Die SPD im freien Fall

Zum dritten Mal in Folge musste die SPD am vergangenen Sonntag dramatische Stimmenverluste hinnehmen.

Nach dem Verlust der Regierungsmehrheit in Brandenburg und Saarland Anfang September, dem Ausscheiden aus der Regierung in Thüringen und den erdrutschartigen Verlusten bei den Kommunalwahlen im sozialdemokratischen Stammland Nordrhein-Westfalen stürzte die bei den Landtagswahlen in Sachsen ins Bodenlose. Mit nur noch 10,7 Prozent erzielte sie ihr schlechtestes Landtagswahl-Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der SPD-Landesvorsitzende Karl-Heinz Kunckel hatte sich im Wahlkampf ausdrücklich hinter die Politik der Bundesregierung gestellt und das Sparpaket verteidigt. Noch am Wahlabend kündigte er seinen Rücktritt an.

Zwar waren nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen Stimmenverluste der SPD erwartet worden, doch das Ausmaß schockierte erneut. Gegenüber dem ohnehin niedrigen Ergebnis der Landtagswahl vor fünf Jahren (16,6 Prozent) sackte die SPD noch einmal um fast sechs Prozent ab. Noch deutlicher wird der sozialdemokratische Niedergang im Vergleich zur Bundestagswahl im September vergangenen Jahres. Damals erzielte die Sachsen-SPD knapp dreißig Prozent der Stimmen. Seit dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition verloren die Sozialdemokraten allein in diesem Bundesland zwei Drittel ihrer Wähler.

Angesichts dieser Situation kann die CDU ihre Alleinregierung auch in der dritten Legislaturperiode seit der Wiedervereinigung unbekümmert fortsetzen. Doch der Hauptgewinner dieser Wahl ist die PDS (22,2 Prozent). Sie überholte die SPD nicht nur, wie dies in Thüringen vor einer Woche bereits geschah, sondern ließ sie mit einem Abstand von über zehn Prozent weit hinter sich.

Die Grünen als zweite Regierungspartei auf Bundesebene verloren vierzig Prozent ihrer Wähler und sackten auf 2,6 Prozent ab. Spitzenkandidatin Gundula Röstel wies darauf hin, dass die Grünen seit zwei Jahren in keiner Landtagswahl mehr zugelegt haben, außerdem habe die in den östlichen Bundesländern weit verbreitete Ablehnung des Kosovokrieges dazu geführt, dass ihnen in den jüngsten Wahlen der Wind sehr stark ins Gesicht blies.

Die FDP, vor Jahresfrist noch Regierungspartner in Bonn mit einflussreichen Ministerämtern, wurde in Sachsen zu einer Splitterpartei von 1,1 Prozent degradiert. Sie steht - hinter CDU, PDS, SPD, Grünen und drei Rechtsparteien- erst an achter Stelle und kämpft ums politische Überleben.

Doppelt so viele Stimmen wie die FDP erzielte eine Gruppierung namens "ProDM", die die Ablehnung des Euro in den Mittelpunkt ihres Programms stellt, Zuzugsbeschränkung auch für europäische Ausländer fordert und für staatlichen Arbeitsdienst für Langzeitarbeitslose und Jugendliche eintritt. Zählt man diese Gruppierung mit, dann konnten die Rechtsparteien (NPD, Republikaner und DSU) ihren Stimmenanteil gegenüber den Landtagswahlen vor fünf Jahren verdreifachen. Sie erzielten 5,4 Prozent.

Der Absturz der SPD in Sachsen ist eine weitere Ohrfeige für Bundeskanzler Schröder und eine erneute ausdrückliche Ablehnung seiner unsozialen Sparpolitik. Nach einer Umfrage des Instituts Infratest dimap war für 47 Prozent der Wähler die Frage der sozialen Gerechtigkeit mit Abstand das wichtigste Thema im Wahlkampf.

Gleichzeitig ist das Wahlergebnis die Quittung dafür, dass sich die rot-grüne Bundesregierung mit penetranter Überheblichkeit über jedes Wählervotum hinweggesetzt hat. Auf jede Wahlniederlage der Regierungsparteien folgte in den vergangenen Wochen die stereotype Antwort: am Kurs der Regierung werde sich nichts ändern, es gäbe keine Alternative zu drastischen Kürzungen in allen Sozialbereichen und bei den Renten.

Das Gefühl der politischen Ohnmacht und die Erfahrung, dass eine Regierung sich völlig über die Interessen der Bevölkerung hinweg setzt, weckt in den östlichen Bundesländern Erinnerungen an den Wendeherbst vor zehn Jahren. Besonders in den Industriegebieten Sachsens entwickelte sich damals der Widerstand. Den Montagsdemonstrationen in Leipzig schlossen sich Woche für Woche mehr Menschen an. Vieles hat sich seitdem geändert, doch für die große Mehrheit wurden die Lebensbedingungen nicht besser.

Die offizielle Arbeitslosenrate in Sachsen beträgt 19 Prozent und steigt in den Ballungszentren nicht selten über 30 Prozent. Vor allem viele Jugendliche sind ohne Arbeit. Diejenigen, die vor zehn Jahren hofften, durch freie Wahlen eine Politik im Interesse der Bevölkerung durchsetzen zu können, wurden bitter enttäuscht.

Selten war die Wählerwanderung in einer Wahl schon nach den ersten Hochrechnungen derart deutlich sichtbar, wie in dieser. Die Wahlbeteiligung, die vor fünf Jahren unter 60 Prozent gelegen hatte, war mit 61 Prozent leicht angestiegen. Zu ihrer eigenen Überraschung gewann die PDS 145.000 Stimmen hinzu, genau so viele, wie SPD und Grüne verloren.

Der Landesvorsitzende der PDS Peter Porsch kündigte denn auch eine "harte Opposition" gegen die Landesregierung an. Was davon zu halten ist, zeigt ein Blick auf das Wahlprogramm dieses größten Landesverbands der PDS. Dort wird vor allem eine stärkere Mittelstandsförderung und Subventionierung von Kleinbetrieben gefordert. "Das Konzept der Leuchttürme funktioniert nicht," erklärte Porsch gegenüber der Presse. Gemeint ist die gegenwärtige Wirtschaftspolitik der CDU-Landesregierung, die sich auf den gezielten Aufbau der sächsischen Metropole Dresden, von Leipzig und Chemnitz beschränkt.

Porsch, der aus Wien stammt und Anfang der siebziger Jahre in die DDR übersiedelt war, trat erst in den achtziger Jahren in die SED ein, um seine Karriere als Professor für Sprachsoziologie an der Universität Leipzig zu beschleunigen. 1990 saß er für die SED im sächsischen Landtag und wurde später Landesvorsitzender der PDS.

Im Wahlkampf trat er lautstark und wortgewaltig gegen die Politik der Bundesregierung auf, forderte eine "Änderung der Verteilungsverhältnisse" und den Aufbau "organisierter Gegenmächte". Warum die PDS überall dort, wo sie selbst politischen Einfluss ausübt - wie in Sachen-Anhalt oder in Mecklenburg Vorpommern -, keine Gegenmacht aufbaut, sondern unsoziale Kürzungen und Sparmaßnahmen unterstützt, erklärte er nicht.

Siehe auch:
Die Krise der SPD
(14. September 1999)
Die Stammwähler verweigern sich - Dramatische Verluste der SPD in ihren Hochburgen
( 14. September 1999)
Eine schallende Ohrfeige für Schröder - SPD verliert Wahlen im Saarland und in Brandenburg
( 7. September 1999)
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