Der "Dritte Weg" verliert seinen Glanz

Die Konferenz "Modernes Regieren im 21. Jahrhundert" in Berlin

Die Konferenz "Modernes Regieren im 21. Jahrhundert", zu der Bundeskanzler Gerhard Schröder dreizehn "fortschrittliche" - d.h. sozialdemokratische oder der Sozialdemokratie nahestehende - Regierungschefs aus vier Kontinenten nach Berlin geladen hatte, war als Höhepunkt des Deutschlandbesuchs von US-Präsident Bill Clinton in der vergangenen Woche geplant. Die dreistündige Veranstaltung sollte zu einem Glied in einer ganzen Reihe ähnlicher Gipfeltreffen werden und den unaufhaltsamen Siegeszug des "Dritten Wegs" symbolisieren, jener Art von Politik also, die lange Zeit als Markenzeichen des britischen Premiers Tony Blair, von Clinton und Schröder galt.

Daraus wurde aber nichts. Die Konferenz machte vielmehr deutlich, dass sich der "Dritte Weg" in der Krise befindet. Es ist fraglich, ob irgendwann wieder eine ähnliche Konferenz stattfinden wird, weil es in Zukunft, wie Die Zeit süffisant bemerkte, wohl nicht mehr genügend "fortschrittliche Regierungen" geben wird.

Von den sechs Teilnehmern des letzten derartigen Gipfels, der im vergangenen November in Florenz tagte, waren zwei in Berlin nicht mehr vertreten. Der britische Premier Tony Blair ließ sich mit seinem neugeborenen Sohn entschuldigen, was wenig Glauben fand, da schon der ursprünglich für Mai geplante Termin auf sein Ersuchen auf einen Zeitraum nach der erwarteten Entbindung verschoben worden war. Und aus Italien fehlte Massimo d'Alema, der zum Sozialdemokraten mutierte Ex-Kommunist, der in der Zwischenzeit vom Amt des Regierungschefs zurückgetreten ist. Stattdessen kam sein Amtsnachfolger Giuliano Amato aus der Sozialistischen Partei, der als reine Übergangsfigur gilt. Auch der amerikanische Präsident, der dem Gipfel den nötigen Glanz verleihen sollte, gilt als "lahme Ente", da er im Herbst sein Amt verlässt.

Der Begriff "Dritter Weg" taucht im Schlusskommuniqué der Konferenz gar nicht mehr auf. Stattdessen lauten die neuen Schlagworte "modernes Regieren" und "fortschrittliche Regierung" - "progressive governance", wie das offizielle Motto in englischer Sprache lautete.

Auch sonst hat sich am Vokabular einiges geändert. Anstelle der Handschrift Tony Blairs tritt jetzt die des französischen Regierungschefs Lionel Jospin deutlicher hervor, der im Unterschied zu Blair in Berlin anwesend war. Dem Staat wird wieder eine größere Rolle gegenüber der Wirtschaft zugeschrieben. So fordert das Dokument eine "effiziente Regulierung, Überwachungsmechanismen, Rechenschaftsverfahren und Verhaltenskodizes" für die internationalen Finanzmärkte. Sogar von einer "möglichst breiten und nachhaltigen internationalen Umverteilung von Wohlstand und Chance" ist die Rede.

Auf der Pressekonferenz nach dem Gipfel schwadronierte Präsident Clinton über soziale Gerechtigkeit und die Notwendigkeit, Armut, Krankheit und Ungleichheit zu überwinden, während Kanzler Schröder gegen die Dominanz des Marktes über die Politik wetterte und für eine effizientere Regulierung und Überwachung der Finanzmärkte eintrat.

Es wäre verfehlt, darin einen "Linksruck" oder gar eine Rückkehr zu traditionellen sozialdemokratischen Reformvorstellungen zu sehen. Das zeigt allein schon die Praxis der in Berlin versammelten Regierungschefs, die ihrem Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit Tag für Tag Hohn spricht. Im Kommuniqué der Konferenz ist kein einziger konkreter Hinweis darauf zu finden, wie die Armut bekämpft oder die Märkte reguliert werden sollen. Das Dokument ist ein typisches Produkt aus der Schule von Clinton, Blair und Schröder, ein "luftiges Gebilde aus frommen Bekenntnissen, inhaltsschwachen Phrasen und blassen Selbstverständlichkeiten", wie ein Kommentator bemerkte.

Der veränderte Tonfall ist nicht Ausdruck einer Veränderung ihrer Politik, sondern eine Reaktion auf die wachsende Opposition gegen die Folgen dieser Politik, wie sie unter anderem in den heftigen Protesten gegen die WTO-Konferenz in Seattle zum Ausdruck kam. Auch die Aufnahme von Vertretern aus kleineren oder wirtschaftlich schwächeren Ländern - wie des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki - und aus sogenannten Schwellenländern - wie der südamerikanischen Regierungschefs Fernando Cardoso (Brasilien), Fernando de la Rua (Argentinien) und Ricardo Lagos (Chile) - in den Kreis der "fortschrittlichen Regierungen" dient dem Zweck, die wachsende Kritik gegen die wirtschaftliche Dominanz der imperialistischen Großmächte zu beschwichtigen.

Die kosmetischen Veränderungen im öffentlichen Auftreten zeigen so, dass die sozialdemokratischen und demokratischen Parteien zunehmend unter Druck geraten. Sie waren im Laufe der neunziger Jahren aufgrund der Opposition gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik ihrer konservativen Vorgänger an die Macht gelangt. Um diese abzulösen, mussten sie sich von ihrer Politik distanzieren. Gleichzeitig waren sie aber weder fähig noch willens, zu einer Politik der sozialen Reformen zurückzukehren. So entstand der "Dritte Weg".

Sein Geheimnis bestand darin, die Politik des sozialen Kahlschlags in neue ideologische Hüllen zu verpacken und beschleunigt fortzusetzen. Die Regierungskunst wurde zur Schauspielkunst. Spindoctors und andere Spezialisten für die Manipulation der öffentlichen Meinung hatten Hochkonjunktur. Clinton, Blair und Schröder glänzten nicht als politische Strategen, sondern als Handelsvertreter für Politik. Ihre Stärke ist die Handhabung der Medien, der öffentliche Auftritt, die Fabrikation von Illusionen.

Diese Methode schien Erfolg zu haben. Mit den Wahlsiegen Blairs, Jospins und Schröders kehrten in Europa fast überall die Sozialdemokraten an die Regierung zurück. Dabei übersahen sie, dass sie ihren Erfolg weniger eigenen Bemühungen als der Abneigung gegen ihre Vorgänger und der Entfremdung breiter Bevölkerungsschichten vom gesamten politischen Establishment verdankten. Das machte sie auch blind gegenüber der Opposition gegen die eigene Politik.

Wie ein englisches Sprichwort sagt: Man kann einzelne Leute ständig zum Narren halten, man kann auch alle Leute einmal zum Narren halten, aber man kann nicht alle Leute ständig zum Narren halten. Die Politik der Illusionen hat eine kurze Halbwertszeit. In England hat Blair bei der Londoner Bürgermeisterwahl, wo der von ihm heftig bekämpfte Kandidat Ken Livingstone den Sieg davontrug, die erste empfindliche Niederlage erlitten. In Italien haben die Ex-Kommunisten, die über fünfzig Jahre auf die Regierungsübernahme warten mussten, sich in wenigen Monaten diskreditiert. In Deutschland stand die Koalition von SPD und Grüne schon ein Jahr nach der Regierungsübernahme vor dem Ende; nur die Krise der CDU hat sie vorübergehend gerettet. Und in Frankreich ist die Regierung Jospin mit einer wachsenden Welle von Streiks konfrontiert.

Der hohle und farcenhafte Charakter der Berliner Konferenz war so offensichtlich, dass sie selbst von großen Teilen der bürgerlichen Presse mit Hohn und Spott überhäuft wurde. Das Zusammenbrechen der illusionären Fassade, die im Namen des "Dritten Wegs" aufgebaut wurde, lässt unweigerlich die wirklichen sozialen und politischen Fragen in den Vordergrund treten. Die scharfen sozialen Spannungen und Gegensätze, die sich unter dem Regime der Sozialdemokraten angehäuft haben, müssen politisch in Erscheinung treten.

Kommende Regierungen werden offener und direkter als das auftreten, was sie sind: Als Vertreter von bestimmten Klasseninteressen. In Russland, wohin Clinton direkt von Berlin aus reiste, ist dies bereits sichtbar. Der neue Präsident Wladimir Putin hat die demokratischen Prätensionen seines Vorgängers beiseite geworfen und baut im Namen der "Diktatur des Rechts" einen autoritären Staat auf. Dieselbe Entwicklung wird aber auch die Frage nach einer wirklichen Alternative zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung wieder in den Mittelpunkt des Interesses rücken.

Siehe auch:
Das Schröder-Blair-Papier
(12. Juni 1999)
New Labours "Dritter Weg" - Bilanz des ersten Jahres
( 6. Mai 1998)
Loading