Die UN-Kinderrechtskonvention wird von der Bundesregierung und den deutschen Behörden praktisch nicht eingehalten, obwohl sie von der Bundesrepublik 1992 mit Vorbehalt unterzeichnet worden war. Das geht aus einer am 19. August vorgestellten Studie des UN-Flüchtlingshilfswerks Unicef über die Situation und Behandlung von Flüchtlingskindern in Deutschland hervor.
Nach der UN-Kinderrechtskonvention soll das Kindeswohl - und zwar unabhängig von der Herkunft der Kinder - an erster Stelle stehen. Kinder, die in Schwierigkeiten geraten sind, sollen vorrangig unterstützt werden.
Der Migrationsforscher Steffen Agenendt, der im Auftrag und mit Unterstützung von Unicef die Lage der etwa 220.000 Flüchtlingskinder in Deutschland untersucht hat, kommt zu dem Schluss: "In der politischen Praxis hat die Kinderrechtskonvention bisher keine Rolle gespielt." Er hebt hervor, dass die restriktiven Regelungen, die der Aushöhlung des Asylrechts seit 1993 zugrundeliegen, und das neue Asylbewerberleistungsgesetz Kinder und Jugendliche besonders hart betreffen.
Die tatsächliche Lage der Flüchtlingskinder hängt von ihrem Aufenthaltsstatus ab sowie davon, in welchem Bundesland sie leben. Die Bestimmungen werden in den Bundesländern teilweise unterschiedlich ausgelegt. Die rund 60.000 Kinder anerkannter Flüchtlinge mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis sind deutschen Kindern in rechtlicher Hinsicht weitgehend gleichgestellt. Problematisch ist die Lage der Kinder von Asylbewerbern und derjenigen, die nur eine Duldung (kurzfristige Aussetzung der Abschiebung) haben.
Dieser ungesicherte Aufenthaltsstatus hat weitgehende Auswirkungen, z.B. auf den Schulbesuch der Kinder. So unterliegen in einigen Bundesländern nur die Kinder mit gesichertem Aufenthaltsstatus der allgemeinen Schulpflicht. Vorbereitungs- und Förderklassen für diese Kinder gibt es nur vereinzelt.
Auch bei der Berufsausbildung für jugendliche Flüchtlinge scheitert es meist an der Arbeitserlaubnis. Nach einem Erlass des Bundesarbeitsministeriums wird Flüchtlingen, die nach dem 15. Mai 1997 eingereist sind, eine Arbeitserlaubnis generell nicht mehr erteilt. Dieser Erlass, der unter der Regierung Kohl von dem damaligen Bundesarbeitsminister Blüm durchgesetzt wurde, ist von dem neuen Arbeitsminister Walter Riester unter der rot-grünen Bundesregierung nicht geändert worden. Dies kommt praktisch einem Ausbildungsverbot gleich, denn kaum ein Betrieb stellt Jugendliche ein, die nur eine Duldung besitzen und bei denen rechtlich unklar ist, ob sie ihre Ausbildung überhaupt abschließen können. Von den minderjährigen Flüchtlingen außerhalb des Asylverfahrens haben rund 90 Prozent nur eine Duldung.
Asylbewerber, die nur geduldet werden, haben praktisch auch keinen Anspruch auf eine reguläre Gesundheitsversorgung. Auch Flüchtlingskinder mit diesem Status erhalten Krankenscheine, auf denen vermerkt ist, dass sie nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzen Anspruch auf kostenlose medizinische Hilfe haben. Selbst dies gilt nur eingeschränkt. Bundesweit bekannt wurde der Fall eines 17-Jährigen aus Sierra Leone, der in Thüringen auf die Operation eines nicht verheilten Beinbruchs mehr als ein Jahr warten und so lange die Schmerzen ertragen musste. Auf Behandlung psychosomatischer Erkrankungen nach oftmals traumatischen Erlebnissen in ihrem Herkunftsland, auf der Flucht oder nach abweisenden Erlebnissen in Deutschland haben sie keinen Anspruch.
Besonders schwierig ist die Lage von geschätzten 5.000 bis 10.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland. Für sie wurden zwar seit 1993 verschiedene "Clearing-Stellen" eingerichtet. Aber laut der Untersuchung von Agenendt gibt es kaum eine, die nicht in der Kritik steht.
Er berichtet von Fällen, in denen ein Amtsvormund bis zu 300 Kinder gleichzeitig "betreute" und wo 14-Jährige schon mal alleine zur Anhörung in ihrem Asylverfahren geschickt werden. Wird ihr Antrag auf Asyl abgelehnt, weigert sich der Amtsvormund in der Regel, dagegen Widerspruch einzulegen. Nach deutschem Recht sind Flüchtlinge ab 16 Jahren asylrechtlich uneingeschränkt handlungsfähig. Das heißt, sie müssen das Anerkennungsverfahren in der Regel ohne Vormund durchlaufen. Dies steht ausdrücklich im Widerspruch zur Kinderrechtskonvention, die allen unter 18-Jährigen einen besonderen Schutz zuerkennt. Bei Jugendlichen ohne Papiere wird die Alterbestimmung meist durch Inaugenscheinnahme von Mitarbeitern des Jugendamtes rein willkürlich vorgenommen.
Auch vor Abschiebung und Abschiebehaft sind Kinder und Jugendliche in Deutschland nicht geschützt, obwohl das nach Artikel 37 der UN-Kinderrechtskonvention ausdrücklich verboten ist. Allein in Berlin saßen 1998 rund 80 Minderjährige monatelang in Abschiebehaft, darunter einige unter 16 Jahren. Die alte Bundesregierung unter Kohl hat die Kinderrechtskonvention nur mit dem Vorbehalt ratifiziert, dass sie einschränkende ausländerrechtliche Bestimmungen erlassen darf. Als sie noch in der Opposition waren, haben einzelne Grünen- und SPD-Politiker dagegen protestiert. Seit Rot-Grün an der Regierung ist, wird die gleiche restriktive Politik gegen Flüchtlinge fortgesetzt und stellenweise noch verschärft. Proteste von offizieller Seite hört man keine mehr.
