Bundeswehrverband demonstriert gegen Kürzung des Verteidigungshaushalts

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik demonstrieren am 11. September uniformierte Soldaten gegen die Regierung. Der Bundeswehrverband hat zu einer Demonstration gegen die Kürzungen im Verteidigungshaushalt aufgerufen, zu der am Samstag rund 5000 Teilnehmer in Berlin erwartetet werden.

Die Kürzungen, die im kommenden Jahr 3,5 Milliarden betragen und sich bis 2003 auf knapp 19 Milliarden summieren, seien ein "eklatanter Vertrauensbruch", eine "nicht zu verantwortende Politik gegenüber unseren Soldaten und ihrem Auftrag", heißt es in einem Aufruf des Verbandsvorsitzenden Oberst Bernhard Gertz. "Damit muss nun endlich Schluss sein! Die Stimmung von Soldaten ist gereizt."

Die Teilnahme an politischen Demonstrationen in Uniform ist Soldaten nicht gestattet. In den achtziger Jahren erhielten Wehrdienstleistende, die sich in Uniform an Friedensdemonstration beteiligten, regelmäßig empfindliche Disziplinarstrafen. Dieser Problematik bewusst, haben die Organisatoren die Berliner Demonstration zu einem "Außerordentlichen Verbandstag" deklariert und in die Halle - das Internationale Congress Centrum (ICC) - verlegt. Den Einladungen sind umfangreiche juristische Abhandlungen beigelegt, die unter Berufung auf zahlreiche Paragraphen und Gerichtsurteile darlegen, dass es sich um eine Veranstaltung zur "Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Soldaten" und "nicht um eine politische Veranstaltung im Sinne des Paragraphen 15 Abs. 3 Soldatengesetz" handle, mithin die Teilnahme in Uniform erlaubt sei.

Bei näherem Hinsehen erweist sich diese Argumentation allerdings als haltlos.

Die Entscheidung über die Höhe des Verteidigungsetats ist eine hochpolitische Frage. Hier wird darüber bestimmt, welcher Anteil des Nationaleinkommens für militärische Zwecke ausgegeben wird - oder allgemeiner, welches Gewicht Armee und Militarismus in der Gesellschaft haben. Eine zivile Gesellschaft unterscheidet sich von einer vom Militär dominierten unter anderem dadurch, dass diese Frage von gewählten Politikern und nicht von Militärs entschieden wird.

Daraus leitet sich auch das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform ab, auf das sich der Bundeswehrverband in seinen Statuten ausdrücklich beruft. Es setzt voraus, dass der Staatsbürger, auch dann wenn er Uniform trägt, in seiner Funktion als Staatsbürger und nicht in seiner Funktion als Soldat entscheidet, dass er die gesamtgesellschaftlichen und nicht die bornierten Interessen der Militärkaste im Auge hat. Indem der Bundeswehrverband - der ursprünglich Soldaten in Fragen des Diensts- und Sozialrechts, also als eine Art Gewerkschaft vertreten sollte - seine Mitglieder als Lobby zur Erhöhung der Rüstungsausgaben mobilisiert, stellt er dieses Prinzip auf dem Kopf: Aus dem Staatsbürger in Uniform macht er den uniformierten Staatsbürger, der jede Begrenzung der Rüstungsausgaben als Angriff auf "uns Soldaten", als persönliche Beleidigung empfindet.

Die volle Bedeutung der Bundeswehrdemonstration erschließt sich auf dem Hintergrund der gegenwärtigen außen- und verteidigungspolitischen Diskussionen. Hier setzt sich immer mehr die Überzeugung durch, dass Deutschland seine nationalen Interessen auf der Weltbühne mit größerem Nachdruck vertreten müsse. Die Nato hat seit dem Ende des Warschauer Pakts an Bedeutung verloren; trotz beiderseitiger Bekenntnisse zum Bündnis verschärfen sich die Spannungen zwischen Europa und den USA.

Diese Diskussion hat auch vor der Bundeswehr nicht halt gemacht. So hieß es im Februar in dem der Offiziersausbildung dienenden Reader Sicherheitspolitik: Nach "über vierzig Jahren Selbsteinbindung in westliche Strukturen" sei "ein anderes, mächtigeres Deutschland zu erwarten", das "seine Interessen und Ziele klar definiert und selbstbewusst in der internationalen Politik vertritt."

Selbstbewusst kann Außenpolitik nur sein, wenn ihr militärisch Nachdruck verliehen wird. Verteidigungsminister Scharping hat dies in einem Interview mit der Welt am Sonntag unmissverständlich klar gemacht: "Man kann nicht dauerhaft außenpolitisch Weltliga spielen, wenn man sicherheitspolitisch in Richtung zweiter Liga rutscht," sagte er. Der Aufstieg in die erste militärische Liga erfordert aber - darüber sind sich Fachleute einig - eine gewaltige Steigerung der Militärausgaben. Die modernen Waffensysteme - Präzisionslenkwaffen, Überwachungssatelliten und Transportflugzeuge -, die der Bundeswehr heute fehlen, verschlingen Milliardenbeträge.

Hier beginnen die politischen Probleme. Die öffentliche Meinung ist nicht auf eine Erhöhung der Rüstungsausgaben vorbereitet, während gleichzeitig die Sozialausgaben und Renten drastisch zusammengestrichen werden. Als Finanzminister Eichel sein Sparprogramm verkündete, musste Scharping - der sein Amt nur unter der Bedingung angetreten hatte, dass der Verteidigungshaushalt nicht gekürzt wird - zähneknirschend nachgeben. Dabei sind die Kürzungen im militärischen Bereich längst nicht so hoch, wie angegeben. Vieles - so die gesamten Kosten für den Kosovokrieg - wird einfach auf andere Haushaltstitel ausgelagert.

Trotzdem, um die angestrebte Erhöhung der Rüstungsausgaben durchzusetzen, muss die öffentliche Meinung umgestimmt werden. Diesem Zweck dient die Demonstration vom 11. September. Die Organisatoren betonen ausdrücklich, dass sie sich nicht gegen die militärische Führung richtet und auch nicht gegen Verteidigungsminister Scharping, der als Redner zur Kundgebung eingeladen wurde. Stattdessen gehe es darum, "Einfluss zu nehmen auf den Prozess der politischen Willensbildung".

Um möglichst viele einfache Soldaten zu ködern, betont der von ranghohen Offizieren geführte Bundeswehrverband in den Aufrufen zur Demonstration die sozialen Auswirkungen der Kürzungen - niedrigen Sold, geringe Aufstiegschancen, Personalabbau, Standortschließungen und den Zwang zum ständigen Umzug. Er tritt aber auch offen für eine verstärkte Aufrüstung ein. So heißt es in einer Pressemitteilung: "Im Interesse der Auftragserfüllung muss der investive Teil des Verteidigungshaushalts spürbar aufgestockt werden."

Die Demonstration vom 11. September ist symptomatisch für die wachsende Bedeutung des Militarismus im öffentlichen Leben. Seit der Wiedervereinigung wird die Bundeswehr zielstrebig aus einer Verteidigungsarmee in eine Interventionstruppe verwandelt, die auch außerhalb der eigenen Grenzen agiert. Im Kosovokrieg erreichte das seinen vorläufigen Höhepunkt. Parallel dazu wächst ihr innenpolitisches Gewicht. Drakonische Strafen gegen Pazifisten, die das Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder" anführen, gehören ebenso in dieses Bild, wie die Häufung von Rekrutengelöbnissen, begleitet von martialischen Fackelzügen in der Öffentlichkeit. Mit der Bundeswehrkundgebung gegen die Haushaltspolitik hat diese Entwicklung eine neue Qualität erreicht.

Siehe auch:
Wie der Staat gegen Kriegsgegner vorgeht
(27. April 1999)
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