralasiatischen Gürtel. Mit ihrer Teilnahme an der "Schanghai-Gruppe" wollen sie sich von der chinesischen Wirtschaftslokomotive mitziehen lassen und sich andererseits immer mehr aus der Abhängigkeit zu Russland befreien.

Was China betrifft, so besteht dessen Hauptziel in der Wiederbelebung des transkontinentalen Korridors an der Stelle der ehemaligen Seidenstraße. China sucht einen direkten Weg nach Europa und versucht sich Zugang zu den Ölressourcen am Kaspischen Meer zu verschaffen.

Eine ganze Reihe in diese Richtung orientierter Projekte werden bereits realisiert. Hinzu kommt, dass sich die Spannungen mit Amerika nach der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad weiter erhöht haben, was nicht nur von offizieller Seite scharfe Reaktionen hervorgerufen hat, sondern auch spontane Massenproteste in vielen Städten des Landes.

So wie alle anderen Teilnehmer zeigte sich auch die chinesische Seite zufrieden mit den Ergebnissen des Gipfels. Neben rein wirtschaftlichen Absprachen erhöhen die jüngsten Vereinbarungen die Sicherheit der chinesischen Grenzen. Abgesehen von der Nähe zu Afghanistan ist China mit einer Separatistenbewegung in der nordwestlich gelegenen Region Xinjiang konfrontiert. Durch diese Region verläuft genau die Route der Seidenstraße. Chinas Präsident Jiang Zemin, der an dem Gipfeltreffen teilnahm, erklärte, dass man die Erfahrungen mit der "Schanghai-Gruppe" möglicherweise auch für die Lösung anderer Grenzkonflikte in anderen Regionen des Landes heranziehen könnte.

Ein bezeichnender Hinweis auf die ständigen Grenzkonflikte in der Region war der Angriff islamistischer Kämpfer auf die südliche Region Kirgistans, die vom Territorium Tadschikistans in das Land eindrangen, mehrere Ortschaften besetzten und fast 100 Geiseln nahmen. Wie die Führer der Angreifer erklärten, besteht ihr Hauptziel darin, Tadschikistan, Usbekistan und Kirgistan untereinander in einen Konflikt zu verwickeln.

Russland hat mittlerweile seine Bereitschaft signalisiert, Kirgistan militärische Unterstützung zu gewähren. Das erklärte der Direktor der Föderalen Grenztruppen Konstantin Totzki. Dieser begleitete Jelzin bei seiner Reise nach Bischkek.

Die Teilnehmer der Bischkek-Konferenz äußerten sich wiederholt in dem Sinne, dass die Ergebnisse des Treffens keine Konfrontation gegen den Rest der Welt seien. Sie betonten den offenen Charakter ihrer Zusammenarbeit. Noch am Vorabend des Treffens sagte Boris Jelzin gegenüber der Zeitung Slovo Kirgistana, dass weder Russland noch China "ihre strategische Partnerschaft als Bündnis ansehen, das gegen andere Staaten gerichtet ist". Der kirgisische Außenminister Mutarbek Imanalijew erklärte am Ende der Konferenz, dass die "‚Schanghai-Gruppe‘ keinen Block, kein Forum oder Bündnis schaffen will."

Trotz allem liegt die objektive Bedeutung des Gipfels von Bischkek in der Suche nach Alternativen zum westlichen Einfluss in Zentralasien. Die Zeitung Iswestja bewertete die Ergebnisse des Treffens mit "Eins" und schrieb am 26. August: "Dieses Mal haben Moskau und Peking faktisch das Ende des strategischen Dreierbundes deklariert, bei dem die USA Moskau und Peking näher standen, als diese beiden zueinander".

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