Der Putsch in Ecuador: ein Warnsignal

Am 21. Januar übernahm ein Gruppe Offiziere in Ecuador vorübergehend die Macht. Zum ersten Mal seit 1976 wurde in Südamerika wieder eine Zivilregierung von einer Militärjunta gestürzt. Seit dem Putsch des Generals Jorge Videla, in dessen Gefolge Zehntausende argentinische Arbeiter, Studenten und Intellektuelle getötet wurden oder spurlos verschwanden, hatte das südamerikanische Militär nicht mehr derart direkt in das politische Geschehen eingegriffen.

Die Militärregierung hielt sich nicht lange. Es gelang ihr lediglich, den unbeliebten Präsidenten Jamil Mahuad durch seinen Vize Gustavo Noboa zu ersetzen. Dennoch hat der Vorfall den gesamten Kontinent erschüttert. Beinahe zwei Jahrzehnte nach dem sogenannten Übergang zur Demokratie wird Lateinamerika erneut vom Gespenst der Militärdiktatur heimgesucht.

In Ecuador ist die Kette der zivil gewordenen lateinamerikanischen Regierungen an ihrem schwächsten Glied gebrochen. Das Land wird von der heftigsten Wirtschaftskrise des gesamten Kontinents geplagt.

Im vergangenen Jahr erreichte die Inflationsrate in Ecuador 60 Prozent; die Produktion sank um beinahe ein Drittel, und die Arbeitslosenrate durchbrach die 17-Prozent-Marke. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt nur 1.600 US-Dollar pro Jahr, und die Kaufkraft der Arbeiter hat erheblich gelitten. Um eine Welle von Bankenzusammenbrüchen abzuwehren, ließ die Regierung überdies die Konten einfrieren. Bei einer Gesamtbevölkerung von 12,4 Millionen gelten 8 Millionen Ecuadorianer als arm.

Auslöser der Massenproteste, die in den Militärputsch mündeten, war Mahuads Vorschlag gewesen, die gesamte Wirtschaft auf den Dollar umzustellen und die Landeswährung, den Sucre, durch den Greenback zu ersetzen. Doch können die Ereignisse in Ecuador schwerlich mit den Besonderheiten dieser Nationalität erklärt werden. Auch in Venezuela ist mit Hugo Chavez ein ehemaliger Fallschirmspringer gewählt worden, der 1992 an einem Putschversuch beteiligt gewesen war. Chavez brachte eine ganze Schicht Militäroffiziere in Schlüsselpositionen seiner Regierung. Einige der Putschisten in Ecuador bezeichneten die Chavez-Regierung als ihr Vorbild.

Peru wird unter Präsident Alberto Fujimori de facto militarisiert, seine Verfassung dahingehend geändert, dass die Macht in den Händen einer bonapartistischen Präsidentschaft konzentriert wird. Und in Kolumbien nimmt der Bürgerkrieg unter wachsender Einmischung des US-Militärs immer heftigere Formen an.

In den Straßen der Hauptstadt Quito ist es seit der Einsetzung Noboas in das Amt des Präsidenten relativ ruhig. Doch allenthalben fragt man nach den Motiven und Verschwörungen, die zu Mahuads Sturz führten. Der Putsch fand vor dem Hintergrund einer landesweiten Protestaktion statt, den die National Federation of Ecuadorian Indians (CONAIE) organisiert hatte. 10.000 Indios aus den umliegenden Bergen marschierten nach Quito. Zur gleichen Zeit riefen die Ölarbeiter und der wichtigste Gewerkschaftsverband Ecuadors, die FUT, für den 24. Januar einen landesweiten Streik aus. Sie forderten den Rücktritt Mahuads, des Parlaments und des Obersten Gerichtshofs.

Am Morgen des 21. Januar umringten Tausende Indios das Parlamentsgebäude. Zu den Klängen der Nationalhymne wurden sie vom Militär hinein eskortiert. Fünfzehn Minuten später war die ecuadorianische Flagge durch eine Indio-Flagge ersetzt und das Gebäude vollständig eingenommen. Eine dreiköpfige Junta der "nationalen Errettung" wurde gebildet, bestehend aus dem CONAIE-Vorsitzenden Antonio Vargas, dem Oberst Lucio Gutierrez und Carlos Solorzano, einem pensionierten Vorsitzenden des Obersten Gerichts. Außerdem wurde der Präsidentenpalast und der Oberste Gerichtshof von schwer bewaffneten Truppen besetzt.

Am späten Abend wurde Gutierrez in der Junta durch den Oberbefehlshaber der Armee General Carlos Mendoza ersetzt, der prompt bekannt gab, dass man sämtliche Teile der Streitkräfte unter Kontrolle habe. Innerhalb weniger Stunden löste Mendoza dann die Junta auf und erklärte, dass Noboa fortan die Regierung übernehmen werde. Die CONAIE brach daraufhin die Proteste ab, und die Indios verließen Quito wieder.

Mahuad erhob in einem Interview vergangene Woche den Vorwurf, dass die Proteste der Indios, aufgrund derer Teile der sogenannten Linken in Ecuador und ganz Lateinamerika den Putsch als Volksaufstand bezeichneten, von Anfang an vom Militär manipuliert worden seien. Aus Kreisen der Oberbefehlshaber wiederum wurde Mahuad vorgeworfen, er habe einen "auto-golp" bzw. Putsch in eigener Sache geplant, um sich diktatorische Vollmachten anzueignen. Nach allem, was in der vergangenen Woche berichtet wurde, könnten beide Vorwürfe wahr sein.

Die in Quito erscheinende Tageszeitung El Comercio berichtet, dass einen Monat vor dem Putsch 60 Hauptmänner und Oberstleutnante in der Polytechnischen Schule der Armee zusammengekommen seien, um sich gegen die Kürzungen im Militäretat zu wehren und über die Krise der Mahuad-Regierung zu diskutieren. Einer der Beteiligten, Lucio Gutierrez, habe im Namen der Gruppe einen Brief an die Oberbefehlshaber verfasst, in dem Mahuads Beseitigung vorgeschlagen wurde. Gutierrez hatte sich bereits mit der CONAIE in Verbindung gesetzt und ihr die wohlwollende Unterstützung der Armee für den Marsch der Indios auf Quito übermittelt.

Etwa um diese Zeit traf sich der für Lateinamerika zuständige Sekretär des US-Außenministeriums Peter Romero in Quito mit Präsident Mahuad. Einige Beobachter sind der Ansicht, dass Romero gekommen war, um Mahuad vor dem Putsch zu warnen und um die Absetzung des Oberkommandierenden Jose Gallardo vorzuschlagen. Nach dem Besuch ersetzte Mahuad Gallardo durch General Mendoza und gab den Plan zur Einführung des Dollars als Landeswährung bekannt.

Beide Entscheidungen riefen die Obersten auf den Plan, die nun gemeinsam mit der CONAIE-Führung an die Vorbereitung des Umsturzes in Quito schritten. Aus der Sicht der Militärs war der Protestmarsch der CONAIE auf Quito ein notwendiger Deckmantel für den Putsch, versetzte er doch die Offiziere in die Lage, ihre Junta als Produkt einer Volksrebellion auszugeben.

Mahuad hält daran fest, dass die wahre Ursache für den Putsch im Unmut der Militärs über drei wesentliche Punkte lag: die Kürzungen bei den Rüstungsausgaben; seine Weigerung, den Offizieren eine größere Gehaltserhöhung zuzugestehen als den zivilen Staatsangestellten, und das Friedensabkommen mit Peru von 1998. Das Militär selbst war über den Putschversuch uneins. Teile des Offizierskorps befürchteten, dass die bestehende Befehlshierarchie durchbrochen würde, falls die Obersten und nachgeordneten Offiziere eigene Vollmachten an sich rissen, und dass damit das ganze System von Rängen und Privilegien in den ecuadorianischen Streitkräften bedroht würde.

Erhebliche Interessen waren im Spiel. Die von der Armee dominierten Industriezweige, von den TAME-Fluglinien bis hin zu Öl- und Agrarunternehmen, spielen in der ecuadorianischen Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Die Holdinggesellschaft des Militärs, Industrial Directorate, ist Miteigentümer des neuen Marriot-Hotels, das kürzlich in Quito eröffnet wurde. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Militär bis zu 15 Prozent der Einnahmen aus den Ölexporten des Landes absahnt.

Ein weiteres Motiv für die rasche Übergabe der Macht an Noboa waren die Drohungen aus Washington, dass man einem Militärregime mit politischer Isolierung und einem Wirtschaftsembargo begegnen werde. Romero soll General Mendoza am Telefon gesagt haben, dass es Quito wie Havanna ergehen werde, falls die Junta an der Macht festhalte.

General Mendoza, der nach dem gescheiterten Putsch seine Demission einreichte, warf Mahuad vor, er habe gemeinsam mit einigen Ministern geplant, nach dem Vorbild Fujimoris in Peru verfassungsmäßige Rechte außer Kraft zu setzen und sich diktatorische Vollmachten anzueignen. Der Plan soll den Oberbefehlshabern der verschiedenen Waffengattungen sowie den höchsten Beamten der ecuadorianischen Polizei vorgelegt worden sein. Der ehemalige Präsident hat zugegeben, dass solche Vorschläge im Umlauf gewesen waren, behauptet aber, er sei zu sehr "Demokrat", um sich auf etwas derartiges einzulassen.

Noboa hat seit seiner Amtsübernahme betont, er werde die unpopuläre Wirtschaftspolitik Mahuads fortsetzen und die Ordnung aufrechterhalten. Seine Regierung werde von der Armee zwar unterstützt, nicht aber kontrolliert.

Doch der Offizier, der General Mendoza als Oberbefehlshaber ablöste, General Telmo Sandoval, ist von zahlreichen Seiten als einer der Hauptverschwörer des Putsches identifiziert worden. Mehrere hundert Offiziere, die an dem Umsturz beteiligt waren, werden nicht vor Gericht gestellt und durften auf ihre Posten zurückkehren.

Alle Vorbedingungen, aus denen sich die Ereignisse vom 21. Januar ergaben, bleiben unverändert bestehen. Die internationalen Banken und Finanzinstitutionen fordern immer härtere Austeritätsmaßnahmen von der Regierung Ecuadors. Arbeitslosigkeit und Armut werden unweigerlich zu neuerlichen Massenprotesten führen.

Sowohl der gescheiterte Putschversuch als auch die Berichte über Diktaturvorbereitungen innerhalb der Mahuad-Regierung zeigen, dass die bisherigen Strukturen der zivilen, parlamentarischen Herrschaft derart schwach und korrupt geworden sind, dass sie den enormen sozialen Konflikten, die sich aus der Wirtschaftskrise ergeben, nicht länger standhalten können.

Neben den Arbeiterstreiks und Protesten der Indios besteht die Gefahr, dass das Land in regionaler Hinsicht auseinanderbrechen könnte. Am Wochenende des Putschversuchs sprachen sich bei einem Referendum in der Küstenprovinz Guayas, dem Wirtschafts- und Handelszentrum Ecuadors, 85 Prozent der Wähler für eine "wirtschaftliche Autonomie" aus, was konkret bedeutet, dass die Regierung der Provinz der Zentralregierung in Quito Steuerzahlungen vorenthalten solle.

Die Gerichte verfolgen jetzt einige der links-nationalistischen Elemente, die sich hinter den Putsch gestellt hatten. Zwei Führern der MPD (Demokratische Volksbewegung), einer im Parlament vertretenen maoistischen Partei, wird vorgeworfen, sie hätten die Demonstranten in das Parlamentsgebäude geführt. Ein Führer der Gewerkschaft der Gerichtsangestellten steht unter der Anklage, er habe die Besetzung des Oberste Gerichts angeleitet.

Die angeblich linken Organisationen, die die Arbeiterbewegung Ecuadors dominieren, spielen eine in politischer Hinsicht kriminelle Rolle. Darauf deuten diese Gerichtsverfahren hin. Die Maoisten bejubelten die Massendemonstrationen der Indios, deren größte Leistung darin bestanden habe, die Armee für das Schicksal des Volkes zu "sensibilisieren". Sie richteten ihr Feuer vor allem auf die "Yankee-Botschaft", in der man den Sturz der "zivil-militärischen Junta" ausgekocht habe.

Die Patriotische Front (PF), ein parlamentarischer Block, dem auch Mitglieder der ehemaligen Kommunistischen Partei Ecuadors angehören, appellierte in ähnlicher Weise an die "progressiven" Teile des Militärs, sich einer neuen Regierung der nationalen Einheit anzuschließen.

Politische Strömungen, die einst die Tugenden des Guerillakrieges hochhielten, preisen heute eben jene Institutionen, die einst Guerillabewegungen wie Alfaro Vive in Ecuador liquidierten, als Werkzeuge der Befreiung. Diese Stalinisten und kleinbürgerlichen Nationalisten sind unfähig, Lehren aus den früheren politischen Katastrophen zu ziehen, zu denen ihre eigene Politik entscheidend beigetragen hatte.

In den sechziger Jahren bejubelte die Kommunistische Partei Ecuadors die Militärjunta, die mit Unterstützung der CIA die Macht übernahm. Nachdem ihre eigenen Führer der Repression dieses Regimes zum Opfer gefallen waren, riefen sie als Gegenleistung für deren Freilassung die Arbeiterklasse auf, jeden Widerstand gegen die Diktatur fallen zu lassen.

Als in den siebziger Jahren, wieder mit Unterstützung der CIA, General Rodriguez Lara die Macht übernahm, erklärte die stalinistische Partei sein Regime für progressiv und betätigte sich als inoffizieller Berater mit eigenem Büro im Präsidentenpalast. Das Regime unter Rodriguez Lara ebnete einem Militär-Triumvirat den Weg, das eine intensive politische Repression entfesselte und streikende Arbeiter massakrieren ließ.

Und als in den achtziger Jahren General Frank Vargas, der einstige Oberbefehlshaber, einen Militäraufstand inszenierte, wurde er von den Stalinisten und den Führern der bisherigen Guerillabewegung, die er eigenhändig niedergeschlagen hatte, unterstützt und als Werkzeug der nationalen Befreiung hingestellt.

Angesichts solcher Führungen und der ungebrochenen Kette von Verrätereien, die auf ihr Konto gehen, dürfte es nicht überraschen, dass man in der ecuadorianischen Arbeiterklasse viel Verwirrung über die Rolle des Militärs antrifft. Der Hass auf das bestehende System und die tiefe Perspektivkrise innerhalb der Arbeiterklasse selbst verbanden sich zu verbreiteter Unterstützung für den jüngsten Putschversuch.

Die Ereignisse vom 21. Januar sind eine ernste Warnung an die Arbeiter und Unterdrückten in Ecuador und ganz Lateinamerika. Die Medien verbreiten zwar, die ecuadorianische Armee sei in ihre Kasernen zurückgekehrt, doch der Putschversuch diente als strategischer Testfall, den das Militär und die herrschende Klasse nun auswerten. Ebenso wie schon in Chile 1973 könnte sich der gescheiterte Putsch durchaus als Probelauf für den Ernstfall erweisen.

Washington sprach sich offiziell gegen die Machtübernahme durch das Militär aus. Man fürchtet, dass eine Rückkehr zum Zeitalter der Diktatur den gesamten Kontinent destabilisieren würde und das Risiko revolutionärer Kämpfe der lateinamerikanischen Arbeiterklasse birgt. Doch dessen ungeachtet erzeugen die ständigen Programme zum "Strukturwandel" und die Kürzungen in der gesamten Region unerträgliche soziale Bedingungen.

Die von der Wall Street, dem Internationalen Währungsfonds und der US-Regierung geforderte Politik untergräbt die hohlen demokratischen Formen, auf deren Wahrung Washington pocht. Letztendlich ist und bleibt das von den USA ausgebildete Militär in Ecuador und den übrigen Ländern des Kontinents das wichtigste Instrument zur Verteidigung der Interessen des amerikanischen Kapitalismus.

Diese Interessen sind erheblich, ja entscheidend für die in den USA ansässigen Banken und multinationalen Unternehmen. Die Region nimmt 18 Prozent der US-amerikanischen Exporte auf und rund 21 Prozent der Auslandsinvestitionen von US-Unternehmen. Ein wirtschaftlicher Zusammenbruch oder revolutionärer Aufstand in der Region würde sofort auf die US-Wirtschaft zurückwirken. Angesichts dieser Gefahr könnte sich die Abneigung gegen Militärregime in Washington rasch verflüchtigen, CIA und Pentagon könnten wie eh und je wieder Putsche und Diktaturen unterstützen.

Den Arbeitern in Ecuador werden ihre Illusionen über die demokratischen Absichten des Militärs rasch ausgetrieben werden. Die Ereignisse vom 21. Januar, eine Umorganisation der kapitalistischen Herrschaft unter dem Deckmantel der Indio-Proteste, haben diesen Prozess bereits eingeleitet. Die Repression, die man jetzt vorbereitet, wird ihn beschleunigen.

Die Arbeiter müssen die bitteren Lehren aus den Niederlagen der siebziger Jahre ziehen. Damals fesselten Reformisten, Stalinisten und Nationalisten die Arbeiterklasse an die korrupten Parteien und Regierungen der nationalen Bourgeoisie, während das Militär und die US-"Berater" blutige Militärstreiche und Massenrepression vorbereiteten.

Ein erfolgreicher Kampf gegen die neuerliche Gefahr einer Diktatur in Ecuador und auf dem gesamten Kontinent setzt voraus, dass die Arbeiterklasse auf der Grundlage ihres eigenen, unabhängigen politischen Programms aktiv wird. Dessen Ziel ist die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft und die Befreiung der indianischen und Bauernmassen aus dem Elend, das der Imperialismus und die nationale Bourgeoisie ihnen auferlegen.

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