Marat / Sade am Berliner Ensemble

Seit seiner Erstaufführung 1964 ist Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspieltruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade (später Marat/Sade) zu einem festen Bestandteil des deutschen Theaterrepertoires geworden. Die gegenwärtig am Berliner Ensemble gezeigte Produktion ist dennoch ein historisches Ereignis, wurde seine Aufführung doch in diesem eng mit dem Namen Bertolt Brecht verbundenen Ostberliner Theater, das nach dessen Tod 1956 von seiner Witwe Helene Weigel geleitet wurde, seinerzeit mit der Begründung abgelehnt, es handle sich um ein "konterrevolutionäres" Stück.

Bevor ich zu dem Stück selbst und der Aufführung des Berliner Ensembles komme, ist es sicher angebracht, kurz auf Leben und Werk von Peter Weiss, einer der gedankenreichsten und herausforderndsten literarischen und künstlerischen Persönlichkeiten im Nachkriegseuropa einzugehen. In Deutschland wurde Weiss erstmals Anfang der sechziger Jahre bekannt.

Peter Weiss wurde am 8. November 1916 in der Nähe von Berlin geboren. Sein Vater war österreichisch-ungarisch-jüdischer Abstammung und besaß und leitete eine Textilfabrik. Seine Mutter war Schauspielerin, die auch unter dem bekannten österreichischen Theaterregisseur Max Reinhardt arbeitete. Peter Weiss´ Schulbesuch in Berlin wurde durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten abgebrochen, und die Familie musste emigrieren. Sie ging zunächst nach England und 1939 nach Schweden. Dieses Land wurde für den Rest seines Lebens für Peter Weiss zur Heimat.

Peter Weiss bewegte sich sein ganzes Leben lang in literarischen und künstlerischen Kreisen. Er erinnert sich an die ersten Aufführung der Stücke von Brecht und Weill Dreigroschenoper und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny im Jahr 1930 in Berlin. .Aber sein eigentliches Interesse in seiner Jugend galt der Malerei und der bildenden Kunst. Gegen den Wunsch seiner Eltern konzentrierte er seine ganze Energie auf die Malerei und organisierte 1936 in London seine erste Ausstellung. Er gab sein gesamtes Geld aus für die Miete von Kellerräumen, für die Ausstellung und den Druck von Flugblättern, um das Ereignis bekanntzumachen Er erzählte, dass er in Ermangelung von Stühlen mit seinem Freund während der Ausstellung, zu der niemand kam, auf dem Boden saß.

Weiss sah in den Surrealisten - Andre Breton, Salvador Dali und Max Ernst - seine künstlerischen Vorbilder. Es gibt allerdings keine Anzeichen dafür, dass er auch deren politischen Ansichten, beispielsweise denen Bretons zustimmte. Wie die führenden Surrealisten studierte er jedoch ernsthaft die Psychoanalyse und pflegte eine Freundschaft mit dem neoromantischen deutschen Schriftsteller Hermann Hesse, dessen Bücher er illustrierte.

In einem Brief an seinen langjährigen Freund Hesse beschrieb Weiss 1961 den Konflikt, der in seinem Schaffen immer wieder auftauchte und eine Spannung erzeugte, die sein ganzes künstlerisches Leben bestimmte. "Mich beschäftigt auch sehr viel diese Kunst, die erst zustande kommt, wenn die Vernunft, das rationale Denken ausgeschaltet ist. Ich habe selbst diesen Zwiespalt nicht gelöst: manchmal scheint mir, dass das Wesentliche im Dunkeln und Unbewussten liegt, doch dann ist mir wieder, als dürfe man heute nur äußerst bewusst arbeiten, als fordere die Zeitlage vom Schriftsteller, dass er sich nie in poetischen Dämmerungsbezirken verliere. In der Geisteskrankheit fällt dieser Zwang ja weg, und da darf man allen Verstiegenheiten und wilden Einfällen nachgeben und braucht sich nicht mehr zu fragen, was sie bedeuten."

Seine ersten literarischen Versuche machte er in schwedischer Sprache, doch wandte er sich in den fünfziger Jahren zunächst dem Medium Film zu und produzierte eine Reihe experimenteller und Dokumentarfilme. Sein erstes literarisches Werk in deutscher Sprache Abschied von den Eltern schrieb er nach dem Tod seines Vaters und seiner Mutter. Von da an konzentrierte er sich auf das Schreiben (auf deutsch) und begann 1963 mit dem Entwurf des Dramas Marat/Sade, das in einem Irrenhaus spielt.

Im Nachhinein betrachtet ist es möglich festzustellen, dass mit Marat/Sade nicht nur ein künstlerischer Wendepunkt für Weiss eintrat, denn gleichzeitig wandte er sich mit diesem Werk erstmals politischen Themen zu. Während der sechziger Jahre rückte Weiss immer weiter nach links. Er nahm persönlich als Zuhörer am Aufschwitz-Prozess in Frankfurt teil. Das Material dieses Prozesses verarbeitete er dann in seinem Schauspiel Die Ermittlung. 1965 gab er seine 10 Arbeitspunkte eines Autors in der geteilten Welt heraus. Darin bekannte er sich öffentlich zur Sache des Sozialismus.

Und in einem Anhang zu den 10 Punkten rechnete Weiss scharf mit der großen Mehrheit der deutschen Schriftsteller ab. "Das Versäumnis der deutschen Autoren, vor allem derer, die den Krieg mitgemacht haben, dass sie nicht stärker aufgetreten sind gegen das Vergessenwollen, dass sie nicht alles getan haben, und noch tun, gegen den Militarismus und Nationalismus - (...) die deutschen Autoren, wie auch die meisten Autoren der übrigen Länder, bilden nicht einen Vortrupp, sondern eine Nachhut, in der sie versuchen, ‘humanistische Werte' lebendig zu halten gegenüber der harten Tagespolitik."

Entsetzt über die amerikanischen Grausamkeiten in Vietnam schrieb er seine Notizen zum kulturellen Leben der demokratischen Republik Vietnam. Er verurteilte in Amerika und Europa auf öffentlichen Versammlungen und Treffen die Intervention der USA. Politisch näherte er sich immer mehr künstlerischen und literarischen Kreisen in den stalinistisch beherrschten Ländern Osteuropas an, die die Gelegenheit ergriffen, den oppositionellen, aber anerkannten Schriftsteller als Instrument ihrer eigenen Propaganda zu benutzen.

Je mehr er sich aber diesen Kreisen annäherte, desto kritischer wurde Weiss gegenüber der stalinistischen Politik. 1968 kritisierte er offen den sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei und protestierte 1974 scharf gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR. 1968 gehörte Weiss kurze Zeit einer Gruppe an, die sich von der schwedischen Kommunistischen Partei abgespalten hatte.

1970, als die stalinistischen Regime in Russland und ganz Osteuropa die Feiern zum hundertsten Geburtstag Lenins vorbereiteten, vollendete Weiss seine eigene Huldigung an Lenin und die Oktoberrevolution - ein neues Stück mit dem Titel Trotzki im Exil. Die Szenen setzen sich in ihrer Abfolge mit den Meilensteinen im Leben Trotzkis auseinander. Sicher ist es möglich, die eine oder andere politische Position in Frage zu stellen, die Weiss Trotzki zuschreibt. (Zur Vorbereitung seines Stücks hatte er Diskussionen mit dem Trotzkibiographen Isaac Deutscher und mit Ernest Mandel geführt). Aber er bemüht sich mit Nachdruck, in diesem Stück alle stalinistischen Fälschungen richtig zu stellen und Trotzkis tatsächliche Rolle als Führer der Russischen Revolution an der Seite Lenins und als prinzipieller Marxist und Gegner der stalinistischen Degeneration der Sowjetunion zurechtzurücken.

Genau so interessant an dem Stück Trotzki im Exil ist Weiss´ Anerkennung der entscheidenden Rolle, die die Kultur bei der Einschätzung der Revolution spielt und von Trotzkis eigener historischer Bedeutung in diesem Zusammenhang. Weiss hat Trozkis Schrift Literatur und Revolution gelesen und widmet eine Szene seines Stücks einer Diskussion zwischen Lenin, Trotzki und Führern der Dada-Bewegung. Es ist bekannt, dass Lenin sich mit politischen Gesinnungsgenossen im gleichen Café traf wie Tristan Tzara, Richard Hülsenbeck und andere führende Dada-Persönlichkeiten. Weiss nimmt sich die kleine künstlerische Freiheit und bringt diese Personen in einer Diskussion über die Aussichten der Kunst in der nachrevolutionären Sowjetunion zusammen. In einer späteren Szene lässt Weiss sein altes Vorbild Breton in einer Diskussion mit Trotzki und Diego Rivera in Mexiko auftreten.

In seinen Notizbüchern 1971-1980macht Weiss seine eigenen Ansichten zu der Beziehung zwischen Kunst und Politik deutlich: "Kunst ist nie Waffe im Sinn der konkreten politischen Aktion. Sie vermittelt nur Aktivität, sie teilt uns Eigenschaften mit, die wir selbst in uns verspüren müssen. Wir sind es, die bei unsrer Annäherung die im Kunstwerk gebannten Kräfte befreien. Ohne unsre Aufnahmefähigkeit, unsre eigene Gedankentätigkeit verbleibt das Werk machtlos. Doch mit unsrer Wachheit übertragen wir die gebundene Vision in tatsächlich spürbare Handlungen."

Als das Stück erstmals in Westdeutschland aufgeführt wurde, spuckte die stalinistische Kulturmaschinerie selbstverständlich Gift und Galle. Weiss´ russsischer Übersetzer Lew Ginsburg führte die Offensive an und zitierte begeistert die Kommentare, die Weiss nach der Premiere entgegengeschleudert wurden wie zum Beispiel: "Gib uns Lenin, aber nicht Trotzki, du Hundesohn!" Ginsburg fuhr fort, Weiss anzuklagen, er habe die Geschichte manipuliert, die Oktoberrevolution verfälscht und den kapitalistischen Gegnern der Sowjetunion in die Hände gespielt.

Weiss Antwort an Ginsburg ist geradezu einzigartig für einen westlichen Künstler und Intellektuellen der Nachkriegszeit. Sorgfältig weist er jede stalinistische Verleumdung Ginsburgs zurück und dokumentiert äußerst genau die wirkliche Rolle, die Trotzki und die Linke Opposition in der Sowjetunion gespielt haben. Dennoch war Weiss politisch und auch körperlich erschüttert durch die heftige Reaktion auf sein Trotzkistück.

Zu seinen allerletzten Werken gehört die monumentale Ästhetik des Widerstands, ein dreiteiliger Roman, in dem er versucht, große politische und künstlerische Probleme zu lösen. Dieses während eines Zeitraums von zehn Jahren geschriebene faszinierende Werk stellt den Höhepunkt von Weiss Bemühungen dar, im Licht der konkreten Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts das Gemeinsame zwischen Gesellschaft, Politik und Kunst zu erfassen.

Um auf Marat/Sade zurückzukommen - Weiss´ Schauspiel im Schauspiel verknüpft historische Fakten mit dramatischer Fantasie. Die Handlung spielt Anfang des 19. Jahrhunderts im Irrenhaus von Charenton, das von Abbé Coulmier geleitet wird. Der berühmteste Patient dieses Irrenhauses ist der Marquis de Sade (einer der Lieblingsautoren der französischen Surrealisten). Er war von der aufstrebenden französischen Bourgeoisie unter Napoleon eingesperrt worden, weil er "die öffentliche Moral" gefährdet habe. Zunächst war er zu Gefängnis verurteilt worden, verbrachte aber dann seine letzten Lebensjahre (1801 bis 1814) zusammen mit anderen politischen Gefangenen und wirklich Geisteskranken im Gewahrsam in Charenton.

Als Bestandteil seiner Therapie erlaubte Coulmier seinen Patienten, Dramen aufzuführen, die de Sade geschrieben hatte und inszenierte. Mit der Zeit wurden diese Schauspiele zu einer Quelle der Unterhaltung und des Amüsements der neuen führenden gesellschaftlichen Kreise Frankreichs, die aus Paris anreisten, um den Aufführungen beizuwohnen. Der Autor Weiss tritt beiseite und erlaubt de Sade als Autor eines Stücks aufzutreten, das einem der Führer der Französischen Revolution gewidmet ist, Jean Paul Marat, der 1793 von der jungen Royalistin Charlotte Corday in seiner Badewanne ermordet wurde. Marat war Journalist, Mitglied des Cordeliers Clubs und weithin bis zu seiner Ermordung angesehen als das radikale Gewissen der Revolution.

Gleichzeitig war 1793 die Entwicklung der Revolution selbst in ein entscheidendes Stadium eingetreten. Um die Invasion aus dem Ausland abzuwehren, war die Bourgeoisie erneut gezwungen, die breiten Massen zu mobilisieren, die Hunger litten und von Unzufriedenheit erfasst waren. Zunehmend erhoben sich radikale Forderungen. Eine neue und blutigere Phase der Revolution hatte begonnen.

Die gesamte Handlung des Stücks spielt innerhalb der Mauern des Irrenhauses. Sade hat die Rollen der verschiedenen Persönlichkeiten der Französischen Revolution den teilweise unberechenbaren, teilweise außer sich geratenden Anstaltsinsassen zugewiesen. Von der Seite her interveniert der Irrenhausdirektor gelegentlich, um Exzesse von seiten der Patienten/Schauspieler abzublocken. Formal macht das Stück starke Anleihen beim absurden Theater Antonin Artauds, das den "Verfremdungseffekt" des Brechtschen Theaters übertrieb und das Groteske bis zu einer Ebene des Unlogischen steigerte. Der Schluss von Marat/Sade ist von Anfang an klar und wohlbekannt - Corday ermordet Marat. Nach den Vorgaben des absurden Theaters hat Weiss/Sade aber eine Menge Freiheit, um die Handlung zu diesem Schluss hinzuführen.

In seinen Anmerkungen zu diesem Stück deutet Weiss an, dass Marat unter einem Anflug von Verfolgungswahn litt. Hauptsächlich aber wird er von einer quälenden Hautkrankheit geplagt, die ihn dazu verurteilt, während der gesamten Länge des Stücks in der Badewanne im Wasser zu sitzen. "O dieses Jucken, dieses Jucken ist nicht zu ertragen", beklagt er sich, wenn ihm seine Mitinsassin mit frischen nassen Tüchern um den Kopf Linderung verschafft. Im Berliner Ensemble wird Marat von dem hoch talentierten Martin Wuttke gespielt. Aber Marat wird hier nicht nur vollkommen machtlos seinen körperlichen Qualen überlassen, sondern der Regisseur Philip Tiedemann hat der Liste von Marats Leiden auch noch eine Art Persönlichkeitsspaltung hinzugefügt. In seiner Ansprache an die Massen gegen Ende des Stücks ist Marat beides Volkstribun und Bewunderer des Volks. Auf der anderen Seite hat sich Sade (irgendwie einfallslos gespielt von Thomas Thieme) offensichtlich vollständig unter Kontrolle. Mit den Worten der Polemik des Stücks ausgedrückt, könnte man sagen: die Waagschale neigt sich zugunsten de Sades.

In der Tat bezieht das Stück von Weiss seine Stärke aus dem Dialog zwischen dem Freigeist und Individualisten de Sade und dem überzeugten Revolutionär Marat. Und gerade hier liegt die Schwäche dieser jüngsten Aufführung am Berliner Ensemble. Tiedemann hat das Manuskript von Weiss wild zusammengestrichen. Große Teile des Textes sind herausgekürzt, so beispielsweise der Wortwechsel zwischen Sade und Marat etwa im zweiten Drittel des Stücks, in dem die Meinungsverschiedenheiten der beiden Männer zusammengefasst sind (1):

Sade Ich pfeife auf diese Bewegungen von Massen die im Kreis laufen ... Ich pfeife auf alle guten Absichten die sich nur in Sackgassen verlieren ich pfeife auf alle Opfer die für irgendeine Sache gebracht werden Ich glaube nur an mich selbst

Marat Ich glaube nur an die Sache die du verrätst Wir haben ein Gesindel gestürzt das fett über uns thronte viele haben wir unschädlich gemacht viele sind entkommen doch viele von denen die mit uns begannen liebäugeln wieder mit dem alten Glanz und es zeigt sich dass es in der Revolution um die Interessen von Händlern und Krämern ging Die Bourgeoisie eine neue siegreiche Klasse und darunter der Vierte Stand wie immer zu kurz gekommen

Und dann gegen Ende des Stücks reflektiert de Sade über die Bedeutung der "antithetischen Dialoge" zwischen Marat und ihm selbst. Gleichzeitig macht er deutlich, weshalb er sich zunächst zur Revolution bekannt hatte, aber verstimmt rasch seine Zuflucht zu bitterer Opposition nahm.

Es war unsere Absicht in den Dialogen Antithesen auszuproben und diese immer wieder gegeneinander zu stellen um die ständigen Zweifel zu erhellen Jedoch finde ich wie ichs auch dreh und wende in unserm Drama zu keinem Ende Ich war selbst ein Fürsprecher der Gewalt doch im Gespräch mit Marat sah ich bald dass meine Gewalt eine andre war als seine und dass ich seinen Weg verneine Einerseits der Drang mit Beilen und Messern die Welt zu verändern und zu verbessern andererseits das individuelle System kraft seiner eigenen Gedanken unterzugehn So sehn Sie mich in der gegenwärtigen Lage immer noch vor einer offenen Frage

Dieser Abschnitt ist zusammen mit anderen Textteilen herausredigiert worden. In der Tat, am Ende des Stücks wird nicht Partei für eine der beiden Seiten ergriffen. Es ist immer noch "eine offene Frage". Das letzte Wort ist Marats früherer Freund, dem radikalen ehemaligen Mönch Roux überlassen: "Erhebt euch lernt zu sehen lernt ein Urteil zu formen".

Bei der Premiere des Stücks in Westdeutschland 1964 lief die allgemeine Interpretation darauf hinaus, dass der Sieg in dem Konflikt de Sade gehöre. Bei der ostdeutschen Premiere im Rostocker Theater fiel die Entscheidung zugunsten Marats aus. Weiss selbst erklärte seine Vorliebe für die ostdeutsche mehr "analytische" Interpretation (die er auch derjenigen von Peter Brook in London vorzog).

Philip Tiedemanns Version dagegen ist durch und durch ängstlich. Es gibt viel Spektakel und Gesang, Lärm und Wut auf der Bühne, aber der Inszenierung fehlt der harte Zusammenstoß unversöhnlicher Positionen. Ein soziales Gewissen und die Befürwortung einer Revolution gegen schrankenlosen Individualismus und Anbetung des Genusses ... (und Resignation) - ist eine derartige Polemik heute so unmodern? Ist Weiss´ Stoff so vollkommen veraltet? Es ist zwar schon ein kleiner Sieg, dass das Stück überhaupt am Berliner Ensemble aufgeführt wurde, aber die gegenwärtige Inszenierung lässt viel zu wünschen übrig. Schließlich schrieb Weiss in sein Notizbuch "Kultur ist: zu wagen. Lesen zu wagen, zu wagen, an eine eigne Ansicht zu glauben, sich zu äußern wagen".

***

1) Die Zitate stammen aus dem Programmheft, das die gestrichenen Textstellen als solche anführt. Das Programmheft wiederum basiert auf der vom Autor redigierten Fassung des Stücks von 1965, veröffentlicht in: Peter Weiss, Werke in sechs Bänden, Frankfurt / Main 1991.

Siehe auch:
Die Brecht-Akte
(2. Februar 2000)
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