Die Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen in NRW

Vier Tage nach der Unterzeichnung des 107-seitigen Koalitionsvertrags durch die Verhandlungsdelegationen steht die Fortsetzung der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen wieder in Frage. Ein Landesparteitag der Grünen muss heute Samstag in Bonn darüber entscheiden. Inzwischen gilt es als unsicher, ob die Koalitionsvereinbarung unter den 277 Delegierten eine Mehrheit finden wird. Acht der insgesamt 54 Kreisverbände, darunter der mitgliederstärkste in Köln, haben sich bisher dagegen, acht dafür ausgesprochen.

Ein Scheitern der Düsseldorfer Koalition würde auch die Regierung in Berlin in schwere Bedrängnis bringen. Dort sind die Grünen über die Frage des Atomausstiegs gespalten.

Der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags waren turbulente Verhandlungen vorausgegangen. Bei der Landtagswahl vom 14. Mai hatte die SPD mit 42,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1958 erreicht und die Grünen waren mit 7,1 Prozent nur noch als viertstärkste Partei aus der Wahl hervorgegangen. Die FDP unter Jürgen Möllemann hatte sie mit 9,8 Prozent überraschend überholt.

Der SPD standen damit zwei Koalitionsmöglichkeiten offen, wobei Ministerpräsident Wolfgang Clement kein Geheimnis daraus machte, dass ihm ein Zusammengehen mit der FDP lieber wäre als eine Fortsetzung der Koalition mit den Grünen. Er nutzte seinen taktischen Vorteil rücksichtslos aus, um die Grünen zu immer neuen Zugeständnissen zu zwingen. Erst eine gemeinsame Intervention von Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer, die ihn nach Berlin zitiert hatten, brachte Clement schließlich zum Einlenken. Nach einer letzten zwölfstündigen Sitzung konnte der Abschluss der Verhandlungen am frühen Morgen des 7. Junis mit einer Runde Hochprozentigem begossen werden.

Obwohl das Wahldebakel beider Parteien auf die wachsende Opposition der Bevölkerung gegen den unsozialen Kurs der rot-grünen Landesregierung zurückzuführen ist, steht die neue Koalitionsvereinbarung in sozialer Hinsicht weit rechts von der alten. In dieser Frage gab es zwischen SPD und Grünen allerdings keine Differenzen.

Der Unmut in den Reihen der Grünen entzündete sich vielmehr daran, dass sie auch in der Umweltpolitik massive Zugeständnisse machen mussten. Mit den Forderungen nach einem Nachtflugverbot für die Flughäfen Köln und Düsseldorf und nach einer Einschränkung des Autobahnbaus hatten sie versucht, wenigstens einen Teil ihrer schwindenden Klientel bei der Stange zu halten.

Im Koalitionsvertrag ist von einem Nachtflugverbot nun keine Rede mehr. Lediglich "freiwillige Vereinbarungen" zwischen den Flughafengesellschaften und den Flugunternehmen sind vorgesehen.

In der Frage des Autobahnbaus ist das Ergebnis der Verhandlungen ähnlich. Im Landtagswahlprogramm der Grünen hieß es noch: "Aus- und Neubau von Straßen können das Problem [des Dauerstaus] nicht lösen." Im Koalitionsvertrag findet man - nur einen Monat später - gleich acht vereinbarte Bauvorhaben für umstrittene Autobahnteilstücke.

Auf der Web Site der Grünen in NRW hagelte es unmittelbar nach Bekanntwerden des Vertrags verbitterte und wütende Kommentare: "Hießen die Grünen nicht einmal ,Die Alternative'?", "Die Grünen sind tot, tot, tot!", "Karrieristen!" usw. Die Landtagsabgeordneten Thomas Rommelspacher, Marianne Hürten und Barbara Steffens sprachen sich darauf gegen die Koalitionsvereinbarung aus. Letztere ist nicht nur zweite Landesvorstandssprecherin der Grünen, sondern hat auch an allen Koalitionsverhandlungen einschließlich der letzten teilgenommen.

Die Spitzen der NRW-Grünen, Umweltministerin Bärbel Höhn sowie der stellvertretende Ministerpräsident und Bauminister Michael Vesper, zeigten sich dagegen "sehr zufrieden". Obwohl Bärbel Höhn das Ressort für Raumordnung und Landesplanung aus ihrem Zuständigkeitsbereich an die Clement unterstehende Staatskanzlei abgeben muss, erklärte sie, sie könne "gut damit leben". Höhn erhält als Ersatz Zuständigkeiten auf den so unstrittigen wie unbedeutenden Politik-Feldern Verbraucherschutz und Eine-Welt-Politik. Ihr Ministerkollege Vesper erhält zusätzlich die Verantwortung für den Städtebau, Kultur und Sport.

Insgesamt tragen die Koalitionsvereinbarungen die Handschrift von Ministerpräsident Clement, der sich - ähnlich wie Bundeskanzler Schröder - als Vertreter von Wirtschaftsinteressen innerhalb der SPD versteht.

In der Bildungspolitik sollen Wettbewerb, Leistung und Privatisierung verstärkt Einzug halten. Das Modellvorhaben "NRW Schule 21", das diesen Zielen dient, soll weiter ausgebaut werden.

Auch in der Hochschulpolitik soll dies vorangetrieben werden. "Zugleich sollen die Elemente der Selbststeuerung der Hochschulen [u. a. durch die Einführung von Globalbudgets] durch eine flächendeckende Umsetzung der Kosten- und Leistungsrechnung für die Hochschulen, die Ausweitung der leistungsorientierten Mittelvergabe auf alle geeigneten Zentral- und Hochschulmittel sowie die Eigenbewirtschaftung der den Hochschulen übertragenen Ressourcen und eine wettbewerbliche Ausrichtung der Finanzierung ergänzt werden", heißt es im Koalitionsvertrag. Durch die "Mobilisierung privaten Kapitals" könnten "privat finanzierte Lehrstühle", "business schools", "Berufsakademien" oder Bildungseinrichtungen in der IT-Branche geschaffen werden.

Unter der Überschrift "Personalkosten senken" wird ein weiterer Personalabbau im öffentlichen Dienst angemahnt. "Überzählige Stellen müssen schnell und dauerhaft abgebaut werden." Hinter diesem Abbau "überzähliger Stellen" steht keine Beschränkung der Bürokratie, zu der sich Grüne und SPD an anderer Stelle verpflichten. Stattdessen will das Land auch in Zukunft Dienstleistungen "in eigene Betriebe ausgliedern oder auch an Dritte zur Durchführung übertragen (Outsourcing), wenn dies für das Land wirtschaftlich ist".

Überhaupt sind zahlreiche Vereinbarungen getroffen worden, Kosten einzusparen. So können beispielsweise Infrastrukturmaßnahmen "auch ausschließlich durch private Investoren realisiert werden". Eine ganz neue Kommission soll mit Hilfe "externer Gutachter" "Sparpotenziale ermitteln und umsetzen" und u. a. Vorschläge "für eine effizientere Erhebung von Gebühren und Entgelten" ausarbeiten.

Auch beim sozialen Wohnungsbau soll gespart werden: "Die Förderung sozialen Wohnraums soll auf Haushalte mit geringem Einkommen und mit besonderen Zugangsproblemen zum freien Wohnungsmarkt konzentriert werden. ... Wir werden die Förderung noch stärker auf die Bedarfsregionen konzentrieren", d. h., anderswo - in "Nichtbedarfsregionen" - abbauen.

Die Weiterführung der sozialen Kürzungen wird verständlicherweise die sozialen Spannungen erhöhen. Dies wissen auch SPD und Grüne. Aus diesem Grund halten sie die "konsequente Verfolgung von Straftaten" für unentbehrlich. "Deshalb wollen wir [SPD und Grüne] auch die Präsenz der Polizei vor Ort verbessern. Dazu brauchen wir eine gut ausgebildete, technisch moderne und angemessen besoldete Polizei." Ziel bei der Kriminalitätsbekämpfung sei die schnelle und effektive Strafverfolgung. "Die Strafe sollte der Tat auf dem Fuße folgen, damit der Sinn für Gerechtigkeit nicht verloren geht."

Wer die Leidtragenden dieser Vorhaben sein werden, lässt sich aus den "Schwerpunkten" entnehmen, bei denen "Justiz- und Polizeiziele abgestimmt werden sollen". An erster Stelle - noch vor Drogenhandel und organisierter Kriminalität sowie Wirtschaftskriminalität und Korruption - "sehen wir folgende Bereiche: Jugend- und Gewaltkriminalität".

Vorhaben zur Unterstützung der Wirtschaft machen den größten Teil des Koalitionsvertrags aus.

Exemplarisch sei folgender Satz zitiert: "Wir werden bewährte Ansätze in der Politik für die kleinen und mittleren Unternehmen fortführen und weiterentwickeln: die Förderung der Unternehmensnachfolge im Rahmen der Gründungsoffensive, die Unterstützung von ,Business Angels' (um Kapital und Erfahrung von älteren Unternehmern für Existenzgründer zu mobilisieren), die Bereitstellung von Wagnis- und Risikokapital in revolvierenden Landesfonds, die Unterstützung von Initiativen zur Bereitstellung von Beteiligungskapital (im Rahmen des NRW/EU-Ziel-2-Programmes oder durch Landesbürgschaften), die Unterstützung von ,Turn-Around-Fonds' zur Bewältigung von Unternehmenskrisen oder die Unterstützung von privatwirtschaftlichen Fonds für Gründungskapital (,Seed Capital')."

Die rot-grüne Regierung reagiert auf die in der Wahl ausgedrückte Opposition der Bevölkerung mit einem "Weiter so" und "Jetzt erst recht". So beweist sie einmal mehr auf anschauliche Weise, dass die Bevölkerung ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen mittels Wahlen nicht mehr beeinflussen kann. Jörg Haider konnte bei den letzten Wahlen in Österreich aus einer ähnlichen, jahrzehntelangen Politik der dortigen Sozialdemokratie - im Bunde mit der bürgerlich-konservativen ÖVP - Kapital schlagen. Doch Grüne und SPD sind offensichtlich immun gegen die Lehren aus Österreich.

Siehe auch:
Effizienz, Wettbewerb und Leistung - Die grüne Schulpolitik in NRW
(16. November 1999)
Die Landtagswahlen in NRW und ihre Folgen
( 17. Mai 2000)
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