Kniefall vor dem Markt

Der Film High Speed Money - Drehbuch und Regie: James Dearden

Am Anfang von High Speed Money erklärt Nick Leeson, wie es dazu kam, dass jemand, der wie er aus der unteren Mittelschicht stammt, für die älteste Handelsbank der Welt arbeitete: "Das habe ich Maggie Thatchers Deregulierung der City von London zu verdanken..."

Das Leben Nick Leesons (gespielt von Ewan McGregor) und seine Rolle beim Zusammenbruch der Barings Bank, einem der größten Finanzdesaster der neunziger Jahre, verkörpern in konzentrierter Form die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen einer stürmischen Periode.

Aus einer konservativen Handelsbank verwandelte sich Barings in ein Institut, das seine Gewinne fast ausschließlich durch Spekulationen an den globalen Börsen erzielte. Auf dem Derivatenmarkt war dies in sehr kurzen Zeiträumen möglich. Derivate dienten ursprünglich dazu, landwirtschaftliche Produkte gegen Preisschwankungen abzusichern, indem die Preise lange vor der Lieferung vertraglich festgelegt wurden.* Das Verfahren wurde dann auf Währungen und andere Waren ausgedehnt. Aufgrund zunehmender Kursschwankungen wurde es so möglich, durch den Kauf und Verkauf von komplexen Verträgen, die von einem bestimmten Wert von Waren und Währungen zu einem späteren Zeitpunkt ausgingen, riesige Gewinne zu erzielen.

Nach dem Börsenkrach von 1987 nutzten die Banken den Derivatenhandel immer stärker, um ihre sinkenden Profite auszugleichen. Sein Umfang stieg von weniger als zwei Billionen Dollar 1987 auf 12 Billionen 1993. In einer Zeit, in der das Finanzkapital zunehmend global operierte, erschloss Barings diese neuen Märkte in Lateinamerika und dem Fernen Osten.

Alte Finanzinstitutionen wählten ihr Angestellten nach neuen Kriterien aus. Gefragt war nicht mehr die Elite aus der Oberklasse mit privater Schulbildung. Stattdessen wurden Leute mit weniger privilegiertem Hintergrund als Händler eingestellt, um diese neuen Märkte zu erschließen. Für die aufstrebenden Yuppie-Elemente, die in den Finanzzentren der Welt nun den Ton angaben, wurde der Begriff "barrow-boy trader" (junger Straßenhändler) geprägt.

Leesons Aufstieg und Fall fiel mit dem Auf und Ab dieser Märkte zusammen. Nachdem er 1989 zu Barings gekommen war, wurde er nach Singapur geschickt, wo das Unternehmen seit 1992 an der Börse SIMEX (Singapore International Monetary Exchange) tätig war. Leeson hatte die Aufgabe, auf diesem neuen Markt durch "Arbitrage" - durch die Ausnutzung geringer Preisschwankungen zwischen SIMEX in Singapur und Nikkei in Japan - Gewinne zu erzielen. Der Zusammenbruch des spekulativen Booms wurde zu Leesons und Barings Nemesis.

Wer hofft, High Speed Money eröffne einen Einblick in die gesellschaftlichen Hintergründe, wird schnell enttäuscht. Die filmischen Stile, mit denen man diese Geschichte hätte interpretieren können, werden nicht benutzt oder existieren im Repertoire von James Dearden, dem Drehbuchautor, Regisseur und Produzenten einfach nicht.

Eine schwarze Komödie wäre eine Möglichkeit gewesen. Die verkehrte Welt des Derivativenmarktes, der parasitäre Charakter des damit verbundenen Profitmachens und die Kombination von Arroganz und Ignoranz der Händler rufen geradezu danach.

In seinem Buch "Rogue Trader" skizziert Nick Leeson einige dieser Aspekte, aber ohne jede Selbstparodie: "All das Geld, mit dem wir handelten, war unwirklich: abstrakte Zahlen, die auf Bildschirmen aufleuchten oder im Börsensaal von Hand zu Hand wandern. Unsere Kunden machten oder verloren Tausende Pfund, wir machten nur Kommissionen... Das wirkliche Geld waren unsere Gehälter und unsere Bonusse, aber selbst dies war etwas künstlich: es wurde alles mit telegraphischen Anweisungen bezahlt, und weil wir von den Spesen lebten, gingen die Zahlen unserer Bankkonten einfach in die Höhe. Das wirkliche, wirkliche Geld waren die 100 Dollar, mit denen ich jeden Tag gegen Danny über den Ausgang des Börsenschlusses gewettet habe, oder das Geld, welches wir für den Kauf von Überraschungseiern ausgegeben haben, um mit den Plastikspielzeugen herum zu spielen, die wir in ihnen fanden."

Als wolle er den Spruch beweisen, dass die Moral an der Börse nicht gehandelt wird, beschreibt Leeson seine Reaktion auf des Erdbeben in Kobe 1995: "Am Mittwoch dem 18. Januar, als Bilder des Erdbebens alle Fernsehschirme beherrschten, war im Börsensaal die Hölle los. Jeder in Japan hatte Angehörige oder Freunde in Kobe, und sie verkauften Anteile, um für den Schaden aufzukommen. Der Markt wurde geschlachtet. Ich befand mich am Stand von Barings und beobachtete das Chaos. Alle Japaner sprachen über die Risse in ihren Wänden, aber so lustig das klingt, ich war ziemlich ruhig; ich sah dies als Möglichkeit..."

Nach dieser menschlichen Katastrophe wickelte Leeson an einem einzigen Tag mehr Geschäfte ab als jemals zuvor.

High Speed Money regt nicht zum kritischen Nachdenken über die gesellschaftlichen Hintergründe dieser Ereignisse an. Der Film ist nicht besser als eine mittelmäßige Fernsehproduktion. (Er wurde zeitgleich mit dem Kinostart auch als Video verkauft, ein sicheres Zeichen dafür, dass die Produzenten einen Flop an den Kinokassen erwarteten.)

Ewan McGregors Filmkommentar erzählt ausgewählte Höhe- und Tiefpunkte aus Leeson Karriere - Sachbearbeiter, General Manager von Barings an der SIMEX-Börse, verurteilter Betrüger und Insasse des Tanah Marah Gefängnisses. Nebenbei erhält man einen Idiotenkurs über das Wachstum des Derivatenmarktes und das Entstehen der "Tigerwirtschaften".

Das Scheitern des Protagonisten wird jugendlicher Überschwänglichkeit und mangelhafter Aufsicht zugeschrieben. Sogar die Anlage eines "Fehlerkontos", mit dessen Hilfe Leeson die Verluste verbarg, die schließlich auf über 800 Millionen Pfund stiegen, erhält die bestmögliche Interpretation: das Konto wurde angeblich angelegt, um die Verluste eines unerfahrenen Händlers zu verbergen, der unter Leesons Aufsicht arbeitete. Der Zuschauer soll glauben, Leeson habe durch diese Täuschung die Arbeitsplätze der Händler geschützt, für die er verantwortlich war, da eine Entdeckung der Verluste zur sofortigen Einstellung der Operation geführt hätte.

Solche rechtfertigende Erklärungen überraschen kaum, wenn man in Betracht zieht, dass das Drehbuch fast ausschließlich auf der von Leeson mit Hilfe eines Ghostwriters verfassten Autobiographie basiert. Leesons Charakter ist ein ständiges Cliché - das des "liebenswerten Spitzbuben". Das wird verstärkt durch eine Erzählweise, die eine schlechte Imitation - aber ohne Selbstgespräch - von Michael Caine in Alfie(1966) ist.

Angesichts seiner steilen Karriere bemerkt Leeson/McGregor: "Nicht schlecht für jemanden aus Watford". Auf seine bescheidenen Ursprünge wird in dem Film nicht nur mit Zaunpfählen, sondern mit Betonträgern hingewiesen. Der Charakter von Leesons Frau Lisa, die von Anna Friel gespielt wird, ist ein weiterer dramatischer Mangel des Films.

Die Verantwortung der oberen Etagen von Barings für Leesons kriminelle Aktivitäten wird angesprochen, aber nur flüchtig. Es gibt Hinweise auf Doppelmoral, aber das wird trivialisiert. Die Handlung schwenkt hin und her zwischen der hektischen Aktivität auf dem Börsenparkett in Singapur und der gesetzten und stickigen Zentrale von Barings in London mit ihrer Atmosphäre eines britischen Männerklubs.

"Wir sind erstaunlich schnell in die Gewinnzone zurückgekehrt... und daraus hat Barings geschlossen, dass es nicht all zu schwer ist, Geld mit diesen Geschäften zu verdienen," erklärt Peter Baring, der Vorsitzende der Bank, mit selbstzufriedenem Unterton.

Hohe Manager der Bank sind froh, dass sie nicht wissen, was Leeson wirklich tut, zumindest so lange er scheinbar riesige Profite macht. Zu viele mehrstellige Prämien hängen davon ab. Die Schlussfolgerung des Films besteht darin, dass er Leesons Schicksal, der in Singapur hinter Gittern schmachtet, jenem Peter Barings gegenüberstellt, der sich im Luxus einer privaten Loge in der Oper entspannt.

Viele unangenehme Fragen bleiben unbeantwortet. Wie kam es, dass Leeson in der Lage war, der Aufmerksamkeit der internen Wirtschaftsprüfer so lange zu entgehen? Eine interne Prüfung von 1994 meldete ernsthafte Bedenken, dass Leeson im Singapur-Geschäft zu selbständig sei und dass die Kontrolle von Börsengeschäften und deren Abwicklung zu Betrugszwecken missbraucht werden könne. Leeson bewegte riesige Kapitalströme und erzielte 1993 ein Zehntel des Gesamtgewinns von Baring vor Steuern.

Wie war Baring in der Lage, die Gesetze zu umgehen, die den Transfer von mehr als 25 Prozent des Bankkapitals außer Landes verbieten, und das in fast jedem Quartal 1993 und 1994? Die Bank of England hat dies nicht formell genehmigt, aber gab es vielleicht eine stillschweigende Übereinkunft?

Obwohl Leeson die Londoner Zentrale von Barings betrog und in die Zuständigkeit der Behörde für schweren Betrug (Serious Fraud Office - SFO) fiel, wurde entschieden, ihn nicht in Großbritannien vor Gericht zu stellen. Dies kann man nicht einfach als juristische Entscheidung werten, denn die Anklage wäre in England schwerwiegender gewesen. Aber das SFO entschied, dass Singapur geeigneter sei. Wie stark hat dabei das Bestreben des Establishments, sein Gesicht zu waren, eine Rolle gespielt? Barings war die "Bank der Königin" und hatte enge Beziehungen zur damaligen konservativen Regierung.

Nick Leeson wurde schließlich in zwei Anklagepunkten schuldig befunden: Täuschung der Wirtschaftsprüfer von Barings in einer Weise, "die ihren Ruf beeinträchtigen kann", und Betrug an SIMEX. Er wurde im Dezember 1995 zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Dass in dem Film keine dieser kontroversen Fragen ausgelotet wird, hängt auch damit zusammen, dass David Frost leitender Produzent von High Speed Money war. Frost hatte in den sechziger Jahren die Fernsehserie That Was the Week that Was("Das war die vergangene Woche") moderiert, in der er auf satirische Weise aktuelle Ereignisse behandelte. Er erwarb sich einen Ruf als Fernsehjournalist, indem er Politikern und Berühmtheiten bohrende Fragen stellte. Heute aber gehört er zu den kriecherischsten und selbstzufriedensten Journalisten, ein Ausdruck seiner Versöhnung mit einem System, das ihn reich gemacht hat.

Die Reaktion der Filmkritik auf High Speed Money war fast durchwegs negativ. Dearden habe eine gute Geschichte "auf kriminelle Weise" verdorben und hervorragendes Material versaubeutelt.

Es geht dabei nicht nur um eine Frage der künstlerischen Herausforderung. Deardens kurzsichtige Betrachtung der gegenwärtigen Gesellschaft würde es schwierig für ihn machen, irgend etwas Gehaltvolles zu diesem Thema zu produzieren. Mit seinen eigenen Worten: "Nick und Lisa, diese zwei sehr naiven Leute, lernen sich kennen, verlieben sich, heiraten und werden nach Singapur in diesen ganz neuen Lebensstil geschickt. Sie finden sich plötzlich in guter Position in der Gesellschaft wieder - zwei Leute, die früher ausgeschlossen worden wären, weil sie nicht den richtigen Akzent sprechen können und nicht auf die richtigen Schulen gegangen sind. Plötzlich wurden Leute mit Talent und Energie belohnt. High Speed Money ist eine Geschichte über Geld, es ist ein Stück Sozialgeschichte. Wenn die Barings dieser Welt der Geschichte übergeben werden und die Nick Leesons dieser Welt die Geschäfte übernehmen, symbolisiert das einen Wendepunkt."

Alles, was diese Verherrlichung der angeblichen Verdienste des Kapitalismus in der Ära von Thatcher und Reagan in Frage stellen könnte, wird ausgelassen. Dearden ist völlig unempfindlich gegenüber dem Wachstum der sozialen Ungleichheit, der anderen Seite dieser wahnsinnigen Anhäufung von Reichtum.

Leeson wurde zwar wegen Betrugs verurteilt, aber die sozialen Motive, die ihn dazu getrieben haben, werden als etwas völlig Gesundes präsentiert. Der Regisseur hat versucht, ihn mit der Aura eines Heiligen der Händler der Letzten Tage auszustatten.

Dearden fällt vor dem Markt in die Knie. Auch die Filmkunst ist für ihn nur eine Ware, die zur Erzielung von Profit produziert und verkauft wird. Er betont: "Machen wir uns nichts vor, Nick tut nichts grundlegend anderes als wir als Filmemacher. Wir setzen mit viel Geld anderer Leute auf Filme. Sind sie erfolgreich, dann werden wir geliebt und bewundert. Sind sie es nicht, dann werden wir im Dunklen ausgesperrt. Eine Menge Geschäfte funktionieren auf diese Weise. Leute gehen Risiken ein, und wenn sie richtig lagen, dann werden sie bestätigt. Das hat Nick getan. Er ist Risiken eingegangen, und obwohl sie nicht vernünftig waren, hätten sie sich enorm bezahlt machen können."

Dieser Film hat alle Anzeichen eines solchen rein kommerziellen Unternehmens. Die Premiere wurde auf den Termin vorgezogen, an dem Leeson vorzeitig aus dem Gefängnis in Singapur entlassen wurde. Leeson wechselte vom Gefängnis direkt ins Erste-Klasse-Abteil eines British-Airways-Jets. Sein Buch und der Film sind Bestandteil einer wahrhaften Kleinindustrie, die auf der Grundlage seiner Berühmtheit entstanden ist. Viel davon soll sein Image rehabilitieren. Typisch waren die Interviews, die unter dem Titel "Die Reue eines Rogue Traders" als Serie in der Zeitung Daily Mail erschienen. Rogue Trader ist der englische Originaltitel des Films.

Die Satire, die dem Film so fehlt, kann man in solchen Ereignissen des wirklichen Lebens finden.

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* Die Website des Toronto Stock Exchange erklärt Derivate folgendermassen:

Der Begriff "Derivat" bezieht sich nicht wirklich auf eine spezifische Art von Investmentinstrument. Stattdessen beschreibt er eine breite Klasse von Handelsinstrumenten, die selbst keinen greifbaren Wert haben, sondern ihren Wert von dem Anspruch "ableiten" (engl.: derive), den sie ihren Eigentümern an anderen finanziellen Aktivposten oder Wertpapieren geben.

Ein Beispiel: Goldbarren sind ein wirklicher finanzieller Aktivposten. Gold Futures sind Verträge, die ihrem Besitzer die Möglichkeit geben, Barren zu kaufen oder zu verkaufen. Das Derivat ist in diesem Fall ein Vertrag für die Zukunft, der selbst keinen innewohnenden Wert hat.

Ähnlich sind Aktien wirkliche Aktivposten, weil sie tatsächliches Eigentum an den ausgebenden Unternehmen bedeuten, aber Call Optionen auf Aktien sind Derivate, weil ihr Wert weitgehend vom Wert der Aktien abgeleitet wird.

Es gibt viele verschiedene Arten von Derivaten. Heute werden viele Derivate an Börsen wie der Toronto Stock Exchange und der Toronto Futures Exchange gehandelt und die Kursangaben sind standardisiert.

An der Börse gehandelte Derivate fallen in zwei Kategorien: Optionen und Futures. Ein Optionsvertrag erlaubt dem Inhaber einen spezifizierten Aktivposten an einem festgelegten Termin zu einem festgelegten Preis zu kaufen (Call Option) oder zu verkaufen (Put Option). Ein Futures Vertrag verpflichtet den Verkäufer zur Lieferung eines festgelegten Aktivpostens (oder dessen Wert in Bargeld) an den Käufer an einem festen Termin zu einem vorher festgelegten Preis.

(http://www.tse.com/derivatives/publications/dl1_intro.html)

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