Rechter Journalist warnt vor dem Abgleiten Englands ins Chaos

Die Abschaffung Großbritanniens - von Lady Chatterley zu Tony Blair. Ein Buch von Peter Hitchens

Peter Hitchens ist Journalist beim Daily Express und Radiomoderator. Abgesehen von einem kurzen Flirt mit der Linken während seiner Studentenzeit war er sein ganzes politisches Leben lang auf dem extrem rechten Flügel der konservativen Partei zu finden.

So ist es nicht verwunderlich, dass die Lektüre seines kürzlich erschienenen Buchs "Die Abschaffung Großbritanniens - von Lady Chatterley zu Tony Blair" ("The Abolition of Britain - from Lady Chatterley to Tony Blair", erschienen bei Quartet Books) dem Waten in einer stinkenden Jauchegrube gleicht. Es quillt von Vorurteilen, kindischen Konstruktionen und offensichtlichen Ungereimtheiten über. Und doch wurden Hitchens‘ Ergüsse in gewissen liberalen Zirkeln als überzeugender Beitrag zur politischen Debatte begrüßt. Andrew Marr, ein früherer Herausgeber des mit Labour sympathisierenden Independent und Kolumnist beim Observer, beschrieb das Buch als den "konsequentesten, in sich logischsten und machtvollsten Angriff auf Tony Blair und seine Machenschaften".

Gelegentlich macht Hitchens einen Abstecher über mehrere Jahrhunderte hinweg in die Vergangenheit, um seinem Buch etwas historische Authentizität zu verschaffen. Aber seine grundlegende These lautet, dass die britische Nation im zwanzigsten Jahrhundert, und besonders in der Nachkriegsperiode, das Opfer eines schleichenden Coup d'Etat der liberalen Intelligenz geworden sei. Dieser hat scheinbar in der Blair-Regierung seinen Höhepunkt gefunden.

Er schreibt, dass zwei Weltkriege und der Verlust des Empires die herrschenden Klassen Großbritanniens in eine wenig beneidenswerte Lage gebracht hätten. Obwohl man nominell am Ende des Zweiten Weltkriegs zu den Siegern gehört habe, "ist die Wahrheit, die nicht ausgesprochen werden darf, dass wir 1941 eine besiegte Nation waren, deren Eroberer es versäumt hatten, uns zu besetzen".

Großbritanniens wichtigste Eroberer waren die Vereinigten Staaten. Ihre GIs, die gegen Ende des Krieges im ganzen Land stationiert waren, waren in Wirklichkeit eine "einigermaßen disziplinierte Besatzungsarmee", beschwert er sich.

Um wenigstens ein gewisses internationales Ansehen zu retten, war die herrschende Klasse Großbritanniens gezwungen, mit ihren amerikanischen Besatzern eine ungleiche Allianz einzugehen. Während des Kalten Kriegs brachte das einige Vorteile, aber der Preis war hoch.

Wirtschaftlich, politisch und moralisch unterwarf sich Großbritannien seinem mächtigen Verbündeten. "Die alte Macht britischer Traditionen, der Zauber britischer Uniformen und die Autorität der Stimmen der britischen Oberklasse, die Macht der britischen Wirtschaft, begannen von innen her zu bröckeln." Ihre Stärke und ihr Geist erschlafften. Die herrschende Klasse erwies sich als unfähig, der Flut des ihr fremden Kosmopolitentums zu widerstehen, die durch "eine öffentlich ausgebildete und beim Staat beschäftigte Mittelschicht neuen Typs" Eingang fand.

Der Stolz auf die britischen Traditionen, das Empire, die englische Sprache und selbst die Familie gingen vor dieser "Amerikanisierung" in die Knie. Ersetzt wurden sie durch den Sozialstaat, sexuelle Promiskuität, Gesamtschulen, wuchernde Städte und Rock and Roll. Alles war Teil eines hinterhältigen "Umerziehungsprojekts", das auf die Schaffung einer weniger ungleichen Gesellschaft abzielte. Selbst die englische Countryside, "der Quell eines großen Teils der nationalen Identität aller Klassen des britischen Volkes" wurde in diesem unerklärten Bürgerkrieg nahezu ausgelöscht.

Das "Lady Chatterley" im Titel des Buches bezieht sich auf den Prozess gegen den Roman von D.H. Lawrence wegen Obszönität im Oktober 1960. Vor diesem Prozess konnte der Staat beinahe schrankenlos Zensur üben. Für Hitchens ist dieser Prozess ein Symbol des Kampfs des alten Establishments - das Großbritannien wieder zu den alten "traditionellen" Werten zurückführen wollte - gegen die neuen Liberalen. Für ihn hatte der Sieg der Liberalen Folgen, die weit über das literarische Feld hinausgingen. Er war der letzte Nagel im Sarg der "Familie als Keimzelle des Staates".

Dies ist ein ständig wiederkehrendes Thema des Buches. In seinen Tiraden gegen liberale Scheidungsgesetze und berufstätige Frauen verbinden sich sein Antikommunismus und sein Frauenhass. Dieses Amalgam findet seinen Ausdruck in dem Vergleich von Gregory Pincus, dem Erfinder der Antibaby-Pille, mit dem russischen Revolutionär Lenin, die beide in den "dubiosen Pantheon der Männer, die dieses Jahrhundert zum Guten oder zum Schlechten verändert haben" aufgenommen wurden. Selbst Mikrowellenherde werden teilweise für den moralischen Zusammenbruch Großbritanniens verantwortlich gemacht.

Hitchens sorgt sich um die Familie, weil sie die wichtigste Institution ist, durch die Traditionen und "Vorurteile" [sein Ausdruck] überliefert werden. Sie ist deshalb unabdingbar für die Stabilität des Nationalstaats. Eine Konsequenz des Zerfalls der Familie ist, dass keine Partei, was besonders die Konservative Partei trifft, sich noch auf eine von Generation zu Generation vererbte Wählerbasis stützen kann.

Das Triumvirat, das Hitchens für diese Lage der Dinge politisch verantwortlich macht, besteht aus Roy Jenkins (einem rechten Sozialdemokraten der Labour-Regierung der sechziger Jahre), Margaret Thatcher und Blair. Jenkins, mittlerweile Lord Hillhead, wird von Hitchens für die Kampagne zur Änderung der britischen Zensurgesetze und zur Abschaffung der Todesstrafe verantwortlich gemacht. Er war auch einer der ersten Befürworter der Europäischen Union in der Labour Party.

Thatchers "Triumphe" als Premierministerin verdeckten "grundlegendes Versagen", schreibt er. Erst der Zusammenbruch der UdSSR brachte dies an den Tag. Plötzlich wurde Großbritannien um fünfzig Jahre zurückgeworfen, "alleine in der Welt, plötzlich bedeutungslos und ohne Selbstbewusstsein".

Auf der einen Seite stand es vor "einem neuen Kampf gegen die deutsche Vorherrschaft in Europa, die sich unter dem Deckmantel der Europäischen Union entwickelte". Auf der anderen Seite setzte das Ende des Kalten Krieges die eigenen nationalen Instinkte Amerikas frei - am schlimmsten findet Hitchens hier die Sympathien der USA für die irischen Republikaner. Die USA hätten die Erschöpfung und Armseligkeit ihres Juniorpartners gespürt und die Gelegenheit ergriffen, durch das anglo-irische Friedensabkommen einen Schlag gegen Großbritanniens letzten Kolonialbesitz, Nordirland, zu führen.

Obwohl Hitchens Thatcher immer noch mit Respekt begegnet, findet er doch, dass auch sie Jenkins‘ und Blairs blinde Missachtung der Tradition teilt. Thatchers Propagierung des Individualismus und des rücksichtslosen Strebens nach Reichtum schwächte die nationale Einheit und bedeutete, dass diejenigen im Establishment, denen früher die Verteidigung der Herrschaftsinstitutionen oblag, "träge" und "schlapp" wurden, schreibt er.

Obwohl Hitchens die Globalisierung und ihre Auswirkungen auf alle Aspekte des internationalen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Lebens nicht erwähnt, ist ihr Gespenst allgegenwärtig. Er beklagt, dass gesicherter Wohlstand heute das Vorrecht einer neuen Superklasse sei, die "kein wirkliches Interesse an der Gesellschaft als Ganzer hat". Er identifiziert diesen "neuen Adel" mit der Blair-Regierung.

Er kritisiert weder Labours Zerschlagung des Sozialstaats noch die weitere Verarmung der arbeitenden Bevölkerung, die dies mit sich bringt. Was Hitchens ärgert, sind die Vorschläge der Regierung für die Reform des Oberhauses, die Teilautonomie für Schottland und Wales und die vorsichtige Unterstützung für Großbritanniens Beitritt zur europäischen Währungsunion.

Hitchens warnt, Blairs Verfassungsreform werde die Krise des Nationalstaats nur verschärfen. Er ist der Meinung, dass Blair an strategischen Mechanismen herumdoktert, durch die bisher die soziale und politische Stabilität aufrechterhalten wird, ohne etwas Substantielles an ihre Stelle setzen zu können. Gleichzeitig stoße Blair Teile der alten erfahrenen Elite vor den Kopf. "Das Jahr Null" sei gekommen, schreibt er, und Großbritannien sei in eine "demoralisierte Periode eingetreten, wie sie oft in Revolution oder Zusammenbruch endet".

Bezeichnenderweise richtet sich Hitchens Aufruf zur Stellungnahme gegen eine "gleichgültige Öffentlichkeit" und einen "selbstzufriedenen vierten Stand" nicht nur an die Tory-Rechte. Hitchens weist auf den langjährigen Anti-Amerikanismus der Labour-Linken hin, die als erste die Gefahren des Eindringens der US-amerikanischen Kultur auf die britische Insel erkannt hätten. Ihre Warnungen hätten sich bestätigt. Auch diese Schichten, die er zutreffend als die Gewerkschaftsbürokratie identifiziert, sind von Blair an den Rand gedrängt worden.

Hitchens weist darauf hin, dass solche "verantwortungsvollen" Gewerkschaftsführer historisch eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der kapitalistischen Herrschaft gespielt hätten; auch sie sollten in die Verteidigung der nationalen Interessen Großbritanniens einbezogen werden. Die erste Aufgabe dieser Koalition müsse der Kampf gegen die drohende Vorherrschaft Europas sein, die in Blairs Plan, den Euro zu akzeptieren, verkörpert sei. "Hier endlich gibt es einen umfassenden Kampf gegen eine erkennbare Bedrohung unseres gesamten way of life", schreibt er.

Hitchens‘ Ergüsse sind ein Echo des rechten Flügels der Republikanischen Partei in den USA - sein Nationalismus und seine Fremdenangst, seine Beweihräucherung der Familie und der traditionellen Werte und sein Horror vor den Nachwirkungen der radikalen sechziger Jahre. Selbst seine Darstellung Blairs als ein pseudo-Revolutionär ist ein Abklatsch der Dämonisierung Clintons durch die Republikanische Rechte. Im Kern testet Hitchens die Bedingungen für den Aufbau einer faschistischen Bewegung in Großbritannien aus.

Marr, der Observer -Kolumnist, ist nervös, weil er weiß, dass Hitchens nicht der einzige ist. Hinter Blairs Beschwörung eines "geeinten Großbritannien im Einklang mit sich selbst" sammeln sich die reaktionärsten Kräfte.

Marr schreibt: "Wir sehen im Land den Beginn einer breiten Anti-Labour-Koalition, die zwar noch in ihren Anfängen steckt, aber zornig und entschlossen scheint. Sie erstreckt sich von Verteidigern des Pfund Sterling in der Wirtschaft über Farmer und Anhänger der Fuchsjagd bis zu enthusiastischen Verteidigern der Grammar Schools [Elite-Gymnasien] und der Lords."

Es ist nur ein geringer Trost, dass diese Kräfte angesichts des Zusammenbruchs der britischen konservativen Tory-Partei heute noch kein solches politisches Forum haben wie die Republikaner in den USA. Hitchens Ergüsse weisen auf die unzweifelhafte Tatsache hin, dass trotz der scheinbar unangreifbaren Position der Labour Party die sozialen Spannungen schärfer werden und den zerbrechlichen politischen Konsens, den es heute in Großbritannien noch gibt, zu zerstören drohen.

Siehe auch:
Großbritanniens Konservative am Rande der Spaltung
(15. Oktober 1998)
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