Größte Baupleite in Deutschland

Über 60.000 Arbeitsplätze bedroht

Am Montag gaben die Gläubigerbanken des zweitgrößten deutschen Baukonzerns Philipp Holzmann AG in Frankfurt am Main das Scheitern ihrer Sanierungsgespräche bekannt. Damit steht einer der ältesten und traditionsreichsten Betriebe vor dem Bankrott. Erst vor vier Wochen hatte dieses Unternehmen mit großem Prunk sein 150jähriges Betriebsjubiläum gefeiert.

Bis zuletzt wurden die dramatischen Verluste geheim gehalten. Noch Mitte Mai hatte der Unternehmensvorstand eine positive Geschäftsbilanz gezogen und Gewinne versprochen. Vor einer Woche erklärte dann der Vorstandsvorsitzende Heinrich Binder wie aus heiterem Himmel, ein neues Milliarden-Loch habe sich "völlig überraschend" aufgetan, der Baukonzern sei mit 2,4 Milliarden Mark hoffnungslos überschuldet.

Einige der zwanzig Gläubigerbanken behaupteten nach dem Scheitern der Sanierungsverhandlungen, sie seien arglistig getäuscht worden. Die Deutsche Bank, seit über hundert Jahren als Hausbank eng mit allen Geschäften der Philipp Holzmann AG verbunden, müsse von den Finanzschwierigkeiten früher gewusst haben.

Getäuscht wurden aber vor allem die Beschäftigten. Zusätzlich zu den knapp 28.000 Holzmann-Arbeitsplätzen auf den 1200 Baustellen im In- und Ausland sind etwa 40.000 Arbeitsplätze in Zulieferfirmen bedroht. Fassungslos demonstrierten einige Hundert Beschäftigte am Montag Morgen vor der Hauptverwaltung des Unternehmens und forderten eine Stellungnahme der Geschäftsleitung. Auch er sei von der Entscheidung der Banken überrascht, erklärte Heinrich Binder gegenüber den Arbeitern. Nun müsse alles versucht werden, um "in einem Insolvenzverfahren so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten".

Doch vieles deutet darauf hin, dass ein Grund für die Entscheidung der Banken gerade darin besteht, durch ein Insolvenzverfahren die hohen Kosten für Sozialpläne und Massenentlassungen der vielen Langzeitbeschäftigten zu umgehen. Nach dem neuen Insolvenzrecht sind Sozialplanmittel nicht mehr bevorrechtigt. Verbindlichkeiten aus einem Sozialplan sind "Massenverbindlichkeiten", also im Gegensatz zum früheren Recht nicht mehr "bevorrechtigte Konkursforderungen". "Im Insolvenzverfahren gibt es Kündigungserleichterungen," schreibt das Handelsblatt unter der Überschrift: "Holzmann-Arbeiter fast ohne Kündigungsschutz".

Wütende Arbeiter blockierten am Montag Brücken und Straßenkreuzungen in Frankfurt. Auf einer Protestkundgebung bezeichnete der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Jürgen Mahneke, die Entscheidung der Banken als "abgekartetes Spiel". Doch dieses Spiel und Täuschungsmanöver gegenüber der Belegschaft findet bereits seit Jahren statt, und zwar in enger Zusammenarbeit mit Betriebsrat und Gewerkschaft.

In den vergangenen drei Jahren wurden bei Philipp Holzmann über 20.000 Arbeitsplätze - fast die Hälfte der Belegschaft - abgebaut. Dabei wiederholte der Betriebsrat immer wieder die Propaganda der Geschäftsleitung und bezeichnete den Arbeitsplatzabbau als Sanierungs- und Zukunftskonzept. Obwohl die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sitzen und im Wirtschaftsausschuss eng mit der Geschäftsleitung zusammenarbeiten, schenkten sie der Belegschaft zu keinem Zeitpunkt reinen Wein ein. Jetzt steht der Betriebsrat vor den Trümmern seiner Politik.

An der Frankfurter Börse, nur wenige Kilometer von den protestierenden Arbeitern entfernt, wurde die Entscheidung der Banken mit Beifall begrüßt. "Während sich die Bankiers streiten, jubilieren die Börsianer," schrieb die Süddeutsche Zeitung am Dienstag. "In den Tempeln des Kapitals feiern sie nach dem Krisengipfel das Aus von Holzmann mit einer Hausse der anderen Bauaktien." Die Aktienkurse von Hochtief, Bilfinger + Berger und Strabag, alles Holzmann-Konkurrenten, stiegen nach bekanntwerden der Bankenentscheidung kräftig an.

Doch die Freude der Börsianer galt nicht nur den Kursgewinnen der übrigen Bauaktien. Sie sehen die Entscheidung der Banken in größerem Zusammenhang. Seit Anfang der neunziger Jahre war der Kurs der Holzmann-Aktie kontinuierlich gesunken. Weder ein Drei-Milliarden-Sanierungsprogramm, das vor zwei Jahren durchgeführt wurde, noch der damit verbundene drastische Abbau von Arbeitsplätzen konnten diesen Trend umkehren. Angesichts der Tatsache, dass der Aktienkurs mehr als irgend etwas sonst die Unternehmensentscheidungen bestimmt, hielten einflussreiche Finanzkreise die Situation bei Holzmann seit längerer Zeit für völlig unhaltbar und forderten einen harten Schnitt, der jetzt eingeleitet wurde.

Ein Blick auf die 150jährige Firmengeschichte macht deutlich, welch tiefgreifender wirtschaftlicher Umbruch gegenwärtig stattfindet und welch verheerende sozialen Auswirkungen er mit sich bringt.

1849 hatte der Mühlenbesitzer Johann Philipp Holzmann das Bauunternehmen gegründet, das vorwiegend im Eisenbahnbau tätig wurde und mit der Industrialisierung schnell wuchs. Um die Produktion auszudehnen, entwickelte der Betrieb bereits wenige Jahre nach seiner Gründung eine enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Bank. Das Verhältnis zwischen der Firma und dem Geldinstitut "ist in der Unternehmensgeschichte von seltener Dauerhaftigkeit", schreibt der Historiker Manfred Pohl.

Von 1903 bis 1917 baute Holzmann die berühmte Bagdad-Bahn, und bereits im Jahr der Fertigstellung dieses Großprojektes wurde der Betrieb in eine der ersten deutschen Aktiengesellschaften umgewandelt. Es folgten Prestigebauten, wie die Alte Oper in Frankfurt und Zentralbahnhöfe in mehreren europäischen Hauptstädten. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 übernahm der Deutsche-Bank-Vorsitzende Hermann Josef Abs den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden und behielt ihn 30 Jahre lang. Noch heute ist das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank Carl von Boehm-Benzig zugleich Aufsichtsratschef von Holzmann.

In den "goldenen" siebziger und achtziger Jahren wurde die Produktion ständig ausgedehnt und auf andere Länder, wie die USA, ausgeweitet. Mit der Globalisierung der Produktion wuchs aber auch der Konkurrenzdruck und in mehreren Ländern - wie etwa in Frankreich und Thailand - musste Holzmann große Verluste hinnehmen. Trotzdem waren 1996 von den 48.400 Beschäftigten mehr als die Hälfte in ausländischen Firmen der Holzmann AG tätig.

Die wachsende internationale Konkurrenz führte aber nicht nur zu erhöhtem Kostendruck, sondern veränderte auch stark die Arbeitsweise der Bauunternehmer. Das sogenannte "Projektgeschäft" nahm immer größeren Raum ein und damit stieg auch das Risiko. Zwar hatte Holzmann schon in den sechziger und siebziger Jahren schlüsselfertige Wohn- und Geschäftshäuser gebaut. Die Bauplanung aber besorgte damals noch der Auftraggeber. Seit den achtziger Jahren übernahmen die Bauunternehmen mehr und mehr die gesamte Projektleitung, vom Kauf des Grundstücks über die Bauplanung und -finanzierung bis hin zur Verwaltung und Wartung. Weil angesichts wachsender Konkurrenz knapp kalkuliert wird, führen die geringsten Schwierigkeiten bereits zu gewaltigen Verlusten.

Beim Großprojekt Köln-Arena und beim City Carré Magdeburg machte Holzmann durch sinkende Immobilienpreise Verluste in Milliardenhöhe.

Die Baukonzerne reagierten auf diese veränderte Situation, indem jeder versuchte, eine marktbeherrschende Stellung zu erlangen. Vor drei Jahren bemühte sich der Branchenführer Hochtief um einen Zusammenschluss mit der Holzmann AG, um den größten europäischen Baukonzern zu bilden. Dem widersprach damals nicht nur das Bundeskartellamt, auch die Geschäftsleitung von Holzmann und die hinter ihr stehende Deutsche Bank hatten andere Pläne. Als die Verluste aber immer höher wurden, begann eine Umorientierung.

Der Spiegel macht in seiner jüngsten Ausgabe darauf aufmerksam, dass die Deutsche Bank "anscheinend seit langem von der drohenden Pleite des Baukonzerns" wusste und sich systematisch darauf vorbereitete. Vor einem Jahr hielt die Bank noch 25 Prozent der Holzmann-Aktien und hätte bei einem Konkurs ihr gesamtes Kredit-Engagement als Eigenkapital - und somit nachrangig - bedienen müssen. Während der vor zweieinhalb Jahren von ihr eingesetzte Holzmann-Vorstandsvorsitzende Heinrich Binder bis zum letzten Moment schön Wetter machte und die Sanierung als "erfolgreich abgeschlossen" bezeichnete, verkaufte die Deutsche Bank zehn Prozent ihrer Beteiligung an die belgische Gevaert Holding NV.

Vieles deutet darauf hin, dass die Deutsche Bank gleichzeitig ihre Beziehungen zum früheren Konkurrenten und Marktführer Hochtief ausbaute, der bereits vorher seine Holzmann-Beteiligung an die Gevaert Holding NV verkauft hatte. So könnte nun Hochtief die lukrativsten Aufträge der Holzmann AG übernehmen und seine marktbeherrschende Position ausbauen, ohne die "Altlasten" und vor allem ohne eine Belegschaft mit vielen sozialen Verpflichtungen übernehmen zu müssen.

Der Bankrott der Holzmann AG bedeutet eine Zäsur.

Er leitet nicht nur eine Rationalisierungswelle in der Bauindustrie ein. Die Entscheidung der Banken, den Betrieb in den Konkurs zu treiben und damit Massenentlassungen von mehreren Zehntausend Arbeitern durchzusetzen, bildet den Auftakt, nun auch in Deutschland die Interessen der Aktionäre und ihre Politik des "shareholder value" zur Grundlage wirtschaftlicher Entscheidungen zu machen.

Die Gewerkschaften und Betriebsräte haben dem nichts entgegenzusetzen, sondern übernehmen die Aufgabe, die Erpressung der Arbeiter zu begründen und durchzusetzen. Noch bevor die Banken auch nur die geringste Bereitschaft zeigten, einem Sanierungsplan zuzustimmen, boten die Betriebsräte 6 Prozent Lohnsenkung und eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 43 Stunden ohne Lohnausgleich an. Auf dieses Angebot werden die Bauunternehmer nun auch in anderen Betrieben zurückkommen.

Loading