Schewardnadse gewinnt Präsidentschaftswahlen in Georgien

Mit übergroßer Mehrheit gewann der amtierende Präsident Georgiens, Eduard Schewardnadse, die Präsidentschaftswahlen vom 9. April. Von den 70 Prozent der Wähler der 5,5 Millionen Bewohner zählenden Kaukasusrepublik, die am vorletzten Sonntag zu den Wahlurnen gingen, unterstützten ihn 80,4 Prozent. Sein größter Gegner, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Dschumber Patiaschwili, kam auf 16,6 Prozent.

Außer den beiden stellten sich noch fünf weitere Kandidaten zur Wahl, darunter der Vorsitzende des Obersten Rates von Adscharien und des Bündnisses für die Demokratische Wiedergeburt, Aslan Abaschidse.

Patiaschwili und Abaschidse galten als Schewardnadses gefährlichste Konkurrenten. Vor den Wahlen hatten sie sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, das zu einer ernsten Gefahr für den Präsidenten hätte werden können, insbesondere wenn es die Unterstützung Russlands gehabt hätte. Doch dazu kam es nicht. Kurz vor den Wahlen zog Abaschidse seine Kandidatur zurück und rief nicht einmal mehr seine Anhänger zur Stimmabgabe für Patiaschwili auf.

Die politischen Differenzen waren während des Wahlkampfes nur zweitrangig. Keiner der Kandidaten zweifelte die Richtigkeit der vollzogenen Spaltung Georgiens von der Sowjetunion an. Auch die Durchführung kapitalistischer Reformen und der Kurs auf eine Annäherung an den Westen wurden von allen unterstützt. Die Auseinandersetzung drehte sich lediglich darum, welche Rolle Georgien in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen spielen soll und wie die regionalen und ethnischen Probleme gelöst werden können.

Die Wahlen verliefen vor dem Hintergrund einer tiefen ökonomischen Krise und eines dramatischen Absinkens des Lebensniveaus der Mehrheit der Bevölkerung. Aber auch die regionalen Konflikte drohen das Land zu zerreißen. In zwei Regionen - Abchasien und Südossetien - wurden die Wahlen überhaupt nicht durchgeführt. Darüber hinaus hat die Region Adscharien einen halb unabhängigen Status inne und beugt sich nur in wenigen Fragen der Regierung in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens.

Ein typischer Fall ist der des Präsidentschaftskandidaten T. Assanidse. Er war vor einigen Jahren wegen eines Wirtschaftsverbrechens zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden. Im Herbst letzten Jahres wurde er dann von Schewardnadse begnadigt. Doch das Oberste Gericht Adschariens widersetzte sich dem Präsidentenukas, so dass Assanidse seinen Wahlkampf hinter Gittern führen musste.

Der Westen setzt auf Schewardnadse

Vor den Wahlen gelang es dem 72jährigen Schewardnadse, die einhellige Unterstützung der führenden westlichen Mächte, aber auch Russlands und einiger GUS-Staaten (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten), wie der Ukraine und Aserbaidschans, zu gewinnen.

Georgien wurde vor dem Wahltermin von einer ganzen Reihe internationaler Gäste besucht. Am bedeutendsten war die offizielle Visite des deutschen Bundeskanzlers, Gerhard Schröder. Vor dem georgischen Parlament hielt er eine Rede und erklärte, dass es für ihn eine große Ehre sei, mit den Parlamentariern am Jahrestag der georgischen Unabhängigkeit zusammenzutreffen. Deutschland war eines der ersten europäischen Länder, das die Unabhängigkeit Georgiens anerkannt hat.

In seiner Rede bedauerte Schröder die dunklen Seiten der Geschichte, insbesondere den Zweiten Weltkrieg. Damals hatte der Bruder Schewardnadses bei der Verteidigung der Festung Brest das Leben verloren. Nachdem er gesagt hatte: "Die im Namen Deutschlands begangenen Verbrechen bleiben für uns Anlass für Trauer und Scham", fügte er unverzüglich hinzu: "Auch fast 40.000 Georgien-Deutsche ... haben diese verbrecherische Politik mit Deportation auf Stalins Anweisung und Tod bezahlt."

Schröders Schuldbekenntnisse sind nur ein dünner Mantel für die neuerlichen Begierden von Teilen der deutschen herrschenden Kreise. Sie wollen einen Anteil am Ölgeschäft des Kaspischen Raumes haben und knüpfen dabei unverhohlen an die Politik des "Great Game" vom Beginn des 20. Jahrhunderts an. Schon damals war der Kampf um das Kaspische Öl ein wichtiger Grund für den Ersten Weltkrieg. 1918 hielten deutsche Kaisertruppen im Kampf gegen Großbritannien das gerade erst vom russischem Imperium unabhängig gewordene Georgien besetzt.

Schröder zählte dies zu den positiven Seiten der deutsch-georgischen Beziehungen und zog einen direkten Bogen zu heute. Er sagte: "Vor mehr als acht Jahrzehnten war das kaiserliche Deutschland einer der Geburtshelfer der modernen georgischen Nation. Vor acht Jahren erkannte die Bundesrepublik als erster europäischer Staat Georgien an, nachdem Ihr Land seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte."

Schewardnadse spielt eine Schlüsselrolle in den Beziehungen Georgiens zu Deutschland. 1989 war er als sowjetischer Außenminister maßgeblich an der deutschen Wiedervereinigung beteiligt. Seither unterhält er eine enge Freundschaft zu seinem damaligen deutschen Amtskollegen, Hans-Dietrich Genscher.

Genscher hatte seinerseits Schewardnadse im März 1992 geraten, nach Georgien zurückzukehren, um die Nachfolge des gestürzten Präsidenten Swiad Gamsachurdia anzutreten. Als Hilfestellung ließ er Schewardnadse im Namen der Europäischen Kommission Hilfe in Höhe von 70 Millionen ECU zuteil werden. Seitdem ist Deutschland mit 350 Millionen Mark zum international zweitgrößten Geber von Entwicklungshilfe geworden. Schröder zufolge wird es in Kürze weitere 60 Millionen zur Verfügung stellen.

Genscher, der keine offiziellen Funktionen mehr bekleidet, und seine Ehefrau begleiteten Schröder jetzt nach Tiflis, wo ihnen die Ehrenbürgerschaft Georgiens verliehen wurde. Genscher lobte die "historischen Errungenschaften" Georgiens unter der Präsidentschaft Schewardnadses, der erst im vergangenen Jahr zu einem Staatsbesuch nach Deutschland gekommen war.

Das selbe tat Schröder. Mit einer Heuchelei, die angesichts der sozialen Katastrophe in dem Kaukasusstaat kaum zu steigern ist, sagte er: "Ihr Land hat unter der Führung von Eduard Schewardnadse beachtliche Fortschritte bei der Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat erzielt." Es sei "beeindruckend, wie gerade junge Menschen in Ihrem Land heute auf den Trümmern der Sowjetunion eine Zivilgesellschaft aufbauen."

Auch von Seiten der USA erhält Schewardnadse große Unterstützung. Kurz vor den Wahlen hatte CIA-Chef Georg Tennet die Republik besucht. Während seines Treffens mit dem Präsidenten wurden laut der georgischen Regierungsagentur Sakinform"Maßnahmen für den Kampf gegen Terrorismus und Perspektiven einer gemeinsamen Zusammenarbeit in dieser Richtung" diskutiert.

Auch die Beziehungen zur Nato wurden vor den Wahlen weiter vertieft. Schon seit langem hebt Schewardnadse immer wieder hervor, dass sein Land der Nato nicht später als 2005 beizutreten beabsichtigt. Der Financial Times erklärte er vor kurzem: "Wir werden sehr intensiv an die Türen der Nato klopfen."

Schon seit anderthalb Jahren arbeitet ein internationaler Militärrat in Georgien, der von pensionierten Nato-Generälen geleitet wird. Erst vor einigen Wochen wurden dem Verteidigungsministerium sechs überholte amerikanische Helikopter und noch vier weitere Helikopter zur Ersatzteilgewinnung übergeben. Dem Küstenschutz wurde ein Schnellboot zur Verfügung gestellt.

Auch ein stärkeres militärisches Engagement in der Region wird inzwischen nicht mehr ausgeschlossen. Das zeigen Bemerkungen, die der Nato-Verantwortliche für die GUS-Staaten, Chris Donelly, vor einem Monat machte: Es sei Zeit für die Beilegung des Kaukasuskonfliktes, und perspektivisch könne man dazu das "jugoslawische Modell" anwenden, obwohl es dafür jetzt noch zu früh wäre.

Für den Westen ist Georgien wegen seiner geopolitischen Lage von besonderem Interesse. Die wichtigsten Exportleitungen für das kaspische Öl und Gas auf den Weltmarkt sollen den Planungen zufolge durch diese Republik verlaufen. Der amerikanische Präsident Bill Clinton hat das Pipelineprojekt Baku-Tiflis-Ceyhan, das vom Kaspischen Meer über Georgien und die Türkei ans Mittelmeer führt, als "wichtigste Errungenschaft am Ende des 20. Jahrhunderts" bezeichnet.

Ein anderes Motiv für die Aktivitäten des Westens im Kaukasus liegt im Bestreben, den Einfluss Russlands zurückzudrängen. Russland seinerseits ist bemüht, seine verlorenen Positionen in der Region wiederzuerlangen. Die Entfesselung des Tschetschenienkrieges diente nicht zuletzt diesem Ziel.

Russland manövriert

Russland hat Schewardnadses Rivalen um das Präsidentenamt keine Unterstützung gewährt, obwohl sich die Möglichkeit dazu geboten hätte, da die drei Regionen des Landes, die sich der Kontrolle der georgischen Regierung zumindest teilweise entzogen haben - Abchasien, Adscharien und Südossetien -in mehrerer Hinsicht unter dem Einfluss Russlands stehen. In Abchasien sind russische Truppen stationiert, die gemäß den Vereinbarungen des OSZE-Gipfels vom vergangenen Jahr bis 2001 abgezogen werden sollen. In Adscharien befindet sich eine russische Schützenpanzerdivision, zu der der Führer der Autonomiebewegung (und Präsidentschaftskandidat) Aslan Abaschidse freundschaftliche Beziehungen unterhält. Und Südossetien steht über das innerhalb Russlands liegende Nordossetien in direkter Verbindung zu Russland.

Die von Boris Beresowski kontrollierte Njesawissimaja Gaseta charakterisierte die russische Haltung gegenüber Schewardnadse wie folgt: "Die russische Diplomatie ... hat dem Wahltriumph des ‚Kandidaten Nr. 1‘ nicht nur gleichgültig zugesehen, sondern ihm aktiv geholfen. So hat der russische Energieversorger ‚JES-Rossija‘ Georgien einige Wochen vor dem Wahltag wieder an Licht und Wärme ‚angeschlossen‘. Und zwei Wochen vorher war auch nichts mehr zu hören von Terroristenlagern oder tschetschenischen Evakuierungsrouten nach Georgien."

Diese Haltung hat ihren Grund unter anderem darin, dass Russland gegenwärtig eine weitere Zuspitzung der Beziehungen zum Westen vermeiden will. Gleichzeitig versucht es, die verlorene Initiative in der Region zurückzugewinnen und zumindest einige der wichtigsten Transportkorridore unter seine Kontrolle zu bekommen. Diese Fragen wurden Anfang März bei einem Besuch des Präsidenten (des russischen) Nordossetien, A. Dsasochow, in Tiflis diskutiert. Dsasochow bezeichnete die Entwicklung von russisch-georgischen Beziehungen als "strategische Partnerschaft" und schlug Schewardnadse die Verwirklichung des Projektes "Tor des Südens" vor.

Gegenwärtig verlaufen zwei wichtige Verkehrswege von Georgien nach Russland - beide durch Ossetien. Über sie wird der größte Teil des Güterverkehrs aus dem südlichen Kaukasus, dem sogenannten Transkaukasien, nach Russland abgewickelt. Diese beiden Routen sind historischer Bestandteil der alten "Seidenstraße" von Asien nach Europa. Mit dem Projekt "Tor des Südens" sollen diese Verkehrsverbindungen ausgebaut und mit dem europäischen TRASECA-Projekt verbunden werden, um einen bedeutenden Teil des Güterstromes von Asien und dem Nahen Osten nach Europa durch russisches Territorium zu leiten.

Ein wichtiges Element in der Annäherung Russlands an Georgien ist auch die Übergabe von Dokumenten der sogenannten "Sobtschak-Kommission", welche die tragischen Ereignisse vom 9. April 1989 untersucht. Damals waren während einer Demonstration 19 Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung von der sowjetischen Armee in Tiflis erschossen worden.

Den Ergebnissen der Kommission zufolge lag die zentrale Verantwortung für die Anwendung von Waffengewalt gegen die Demonstrierenden bei der damaligen georgischen Parteiführung. Eine Resolution des Zentralkomitees der georgischen KP vom 8. April 1989 sanktionierte ausdrücklich die Einbeziehung der Sowjetischen Armee in die Niederschlagung der Demonstration. Einer der Unterzeichner war Dschumber Patiaschwili, der wichtigste Konkurrent Schewardnadses bei den jüngsten Wahlen. Es ist bemerkenswert, dass die Wahlen auf den 11. Jahrestag dieses Dramas angesetzt wurden.

Der "unzerstörbare" Schewardnadse

Die feierliche Amtseinführung des Präsidenten ist für den 30. April vorgesehen. Für Schewardnadse beginnt damit die zweite fünfjährige Amtszeit als Präsident des unabhängigen Georgiens.

Schewardnadse ist ein typischer Aufsteiger aus der sowjetischen Bürokratie, dem es gelungen ist, sich allen politischen Wendungen anzupassen und somit jahrzehntelang eine führende politische Rolle zu spielen.

1928 geboren wurde er 1972 zum Ersten Vorsitzenden des ZK der KPdSU in Georgien gewählt. Zu dieser Zeit lobte er den damaligen Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breshnew, mit den Worten: "Für einige geht die Sonne im Osten auf. Für uns in Georgien geht sie im Norden auf."

Mit Gorbatschows Machtantritt wurde Schewardnadse einer der wichtigsten Verfechter des "neuen Denkens", das im Fall der Berliner Mauer und der Auflösung der Sowjetunion gipfelte. Im Dezember 1990 verließ er die Regierung Gorbatschows, nachdem er erklärt hatte, dass ein Militärputsch bevorstünde. Danach verschwand er für einige Zeit im Schatten und kehrte erst 1992 wieder in die Politik zurück, als er Amtsnachfolger des gestürzten Präsidenten Swiad Gamsachurdia im nun unabhängigen Georgien wurde. 1995 und 1997 überlebte er zwei Attentate.

Die jüngste Wahl hat er, der Meinung einiger Kommentatoren zufolge, "auf sowjetische Weise", d.h. mittels Tricks und Manipulationen gewonnen. Sein Sieg bedeutet eine Fortsetzung der Annäherungspolitik an den Westen und die Nato in einem gleichzeitigen Balanceakt mit Russland. Die politischen und sozialen Probleme Georgiens bleiben dabei jedoch ungelöst. Die Konfliktherde in den verschiedenen Teilen des Landes werden weiter schwelen, und die Mehrheit der Bevölkerung wird weiterhin ihren täglichen Kampf ums Überleben führen.

Siehe auch:
Die Gründe für den Krieg der NATO gegen Jugoslawien
(26. Mai 1999)
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