Italien führt Berufsarmee ein

Am 3. September beschloss die italienische Regierung auf ihrer ersten Kabinettsitzung nach der Sommerpause ein neues Gesetz, dass die Suspendierung der Wehrpflicht und die Einführung einer Berufsarmee bis zum Jahre 2005 vorsieht.

Die Umwandlung in eine "professionelle" Armee ist in zwei Stufen geplant. In der ersten Stufe soll der Personalbestand der Berufssoldaten in den nächsten drei Jahre von 30.000 auf 42.000 erhöht werden. Gleichzeitig sollen die Anzahl der Wehrpflichtigen sinken und Frauen zum Militärdienst zugelassen werden. Im selben Zeitraum wird als Grundlage für weitere Veränderungen eine Wertbestimmung der Effektivität und Kosten der Streitkräfte durchgeführt. Zum Ende der zweiten Stufe im Jahre 2005 soll die Personalstärke der Armee dann von bisher 289.000 auf 190.000 sinken.

Die Kosten der Umwandlung werden mit 2,4 Milliarden DM beziffert. Darin sind die 10 Milliarden DM nicht beinhaltet, die schon für die technische Modernisierung des Heeres eingeplant sind.

Um die italienische Verfassung zu umgehen, laut der jeder männliche Bürger dem "Vaterland dienen" muss, beinhaltet das Gesetz eine Klausel, nach der "im Falle eines Krieges oder angesichts einer substantiellen Krise die Wehrpflicht sofort wieder eingeführt" werden kann. Aus diesem Grund wird auch betont, dass es sich bei der geplanten Abschaffung der Wehrpflicht nur um eine Suspendierung handelt. Der konservative Verteidigungsminister Carlo Scognamiglio lobte sein Projekt mit den Worten, es sei " eine der größten Reformen in der Geschichte Italiens, eine historische Wende für unser Land".

Im regierenden Fünfparteienbündnis unter Ministerpräsident D'Alema (Linksdemokraten) haben sich nur Cossutas Altstalinisten (PdCI) gegen die Abschaffung der Wehrpflicht gewandt. Ihr einziger Einwand war, dass mit dem Wegfall der Wehrpflicht auch der seit zwei Jahren laufende Zivildienst wegfiele und damit im sozialen Bereich ein Notstand ausbreche.

Auch die von Berlusconi geführte Opposition unterstützt die Bildung einer Berufsarmee. Dies sei eine "notwendige Anpassung an die neuen Erfordernisse im Rahmen der Bündnispolitik" nach dem Kosovokrieg und der neuen Richtlinien der NATO, wie die Süddeutsche Zeitung kommentierte.

Mit der Abschaffung der Wehrpflicht folgt Italien einem europäischen Trend. Bis 1996 hatte es in zehn von 16 Nato-Staaten eine Wehrpflicht gegeben. Spanien und Frankreich sind inzwischen dabei, zu einer Berufsarmee überzugehen. In den Niederlanden endete die Wehrpflicht schon vor drei Jahren. In Deutschland ist die Debatte noch im Gang: die Grünen fordern eine Berufsarmee, während die SPD (noch) mehrheitlich an der Wehrpflicht festhält.

Parallel zur Abschaffung der Wehrpflicht findet eine verstärkte Integration der europäischen Armeen statt. Das Ziel der Umstellung besteht darin, die militärische Schlagkraft zu erhöhen und Europa in die Lage zu versetzen, politisch und militärisch unabhängig von den USA zu handeln. Im Juni 1999 hat der europäische Gipfel von Köln beschlossen, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zu stärken. Die EU müsse, "die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf glaubwürdige militärische Fähigkeiten, sowie die Mittel und die Bereitschaft besitzen, dessen Einsatz zu beschließen, um - unbeschadet von Maßnahmen der NATO - auf internationale Krisensituationen zu reagieren".

Der italienische Regierungschef D‘Alema unterstrich diese Zielsetzung auf einem Treffen über eine engere militärische Zusammenarbeit mit seinem britischen Kollegen Tony Blair am 20. Juli in London: "Die Verteidigungsausgaben der europäischen Staaten betragen 60 Prozent des amerikanischen Militärhaushalts: doch ihre gemeinsame Effizienz ist weit geringer. Das Ziel muss es sein, dieses Missverhältnis auszugleichen." Es gehe darum, die besonderen Fähigkeiten der einzelnen Mitgliedsstaaten besser ins Spiel zu bringen, ohne die Ausgaben zu erhöhen. Die Schlüsselbegriffe seien "bessere Integration" ohne Aufgabe der Souveränität und "erfolgreiche Rationalisierung".

Italien war in den letzten Jahren über die Frage der Beziehungen zu Nordafrika und besonders zu Libyen wiederholt mit den USA in Konflikt geraten. Rom hatte sich anfangs den US- Sanktionen gegen Libyen zähneknirschend untergeordnet. Im April diesen Jahres hob Europa das Wirtschaftsembargo auf Drängen Italiens auf; das amerikanische Embargo gilt noch bis zum Jahre 2001. Seitdem dringen europäische Unternehmen aggressiv auf den libyschen Markt vor.

Am 26. Juli unterschrieben die italienisch-staatliche Energiebehörde ENI und die libysche Erdölgesellschaft in Tripolis einen Milliardenvertrag. Er beinhaltet den Bau einer 600 Kilometer langen Erdgaspipeline von Libyen nach Cap Passero auf Sizilien, für die die italienische Seite 5,5 Mrd. Dollar investieren will. Über die Pipeline sollen ab 2003 jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Italien gefördert werden. Italien hatte sich mit den Verhandlungen über die Erdgaspipeline schon Monate vor seiner Aufhebung über das Wirtschaftsembargo hinweggesetzt, trotz Protesten von Seite der USA.

Voraussetzung für das Zustandekommen des Geschäfts war ein Eingeständnis der italienischen Kolonialverbrechen. Die Regierung Prodi hatte deshalb 1996 die ersten Schritte einer Wiedergutmachung und eines Friedensabkommens eingeleitet. Mit dem Zustandekommen des Friedensabkommen von 1998 war der Weg für das italienische Kapital frei.

ENI-Präsident Renato Ruggerio bezeichnete den Pipeline-Vertrag als "historisches Abkommen", mit dem "eine Brücke zwischen Libyen und der EU" geschlagen worden sei. Der Vertrag stecke "neue Energiegrenzen" ab, betonte er, und erwähnte in diesem Zusammenhang "Nordafrika bis Ostafrika, den Persischen Golf und Saudi-Arabien bis zum Kaspischen Meer". Im selben Atemzug erwähnte er ein Off-Shore-Projekt der ENI in Brasilien, wo die USA starke Interessen haben.

Die Tageszeitung Corriere della Sera widmete, dem "neuen strategischen Energieprojekt" eine ganze Seite und berichtete von Plänen zum Ausbau der Pipeline nach Ravenna an der Adria, von wo aus sie nach Kroatien weiter verlaufen soll bis hin zum Schwarzen Meer nach Rumänien. Weiter sei vorgesehen, auch Albanien (eine frühere italienische Kolonie) im Rahmen des "Wirtschaftsaufbauprojektes Balkan" zu beliefern. Der Corriere betonte, dass "damit Italien sich für die Führung in diesem Sektor im Mittelmeerraum konsolidiert" habe.

Ruggerio macht im Wall Street Journal deutlich, dass er an einer Zusammenarbeit mit amerikanischen Energiekonzernen nicht interessiert ist. Auf amerikanische Fusionspläne mit italienischen und europäischen Erdölgesellschaften angesprochen, bemerkte er: Mit ENI gebe es keine Verhandlungen, " wir setzen auf operative regionale Allianzen".

Die härtere militärische Gangart hat auch Auswirkungen auf das innere Klima Italiens, das zeigen die jüngsten Vorfälle in einer Kaserne. Am 13. August starb der 26 jährige Rekrut der Fallschirmjägerbrigade "Folgore", Emanuele Scieri, in der Kaserne "Gamarra" im mittelitalienischen Pisa. Italienische Presseberichten zufolge wurde der junge Mann durch Schikanen in den Tod getrieben. Der zuständige Brigadegeneral Cirneco erklärte bei seiner Vernehmung, dass nach seiner Ansicht die jungen Männer heute viel "weicher" und schwächer seien als früher: "Vor dreißig Jahren war es normal, fünfzig Kniebeugen machen zu lassen. Heute, wenn einer zehn Kniebeugen anordnet, spricht man sofort von Schikane. Was will man denn, Fallschirmjäger oder Seminaristen? Man muss entscheiden, ob man eine Streitkraft für den raschen Ernstfall will oder Weichlinge in der Uniform von Weichlingen".

An Rekruten dürfte es der neuen Berufsarmee trotzdem nicht mangeln. Für viele junge Männer und Frauen bietet sie die einzige Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Arbeitslosenrate liegt bei unter 25-jährigen bei 32 Prozent.

Siehe auch:
Italiens Regierung verordnet Streikverbot
(27. Juli 1999)
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