Handelsabkommen führt zur "Umstrukturierung" der chinesischen Wirtschaft

Das Handelsabkommen zwischen China und den Vereinten Nationen, das am Montag nach sechstägigen intensiven Verhandlungen in Peking unterzeichnet wurde, wird mindestens ebenso weitreichende Folgen für die chinesische Wirtschaft nach sich ziehen, wie die Politik der "Reformen und Öffnung", die von der stalinistischen Bürokratie 1978 in die Wege geleitet worden war.

Das Abkommen, dem 13 Verhandlungsjahre vorausgingen, ebnet dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) den Weg und eröffnet US-amerikanischen Unternehmen grosse Möglichkeiten in den Bereichen Landwirtschaft, Fertigwaren, Autos, Telekommunikation, Internetdienste, Banken und Finanzdienstleistungen.

Die sozialen Auswirkungen werden gravierend ausfallen. Kenner der Situation sprechen bereits davon, dass mehrere Millionen Beschäftigte in der Landwirtschaft und in den über 7000 staatlichen Betrieben (SOEs) ihren Arbeitsplatz verlieren werden, sobald die chinesische Wirtschaft stärker von transnationalen Konzernen und Finanzinstitutionen dominiert werden wird.

Das Abkommen ist so abgefasst, dass US-Konzernen der Zugang zu ganzen Wirtschaftsbranchen ermöglicht wird, von denen sie bislang ausgesperrt blieben.

Telefongesellschaften, die bislang nur Geräte verkaufen dürfen, können unmittelbar nach Chinas Beitritt zur WTO Anteile von bis zu 49 Prozent aller chinesischen Telekommunikationsdienstleister erwerben, und nach weiteren zwei Jahren bis zu 50 Prozent. Ausserdem werden ausländische Firmen in Internetunternehmen investieren dürfen, u.a. in Providerfirmen, von denen sie bisher ausgeschlossen waren.

Die Hersteller werden ohne Einmischung von Regierungsbehörden direkt exportieren und auch direkt auf dem chinesischen Markt verkaufen dürfen. Zusätzlich gestattet werden Kundendienste etwa in den Bereichen Reparatur und Wartung.

Zwei Jahre nach Chinas Beitritt zur WTO werden US-Banken in der Lage sein, Kredite an chinesische Unternehmen in der örtlichen Währung zu vergeben. Die Frist für Kredite an Privatpersonen beträgt fünf Jahre.

Autohersteller werden uneingeschränkte Vertriebs- und Handelsrechte erhalten, und die Zölle werden bis zum Jahr 2006 von gegenwärtig 80 bis 100 Prozent auf 25 Prozent sinken. Auch Kreditaufnahmen für den Autokauf werden gestattet sein.

Die Zölle auf importierte Agrarprodukte werden drastisch auf rund 14 Prozent herabgesetzt werden, und China wird sämtliche Export-Subventionen streichen.

Ausländische Firmen werden das Recht erhalten, bis zu 33 Prozent Anteile an Aktienfonds zu erwerben, drei Jahre nach Chinas Beitritt zur WTO wird diese Quote auf 49 Prozent heraufgesetzt.

Als besonders wichtig gilt die Einigung über die lukrative Telekommunikationsbranche, denn darüber hatte es ein halbes Jahr lang heftige Auseinandersetzungen innerhalb der regierenden Staatsbürokratie in China gegeben.

Im Zuge von Diskussionen in Washington im vergangenen April hatte der chinesische Premier Zhu Rongji ein entsprechendes Abkommen mit den USA beinahe schon unterzeichnet, als die Clinton-Regierung in letzter Minute einen Rückzieher machte. Zhu wurde daraufhin heftiger Kritik unterzogen, weil er die Angelegenheit nicht unter Dach und Fach gebracht und den USA als Gegenleistung für die Aufnahme in die WTO zu viele Zugeständnisse angeboten hätte.

Einer der umstrittensten Punkte war Zhus Angebot gewesen, bei Telekommunikationsunternehmen einen ausländischen Anteil von bis zu 51 Prozent zuzulassen. Besonders Wu Jichuan, der Leiter des Informationsministeriums, hatte dagegen Front gemacht. Nachdem sich Präsident Jiang Zemin in die Verhandlungen eingeschaltet hatte, fand man schliesslich eine Formel, die der amerikanischen Forderung nach einer Aktienmehrheit, die eine Unternehmenskontrolle ermöglicht, weitgehend entsprach.

Ein weiteres Gebiet, an dem die USA ein vitales Interesse hegen, ist die Landwirtschaft. Vor einer Pressekonferenz am Montag erklärte die US-Handelsbeauftragte Charlene Barshefsky, dass die Zölle insgesamt gesehen auf rund 17 Prozent zurückgeführt würden. Sie sprach von "einem außerordentlich guten Ergebnis".

"Was die Landwirtschaft angeht, so werden die Zölle deutlich auf rund 14,5 oder 15 Prozent gesenkt. In diesem Rahmen wird es eine sehr bedeutsame Liberalisierung des Agrarsektors geben. Am wichtigsten sind dabei die Massenprodukte: Mais, Getreide, Baumwolle, Soja - das sind für uns die grossen Brocken. China wird außerdem keine Exportsubventionen mehr gewähren. Das ist für die Bereiche Baumwolle, Reis und einige andere Produkte sehr wichtig."

Abgesehen von einigen nebensächlichen Verschiebungen hinsichtlich der zugelassenen ausländischen Anteile in der Telekommunikationsbranche scheinen die USA der chinesischen Seite wenige, wenn nicht gar keine Zugeständnisse gemacht zu haben. Barshefsky stellte fest, dass China während der Verhandlungen im vergangenen April noch darauf bestanden hatte, dass die Strafmassnahmen der USA gegen chinesische Billigimporte nach und nach aufgehoben werden müssten. Laut dem neuen Abkommen wird hingegen die sogenannte "Regel gegen Importsteigerungen" noch zwölf Jahre in Kraft bleiben, und die "Anti-Dumping-Methodologie" sogar noch weitere fünfzehn Jahre.

Besonders begeistert war die Haupt-Unterhändlerin der USA über jene Punkte des Abkommens, die den USA den Zugang zum chinesischen Kapitalmarkt eröffnen und die Stellung amerikanischer Unternehmen gegenüber potentiellen Rivalen stärken.

"Was die Frage des Wertpapiermarkts angeht", erklärte sie vor der Pressekonferenz, "so bestand unser Hauptziel darin, dass insbesondere unser Finanzministerium ein Forum bekommt, über das es sich mit China hinsichtlich der Entwicklung des - noch sehr unterentwickelten - Aktienmarktes abstimmen kann. Bisher wandte sich China üblicherweise an Hong Kong, wenn es Rat brauchte, und natürlich waren dort ausgezeichnete Experten, aber uns, besonders unserem Finanzministerium, lag sehr viel daran, an dieser Festlegung der Regeln und überhaupt an der Entwicklung der Kapitalmärkte in China teilzuhaben; denn dabei geht es auch um den künftigen Zugang zu diesem Markt."

Seit einem China-Besuch des US-Finanzministers Larry Summers, fuhr sie fort, "besteht ein Dialog über die Gesamtheit aller Fragen, die mit dem Bankenwesen zusammenhängen, und auch über den Komplex Wertpapiere und Regulierung der Börsen."

Mit anderen Worten, die USA und ihre politischen Vertreter werden die Struktur des chinesischen Finanzsystems ganz unmittelbar mit bestimmen.

Die Zulassung ausländischer Banken mit denselben Rechten wie chinesische Banken in allen Teilen des Landes wird weitreichende Konsequenzen mit sich bringen. Insbesondere wird es bedeuten, dass die chinesischen Banken, die in erster Linie die staatlichen Unternehmen (SOEs) finanzieren, mit einer starken Konkurrenz überlegener Rivalen konfrontiert sein werden. Das Ergebnis wird die Abwicklung Hunderter, wenn nicht Tausender staatlicher Unternehmen sein.

Ein weiterer wichtiger Bereich für die USA, dem sie laut Barshevsky "höchste Priorität" einräumten, war das Internet. Dies sei "kein Thema mehr", da die USA nun "das Recht zu Investitionen" hätten.

Das Abkommen verpflichtet die USA, auf den "baldmöglichsten" Beitritt Chinas zur WTO hinzuwirken. Es muss noch vom amerikanischen Kongress ratifiziert werden, wo es auf erhebliche Opposition von Teilen der Republikanischen Partei trifft. Da es jedoch von der amerikanischen Wirtschaft stark unterstützt wird, rechnet man allgemein mit der Ratifizierung.

Der Dow-Jones-Nachrichtendienst berichtete, dass amerikanische Unternehmen in China "mit Entzücken" auf die Meldung über das Abkommen reagiert und ein Anwachsen amerikanischer Investitionen in China vorausgesagt hätten. John Sullivan, der stellvertretende Vorsitzende der amerikanischen Handelskammer in China, erklärte, dass die Verwirklichung der WTO-Vorschriften "viele Vertriebs- und Regulierungsprobleme" der US-Unternehmen reduzieren und "amerikanischen Unternehmen mehr Wachstumspotential" verschaffen werde.

Andere Aussichten eröffnen sich den chinesischen Arbeitern und Bauern. Ganze Bereiche der Landwirtschaft werden nicht konkurrenzfähig sein. Die Abwanderung in die Städte wird zunehmen, doch dort stehen Millionen Beschäftigte der SOEs vor der möglichen Entlassung.

Hinsichtlich der langfristigen Auswirkungen des Abkommens erklärte Mark Frasier vom amerikanischen National Bureau of Asian Research der Zeitung Australian Financial Review: "Die eigentliche Bedeutung der Beteiligung Chinas an der WTO liegt nicht in den kurzfristigen Vorteilen, die Konzernen nun vielleicht in bestimmten Branchen zuwachsen, sondern in der Umstrukturierung der chinesischen Wirtschaft über die kommenden zehn Jahre."

Diese "Umstrukturierung" wird die chinesischen Arbeiter in direkten Konflikt mit eben jenen transnationalen Konzernen, Banken und Finanzinstitutionen bringen, deren unablässige Jagd nach Märkten und Profiten auch ihren Kollegen in den großen kapitalistischen Ländern seit Jahren so schwer zu schaffen macht.

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