Putin treibt die Errichtung eines Polizeistaates voran

Der im März in seinem Amt bestätigte russische Präsident Wladimir Putin hat am 7. Mai ein Maßnahmenpaket vorgestellt, das auf die Errichtung eines Polizeistaates mit einer straff organisierten zentralen Macht abzielt. Er greift dabei auf die Traditionen der zaristischen Selbstherrschaft und des stalinistischen Regimes zurück.

Zentrales Element der in Angriff genommenen Maßnahmen ist die sogenannte Verwaltungsreform, die formell der "Erhöhung der Effektivität der föderalen Macht in den Regionen" und der "Sicherstellung der verfassungsmäßigen Vollmachten des Präsidenten" dient. Zu diesem Zweck werden die Befugnisse der Oberhäupter der 89 russischen Regionen stark eingeschränkt. Entsprechend einem Präsidentenerlass, den Putin am 13. Mai vorlegte, werden sieben föderale Bezirke geschaffen, in denen jeweils vom Präsidenten ernannte Vertreter über Vollmachten verfügen, die mit denen der Generalgouverneure aus Zarenzeiten vergleichbar sind.

Die Grenzen der neuen Bezirke fallen fast vollständig mit den Territorien der Militärbezirke zusammen, in die die Armee eingeteilt ist. Eine Ausnahme bilden nur die Region Nishny Nowgorod, die in den zu bildenden Wolgabezirk eingegliedert wird, aber nicht zum militärischen Wolgabezirk gehört, und die Kaliningrader Region. Sie wird zwar dem Zentralen Föderationsbezirk angeschlossen, bildet militärisch aber einen eigenständigen Bezirk.

Die Zentren der neuen Föderationsbezirke sind nahezu ausnahmslos die jeweiligen Stabsquartiere der Militärbezirke. Neben dem bereits erwähnten Wolgabezirk (mit seinem Zentrum in Nishny Nowgorod) und dem Zentralen Bezirk (Moskau) werden ein Nord-Kaukasus-Bezirk (Rostow am Don), ein Nordwest Bezirk (Petersburg), ein Uralbezirk (Jekaterinburg), ein Bezirk in Sibirien (Tschita) und ein Fernöstlicher (Chabarowsk) gebildet.

Gouverneure mit Schulterklappen

Als Oberhäupter dieser neuen territorialen Einheiten wurden - mit zwei Ausnahmen - Leute aus dem Militär ernannt, die Präsident Putin nahe stehen.

Die eine Ausnahme ist der ehemalige Premierminister Sergej Kirijenko, der dem Wolgabezirk vorsteht. Er war bisher Führer der liberalen Dumafraktion Union der Rechten Kräfte und gehört politisch zu den "jungen Reformern" aus der Gruppe Gaidar-Tschubaijs. Die andere Ausnahme ist der ehemalige Diplomat Leonid Dratschewski, der den Sibirischen Bezirk leiten soll. Alle anderen sind ausnahmslos Vertreter der bewaffneten Organe.

Die zwei Schlüsselbezirke - der Zentrale und der Nordwestliche - sollen von zwei Aufsteigern aus dem sowjetischen Geheimdienst geführt werden. Im ersten wurde der Generalleutnant der Steuerpolizei Georgij Poltawtschenko zum Präsidentenvertreter ernannt. Er ist gelernter Flugzeugbauer und hat 1979 den höheren Lehrgang des KGB in Minsk absolviert. Danach arbeitete er fast 15 Jahre in der KGB-Führung im Leningrader Gebiet und leitete seit 1992 die Petersburger Steuerpolizei. Es wird vermutet, dass er schon zu jener Zeit in enger Beziehung zum jetzigen Präsidenten stand.

Das Oberhaupt des Nordwestlichen Bezirkes, Generalleutnant des FSB (der Nachfolgeorganisation des KGB) Wiktor Tscherkessow, gehört nach eigener Einschätzung zu den Leuten, die dem Präsidenten am nächsten stehen. Er arbeitete zu Zeiten Leonid Breschnews als Spezialist für die Verfolgung von Dissidenten in der Untersuchungsabteilung des Leningrader KGB und erhielt 1984 für seine Verdienste den Orden "Roter Stern". Seine weitere Karriere führte ihn bis zum Amt des stellvertretenden FSB-Direktors, das er in jüngster Zeit bekleidete.

Der Uraler Bezirk wird vom ehemaligen stellvertretenden Innenminister Generaloberst Pjotr Latyschew geleitet, der Nordkaukasische von Generaloberst Wiktor Kasanzew und der Fernöstliche vom ehemaligen Kommandierenden während des ersten Tschetschenienkrieges, Generalleutnant der Reserve Konstantin Pulikowski.

Die Präsidentenvertreter werden nicht nur formelle Aufgaben zu erfüllen haben. Davon zeugt nicht nur die sorgfältige Personenauswahl, sondern auch die offizielle Beschreibung ihrer Aufgaben. Diese umfassen die Kontrolle über die Aktivitäten aller bewaffneter Strukturen im jeweiligen Bezirk sowie die Kontrolle über Haushaltsmittel und Aktivitäten der Oberhäupter der bisherigen föderalen Gebietseinheiten. Die Präsidentenvertreter sollen außerdem gleichberechtigte Mitglieder des Russischen Sicherheitsrates werden. Weiterhin wurde die Schaffung von speziellen Bezirksabteilungen der Generalstaatsanwaltschaft angekündigt.

Die Zeitung Sewodnja kommentierte die vom Präsidenten getroffene Auswahl mit den Worten: "Russland tritt in eine neue Etappe, in der die politische Macht im Land an Leute mit Schulterklappen übergeht."

Die Reform des Föderationsrates

Ein Schlüsselelement der Verwaltungsreform ist die radikale Veränderung des Status des Föderationsrates - der oberen Kammer des Parlamentes.

Die bisherige föderale Machtstruktur geht auf Jelzins Auseinandersetzungen mit seinen politischen Gegnern zurück. Damals konzentrierte sich die Opposition im Obersten Rat Russlands und später in der unteren Kammer des Parlamentes. Zur Festigung seiner Macht stützte sich Jelzin auf die Regionalfürsten, denen er mehr und mehr Rechte und Vollmachten gewährte. Jelzins bekannter Ausspruch, "Nehmt Euch so viel Macht, wie ihr könnt", richtete sich an die Regionaleliten und wurde von ihnen in vollem Maße ausgenutzt. Der Föderationsrat wurde zum Gegengewicht der Duma und zum Bollwerk des regionalen Separatismus.

So entstand eine Situation, in der mindestens ein Fünftel der regionalen Gesetze nicht mehr mit den föderalen Gesetzen übereinstimmt, während einige Föderationssubjekte über einen halben Unabhängigkeitsstatus verfügen (wie zum Beispiel Tatarstan an der Wolga oder das große Jakutien in Ostsibirien). Obwohl in der russischen Verfassung nicht festgelegt ist, wer genau eine Region im Föderationsrat vertreten kann, sind diese Positionen faktisch fast vollständig von den Gouverneuren und den regionalen gesetzgebenden Versammlungen usurpiert worden, die in der Regel enge persönliche Verbindungen zu den Gouverneuren unterhalten.

Der Kreml versucht nun, die Gouverneure ihres Status zu berauben. Neben dem Entzug der Kontrolle über die bewaffneten Strukturen und einen Teil der Haushaltsmittel wurde bereits vorgeschlagen, ihnen die Vertretung im Föderationsrat zu verbieten. Außerdem soll ein Gesetz erlassen werden, dass es ermöglicht, Strafverfahren gegen die Gouverneure einzuleiten und sie von ihren Posten zu entheben.

Die Ankündigung dieser Maßnahmen traf auf die unverhohlene Begeisterung der meisten Massenmedien und der dominierenden politischen Kräfte. So bezeichnete der Chefredakteur der von Boris Beresowski kontrollierten Sewodnja, W. Tretjakow, die Entscheidung Putins als "prinzipiell absolut richtig und politisch stark und konsequent". Die Internetzeitung Gaseta.Ru schwärmte, dass "ein Staat geschmiedet" werde. Die Initiativen des Kremls - so die Zeitung - "reformieren nicht die staatliche Macht, sondern erschaffen sie neu". Diese Maßnahmen seien "der erste Schritt zur Schaffung eines Systems staatlicher Macht, keiner familiären, oligarchischen, Gouverneurs-, statthalterischen, sondern einer wirklichen staatlichen Macht."

Laut der Zeitung Iswestija zieht "die Initiative des Präsidenten Wladimir Putin zur Reform der vertikalen staatlichen Machtstrukturen einen Strich unter die erste zehnjährige Entwicklungsperiode des politischen Systems in Russland. Fast das gesamte frühere Staatsgebilde ist zerschlagen und zum Herbst diesen Jahres werden wir - falls die Sache so weiter läuft - in einem völlig anderen Land leben."

Diese Reaktion auf Putins Maßnahmen macht deutlich, dass sich die Stimmung in der neuen herrschenden Klasse Russlands grundlegend verändert hat. Der politische Kurs, den Boris Jelzin 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion einschlug, wird jetzt einschneidend korrigiert und der Unterschied zwischen der "Epoche Jelzin" und der "Epoche Putin" tritt klar hervor.

Von der "Demokratie" zum Polizeistaat

Die Jelzinperiode beruhte auf zweierlei Mythen und Illusionen. Dem ersten Mythos zufolge sollte die Durchführung kapitalistischer Reformen zum Anwachsen des Wohlstandes für alle Bürger und zur Liquidation der Privilegien der alten Sowjetnomenklatur führen. Dem zweiten zufolge sollte die Entwicklung des Kapitalismus eine natürliche Grundlage für die Demokratie und die Stärkung von Bürgerrechten und Freiheiten bilden.

Doch spätestens gegen Ende der Jelzin-Herrschaft und insbesondere nach der Finanzkrise vom August 1998 wurde völlig klar, dass die reale Entwicklung einen völlig anderen Weg einschlägt. Die Verteidigung der Interessen der neuen herrschenden Klasse erfordert nicht die Entwicklung von Demokratie, sondern die Einführung immer stärkerer autoritärer und repressiver Herrschaftsmethoden.

Jelzin wollte als Schöpfer der "russischen Demokratie" in die Geschichte eingehen und zögerte daher, die Verantwortung für Entscheidungen auf sich nehmen, die von den russischen Finanz- und Politeliten mit immer größerer Vehemenz verlangt wurden. Putin hat sich nun an die Verwirklichung dieses neuen Programms gemacht. Es beruht auf einem klaren Verständnis des Gegensatzes und der Unvereinbarkeit der Interessen der sehr dünnen Schicht Neureicher auf der einen und der Massen der Werktätigen des Landes auf der anderen Seite.

Gleichzeitig verfolgen die Reformen Putins noch ein anderes Ziel: Sie sollen den russischen Kapitalismus vor dem zerstörerischen Einfluss der Konkurrenz der internationalen Konzerne schützen. Aus diesem Grund ist der gegenwärtige Zustand einer unterschwelligen Konfrontation mit dem Westen zum notwendigen und integralen Bestandteil der Kremlpolitik geworden.

Putins Maßnahmen sind in keiner Weise originell. Er setzt zu einem großen Teil die Vorschläge in die Tat um, mit denen Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre der ultranationalistische Demagoge Wladimir Schirinowski auftrat. Gemäß dessen Logik lag der Grund für die innere Instabilität Russlands (und bis dahin der UdSSR) nicht im Scheitern der vorherrschenden Sozial- und Wirtschaftspolitik, sondern im föderalen Prinzip der Leitung des Landes.

Der russische Nationalismus hat die inneren Probleme des Landes traditionell damit beantwortet, dass er jegliche kulturellen oder autonomen Rechte der Regionen zurückwies. Auf diesem Prinzip der Vereinheitlichung und "Angleichung" beruhte das militärisch-bürokratische System der letzten Zarendynastie, der Romanows, das mit unbarmherziger Grausamkeit die Bestrebungen nationaler Minderheiten oder Bevölkerungsgruppen nach elementaren demokratischen Rechten unterdrückte. Deshalb wurde das Imperium der Romanows als "Gefängnis der Völker" bezeichnet.

Mit der Oktoberrevolution von 1917 wurde das föderative Prinzip durchgesetzt. Nach Ansicht der bolschewistischen Führer erforderten der unterschiedliche ökonomische Entwicklungsstand der Landesteile und das Fehlen eines einheitlichen nationalen Marktes eine föderalistische Staatsstruktur. Sie verfolgten eine konsequent demokratische Politik und setzten darauf, dass die schrittweise Entwicklung der Wirtschaft mit sozialistischen Mitteln die materielle Grundlage für die Überwindung der Schwierigkeiten und Widersprüche des inneren administrativen Aufbaus schaffen werde.

Doch der wachsende Einfluss des Stalinismus führte sehr bald zur Rückkehr zu den alten Formen der zentralisierten, bürokratischen staatlichen Leitung. Schon im Jahre 1922, während der Vorbereitungen der ersten Verfassung der UdSSR, wurde Lenin von Stalin wütend angegriffen und "national-liberaler Neigungen" beschuldigt. Im Endergebnis wurde unter Stalin ein System geschaffen, das die demokratischen Rechte der Bürger unbarmherzig ignorierte und alles nur einem Ziel unterordnete - der Erhaltung der Macht in den Händen einer privilegierten bürokratischen Kaste.

Die Reformen unter Jelzin berührten dieses unter Stalin entstandene System nur sehr oberflächlich. Jelzin stützte sich auf jene Teile der ehemaligen Nomenklatur, die ihre Privilegien bewahrten, indem sie sich in Privateigentümer verwandelten. Der "von oben" ermutigte regionale Separatismus führte Russland an den Rande des Zusammenbruchs.

Die Verbindungen zu den Regionen wurden noch zusätzlich durch die Integration der Sowjetwirtschaft in die Strukturen des Weltmarktes geschwächt. Die schwachen und schutzlosen regionalen Wirtschaften "entwichen in alle Richtungen" und gerieten in zunehmendem Maße in Abhängigkeit von unterschiedlichen Sektoren der Weltwirtschaft.

Der gegenwärtige Wandel in der Politik des Kreml ergibt sich so aus dem Kurs, der in den vergangenen zehn Jahren verfolgt wurde. Wie unter Jelzin werden auch jetzt die Interessen der neuen Schicht von Privateigentümern abgesichert. Um in einer neuen Etappe das selbe Ziel zu erreichen, greift Putin dabei zu Mitteln, die unter Jelzin offiziell diskreditiert und zurückgewiesen wurden.

Gouverneure stimmen dem Kreml zu

Bemerkenswert ist, dass Putins Pläne bei den Gouverneuren nicht auf Ablehnung gestoßen sind. Im Gegenteil, die Mehrheit von ihnen unterstützt den Kreml.

So erklärte beispielsweise der Gouverneur der Kemerower Region, Aman Tulejew: "Ich unterstütze das Vorgehen von Präsident Wladimir Putin. Meiner Meinung nach dient es der Stärkung der Staatsmacht. Eine gestaltlose Macht ist schließlich das Schlimmste."

Ein anderer bekannter Gouverneur, Dimitri Ajatzkow aus der Saratower Region, sagte: "Der Föderationsrat darf nicht zu einem Wirtschaftsrat werden, sondern soll sich mit der Gesetzgebung beschäftigen. Deshalb unterstütze ich die Initiativen von Präsident Wladimir Putin vollständig."

Er habe sich schon mehrfach für das Recht des Präsidenten ausgesprochen, gewählte Gouverneure in ihrem Amt zu bestätigen oder abzuberufen, erklärte Ajatzkow weiter, und sprach sich für einen Föderationsrat auf professioneller Grundlage aus. Die Oberhäupter der Regionen sollten hauptsächlich vor Ort arbeiten, da es während zwei- oder dreitägigen Kurzbesuchen in Moskau ohnehin kaum möglich sei, gesetzgeberische Arbeit zu leisten. Befürchtungen, dass der Präsident die neuen Machthebel in seinen Händen für politische Ziele benutzen werde, teile er nicht.

Was ist der Grund für diese Reaktion?

Entscheidend ist, dass sich die administrativen Veränderungen Putins nicht vorrangig gegen die Macht der Regionalfürsten richten und schon gar nicht auf eine Demokratisierung der staatlichen Leitung hinauslaufen. Ihr wirkliches Ziel besteht vielmehr darin, angesichts der wachsenden Unzufriedenheit der Arbeiterklasse "von innen" und des steigenden Drucks der internationalen Konzerne "von außen" die neue herrschende Schicht zu konsolidieren.

Durch den Aufbau einer zentralisierten, vertikalen Staatsstruktur bereitet sich das Regime auf eine effektive Beteiligung an den geopolitischen Schlachten mit den führenden Mächten der Erde, aber auch auf die unbarmherzige Unterdrückung der Rechte der Werktätigen im Inneren des Landes vor. Die Gouverneure können sich in dem neuen System "einrichten". Sie verlieren zwar einige ihrer Vollmachten auf föderaler Ebene, können diese Verluste aber durch zusätzliche Rechte und Möglichkeiten in ihren eigenen Regionen kompensieren.

Am besten wurde die Stimmung der Gouverneure vom Vertreter des Dagestanischen Staatsrates, Magomedali Magomedow, zum Ausdruck gebracht. Er erklärte sich bereit, die Republik vollständig dem Zentrum unterzuordnen, wenn ihm die vollständige Verfügungsgewalt im Innern des Territoriums zugesichert werde.

Außerdem soll ein Staatsrat gebildet werden, der vorwiegend aus den Gouverneuren besteht. Die regionalen Machthaber erhalten so selbst die Möglichkeit, Bestandteil eines "starken Staates" zu werden. Daher setzen sie den Initiativen des Kreml nichts entgegen.

Verstärkter Drucks auf Massenmedien

Ein weiteres Indiz für die zunehmend autoritäre Politik des Kreml ist der massive Angriff auf oppositionelle Medien, der Mitte Mai unternommen worden ist. Objekt dieses Angriffes war die Holding eines der früher mächtigsten russischen "Oligarchen", der Media-Most-Konzern Wladimir Gussinskys.

Am 11. Mai, nur drei Tage nach der feierlichen Amtseinführung Präsident Putins, durchsuchte der Geheimdienst in einer unerwarteten Aktion Büros von Tochterunternehmen der Media-Most-Gruppe. Bewaffnete, schwarz maskierte Einheiten besetzten einen ganzen Tag lang die Büros und beschlagnahmten eine Vielzahl von Dokumenten und sogar technische Geräte. Als formaler Grund dienten Vorwürfe des Geheimdienstes, die Holding begehe ungesetzliche Handlungen, indem sie eigene Mitarbeiter aber auch bekannte Politiker und Unternehmer des Landes beobachte, abhöre und Informationen über sie sammle.

Die politischen Inspiratoren der Aktion hinter der Kremlmauer machten keinen Hehl daraus, dass das die Antwort auf ähnliche Aktionen im vergangenen Jahr war. Damals waren - unter der Regierung von Putins Rivalen Jewgeni Primakow - die Büroräume von Boris Beresowskijs Medienimperium durchsucht worden. Die Bedeutung der jüngsten Aktion ist allerdings wesentlich schwerwiegender. Jetzt geht es weniger um den Kampf eines Oligarchenclans gegen einen anderen, als darum, dass der Kreml versucht, mit Einschüchterungen oppositionelle Medien unter seine Kontrolle zu bekommen.

Die Erinnerungen an die Geschichte des Journalisten Andrej Babitzkij von Radio Liberty sind noch allzu frisch. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren eingeleitet, weil er über die Ereignisse in Tschetschenien von einem Standpunkt berichtete, der der offiziellen Kremlpropaganda widersprach. Jetzt wird deutlich, dass das keine zufällige Episode war.

Außer Media-Most werden gegenwärtig der vom Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow kontrollierte Fernsehkanal TV-Zentr und eine Reihe ausländischer Medien von der Regierung unter Druck gesetzt. Die Regierung hat angekündigt, dass sie die Bedingungen für deren journalistische Arbeit auf dem Territorium Russlands ernsthaft verschärfen wolle.

Auch die Büroräume der Internetfirma "Senon N.S.P" sind von Geheimdienstbeamten durchsucht worden. Diese Firma ist mit rund 2000 Kundenwebsites einer der größten Internetprovider Russlands.

Laut offizieller Regierungspropaganda dienen die von der Regierung eingeleiteten Maßnahmen der Errichtung einer "Diktatur des Gesetzes". Dieser Begriff ist jedoch äußerst zweideutig. Es wird unterstellt, dass es um die Verwirklichung elementarer Ordnung, die Bändigung von Korruption und Kriminalität oder die Durchsetzung grundlegender demokratischer Rechte und Freiheiten für die einfachen Bürger gehe. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Deckmantel für eine Ordnung, die nur einem verschwindenden Prozentsatz der Gesellschaft dient, denjenigen, die sich in den letzten Jahren bereichern konnten.

Die Logik der kapitalistischen Reformen ist deutlich geworden. Die Illusionen, von denen sie einst begleitet wurden, verblassen. Je schneller das ins gesellschaftliche Bewusstsein eindringt, desto schneller können auch die Grundlagen erarbeitet werden, um das Land aus der gegenwärtigen Sackgasse zu holen.

Siehe auch:
Der privatisierte Präsident
(30. März 2000)
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