Eine schallende Ohrfeige für Schröder

SPD verliert Wahlen im Saarland und in Brandenburg

SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in den Landtagswahlen vom 5. September im Saarland und in Brandenburg eine verheerende Niederlage erlitten.

An der Saar muss die SPD die Macht nach 14jähriger Alleinherrschaft an die CDU abtreten, die mit 45,5% der abgegebenen Stimmen die SPD um einen Prozentpunkt übertraf und die Mehrheit der Mandate im Landtag errang. Vor fünf Jahren hatte die SPD mit 49,4% noch elf Prozentpunkte vor der CDU gelegen. Die Grünen sind mit 3,2% (1994: 5,5%) nicht mehr im Landtag vertreten. Die FDP (2,6%), die rechtsextremen Republikaner (1,3%) und die erstmals antretende PDS (0,8%) blieben wie schon bei der letzten Wahl draußen.

In Brandenburg ist die SPD mit 39,3% zwar weiterhin stärkste Partei. Mit 15% fielen ihre Verluste aber noch wesentlich höher aus als im Saarland. Sie ist in Zukunft auf eine Koalition angewiesen. In Frage kommen die CDU, die fast 8% hinzugewann und 26,5% erreichte, oder der PDS, die knapp 5% zulegte und mit 23,3% ihr bisher bestes Ergebnis erzielte. Als vierte Partei ist erstmals die rechtsextreme DVU im Landtag vertreten, die 5,2% der abgegebenen Stimmen auf sich vereinte. Die Grünen (1,9%) und die FDP (1,8%) verfehlten die Fünf-Prozent-Hürde.

Im Saarland und in Brandenburg setzt sich eine Entwicklung fort, die sich bereits im Februar in der Hessenwahl und im Juni in der Europawahl abgezeichnet hatte: Nach ihrem erdrutschartigen Wahlerfolg bei der Bundestagswahl vom September 1998 verlieren SPD und Grüne ebenso erdrutschartig wieder an Einfluss. "Noch nie hat ein Kanzler so schnell und so dramatisch an Zustimmung verloren wie Schröder," kommentiert die Süddeutsche Zeitung.

Die SPD-Mehrheit im Bundesrat, die im Februar mit dem Verlust der rot-grünen Hochburg Hessen an die CDU verloren ging, ist mit dem Regierungswechsel an der Saar und in Brandenburg, endgültig dahin. Die Bundesregierung ist in Zukunft bei allen wichtigen Gesetzesvorhaben auf die Unterstützung der Opposition angewiesen. Die Chancen, die Mehrheit im Bundesrat zurückzugewinnen, tendieren gegen Null.

An den kommenden Wochenenden stehen weitere Landtagswahlen an, bei denen erneut mit massiven SPD-Verlusten gerechnet wird. In Thüringen (12. September) gilt inzwischen die Ablösung der gegenwärtigen CDU-SPD-Koalition durch eine CDU-Alleinregierung für möglich. Das Land hatte lange als sicherer Kandidat für eine SPD-PDS-Koalition gegolten. In Sachsen (19. September) wird die CDU ihre absolute Mehrheit aller Voraussicht nach behalten und auch in Berlin (10. Oktober) gilt die Ablösung der von der CDU dominierten Großen Koalition als unwahrscheinlich.

Mit Zittern blicken SPD-Funktionäre jetzt schon der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2000 entgegen. In diesem Bundesland finden am kommenden Sonntag Kommunalwahlen statt, die durch zahlreiche Korruptionsskandale überschattet werden. Erleidet die SPD hier ähnlich hohe Einbussen wie an der Saar und in Brandenburg, wird auch ein Verlust der Landesregierung in der SPD-Hochburg, in der rund ein Viertel aller Bundesbürger wohnen, im kommenden Mai nicht mehr ausgeschlossen.

Was ist der Grund für die dramatischen Verluste von SPD und Grünen?

Die Regierung selbst und die Medien, die ihren Kurs unterstützen, machen das "schlechte Erscheinungsbild" der rot-grünen Koalition für die Wahlniederlagen verantwortlich. Während der Sommermonate war es - vor allem innerhalb der SPD - zu heftigen Streitereien über das Sparprogramm von Finanzminister Eichel und ein von Bundeskanzler Schröder und Labour-Führer Tony Blair gemeinsam vorgelegtes Programm gekommen, die in aller Öffentlichkeit ausgetragen wurden und die Schlagzeilen der Medien beherrschten.

Zahlreiche Meinungsumfragen ebenso wie das Wahlergebnis selbst machen aber deutlich, dass nicht der Streit über den eingeschlagenen Kurs, sondern der eingeschlagene Kurs selbst die Wähler abstößt. Sie hatten von der SPD mehr soziale Gerechtigkeit und wirksame Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit erwartet, stattdessen erleben sie einen rücksichtslosen Sparkurs, der vor allem die sozial Schwachen trifft.

Eine Umfrage des Instituts Infratest dimap, die unmittelbar vor den beiden Landtagswahlen erschien, ist in dieser Hinsicht unmissverständlich. Danach waren 74% der Befragten mit der Regierung unzufrieden, weil sie die Umsetzung der meisten Wahlversprechen vermissen. An erster Stelle wurde die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit genannt: 78% waren der Ansicht, die Regierung habe ihr diesbezügliches Wahlversprechen nicht eingelöst. 70% fanden, sie habe nichts zur Schaffung von sozialer Gerechtigkeit unternommen.

Dass sich die Niederlage der SPD in erster Linie zugunsten der CDU auswirkte, die unter Kanzler Kohl zum Inbegriff des Sozialabbaus geworden war, widerspricht dieser Einschätzung nur auf den ersten Blick. Im Saarland verdankt die CDU ihren Erfolg ausschließlich der hohen Zahl von früheren SPD-Wählern, die gar nicht zur Wahl gingen. Die CDU verlor gegenüber 1995 sogar 12.000 Stimmen, während die Zahl der SPD-Wähler um 90.000 zurückging.

In Brandenburg stellt sich die Lage etwas anders dar. Hier änderte sich die Wahlbeteiligung kaum, die schon für fünf Jahren mit etwas über 50% extrem niedrig gelegen hatte. Die CDU, die unter dem rechtslastigen ehemaligen Berufsoffizier und Berliner Innensenator Schönbohm antrat, gewann 90.000 Stimmen hinzu, die PDS 60.000, während die SPD 150.000 - ein Viertel ihrer Wähler - und die Grünen 10.000 verloren. Der Grund dürfte darin liegen, dass es in den neuen Bundesländern, wo die meisten Parteien erst nach 1990 Fuß fassten, viel weniger Stammwähler gibt, d.h. Wähler die aus Tradition einer Partei die Treue halten, als in den alten. Ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung schlägt sich deshalb eher in wechselndem Wahlverhalten nieder.

Bezeichnend ist, dass die neofaschistische DVU mit knapp 60.000 Wählerstimmen auf Anhieb in den Landtag einzog. Nach Sachsen-Anhalt ist sie damit bereits im zweiten ostdeutschen Parlament vertreten. Diese Phantompartei, die vom Münchner Verleger und Multimillionär Gerhard Frey gesteuert wird und kaum über Mitglieder verfügt, versteht es, die Frustration und Enttäuschung vieler Wähler in ausländerfeindliche Kanäle zu lenken.

Die Vertreter von SPD, Grünen und CDU zeigten sich pflichtgemäß "entsetzt" über den Erfolg der Rechten. Aber es steht außer Zweifel, dass es ihre Politik der Kürzungen und des Sozialabbaus ist, die den rechten Rattenfängern verzweifelte Wähler in die Arme treibt.

Der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Schröder trat noch am Wahlabend vor die Kameras um trotzig zu verkünden: Weiter so! Er gab zu, dass die Stimmenverluste der SPD überwiegend auf die Politik der Bundesregierung zurückzuführen seien. Ohne Zweifel habe eine Rolle gespielt, dass die Regierung ein ungewöhnlich anspruchvolles Programm zur Sanierung der Staatsfinanzen und der Rentenkassen habe beschließen müssen. Aber dazu gebe es keine Alternative. "Wir werden diesen Kurs durchhalten", versicherte er.

Deutlicher hätte er seine Verachtung gegenüber dem Wählervotum nicht ausdrücken können. "Ihr könnt wählen wie ihr wollt, wir werden trotzdem tun, was wir für richtig halten," lautete die Botschaft.

Gleichzeitig kündigte er eine seit langem vorbereitete neue Struktur der SPD-Führung an. Neben dem Vorsitzenden soll in Zukunft ein Generalsekretär die Partei leiten, der für die Parteiorganisation und die öffentliche Präsentation der Politik zuständig ist. Der an historischen Fragen wenig interessierte Kanzler dürfte sich der Ironie der Tatsache nicht bewusst gewesen sein, dass zehn Jahre nach dem Abtritt Erich Honeckers und dem Kollaps der SED nun die SPD einen Generalsekretär ernennt. Sonst hätte er gewusst, dass angesichts explosiver sozialer Fragen selbst der mächtigste Generalsekretär ohnmächtig ist.

Die Auseinanderdriften der SPD jedenfalls wird Schröder so nicht stoppen können. Die Auseinandersetzungen werden umso hitziger, je mehr die zahlreichen Funktionsträger und Amtsinhaber, die die aktive Mitgliedschaft der Partei ausmachen, ihre Pfründen und Pöstchen davonschwimmen sehen.

Die Gegner des Regierungskurses haben darauf hingewiesen, dass die SPD-Verluste im Saarland mit 5% wesentlich geringer waren als in Brandenburg, wo sie 15% einbüsste. Sie führen dies darauf zurück, dass sich der saarländische Spitzenkandidat Reinhard Klimmt - ein enger persönlicher Freund und politischer Weggefährte des zurückgetretenen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine - im Wahlkampf offen gegen Schröders Sparkurs aussprach und sogar ankündigte, er werde im Bundesrat dagegen stimmen. Lafontaine selbst hat für Oktober ein neues Buch mit dem Titel "Das Herz schlägt links" angekündigt, in dem er mit dem gegenwärtigen Kurs der Regierung abrechnen will.

Kanzler Schröder seinerseits erweckte nicht den Eindruck, als bedrücke ihn die Wahlniederlage all zu sehr. Die wachsende Dominanz der Union im Bundesrat lässt eine neue Regierungskonstellation immer wahrscheinlicher werden, die anzustreben Schröder seit langem unterstellt wird: Eine große Koalition mit der Union. Die Grünen, die auch in den jüngsten Wahlen wieder stark geschwächt wurden, eignen sich immer weniger als Regierungspartner. Mit der Union hätte Schröder dagegen eine bequeme Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments, um "unpopuläre Maßnahmen" durchzusetzen.

Vieles wird von der Koalitionsentscheidung in Brandenburg abhängen. In Berlin wurde zwar betont, man werde Ministerpräsident Stolpe bei der Koalitionsentscheidung freie Hand lassen. Aber es kann keinen Zweifel geben, dass hinter den Kulissen Druck zugunsten der CDU ausgeübt wird. Stolpe selbst hat aus seiner Abneigung gegen die PDS nie einen Hehl gemacht. In seiner eigenen Partei gibt es allerdings auch einen Flügel, der lieber mit der PDS koalieren würde.

Siehe auch:
Nach der Hessenwahl rückt das politische Establishment nach rechts
(10. Februar 1999)
Rekordenthaltung und sozialdemokratische Verluste in der Europawahl
( 15. Juni 1999)
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