Schily gibt grünes Licht für Abschiebung von Kosovo-Albanern

Bei einer Telefonkonferenz mit den Länderinnenministern Mitte letzter Woche gab Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) grünes Licht für die Abschiebung der rund 180.000 in Deutschland lebenden Kosovo-Albaner. Er bot die "organisatorische Mitwirkung bei der Zwangsrückführung" von Kosovo-Albanern durch das Bundesinnenministerium an, wenn diese nicht freiwillig Deutschland verließen. Noch in diesem Jahr, also im beginnenden Winter, werde es erste Rückflüge ins Kosovo geben, sagte Schily. Er gehe davon aus, dass in den nächsten Monaten 2.000 Kosovo-Flüchtlinge zwangsweise in Charterflugzeugen oder über Mazedonien zurücktransportiert werden. Mit Albanien, Mazedonien, Bosnien, Kroatien, Slowenien, Italien, Ungarn und Österreich wurden Abkommen zur erleichterten Durchreise geschlossen. Der Transit der Flüchtlinge sei nun wenig bürokratisch und mit vereinfachten Papieren möglich, versicherte Schily gegenüber der Presse.

Schily geht davon aus, "dass sich die Rückkehr im nächsten Jahr sehr beschleunigen wird". Bis Ende des nächsten Jahres sollen alle 180.000 bisher in Deutschland lebenden Kosovo-Albaner das Land verlassen haben. Als eine besonders wichtige Aufgabe betrachtet Schily, neu eintreffende Kosovaren rasch zurückzuführen beziehungsweise möglichst direkt an der Grenze abzuweisen.

Von den unter großem Medienrummel während des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien im Frühjahr aufgenommenen 15.000 Kosovo-Flüchtlingen, die aus den völlig überfüllten Flüchtlingslagern in Mazedonien nach Deutschland ausgeflogen worden waren, sind bereits 8.722 wieder zurückgekehrt. Das wsws warnte bereits in einem Artikel vom 11. Mai dieses Jahres, dass die Flüchtlinge aus dem Kosovo, sobald sie nicht mehr für die Medienpropaganda zur Begründung des Krieges gebraucht würden, mit rascher Ausweisung und auch zwangsweiser Rückführung durch die deutschen Behörden konfrontiert würden.

Mit den geplanten Abschiebungen setzt sich die Bundesregierung über alle Warnungen von Flüchtlingshilfeorganisationen, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR und einzelnen Vertretern der eigenen Regierung hinweg. So warnte die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne) und die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Kerstin Müller nach einer dreitägigen Reise durch Mazedonien und Kosovo Mitte Oktober Bundesinnenminister Schily eindringlich davor, die Flüchtlinge "in den Winter" abzuschieben.

Sie berichteten, dass derzeit im Kosovo zwar mit großen Anstrengungen versucht werde, von den Bergen herunter in die Täler die zerstörten Häuser winterfest zu machen. Doch pro Haus werde maximal ein Zimmer bis zum Kälteeinbruch wieder hergestellt sein, und für den Winter rechnen die Hilfsorganisationen mit einer inländischen Fluchtbewegung aus den am stärksten zerstörten Regionen. "In einer solchen Krisensituation wäre es absolut unverantwortlich, Flüchtlinge aus Deutschland abzuschieben." UNHCR-Vertreter hätten vor einem Rückkehrdruck auf die Flüchtlinge gewarnt, berichtete Beck. Selbst das kleine Mazedonien gewähre den Kosovo-Flüchtlingen ein Bleiberecht bis Ende März. Beck forderte, dass bedrohten Minderheiten wie den Roma und Serben von Deutschland auch über das kommende Frühjahr hinaus ein sicherer Schutz als Gruppenverfolgte gewährt werden müsse.

Die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen im Kosovo sind sehr groß, und wie der Angriff auf einen serbischen Flüchtlingskonvoi letzte Woche zeigte, sind KFOR-Truppen weder in der Lage noch willens solche Übergriffe zu verhindern. Wie verschiedene Meinungsumfragen in den letzten Wochen ans Licht brachten, stößt das Auftreten der UCK, die unter der Aufsicht der NATO die Macht im Kosovo übernommen hat, auch unter der albanischen Bevölkerungsmehrheit auf zunehmende Opposition. UCK-Mitglieder eignen sich die Häuser der von ihnen vertriebenen Serben und Roma an. Der Wiederaufbau der 100.000 Häuser, die während des Krieges zerstört worden sind - es handelt sich um 65 Prozent aller Häuser des Kosovo - soll erst im kommenden Frühjahr beginnen.

Schon jetzt, schätzt ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation vor Ort, wissen rund 500.000 Menschen nicht, wo sie den Winter verbringen sollen. Hunderttausende werden in provisorischen Unterkünften bitterer Kälte ausgesetzt sein. Alle damit verbundenen Probleme werden durch die Zwangsrückführung von Flüchtlingen aus Deutschland noch extrem verstärkt.

Otto Schily gab zeitgleich mit seiner Ankündigung für die notfalls auch zwangsweise Rückführung der Kosovo-Albaner ein groß aufgemachtes und weit publiziertes Interview in der Wochenzeitung Die Zeit vom 28. Oktober 1999, in dem er erklärte: "Das deutsche Asylrecht lässt sich nicht halten."

Das Asylrecht in Deutschland ist seit dem Asylkompromiss von 1993, der nur durch die Zustimmung und Mitarbeit der sich damals in Opposition befindlichen SPD zustande kam, bereits stark ausgehöhlt . Nur jeder zwanzigste Asylbewerber, der es geschafft hat, einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen, erhielt im letzten Jahr Asyl. Eine jüngst veröffentlichte Studie von Unicef belegt, dass Flüchtlingskinder in Deutschland keinen ausreichenden Schutz genießen und dass die Bundesrepublik Deutschland sowohl in dieser wie auch in anderen Fragen die Genfer Flüchtlingskonvention nicht einhält. Und dennoch kündigt Schily eine weitere Einschränkung des deutschen Asylrechts an.

Des weiteren betonte er in dem Zeit -Interview: "Wir müssen uns aber mit Blick auf Europa und auf die europäische Asylrechtsdebatte dem Gedanken öffnen, dass nicht jede Wohltat, die wir einem Menschen zuwenden, einklagbar sein muss." Das heißt, jede Form des Rechtswegs, z.B. Widerspruch vor Gericht gegen eine negative Entscheidung der Asyl- oder Ausländerbehörden einzulegen, soll für Asylbewerber und Flüchtlinge abgeschafft, das Recht auf Asyl auf einen staatlichen Gnadenakt reduziert werden.

Diese Kampagne gegen das Asylrecht und Flüchtlinge geht Hand in Hand mit einer immer restriktiveren Praxis in den Kommunen und Ländern. Sie dient vor allem der Abschreckung und richtet sich auch gegen Menschen, die bereits sehr lange in Deutschland leben und oftmals vollständig in die Gesellschaft integriert sind. Hier nur zwei beispielhaft genannte Fälle aus Bremen und Frankfurt am Main, von denen die Frankfurter Rundschau am 18. September 1999 und 11. Oktober 1999 berichtete. Der damals 15-jährige Tamile Shanmuganathan Kumareswaran war 1989 allein aus Sri Lanka zu seinem älteren Bruder nach Bremen geflüchtet. Dort machte er den Hauptschulabschluss und anschließend eine Lehre als Elektroinstallateur. Er arbeitete so gut, dass sein Chef ihn als Gesellen bei sich behielt. Aber was zählen zehn Jahre in Deutschland und davon acht Jahre bei demselben Handwerksbetrieb, wenn jemand ein Flüchtling ist? Nichts - das finden offenbar das Flüchtlingsbundesamt und die Bremer Ausländerbehörde. Sie wollen den inzwischen fast 25-Jährigen bald abschieben.

Bei dem Fall aus Frankfurt handelt es sich um einen 42-jährigen Mann aus Tunesien, Mohamed Kahli, der seit 20 Jahren in Frankfurt lebt und seit elf Jahren mit unbefristeter Arbeitserlaubnis zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten als Kanalbetriebsarbeiter beim Stadtentwässerungsamt seinen Lebensunterhalt verdient. Nach dem Urteil seiner Ärztinnen und des Stadtgesundheitsamts besteht im Fall einer zwangsweisen Rückführung Selbstmordgefahr. Doch dies stelle nach den Worten des stellvertretenden Leiters der Ausländerbehörde in Frankfurt am Main, Heiko Kleinsteuber, kein grundsätzliches Abschiebungshindernis dar. Man müsse darauf achten, dass keine Präzedenzfälle geschaffen würden.

Siehe auch:
Behandlung von Flüchtlingen widerlegt humanitäres Kriegsziel
(11. Mai 1999)
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