Der Rechtskurs der CDU vor Ort

"Zu viel Toleranz" führt zur Versetzung des Stuttgarter Polizeipräsidenten Haas

Am Dienstag den 12.Januar war es soweit. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble (CDU) enthob den 61jährigen Stuttgarter Polizeipräsidenten Volker Haas seines Amtes und versetzte ihn ins Innenministerium.

Für die rasch politisch nach rechts driftende CDU war der als liberal geltende Polizeichef untragbar geworden. Vorausgegangen war eine Woche heftiger Auseinandersetzungen zwischen Haas und dem Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) über eine kurdische Trauerkundgebung.

Am Dreikönigstag waren 2500 zumeist kurdische Menschen dem Aufruf des Mesopotamischen Kulturvereins gefolgt und zur "Verabschiedung" des in Haft verstorbenen PKK-Aktivisten Barzan Öztürk vor das Stuttgart-Stammheimer Gefängnis gekommen. Öztürk hatte sich aus Verzweiflung über seine angekündigte Abschiebung in die Türkei im November in der Haftanstalt selbst angezündet und war am 4. Januar im Koblenzer Militärkrankenhaus verstorben.

Nach kurdischem Brauch wollten sich Angehörige und Freunde mit einer Trauerversammlung von dem Verstorbenen verabschieden. Das Stuttgarter Ordnungsamt hatte eine solche Trauerveranstaltung genehmigt, die Stadt Koblenz dem Transport des Toten in einem verschweißten Zinksarg zur Kundgebung nach Stuttgart zugestimmt, bevor die Leiche dann vom Frankfurter Flughafen aus in seine Heimat gebracht werden sollte.

Von dieser Genehmigung erfuhren das baden-württembergische Innenministerium und der Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster erst, als bereits ein Konvoi von Kurden mit dem Toten von Koblenz nach Stuttgart unterwegs war. Sie wurden von Haas informiert, der sich bei der wartenden Trauergemeinde in Stammheim befand. Da die Verantwortlichen sagten, daß man bleiben werde, bis die Leiche einträfe, plädierte Haas dafür, daß man aus Gründen der Deeskalation nichts dagegen unternehme. Schuster und Innenminister Schäuble aber wiesen die Autobahnpolizei an, den Konvoi zu stoppen, was auf der Autobahn 61 bei Hockenheim geschah.

Um den Kurden doch noch eine Verabschiedung von dem Verstorbenen zu ermöglichen, verhandelte Haas darauf über Handy mit dem hessischen Innenministerium, daß schließlich einer Gedenkversammlung am Frankfurter Flughafen zustimmte. Mit Bussen und Autos fuhren darauf über 3000 Kurden zum Flughafen.

Weil Haas für ein toleranteres und respektvolleres Verhalten der Stadt Stuttgart gegenüber der Trauergemeinde eingetreten war, geriet er unter Beschuß der Landtagsfraktionen von CDU und Republikanern. Vor allem der OB Schuster, der sich oft der Argumente der Republikaner bedient, erklärte, daß jede Toleranz, die man Terroristen gewähre, ausgenutzt werde. Schuster, für den scheinbar alle Kurden potentielle Terroristen sind, beschuldigte Haas, er lade mit seiner Haltung die PKK geradezu zu Aktivitäten nach Stuttgart ein.

Haas habe ihn, so Schuster, zu rechtswidrigem Verhalten aufgefordert, als er seine Zustimmung für den Transport der Leiche zur Demonstration haben wollte. Das Bestattungsrecht verbiete die Benutzung von Leichen für Demonstrationszwecke. Weiter meinte Schuster, Haas nehme die Traditionen der Nazis wieder auf, wenn er dafür sei, daß bei PKK-Demonstrationen Leichen zur Schau gestellt würden. Von den Nazis sei bekannt, so der OB, daß sie Tote zu Märtyrern machten.

Auf diesen Nazivergleich hin stellte der Polizeipräsident Strafanzeige gegen Schuster wegen Beleidigung und übler Nachrede. Am nächsten Morgen wurde Haas fristlos versetzt.

Die CDU hatte schon lange darauf gebrannt, Haas loszuwerden. Ein Grund für seine Versetzung ist darin zu suchen, daß die konservative Partei alte Rechnungen begleichen wollte.

Haas war nach seinem Jura-Studium mit Promotion als Amtsrichter, bei der Staatsanwaltschaft und acht Jahre als Gefängnisdirektor tätig, ehe er in Karlsruhe und 1987 in Stuttgart Polizeipräsident wurde. Zuständig für die Berufung des 49jährigen nach Stuttgart war der damalige Innenminister Schlee unter Ministerpräsident Späth (beide CDU).

Doch schon bald machte sich Haas bei den Christdemokraten unbeliebt: 1990 trat er aus der CDU aus, weil er mit dem Umgang der Partei mit DDR-Bürgerrechtlern nicht einverstanden war. 1991 forderte er von der Landesregierung vehement bessere Ausbildungs- und Aufstiegschancen für Polizisten. Ein Jahr später geriet er wieder mit der Regierungspartei aneinander, weil er für Rauschmittel-Ersatzstoffe für Drogenabhängige und für mehr Rechte für Mediziner im Umgang mit Drogenkranken eintrat. Das Innenministerium legte ihm dafür Redeverbot in Sachen Drogen auf.

In der Zeit der großen Koalition lockerte SPD-Innenminister Birzele den Maulkorb und Haas plädierte für Fixerstuben und Heroin auf Krankenschein.

Im Wahlkampf um den Oberbürgermeistersessel engagierte sich Haas mit der Teilnahme an einer Versammlung des Kandidaten Rezzo Schlauch (Grüne) aktiv für das grüne Drogenkonzept. Später forderte er, daß das Strafmündigkeitsalter nicht gesenkt werden dürfe, und ein Verbot von Ohrfeigen für Kinder.

Nach dem Sieg von Rot-Grün in Bonn lobte Haas das Wahlergebnis mit den Worten, es ermögliche eine "Kurskorrektur hin zu einer rationelleren Politik". Auch für die doppelte Staatsbürgerschaft setzte er sich ein: Sie sei ein Schritt zu niedrigerer Jugendkriminalität.

Haas' Liberalismus hielt sich allerdings in engen Grenzen. Während seiner Amtszeit wurde regelmäßig regelrecht Jagd auf ausländische Menschen gemacht und selbst die konservative Lokalzeitung Stuttgarter Zeitung sprach von "Treibjagden in der Stuttgarter Innenstadt auf Drogensüchtige".

Doch der baden-württembergischen CDU gingen Haas liberale Standpunkte entschieden zu weit. Seine Amtsenthebung ist eine Warnung an alle Polizeipräsidenten und an seinen Nachfolger, keinerlei Toleranz gegenüber Ausländern und Asylsuchenden zu gewähren. Baden-Württemberg soll wie Bayern und wohl auch Sachsen mit eiserner Hand regiert werden.

So sollte denn erst auch der langjährige Chef des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, Peter Zimmermann, Haas' Nachfolger werden. Letztlich entschied sich Innenminister Schäuble aber für Martin Schaier, der bisher als leitender Ministerialrat im Justizministerium gearbeitet hatte.

Inzwischen wurde gegen den kurdischen Versammlungsleiter der Trauerkundgebung Anzeige erstattet. Gegen 40 weitere Kurden, die bei der Verabschiedung Öztürks Fahnen der PKK oder Bilder von deren Chef Öcalan trugen, wird wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz und Benutzung verbotener Symbole ermittelt. Gegen sie will das Land scharf vorgehen, um für die Zukunft ein abschreckendes Beispiel zu geben.

Siehe auch:
Nahm Stammheimer Gefängnisleitung Tod eines Flüchtlings in Kauf?
(21. Januar 1999)
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