Ein halbes Jahr CDU-FDP Koalition in Hessen -eine Bilanz

Vor einem halben Jahr markierten die hessischen Landtagswahlen den Beginn der Wahlniederlagen von SPD und Grünen. Der damalige CDU-Spitzenkandidat Roland Koch, heute hessischer Ministerpräsident, hatte im Wahlkampf mit einer Unterschriftenkampagne gegen die Staatsbürgerschaftspläne von Rot-Grün dumpfe ausländerfeindliche Stimmungen im rückständigsten Teil der Bevölkerung mobilisiert, während sich besonders bei den Wählerschichten der Grünen bereits der Überdruss an der Bundespolitik zeigte.

Heute, ein halbes Jahr danach, verstehen sich hessische CDU-Spitzenpolitiker bestens mit der Bundesregierung. Jüngstes Beispiel: Der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) fordern unisono eine Verschärfung des Asylrechts, während Roland Koch immer wieder erklärt, er könne sich eine gemeinsame Sparpolitik mit Schröder und Eichel gut vorstellen.

Wie sieht nun nach einem halben Jahr CDU-FDP-Regierung die hessische Landespolitik aus? Eins ist klar: Die im Wahlkampf angedrohte Verschärfung staatlicher Kontrolle in allen Bereichen und die Einführung einer noch restriktiveren Ausländerpolitik wird Schritt für Schritt umgesetzt. In der Schulpolitik erweist sich das Versprechen einer besseren Unterrichtsversorgung vor allem als Hebel, die konservative Leistungsideologie der CDU durchzusetzen und die Ansätze der auf mehr Chancengleichheit ausgerichteten Bildungsreformen der siebziger Jahre, so beschränkt sie waren, rückgängig zu machen.

Innere Sicherheit

Im Wahlkampf hatte Roland Koch den "härtesten Strafvollzug Deutschlands" angekündigt und auf den Wahlplakaten ganz offen "Härter durchgreifen!" gefordert. Kurz nach der Wahl versuchte der neue Ministerpräsident sich gelegentlich das Image eines milden, eher liberalen und weltoffenen Landesvaters zu verschaffen.. Auf dem Gebiet der inneren Sicherheit verfolgt seine Politik jedoch die Maxime "schneller abschieben, länger einsperren und mehr kontrollieren".

So wird die zulässige Präventionshaft - der "vorbeugende Unterbringungsgewahrsam" - von einem Tag auf sechs Tage verlängert, was bedeutet, dass Menschen, die der Staat als Gefahr einschätzt, sechs Tage lang inhaftiert werden können, ohne dass die geringste Beschuldigung gegen sie vorliegt. Diese Maßnahme zielt in erster Linie darauf ab, im Vorfeld von Demonstrationen und Kundgebungen politische Gegner - sogenannte "Rädelsführer" - auszuschalten.

Der neue Justizminister Christean Wagner (CDU) hat offen erklärt, dass Resozialisierung in Zukunft nicht mehr erste Priorität haben und der geschlossene Vollzug wieder zum Regelvollzug erhoben werde solle.

Die Regierung plant außerdem den Neubau eines privatwirtschaftlich betriebenen Gefängnisses für 500 Häftlinge. Es soll von Privatfirmen errichtet und privat verwaltet werden; außerdem wird geprüft, ob außer Küche und Reinigung auch die Bewachung privatwirtschaftlich betrieben werden kann.

Nach dem ersten, von Rot-Grün in Offenbach errichteten Abschiebegefängnis soll nun - ebenfalls in privater Trägerschaft - eine zweite Anstalt für Abschiebehäftlinge erbaut werden.

Des weiteren sollen landesweit "beschleunigte Verfahren" bei kleineren Delikten zum Zuge kommen. Hier soll offenbar die amerikanische Auffassung "Zero Tolerance" (Null Toleranz) gelten. Laut Koch muss "jede Art von Normverletzung gesellschaftlich geächtet werden.". Er will selbst "sogenannte Kavaliersdelikte mit einem deutlichen gesellschaftlichen Makel" versehen.

Künftig sollen auch umfangreiche Personenkontrollen ohne vorliegende Verdachtsmomente ("Schleierfahndung") möglich sein. Der von Innenminister Bouffier vorgelegte Gesetzentwurf sieht vor, dass auf allen Durchgangsstraßen - d.h. auf Autobahnen, Europastraßen oder anderen Straßen von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität - Straßensperren eingerichtet und alle Fahrzeuge durchsucht werden können. Hier führt die CDU nichts vollkommen Neues ein, denn wenn es auch die Schleierfahndung bisher in Hessen nicht gab, so führte Rot-Grün doch bereits im Oktober 1997 sogenannte "Repressionstage" ein, an denen soziale Brennpunkte und belebte Kreuzungen abgeriegelt und nach bloßem Augenschein "Verdächtige" gefilzt wurden.

Zwar hat das Verfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern ein in wesentlichen Punkten identisches Gesetz in diesem Bundesland soeben für verfassungswidrig erklärt, weil der einzelne Bürger durch solche Maßnahmen übermäßig belastet und sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt werde. Aber das hessische Innenministerium erklärte unbeirrt, an der Schleierfahndung "grundsätzlich festhalten" zu wollen.

Alle diese Maßnahmen haben mit Kriminalitätsbekämpfung wenig zu tun, um so mehr aber mit dem Abbau demokratischer Grundrechte. Außerdem bedienen sie die Forderungen rechter Stammtischrunden, auf die sich die CDU schon bei ihrer Wahl stützte.

Als weiteren Baustein ihrer Version von innerer Sicherheit will die CDU/FDP-Koalition bis zum nächsten Sommer eine sogenannte "Wachpolizei" einführen: Schmalspurpolizisten, die eine gerade mal zweimonatige Kurzausbildung erhalten, zu Billiglohnbedingungen eingestellt werden, dafür aber bewaffnet werden sollen. Sie sollen "normale" Polizisten bei bestimmten Aufgaben wie Objektschutz entlasten, damit diese sich voll auf die Verbrecherjagd konzentrieren können. "Hochgefährlich" und ein "Sicherheitsrisiko" nennt die Frankfurter Rundschau diese "Sicherheitsinitiative" mit Hilfskräften, die "schlecht bezahlt, schlecht ausgebildet, aber gut bewaffnet sind."

Zur Komplettierung ihres starken Staates haben CDU und FDP in ihrer Koalitionsvereinbarung außerdem noch einen Freiwilligen Polizeidienst vorgesehen. Diese ehrenamtlichen Freizeitpolizisten sollen als "Informanten für alle Fälle" der Polizei Spitzeldienste nach Blockwartmanier leisten.

Ausländerpolitik

Obwohl Ministerpräsident Koch nach der Wahl jede Menge Kreide fraß, sich allenthalben demonstrativ mit Ausländerbeiräten und türkischen Journalisten traf und Lippenbekenntnisse zur "Integration" ablegte, ist es unübersehbar, dass seine widerliche ausländerfeindliche Wahlkampagne von Anfang des Jahres kein Ausrutscher war.

Eine der ersten Maßnahmen im Bildungsbereich war der Beschluss, den muttersprachlichen Unterricht für Kinder ausländischer Eltern auslaufen zu lassen. Unter Erziehungswissenschaftlern ist unumstritten, dass das richtige Erlernen der Muttersprache für die Ausbildung der Sprachkompetenz dieser Kinder und damit auch für das Erlernen der deutschen Sprache wichtig ist.

Vor wenigen Tagen machte sich Koch für die Forderung stark, das "zu großzügige" Asylrecht europaweit zu verschärfen; notwendig sei ein "Schnellprüfverfahren an den EU-Außengrenzen bei eingeschränkten Klagemöglichkeiten", wie er der Bild -Zeitung erklärte. Hierbei hat er allerdings in Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) einen starken Verbündeten, der wenige Tage vorher mit ähnlichen Forderungen an die Öffentlichkeit getreten war. Schily hatte dies damit begründet, dass nur drei Prozent aller Asylbewerber asylwürdig seien, alle anderen seien Wirtschaftsflüchtlinge.

Am 2. November reichte der Leiter der Staatskanzlei in Wiesbaden, Franz-Josef Jung (CDU) eine Bundesratsinitiative ein, die darauf abzielt, zu verhindern, dass Asylbewerber nach 36 Monaten den vollen Sozialhilfesatz bekommen. 1997 hatte die damalige CDU/FDP Bundesregierung eine Verschärfung des Asylbewerber-Leistungsgesetzes durchgesetzt, wonach Asylbewerber drei Jahre lang nur eine "Grundsicherung" erhalten, die zwanzig Prozent unter dem Sozialhilfesatz liegt. Nach diesen 36 Monaten müsse "dem Ausländer eine Integration in die deutsche Gesellschaft ermöglicht" und der volle Sozialhilfesatz bezahlt werden. Dafür sieht Jung heute keine Notwendigkeit mehr.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl verurteilte diesen Antrag sofort. Ihr Geschäftsführer Günter Burkhardt meinte, offensichtlich wolle die CDU sich schon jetzt für die nächsten Wahlkämpfe mit einer fremdenfeindlichen Politik auf dem Rücken der Flüchtlinge profilieren.

Schon im Juli hatte sich Ministerpräsident Koch auf seiner 100-Tage-Pressekonferenz damit gebrüstet, dass in Hessen ein straffällig gewordener Ausländer sogar noch während des bundesweiten Abschiebestopps zur Zeit des Kosovokrieges abgeschoben worden sei.

Ende August forderte dann Justizminister Christean Wagner, ausländische Strafgefangene aus deutschen Strafanstalten in Gefängnisse in ihren Heimatländern zu überführen, und knüpfte damit an Kanzler Schröders berüchtigte Forderung aus dem Wahlkampf an: "Kriminelle Ausländer raus, und zwar schnell!"

Es überrascht auch nicht, dass sich die hessische Landeszentrale für politische Bildung aktiv am Kesseltreiben gegen die Wehrmachtausstellung beteiligte. Die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg hätte ursprünglich im nächsten Jahr in Wiesbaden gezeigt werden sollen. Offensichtlich auf Geheiß der Staatskanzlei zog sich die Landeszentrale aus ihrem Begleitprogramm zurück.

Bildung

Zentrales Wahlversprechen Roland Kochs in der Bildungspolitik war die "Unterrichtsgarantie", d.h. die volle Einhaltung der Stundentafel. In den letzten Jahren hatten Lehrer und Eltern einen permanenten Kleinkrieg gegen die rot-grüne Landesregierung geführt, da infolge von Kürzungen des Bildungshaushalts das Schulsystem nicht einmal den elementarsten Ansprüchen genügte. Diese Kürzungspolitik spielte zweifellos der CDU in die Hände und trug wesentlich zur Abwahl der rot-grünen Koalition bei.

Aber bereits in der Koalitionsvereinbarung wurde die Zusage der CDU relativiert. Es hieß darin nur noch, dass "spätestens im Jahr 2003" alle vorgesehenen Unterrichtsstunden auch tatsächlich im Stundenplan enthalten sein würden. Immerhin wurden in diesem Schuljahr 1.400 Lehrerinnen und Lehrer neu eingestellt.

Um der vollen Abdeckung der Stundentafel näher zu kommen, greift man zu Maßnahmen, die den reaktionären ideologischen Charakter und die ans karikaturhafte grenzende Borniertheit der Schulpolitik von Kultusministerin Karin Wolff (CDU) sichtbar werden lassen. Um eine einzige Lehrerstelle wieder für den Unterricht verfügbar zu machen, wird der gesamte internationale Schüleraustausch aller Schulen in ganz Frankfurt in Frage gestellt. Auf Anweisung von Wolff soll die Freistellung des Lehrers, der bisher für die Organisierung dieser Aktivität zuständig war, aufgehoben und die Planstelle wieder für den unmittelbaren Unterricht verfügbar gemacht werden. Soviel zu Weltoffenheit und Europaorientierung...

Besonders die Abschaffung des hessischen Modells der "festen Öffnungszeiten" an Grundschulen demonstriert den rückwärtsgewandten pädagogischen Standpunkt der CDU. Das Modell der "festen Öffnungszeiten" sah vor, dass die Lehrer von 7.30 Uhr bis 13 Uhr präsent waren und Unterricht wie Pausen flexibel gestalteten, wobei es ihnen frei stand, auf die speziellen Bedürfnisse und Erfordernisse der Kinder einzugehen. Für viele Eltern machte es dieses Modell erst möglich, wenigstens halbtags einen Beruf auszuüben. Laut Kultusministerin Wolff kosten die "festen Öffnungszeiten" zu viele Stellen und müssen deswegen der Unterrichtsgarantie geopfert werden.

Aus dem gleichen Grunde ordnete das Kultusministerium an, zusätzliche Angebote wie Chor-, Theater- oder Sportarbeitsgemeinschaften zu streichen. Dazu meinte der Vorsitzende des Frankfurter Stadtelternbeirats: "Die Erfüllung der Stundentafel ist nicht das Wichtigste in der Schule. Das Pochen auf der ‚Unterrichtsgarantie‘ könnte geradezu kontraproduktiv für die Schulen werden, wenn Chor, Orchester oder andere Angebote für die Erfüllung der Stundentafel gestrichen würden." Statt nur auf Unterrichtsstunden und Quantität zu starren, sollte die Qualität der Schulen wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden.

Statt dessen lebt die alte Paukschule wieder auf, die sich darin erschöpft, den Stoff im 45-Minuten-Takt durchzuziehen, Zensuren zu verteilen und die Besten möglichst früh herauszufiltern. So schreibt der inzwischen Gesetz gewordene Entwurf auch vor, in der Grundschule ab Ende des zweiten Schuljahres wieder Ziffernnoten zu vergeben.

An den Schulen kommt die hysterische Verschärfung der Sicherheitspolitik in dem Vorschlag von Innenminister Bouffier zum Ausdruck, die Schulhöfe mit Videoüberwachung auszustatten. Angesichts der Tatsache, dass teure technische Anlagen im Unterricht noch Mangelware sind, äußerte sich der Stadtschulelternbeirat sarkastisch zu diesem Vorschlag, er sei "nicht grundsätzlich gegen Videoanlagen in den Schulen - allerdings sollten sie beim Theaterabend, im Unterricht oder bei Sportereignissen zum Einsatz kommen. Die Idee unterstützen wir dann gerne."

Die Universitäten und Fachhochschulen werden wieder in Bastionen der Professorenprivilegien zurückverwandelt und die nach den Studentenstreiks von 1997-98 eingeführte studentische Mitbestimmung rückgängig gemacht. Die Hochschulen sollen in Zukunft mehr Unabhängigkeit bekommen, was nichts anderes bedeutet, als dass sie um ihr wirtschaftliches Überleben in Konkurrenz mit anderen Hochschulen treten müssen. Sie müssen um Studenten und Sponsoren aus der Industrie kämpfen, was ihre neue Unabhängigkeit sehr bald in direkte Abhängigkeit von der Wirtschaft wandeln wird.

Ein weiterer Angriff auf die Breitenbildung ist das finanzielle Austrocknen der Erwachsenenbildung in Hessen. Den Volkshochschulen wird durch eine Kürzung der Zuschüsse um 30 Prozent der Boden unter den Füßen weggezogen.

Obwohl CDU und FDP bei der Wahl im Februar die Mehrheit - auch bei der Jugend - erhalten haben, ist die Zuversicht der Regierung, sich das Vertrauen der Bevölkerung erhalten zu können, offenbar gering. Aus Angst, die FDP bei den nächsten Wahlen als Koalitionspartner zu verlieren, wurde daher sogar die Fünf-Prozent-Hürde auf drei Prozent gesenkt. Eine Maßnahme, die die CDU sonst strikt ablehnt, die aber für die FDP eine überlebenswichtige Vorkehrung darstellt. Außerdem wird das Wahlalter bei Kommunalwahlen, das erst vor kurzem auf 16 Jahre gesenkt wurde, wieder auf 18 Jahre angehoben. Kommunalwahlen sollen übrigens nur noch alle fünf, nicht wie bisher alle vier Jahre stattfinden.

Auffällig ist, dass sich bisher gegen all diese reaktionären und undemokratischen Vorhaben so gut wie kein Widerstand seitens der Opposition von SPD oder Grünen regt und Koch sein Programm mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag ganz unbehelligt durchziehen kann. Ein Grund dafür ist, dass die SPD sich aus einer sogenannten Volkspartei vollkommen in eine Wirtschaftspartei verwandelt hat und die Grünen sich durchaus als neue Mittelstandspartei verstehen. Viele der CDU-Vorhaben waren bereits in ähnlicher Form von der früheren Regierung geplant gewesen. Schließlich war das Wahldebakel vom 7. Februar Ausdruck einer wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem sozialen Kahlschlag der alten rot-grünen Landesregierung.

Weil die SPD und die Grünen keine grundlegende Alternative zur Regierung haben und in wesentlichen Fragen mit ihr übereinstimmen, sind sie weder fähig noch willens, breite Schichten der Bevölkerung gegen Koch & Co. zu mobilisieren.

Siehe auch:
Artikel zur politischen Entwicklung in den Ländern
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