Kommunalwahlen und Oberbürgermeisterwahlen von London

Schwere Verluste für britische Labour Party

Bei den Oberbürgermeisterwahlen von London und den Kommunalwahlen vom 5. Mai erlitt die Labour Party eine vernichtende Niederlage. Mit dem Verlust von 560 Ratssitzen verlor Labour die Mehrheit in den Stadträten von 15 größeren Städten.

Der bedeutsamste Rückschlag war die Wahl von Ken Livingstone zum Oberbürgermeister von London. Livingstone kandidierte als Unabhängiger, weil Premierminister Tony Blair dafür gesorgt hatte, dass er nicht als offizieller Kandidat der Labour Party nominiert wurde. Als Livingstone seine unabhängige Kandidatur bekannt gab, wurde er aus der Partei ausgeschlossen.

Diese Wahl war nicht nur die erste Direktwahl eines Oberbürgermeisters in einer britischen Großstadt, sie wurde auch nach dem Verhältniswahlrecht durchgeführt, bei dem die Wähler erst- und zweitrangige Vorzugsstimmen vergeben konnten. Labours offizieller Kandidat, Frank Dobson, landete nur auf Platz drei. Wenn man alle ersten und zweiten Vorzugsstimmen einrechnen würde, wäre er hinter den Konservativen und den Liberaldemokraten nur vierter geworden.

Obwohl die Presse beinahe wie ein Mann gegen ihn stand - der für gewöhnlich pro-Labour eingestellte Daily Mirror hatte sogar gemeinsam mit der Tory-Presse aufgerufen, den Kandidaten der Konservativen, Stephen Norris, zu wählen, um Livingstone zu verhindern - erhielt Livingstone 39 Prozent der ersten Vorzugsstimmen gegenüber 27,1 Prozent für Norris und nur 13,1 Prozent für Dobson.

Bei der gleichzeitigen Wahl von 25 Mitgliedern des neu gebildeten Stadtrats von Groß-London, der Greater London Assembly, errangen Labour und die Konservativen je neun Sitze. Die Liberaldemokraten kamen auf vier Sitze und die Grünen auf drei.

Bei den Kommunalwahlen erging es Labour nicht besser. Die Partei verlor die Mehrheit in den nordenglischen Städten Bradford und Oldham und erlitt im gesamten Industriegürtel der West Midlands, wo zum Beispiel die von der Schließung bedrohte Rover Fabrik liegt, schwere Verluste.

Es war viel unternommen worden, um eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Wahlurnen waren in Supermärkten aufgestellt, und die Briefwahl war erleichtert worden. Große Summen wurden für die Londoner Stadtratswahlen aufgewendet, die, noch dazu mit dem Verhältniswahlrecht, als Anbruch einer neuen Ära aktiver Demokratie angepriesen wurden.

Doch zwei Drittel der Wähler blieben zuhause. Die weitgehende Wahlenthaltung nutzte vor allem den Konservativen und den Liberaldemokraten. Sowohl bei den Bürgermeisterwahlen von London, wie auch bei den Kommunalwahlen betrug die Wahlbeteiligung etwa 35 Prozent; in traditionellen Labour-Wahlkreisen in den Innenstädten war sie aber noch viel geringer. In einem Liverpooler Stimmbezirk betrug sie lediglich 15 Prozent. Es wird angenommen, dass landesweit der Prozentsatz der potentiellen Tory-Wähler, die zur Wahl gingen, doppelt so hoch war, wie jener der potentiellen Labour-Wähler.

In den Städten waren vor allem die Liberaldemokraten die Nutznießer. Die Tories hingegen erzielten auf dem Land und in den Küstenstädten Erfolge, wo sie ihre traditionellen Wählerschichten mit Law and Order- und anti-Einwanderungsparolen mobilisierten. Bei der breiten Masse der Wähler fand diese Politik jedoch keinen Anklang. Es ist recht bezeichnend, dass bei der einzigen Nachwahl zum Unterhaus, die am gleichen Tag stattfand, die Liberaldemokraten in einem früheren Stammwahlkreis der Konservativen mit 3.000 Stimmen Vorsprung gewannen. Labours Stimmenanteil kollabierte hier auf unter fünf Prozent.

Livingstones Sieg in London bringt die Probleme der Labour Party und die Haltung breiter Schichten der arbeitenden Bevölkerung gegenüber der Blair-Regierung auf den Punkt. Da Livingstone wegen seiner früheren Zugehörigkeit zum linken Parteiflügel als offizieller Kandidat der Labour Party abgelehnt worden war, war sein Sieg ein Schlag ins Gesicht der Parteiführung.

Blair hatte sich damit gebrüstet, Labour eine breitere Wählerbasis verschafft und es der Partei ermöglicht zu haben, aus ihrer Abhängigkeit von der Arbeiterklasse auszubrechen. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass es Labour gelungen ist, ihre alte Basis in der Arbeiterklasse zu vergraulen und gleichzeitig die Unterstützung ihrer neuen Freunde unter den früheren Tory-Wählern zu verlieren.

Livingstone, der seine Wähler quer durch alle politischen und sozialen Schichten gewonnen hat, war in der Lage, Blair auf seinem eigenen Terrain zu schlagen. Er versprach, gegen die Armut zu kämpfen und appellierte gleichzeitig an die Wirtschaft. Er kündigte einen "neuen Politik- und Regierungsstil" an und lud zu einer Allparteienzusammenarbeit in seiner Regierung ein; demnach sollte der Posten des stellvertretenden Bürgermeisters abwechselnd von einem Tory, einem Liberaldemokraten und einem Grünen besetzt werden. Aber mehr als alles, was Livingstone getan hat, war es Blair selber, der Labours Niederlage zu verantworten hat.

Der Premierminister personifiziert die oberen Mittelschichten, die sich in der Boomperiode der achtziger Jahre bereichert haben. Er wurde zu einer Zeit an die Spitze katapultiert, als die Tories immer mehr an Popularität verloren, und stellte sich die Aufgabe, Labours endgültigen Bruch mit ihrem alten reformistischen Programm durchzusetzen. Seit seiner Regierungsübernahme hat er sich auf die Medien gestützt, um seinen Ruf als großer und populärer Führer aufzubauen, und seine Maßnahmen gegen den Sozialstaat und seine wirtschaftsfreundliche Politik als alternativlos hinzustellen. Sein Versuch, Livingstones Kandidatur zu verhindern, ging von der arroganten Prämisse aus, dass seine persönliche Popularität unangreifbar sei und dass die Partei und die Wähler sich seinen Wünschen schon beugen würden.

Die Wahlen vom vergangenen Donnerstag haben bewiesen, wie weit sich die Wahrnehmung der Blair-Führung von der Realität entfernt hat. Alle Medienkampagnen der Welt und auch die Manipulation der Satzung können nicht verbergen, dass diese Regierung drei Jahre nach ihrem Amtsantritt, mit einer möglicherweise im Mai nächsten Jahres anstehenden Parlamentswahl vor Augen, nur über eine schwache soziale Basis verfügt und bei breiten Schichten der Bevölkerung jede Popularität verloren hat.

Hier zeigt sich der Kern der Krise, in der die Herrschaftsformen des britischen Kapitalismus stecken. Die Labour Party war, zusammen mit den Gewerkschaften, im vergangenen Jahrhundert der entscheidende Mechanismus für die Aufrechterhaltung der Gesellschaftsordnung. Ihr sozialreformistisches Programm erlaubte es, den Klassenkonflikt im parlamentarischen Rahmen zu halten. Labours Rechtsentwicklung hat die Arbeiter jetzt jeden Einflusses auf die offizielle Politik beraubt und sie ihr völlig entfremdet. Angesichts der ständig zunehmenden Kluft zwischen den Superreichen und der großen Masse der arbeitenden Bevölkerung beinhaltet diese Konstellation ein explosives soziales und politisches Potential.

Siehe auch:
Livingstone bietet keine Alternative zum Rechtskurs der Labour Party
(27. April 2000)
Labour Party manipuliert Nominierungsprozess für Bürgermeisterkandidaten in London
( 29. Februar 2000)
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