Die Debatte um die Green Card

Große Koalition will Asylrecht kippen

"Welcome to the World of Integration - Willkommen zur Welt der Integration" lautete das Motto der diesjährigen Hannover Messe in der vorletzten Märzwoche - nach eigenen Angaben die größte Industriemesse der Welt. Dieses Motto, das sich vor allem auf die immer stärkere Automatisierung und Integration der Elektonik in allen Bereichen der Industrie, der Produktion und des Handels, aber auch auf die zunehmende Integration der Weltwirtschaft durch die Entwicklung der Computertechnologie und des Internets bezog, soll nach dem erklärten Willen der offiziellen Politik in Deutschland nicht für Menschen ausländischer Herkunft gelten.

Die Ankündigung von Bundeskanzler Schröder wenige Wochen vorher auf der Computermesse Cebit, sich für die Einführung einer Green Card für Computerspezialisten, die von der Industrie händeringend gesucht werden, einzusetzen, löste eine inzwischen mehrere Wochen anhaltende Debatte von Befürwortern und Gegnern dieser Initiative aus. 75.000 qualifizierte Mitarbeiter sucht die Computerindustrie in diesem Jahr. Nur 45.000 Experten schließen ihre Ausbildung ab. Auch andere Industriebereiche suchen Spezialisten in etwa der gleichen Größenordnung. Darüberhinaus beklagen Vertreter der Industrieunternehmen einen Mangel von ca. 300.000 Ingenieuren unterschiedlicher Fachrichtungen. Laut einem Bericht des Spiegel werden in der gesamten EU in drei Jahren 1,7 Millionen Experten für Informationstechnologie fehlen.

Die Befürworter der Green Card, die sich in der offiziellen Diskussion zu Wort melden, sind vor allem Vertreter der Industrie wie BDI-Chef Henkel und Arbeitgeberpräsident Hundt sowie auch Vertreter aus der Hochschulbildung. So verlangt beispielsweise der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Klaus Landfried, eine Öffnung Deutschlands für ausländische Fachkräfte und erklärt, diese Öffnung dürfe sich nicht nur auf Computerexperten beschränken. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung setzt er sich für mehr Einwanderung nach Deutschland sowie für erleichterte Zugangsbedingungen für ausländische Studenten an deutsche Hochschulen ein.

Die heftigste Ablehnung der Green-Card-Initiative kam aus den Reihen der Gewerkschaften, der CDU/CSU und Teilen der SPD. Sie trägt stark nationalistische Untertöne unterschiedlicher Ausprägung. Die ersten ablehnenden Reaktionen kamen aus den Reihen der Gewerkschaften. So forderte der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte ein Programm zur Qualifikation von Arbeitskräften anstelle von Green Cards für ausländische Fachkräfte.

IG-Metall-Vorsitzender Zwickel hält es laut einem Bericht der WAZ von ihrem Wirtschaftsforum Anfang März "schlicht für einen Skandal, auf Hilfe aus dem Ausland zu setzen, anstatt eigene Kräfte zu qualifizieren". Während der Vorwurf der mangelnden Ausbildung an die Unternehmen und auch die Politik mit Sicherheit berechtigt ist, so erhält er im Zusammenhang mit der vehementen Ablehnung und Ausgrenzung von ausländischen Arbeitern und Fachkräften einen reaktionären, politisch bitteren Beigeschmack.

Und genau auf dieses Schüren von nationalen Stimmungen und dumpfem Ausländerhass stützt der CDU-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen bei den Landtagswahlen im Mai, Jürgen Rüttgers, seine Kampagne "Kinder statt Inder". Ende letzter Woche stellte Rüttgers eine Plakat- und Postkartenaktion mit dem Aufdruck "Mehr Ausbildung statt mehr Einwanderung" vor. Damit soll jetzt bis zur Landtagswahl am 14. Mai Stimmung gemacht werden.

Die Frankfurter Rundschau vom 1. April kommentierte diese Aktion so: "Jürgen Rüttgers, in aller schäbigen Berechnung, bedient mit seiner Postkartenaktion ,Ausländer raus!'-Reflexe. Unionskollege Friedrich Merz, ganz sauberer Modernisierer, ruft entschlossen nach einem Einwanderungsgesetz - um es als Instrument zur Aushebelung des Asylrechts zu nutzen. High-Tech-Ausländer willkommen, wenn die Asyl-Schmuddelkinder draußen bleiben."

Arbeitsminister Riester (SPD), der aus den Reihen der IG Metall kommt (bis zur Bundestagswahl im September 1998 war er ihr zweiter Vorsitzender), reagierte auch zuerst skeptisch bis ablehnend auf Schröders Vorschlag auf der Cebit. Inzwischen hat eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Bildungs-, Wirtschafts-, Arbeits- und Innenministeriums strenge Regeln für das Anwerben von Computerspezialisten aus Nicht-EU-Ländern festgelegt.

Die spontane Zusage von Schröder auf der Cebit, 30.000 Spezialisten aus Indien und Osteuropa mit einer Art Green Card die Einreise und den Aufenthalt in Deutschland zu erleichtern, wurde auf 10.000 bis höchstens 20.000 reduziert und ihr Aufenthalt eng begrenzt. Die Arbeitserlaubnis soll auf drei Jahre befristet sein und höchstens um zwei weitere Jahre verlängert werden können, damit sich kein so genanntes verfestigtes Aufenthaltsrecht mit der Möglichkeit des Familiennachzugs ergibt. Dies wurde auf Nachfrage von Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) bestätigt.

Migrationsforscher und Wirtschaftsexperten haben schon bezweifelt, ob unter solchen Bedingungen, die den Menschen selbst keine Entwicklungsperspektiven über drei bis fünf Jahre hinaus bieten, überhaupt genügend hochqualifizierte Computerexperten nach Deutschland kommen werden, da diese auch in vielen anderen Ländern der Welt dringend gesucht werden. Mehrere Zeitungskommentare sprachen vom "kolonialen Gestus" der deutschen Regierung, die zwar Entwicklungshilfe auf dem Gebiet der Informationstechnologie benötigt, aber die Helfer nach getaner Arbeit möglichst schnell wieder los werden will. Aus diesem Grund wolle man ihnen weder ein dauerhaftes Bleiberecht noch Familiennachzug zugestehen.

Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl forderte im Zusammenhang mit der Debatte um die Anwerbung von Computerspezialisten erneut, das Arbeitsverbot für Asylsuchende und Flüchtlinge aufzuheben. Aufgrund des sogenannten Blüm-Erlasses aus dem Jahre 1997 gilt ein absolutes Arbeitsverbot für Flüchtlinge, das auch unter der rot-grünen Regierungskoalition von dem jetzigen Arbeitsminister Riester nicht aufgehoben oder auch nur gelockert worden ist. Angesichts der Forderung von Politikern quer durch alle bürgerlichen Parteien, das Asylrecht im Gegenzug zur Einwanderung aufgrund ökonomischer Notwendigkeiten gänzlich abzuschaffen, warnte Pro Asyl davor, diese beiden Bereiche miteinander zu vermischen und die Zuwanderung aufgrund ökonomischer Entscheidungen und die Aufnahme von politisch Verfolgten gegeneinander auszuspielen.

Genau das steht aber hinter den Forderungen von Politikern aus CDU/CSU, Teilen der SPD und auch einzelnen Vertretern der FDP und der Grünen, das Asylrecht gänzlich abzuschaffen und durch ein Einwanderungsgesetz zu ersetzen.

So forderte der neue Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Friedrich Merz, "die ungeregelte Einwanderung über das Asylrecht abzulösen zu Gunsten einer geregelten Zuwanderung über ein Gesetz". Eine solche Regelung müsse sich "völlig aus der Interessenlage des Staates und nicht aus der der Einwanderer definieren", erklärte er dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.

In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Woche setzte er nach: "Wir brauchen in Zukunft die Zuwanderung von Menschen, die wir haben wollen. Aber das setzt voraus, dass wir sagen, wen wir nicht haben wollen. Dazu hat die alte Bundesrepublik - aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus, die ich respektiere - nicht den Mut gefunden. Unsere Generation will sich nicht mehr derart in Haftung für unsere Vergangenheit nehmen lassen." (zitiert aus WAZ vom 1. April)

Haider lässt grüßen. Diese Äußerungen stießen auf scharfe Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland, der sie als "Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden des Nazi-Regimes" bezeichnete.

Otto Schily, der sozialdemokratische Innenminister, der im Herbst letzten Jahres selbst eine unsägliche Debatte zur Abschaffung des Asylrechts angestossen hatte, hielt sich bei der Debatte um die Einführung einer Green Card für IT-Spezialisten zunächst auffallend zurück. Dann erklärte er: "Ein Zuwanderungsgesetz schließe ich nicht aus", und ließ wissen, dass ihm Schröders Vorschlag nicht weit genug gehe. Laut Spiegel vom 6. März könne sich Schily sogar mittlerweile wie in den USA eine "eigene Behörde vorstellen", die den Bedarf einzelner Betriebe "konkret" ermittelt. Bedingung dafür sei, dass Zuwanderer mit Bürgerkriegsflüchtlingen verrechnet werden. Auch dann bliebe die Dauer der Arbeitsgenehmigungen umstritten.

Dies ist ein wichtiger Unterschied zu den Green Cards in den USA, wo die Einwanderung auch strikt reguliert und ein Teil der begehrten Green Cards über ein Lotterieverfahren vergeben wird. Wer aber das Glück hat, eine Green Card zu erhalten, bekommt damit auch eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung.

Einig mit Schily weiß sich auch der CSU-Ministerpräsident von Bayern und einer der Anwärter für die Kandidatur zum Kanzlerkandidaten der Union für die nächsten Bundestagswahlen, Edmund Stoiber. Er erklärte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 1. April auf die Frage "Brauchen wir ein Einwanderungs- oder ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz?":

"Ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz. Wir müssen die Zuwanderung steuern, das haben wir 1992 verabredet zwischen SPD, CDU und CSU und FDP im so genannten Asylkompromiss. Es ist die Armutszuwanderung im Gewand des Asylrechts, die keine Spielräume für Überlegungen zu einer weiteren Zuwanderung lässt. Deshalb müssen wir das Grundrecht auf Asyl ändern. Solange wir dieses Grundrecht haben, kann man Quoten festlegen wie man will. Das Problem ist doch, dass man dann immer noch die Asylbewerber dazurechnen muss. Hier bin ich mit Otto Schily einig: Eine weitere Zuwanderung über die heutigen Zahlen hinaus würde die Integrationskraft unseres Landes überfordern."

Diesen reaktionären Auffassungen und Behauptungen stehen die Zahlen aus der wirklichen Welt gegenüber. So gelangt eine Studie der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) zu dem Ergebnis, dass weltweit 120 Millionen Menschen im Ausland arbeiten. Die Globalisierung hat diesen Trend nicht vermindert, sondern verstärkt. Im Jahr 1965 waren es erst 75 Millionen Menschen, die im Ausland ihr Auskommen suchten.

Die Studie weist darauf hin, dass die Globalisierung der Wirtschaft und die "damit verbundenen sozialen Störungen" den Migrationsdruck verstärken. Kein Erdteil bleibt von der Wanderungsbewegung unberührt. Die Zahl der Gastarbeiter in Japan, Korea, Malaysia, Singapur, Thailand, Hongkong und Taiwan bezifferte die Studie auf insgesamt 6,5 Millionen. Seit 1970 ist die Zahl der Länder, die eine bedeutende Anzahl von Ausländern beschäftigen, von 39 auf 67 gestiegen.

In Bezug auf Deutschland heißt es in dieser Studie: "Deutschland nahm zwischen 1988 und 1994 vier Millionen Immigranten auf, darunter zwei Millionen Deutschstämmige aus der früheren Sowjetunion. Seit 1998 übersteigt jedoch die Zahl der aus Deutschland abwandernden Ausländer die der einreisenden."

Außerdem verweist die Studie darauf, dass die heutigen Migrationsströme in der Geschichte nichts Außergewöhnliches seien. Zwischen 1846 und 1939 wanderten rund 59 Millionen Europäer nach Übersee aus.

Siehe auch:
CDU auf Haiders Spuren
(22. März 2000)
Loading