Michigan, USA:

Geschworene sprechen den 13-jährigen Nathaniel Abraham des vorsätzlichen Totschlags schuldig

Nach fünfzehnstündigen Beratungen sprach eine Jury in Michigan letzten Dienstag den 13-jährigen Nathaniel Abraham der vorsätzlichen Totschlags an dem Jungen Ronnie Greene schuldig. Dreier weiterer, etwas geringerer Verbrechen wurde Abraham nicht schuldig gesprochen: des Mordversuchs an seinem Nachbarn Michael Hudack und zweier Kapitalverbrechen im Zusammenhang mit Schusswaffen.

Bei der Urteilsverkündung zitterte und weinte Abraham und fragte seinen Verteidiger, was geschehen sei. Nathaniels Mutter, Gloria Abraham, brach in Tränen aus und stürzte aus dem Gerichtssaal, ohne die Fragen der Reporter zu beantworten.

Die Mutter von Ronnie Greene, Robin Adams, sagte, auch sie sei nicht damit einverstanden, dass Nathaniel ins Gefängnis müsse. "Er braucht Pflege und Hilfe. Wenn er lebenslang ins Gefängnis muss, dann wird das nur Zorn und Wut hervorbringen. Es ist eine Tragödie für uns alle."

Nathaniel war erst elf, als er im Oktober 1997 verhaftet wurde. Er ist das erste Kind, das aufgrund eines Gesetzes des Staates Michigan aus dem Jahre 1997 angeklagt wird, wonach es kein Mindestalter mehr gibt, um Jugendliche nach dem Erwachsenenstrafrecht für schwere und gewalttätige Delikte zu verurteilen.

Die Jury lehnte eine Verurteilung wegen vorsätzlichem Mord ab, was zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe ohne jede Chance auf Begnadigung hätte führen können. Die Höchststrafe für vorsätzlichen Totschlag beträgt: Lebenslänglich mit der Möglichkeit vorzeitiger Begnadigung.

Die Festsetzung der Strafe obliegt dem Richter Eugene Moore; er kann Nathaniel als Heranwachsenden oder als Erwachsenen verurteilen, oder ein "gemischtes" Urteil sprechen. Das könnte bedeuten, dass er bis zu seinem 21. Geburtstag in einer Jugenderziehungsanstalt untergebracht und dann begutachtet wird, ob er in ein Gefängnis eingeliefert werden muss oder nicht. Das Strafmaß wird am 14. Dezember verkündet.

Der Verteidiger Geoffrey Fieger verurteilte den Urteilsspruch als Produkt von "Zorn, Wut und Emotionen". Er sagte, ein solches Urteil sei "einer zivilisierten Gesellschaft unwürdig" und warnte, die USA seien auf dem Weg "zurück in die Vergangenheit, in der Kinder brutalisiert wurden."

Fieger will beantragen, dass der Richter das Urteil zurückweist. Sollte der Richter den Spruch der Jury bestätigen, beabsichtigt die Verteidigung in die Berufung zu gehen.

Die Staatsanwaltschaft versuchte Nathaniel als einen kaltblütigen Mörder hinzustellen, der nicht geruht habe, bis seine Lust zum Töten befriedigt war. Aber die Verteidigung legte überzeugend dar, dass die Anklagevertretung Abraham keinerlei Motiv oder Absicht nachweisen konnte. Er kannte den 18-jährigen Ronnie Greene nicht einmal. Wie Fieger erklärte, hat der Angeklagte, der im Alter von elf Jahren über die geistige Kapazität eines sechs- bis achtjährigen Kindes verfügt, überhaupt nicht die Voraussetzungen, um ein solches Verbrechen zu planen und auszuführen. Er besitzt einen IQ von 75 und leidet unter ernsten emotionalen Problemen und Lernschwierigkeiten.

Die Staatsanwaltschaft erweiterte die Anklage um Mordversuch an Abrahams Nachbarn Michael Hudack, um ihre Behauptung zu stützen, Nathaniel sei darauf aus gewesen, "jemanden zu erschießen". Die Tatsache, dass die Jury Nathaniel in diesem zweiten Punkt für nicht schuldig befand, ist bedeutsam, weil sie das ganze Szenarium in Frage stellt, dass die Anklage im Prozess zusammengeschustert hat.

Die Verteidigung brachte vor, Nathaniels Aussage vor der Polizei von Pontiac sei glaubwürdig, dass er am Abend des 29. Oktober 1997 auf Bäume, aber nicht auf Greene oder irgend jemanden sonst gezielt habe. Außerdem gab es Hinweise darauf, dass der Todesschuss ebenso gut aus einem anderen Gewehr mit Kaliber .22 hätte stammen können, da auch auf einer Party in unmittelbarer Nachbarschaft herumgeballert wurde.

Die Verteidigung trug erhebliches Beweismaterial zusammen, das darauf hindeutete, dass Greenes Tod ein tragischer Unfall war, aller Wahrscheinlichkeit nach das Ergebnis davon, dass ein Elfjähriger mit einem Gewehr Unfug trieb. Fieger zitierte die Feststellung aus dem ursprünglichen Polizeiprotokoll, dass Nathaniel mehr als 200 Fuß (60 bis 70 Meter) von Greene entfernt und durch eine Baumgruppe getrennt gestanden hatte.

Ein Scharfschütze bezeugte als Experte, dass das .22-kalibrige Gewehr, mit dem Nathaniel geschossen hatte, keinen Schaft und einen beschädigten Lauf hatte, was es nahezu unmöglich machte, exakt damit zu zielen. Außerdem fand das Schießen nach 22 Uhr nachts statt. Es wurde auch eindeutig bezeugt, dass Nathaniel versucht hatte, die Waffe am Vortag zu verkaufen, was kaum jemand tun würde, der einen Mord plant.

Auch der Vorwurf, Nathaniel habe versucht, seinen Nachbarn Michael Hudack zu ermorden, wurde widerlegt. Es wurde nachgewiesen, dass Hudack den angeblichen Mordversuch nicht einmal bei der Polizei gemeldet hatte. Als Hudack am nächsten Tag Nathaniel aufforderte, ihm das Gewehr auszuhändigen und ihn für die Schüsse am Vorabend ausschimpfte, holte Nathaniel das Gewehr hervor und übergab es Hudack. Erst am Tag darauf ging Hudack zur Polizei.

Zum Schluß seines Plädoyers verurteilte Jeoffrey Fieger außerdem das Gesetz von 1997 als einen barbarischen Angriff auf Kinder und demokratische Grundrechte. Er bezeichnete die Anklage der Staatsanwaltschaft als einen konstruierten und perversen Versuch, ein Kind lebenslang ins Gefängnis zu werfen, um eine brutale Law-and-Order-Kampagne zu rechtfertigen. Er appellierte an die Jury, im Sinne der Kinderrechte und gegen die zunehmenden Angriffe der Regierung auf Menschenrechte und Menschlichkeit zu entscheiden.

Um Nathaniel der vorsätzlichen Tötung schuldig zu sprechen, mussten die Geschworenen der einhelligen Auffassung sein, er habe die Absicht gehabt, zu töten oder eine schwere Körperverletzung zu begehen, oder sich so zu verhalten, dass ein hohes Risiko eines Todes oder einer schweren Körperverletzung entstünde. Bei ihrer Entscheidung überging die Jury offensichtlich die Lücken und Widersprüche in der Beweisführung der Anklage und kümmerte sich nicht um Nathaniels Alter und seine geistigen Fähigkeiten.

Die zwölf-köpfige Jury plus zwei Ersatzleute bestand aus neun Frauen und fünf Männern, darunter nur ein Schwarzer. Unter den Geschworenen waren Arbeiter, Freiberufler, kleine Geschäftsleute, Rentner und ein Lehrer. Sie waren offensichtlich von Fiegers Appell an demokratische und humanitäre Prinzipien nicht beeindruckt.

Der Sprecher der Jury, Dan Stolz, sagte: "Wir kamen zum Schluß, dass ein Siebenjähriger die Fähigkeit besitzt, mit Vorsatz zu handeln. Wenn er auch vielleicht nicht einen Vorsatz im Sinne einer ganzen Ereigniskette fassen kann, so hat er doch die Fähigkeit, einen Vorsatz zu fassen."

"Ronny Greene stand dort," fuhr Stolz fort. "Das Gewehr erhob sich nicht von alleine, er musste das Gewehr anlegen und den Abzug physisch durchdrücken. Und in diesem Sinne gab es eine absichtliche Handlung."

Das einzige, was diese Erklärung bestätigt, ist die Tatsache, dass Abraham absichtlich ein Gewehr abfeuerte, was überhaupt nie in Zweifel stand. Es ist aber an sich ganz offensichtlich kein hinreichend sicherer Beweis für eine vorsätzliche Tötung.

Nur eine halbe Stunde, bevor die Jury bekanntgab, dass sie zu einer Entscheidung gekommen sei, hatte sie die Niederschriften der Zeugenaussagen von drei Psychologen erbeten, die auf Nathaniels Geisteszustand und seine Fähigkeit, einen Vorsatz zu fassen, eingingen. Zwei dieser Zeugenaussagen waren Zeugen der Verteidigung, der dritte ein Zeuge der Anklage. Richter Moore teilte ihnen mit, die Niederschriften seien am nächsten Morgen verfügbar, aber die Jury wollte nicht warten, um diese Zeugenaussagen noch einmal zu studieren, bevor sie einen Schuldspruch auf vorsätzliche Tötung sprachen.

Der Staatsanwalt von Auckland County, David Gorcyca, der verantwortlich dafür ist, dass Nathaniel als Erwachsener angeklagt wurde, dankte der Jury nach dem Prozess. Er sagte, dass seine vierjährigen Zwillinge den Unterschied zwischen Recht und Unrecht kennen würden. "Und das ist das Mindeste." Als ein Reporter des World Socialist Web Site ihn fragte, ab welchem Alter ein Kind die Definition der Erwachsenen von Recht und Unrecht verstehe, erklärte er: "Es gibt keine Definition der Erwachsenen von Recht und Unrecht".

Die Verurteilung von Nathaniel Abraham ist ein gefährlicher Präzedenzfall für die Kriminalisierung von Kindern. Sie wird zweifellos von den Behörden von Michigan als eine Rechtfertigung für das Gesetz von 1997 angeführt werden. In den 46 Staaten, die in den letzten Jahren die Gesetze geändert haben, um Jugendliche als Erwachsene anklagen zu können, werden die Ankläger und Politiker sich ermutigt fühlen, ähnliche Anklagen zu forcieren.

Dieser Fall ist einer der bösartigsten Auswüchse der wachsenden Brutalisierung und Entmenschlichung der amerikanischen Gesellschaft und legt die Grundlage für noch größere Angriffe auf demokratische Grundrechte. Letztlich werden nicht nur Kinder den Preis zahlen. Dieses Urteil bereitet den Boden für die Aufrüstung von Staat und Polizei, die sich gegen alle Arbeiter richtet.

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