Putin stärkt den Staatsapparat

Der geschäftsführende Präsident Russlands, Wladimir Putin, hat die Rechte der Geheimdienste massiv gestärkt und ihnen weitgehende Überwachungsbefugnisse über die Medien, einschließlich des Internets eingeräumt.

Anfang Januar setzte Putin ein Gesetz in Kraft, das acht verschiedenen Sicherheitsbehörden unmittelbaren Zugriff zu sämtlichen Internettransaktionen einräumt. Neben dem Inlandsgeheimdienst FSB haben auch die Steuerpolizei, das Innenministerium, die Grenztruppen, das Zollkomitee, die Sicherheitsdienste des Kreml, des Präsidenten und des Parlaments sowie die Auslandsaufklärung Zugang zum Internetmonitor.

Schon zuvor hatte der FSB alle russischen Internetprovider gezwungen, sich auf eigene Kosten mit dem Geheimdienst zu verkabeln. Dadurch verschaffte er sich nicht nur eine unbeschränkte Kontrolle des Internetzugangs, sondern schaltete auch kleinere Internet-Provider aus, die die Kosten für die Verkabelung nicht tragen konnten. Die übriggebliebenen großen Provider lassen sich leichter kontrollieren und gehören nicht selten jenen Finanzoligarchen, die dem Kreml ohnehin nahe stehen.

Offiziell dient die Überwachung des Internets dem Kampf gegen die weitverbreitete Kriminalität und Korruption. Das elektronische Lauschsystem trägt dementsprechend den Namen "Sorm", die russische Abkürzung für "System für schnelle Untersuchungsmaßnahmen". Tatsächlich wird es aber als Mittel der Zensur eingesetzt. Das wird u.a. am Schicksal eines Berichts deutlich, der sich mit Korruptionsvorwürfen gegen Putin aus der Zeit befasste, in der er als rechte Hand des St. Petersburger Bürgermeisters Anatoli Sobtschak tätig war. Der Bericht, der vom Internet-Provider Lenta verbreitete wurde, war nach wenigen Stunden spurlos verschwunden.

Auch Fernsehen und Zeitungen werden verstärkt von Zensurmaßnahmen erfasst. Der Privatsender NTV, der im Allgemeinen durchaus regierungsfreundlich und patriotisch berichtet, wurde von allen organisierten Journalistenreisen in Tschetschenien ausgeschlossen, nachdem er es gewagt hatte, die offiziellen Zahlen über gefallene russische Soldaten anzuzweifeln. Gestützt auf Interviews mit Beschäftigten von Militärkrankenhäusern und Bahnbediensteten war NTV zum Schluss gelangt, dass die tatsächliche Zahl etwa zehnmal höher ist, als offiziell zugegeben wird. Pawel Borodin, eine Schlüsselfigur in den Korruptionsskandalen des Kreml, der inzwischen als Staatssekretär für die Union mit Weißrussland amtiert, drohte NTV sogar die Schließung an.

Der Journalist Alexander Chinstein, der dem Kreml-Finanzier Boris Beresowski im Moskauer Fernsehen TV Zentr heimliche Komplizenschaft mit tschetschenischen Separatistenführern vorgeworfen hatte, wurde anschließend von bewaffneten Milizionären heimgesucht, die ihn in eine psychiatrische Klinik einliefern wollten. Als Vorwand diente die Behauptung, Chinstein habe seinen Führerschein ohne psychologisches Attest erworben.

Der Stärkung der Hand des Kremls gegenüber den Medien dient auch ein Erlass Putins, wonach die Mittel zur Unterstützung städtischer Zeitungen in Zukunft durch das Moskauer Presseministerium verteilt werden. Bisher waren die örtlichen Verwaltungen dafür zuständig gewesen. Offiziell soll so die Bevormundung der Presse durch die Provinzfürsten beendet werden. Tatsächlich wird diese durch die Willkür der Zentralregierung ersetzt, die nun nach Belieben bestimmen kann, welche Zeitungen unterstützt werden und welche nicht.

Putins Bemühungen, die Medien zu kontrollieren und gleichzuschalten, sind mehr als nur ein taktisches Manöver, das ihm den Sieg bei der bevorstehenden Präsidentenwahl vom 26. März sichern soll. Seit der ehemalige Geheimdienstler ins politische Rampenlicht getreten ist, hat er stets betont, dass er die Stärkung des Staatsapparates - von Polizei, Armee und Geheimdiensten - als seine wichtigste politische Aufgabe betrachtet.

"Für die Russen ist ein starker Staat keine Anomalie, die beseitigt werden muss," schrieb er z.B. in einem Beitrag, den er Ende letzten Jahres auf der Web Site der russischen Regierung veröffentlichte. "Im Gegenteil, sie betrachten ihn als Quelle und Garant von Ordnung und als Initiator und Haupttriebkraft jeder Veränderung."

Putin appelliert an die autoritären und chauvinistischen Traditionen, die Russland schon unter dem Zaren in ganz Europa zum Sinnbild der Reaktion gemacht hatten. Er bekommt dabei Unterstützung von jenen Teilen der russischen Intelligenz, die Ende der achtziger Jahre für Gorbatschow schwärmten, sich Anfang der neunziger Jahre für den Neoliberalismus begeisterten und mit dem Finanzkrach von 1998 nicht nur ihre Illusionen in den Kapitalismus westlicher Prägung, sondern auch den größten Teil ihres Vermögen verloren haben. Nun schwärmen sie für russische Werte und Größe und scharen sich um den neuen Herrn im Kreml, den voraussichtlichen Wahlsieger vom März.

Die Moskauer Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Kerstin Holm, beschreibt dieses "gespenstische Schauspiel" folgendermaßen: "In Russland findet eine fieberhafte Sammlungsbewegung um den Wunschnachfolger Jelzins statt. Da sein Wahlsieg Ende März im Voraus entschieden scheint, beeilen sich Politiker des gesamten Spektrums, auch politische Gegner der Vergangenheit, darunter sogar vermeintlich ideologisch inkompatible Kommunisten, außerdem Stars des kulturellen Lebens und der Intelligenzija, dem neuen Herrscher zu huldigen, auf dass sie seinem Thron einst nahe stehen mögen."

Ein moderner Fouché

Mit Putin ist ein Mann an die Spitze des russischen Staates getreten, dessen Handeln und Denken in jeder Hinsicht von der Polizeimentalität des professionellen Spitzels geprägt ist. Er erinnert an jenen Joseph Fouché, der im revolutionären Frankreich erst den Jakobinern, dann den Thermidorianern, schließlich Napolen und am Ende den Bourbonen als Polizeichef diente - mit dem Unterschied, dass Putin nie mit der Revolution selbst in Berührung kam.

Putin arbeitete fünfzehn Jahre lang als Auslandsagent für den sowjetischen Geheimdienst KGB und leitete zwischen 1998 und 1999 ein Jahr lang den KGB-Nachfolger FSB. Zu dieser Vergangenheit bekennt er sich heute offen und mit Stolz, obwohl der KGB für die schlimmsten Verbrechen der sowjetischen Geschichte verantwortlich ist und mehrere hunderttausend politische Gegner des Stalinismus ermordet hat. In seiner Neujahrsansprache versprach Putin, das Potential der Geheimdienste weiter auszubauen.

Der russische Publizist Dmitrij Furman hat darauf hingewiesen, dass nicht zufällig ein ehemaliger KGB-Mann zum Retter der kriminellen Machtelite erkoren wurde, die sich um die Jelzin-Familie herum gesammelt hat. Die professionellen Bedingungen im KGB, schreibt er, hätten von den Mitarbeitern Fähigkeiten erfordert, die auch für die Mafia charakteristisch seien: Der Geheimdienst beschäftigte sich mit Abhören, Beschattung, Einschüchterung, Erpressung, Diebstahl und Mord. Dabei habe der KGB seine eigenen Wertvorstellungen entwickelt. Dazu gehöre die Professionalität, wobei die Frage, ob eine Aufgabe professionell gut oder schlecht ausgeführt werde, wichtiger sei als die Frage, ob die Aufgabe gut oder schlecht sei.

Putins berufliche und politische Karriere wird von zahlreichen Skandalen gesäumt, die aber stets im Halbdunklen blieben und nie völlig aufgeklärt wurden. Als KGB-Agent in Deutschland soll er Agenten angeworben und westliche Besucher der Leipziger Messe ausspioniert und erpresst haben.

Anfang der neunziger Jahre begann er in St. Petersburg seine politische Karriere und stieg unter Bürgermeister Anatoli Sobtschak rasch zu dessen rechter Hand auf. Als Verantwortlicher für den Außenhandel unterhielt er enge Beziehungen zu westlichen Unternehmen und soll dabei keineswegs nur uneigennützig gehandelt haben. Der Leiter des Stadtrates, Alexander Beljajew, warf ihm vor, er spioniere im Außenhandelskomitee und sammle Informationen über Firmen, die er dann ausländischen Konkurrenten verkaufe. Auch die Verletzung der Privatisierungsgesetze beim Verkauf eines Fünf-Sterne-Hotels und der Missbrauch seines Postens für illegalen Handel wurden ihm vorgeworfen. Schließlich musste sich Putins Förderer Sobtschak, um einem Verfahren wegen Diebstahls von Staatseigentum zu entgehen, nach Paris absetzen - Putin half ihm dabei und wechselte nach Moskau.

Auch dort war Putin in zahlreiche Skandale verwickelt. Als Chef des Geheimdiensts FSB spielte er eine Schlüsselrolle dabei, den Korruptions- und Geldwäscheskandal um die Jelzin-Familie und ihren Finanzier Boris Beresowski niederzuschlagen. Der FSB produzierte das Video, das den ermittelnden Generalstaatsanwalt Juri Skuratow mit zwei Prostituierten zeigte und außer Gefecht setzte. Laut Berichten russischer Zeitungen wurde die Wohnung, in welcher das diskriminierende Video gedreht worden war, auch von Putin persönlich benutzt.

Der Tschetschenien-Krieg schuf schließlich die Voraussetzungen, unter denen dieser moderne Fouché an die Spitze der Regierung aufsteigen konnte. Auch hier, so scheint es, war weit mehr politisch Planung und Vorbereitung im Spiel, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag.

So halten sich in Moskau bis heute hartnäckige Gerüchte, dass die blutigen Anschläge auf russische Wohnhäuser, die das Klima in Russland über Nacht grundlegend veränderten und die Stimmung der Bevölkerung für den Krieg einnahmen, vom Geheimdienst FSB verübt worden waren. Die Regierung hatte, ohne Beweise vorzulegen, "tschetschenische Terroristen" dafür verantwortlich gemacht und damit den Angriff auf Tschetschenien gerechtfertigt.

Ein Interview, das Putins Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten, Sergej Stepaschin, kürzlich der Nachrichtenagentur Interfax gab, hat nun den Verdacht bestätigt, dass der Tschetschenien-Krieg von russischer Seite von langer Hand vorbereitet worden war. Laut Stepaschin hatten sich Präsident Jelzin und die Regierung bereits im März vergangenen Jahres - lange vor der Invasion tschetschenischer Separatisten in Dagestan und den Anschlägen in Russland - für eine militärische Intervention entschieden.

Die Invasion sollte im August stattfinden. Dabei sollte allerdings nur eine "Sicherheitszone" bis zum Fluss Terek erobert und einzelne Lager tschetschenischer Separatisten ausgehoben werden. Ein Angriff auf die Hauptstadt Grosny und die Eroberung ganz Tschetscheniens waren nicht geplant.

Die Süddeutsche Zeitung kommentiert das Interview mit den Worten: "Die Äußerungen Stepaschins, die von führenden Militärs als unwahr zurückgewiesen werden, sind brisant. Einige russische und internationale Beobachter vermuten, Moskau habe den Feldzug vor allem als Mittel gesehen, dem Kreml wieder Popularität zu verschaffen und so die Installation eines genehmen Jelzin-Nachfolgers zu ermöglichen."

Auch der tschetschenische Überfall auf Dagestan, der dem russischen Angriff auf Tschetschenien vorangegangen war, steht - so die Süddeutsche Zeitung - "nach Stepaschins Interview in einem anderen Licht da: Möglicherweise hatten die Rebellen versucht, mit er Eröffnung einer neuen Front die russische Invasionsvorbereitungen zu stören. In der Tat marschierte die Armee nach wochenlangen Kämpfen in Dagestan erst Anfang Oktober in Tschetschenien ein."

Siehe auch:
Die politischen und historischen Fragen im Zusammenhang mit Russlands Angriff auf Tschetschenien
(20. Januar 2000)
Präsidentenwechsel in Moskau
( 7. Januar 2000)
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