UN-Bericht über Aids zeichnet ein Bild der Verwüstung - Teil 2

Der Bericht der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über Aids zeichnet ein Bild der Verwüstung in Afrika und warnt vor einer Katastrophe in vielen anderen Regionen der Welt, aber einen Ausweg aus dieser wütenden Epidemie zeigt er nicht auf.

Der "Bericht - Über die weltweite HIV-Aids-Seuche - Juni 2000", der vergangene Woche in Vorbereitung auf den 13. Welt-Aids-Kongress in Südafrika herausgegeben wurde, sollte das Ausmaß der weltweiten Epidemie aufzeigen und den Tenor für die Konferenz angeben.

Dieser Artikel, der zweite von zwei Teilen über den UN/WHO-Bericht, setzt sich mit der Krise im Gesundheitswesen und den Lösungsvorschlägen auseinander, die von der UN, bzw. der WHO gemacht werden. Der erste Artikel befasste sich mit dem Ausmaß der Zerstörung, welche durch Aids vor allem in Afrika, aber auch in andern Regionen verursacht wird.

Was diesen zweiten Aspekt des Berichts angeht, so beschleicht den Leser das unheimliche Gefühl, dass diejenigen, die ihn verfasst haben, selbst die Abschnitte über das Ausmaß der Epidemie kaum gelesen haben können. Auch wenn die Vorschläge der UN, bzw. der WHO vollständig umgesetzt würden, könnten sie die Infektion und das Sterben von Millionen Menschen Jahr für Jahr nicht aufhalten. Eine Prüfung der Informationen, die von UN/WHO zur Verfügung gestellt werden, führt unvermeidlich zum Schluss, dass Aids nicht bloß eine Krise des Gesundheitswesens, sondern eine massive soziale Krise darstellt.

Der UN/WHO-Bericht über die Aids-Epidemie enthält einen schreienden Widerspruch: Die ersten Kapitel führen eine Fülle von Statistiken und andern Informationen an, die die katastrophalen Auswirkungen der Seuche auf das südliche Afrika dokumentieren und die wachsende Gefahr deutlich machen, dass sich ähnliche Verhältnisse auch in andern Regionen der Erde entwickeln könnten. Auf der Grundlage des Berichts wird klar, dass sich zur Zeit in einem großen Teil Afrikas ein Prozess der Entvölkerung abspielt, dem nichts gleichkommt, seitdem die Pest das mittelalterliche Europa zerstörte.

Eigentlich könnte man erwarten, dass die Autoren dieses Berichts unter dem Eindruck der Katastrophe, die sie schildern, die Weltgemeinschaft aufrufen würden, umfassende und weitreichende Maßnahmen zu ergreifen, um die Epidemie zu bekämpfen. Stattdessen schlägt der Bericht nur die minimalsten Maßnahmen vor, deren Unzulänglichkeit nur zu offensichtlich ist. Der Grund ist, dass UNO und WHO den mächtigsten kapitalistischen Nationen rechenschaftspflichtig sind und sich nicht trauen, die herrschenden Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen; ihre Unfähigkeit, eine ernstzunehmende Politik im Umgang mit einer menschlichen Krise von so historischen Ausmaßen vorzuschlagen, macht die gesellschaftlichen und politischen Dimensionen der Aids-Epidemie deutlich.

Es ist Bestandteil der Tragödie, dass die wissenschaftlichen und medizinischen Kenntnisse ja eigentlich vorhanden sind, um die Ausbreitung von HIV/Aids ganz erheblich einzuschränken und die bereits Infizierten wirkungsvoll zu behandeln. Eine ernsthafte, umfassende und international koordinierte Anstrengung zur Bekämpfung der Epidemie könnte Millionen Menschen das Leben retten.

Ein Aspekt des jüngsten UN/WHO-Berichts ist besonders bedeutsam. In früheren Berichten wies die UNO gewohnheitsmäßig auf die Ungleichheit zwischen den reichen und den armen Nationen hin und betonte die Verantwortung der reichen Nationen, Hilfe zu leisten. Aber heute, wo solche Hilfe eine beispiellose Dringlichkeit annimmt, enthält der Bericht keinen derartigen Appell. In Wirklichkeit enthält er nicht einmal den Vorschlag, die notwendigen Mittel in einer internationalen Anstrengung bereitzustellen, um einen Impfstoff gegen Aids zu entwickeln, ein Projekt, für das die großen Pharmakonzerne bisher aus Gründen des Kommerz‘ und des Profits nicht die nötigen Gelder zur Verfügung stellen wollten.

Stattdessen werden im UN/WHO-Bericht eine Reihe von Vorschlägen veröffentlicht, die im besten Fall, wenn sie vollständig zur Anwendung kämen, die Ausbreitung der Epidemie verzögern würden, während die Millionen bereits Infizierter zum sichern Tod verurteilt wären. Darüber hinaus wird im Bericht wiederholt nahegelegt, dass die eigentliche Verantwortung für den Umgang mit der Aids-Katastrophe bei den Ländern liegt, die am schlimmsten betroffen sind.

Der Leitende Direktor Peter Piot gibt den Tenor für den ganzen Bericht an, wenn er im Vorwort schreibt: "Obwohl die internationale politische, finanzielle und technische Unterstützung wichtig ist, muss für die Verminderung der Häufigkeit und die Abschwächung der Auswirkungen der Epidemie auf nationaler Ebene gesorgt werden."

Die Krise der Gesundheitsversorgung

Der Bericht beschränkt seine Vorschläge auf eine begrenzte Aufklärungskampagne, Untersuchungen und Schmerzbehandlungen für die Infizierten, d.h. auf das, was man für die am stärksten betroffenen Länder für erschwinglich hält. Dennoch übersteigen selbst diese Maßnahmen die Möglichkeiten vieler Länder.

Das Fehlen einer Gesundheitsversorgung, die mit der Aids-Krise umgehen könnte, hat wesentlich zum Ausmaß der Seuche in den Ländern der Sub-Sahara beigetragen. Staatlichen Gesundheitszentren und Krankenhäusern fehlt es an Personal und an Einrichtungen zur Diagnose von HIV und verwandten Erkrankungen. Es gibt keine Medikamente zur Behandlung von HIV-Aids, und Millionen Menschen fehlt es sogar an Medikamenten gegen Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten.

1997 ergab eine Untersuchung der UN, die an 22 Universitätskliniken in 19 afrikanischen und drei asiatischen Städten durchgeführt wurde, dass die Krankenhäuser zu wenig Diagnosegeräte und Medikamente für viele der Infektionskrankheiten haben, die häufig bei Aids-Patienten auftreten. Nicht einmal fünfzig Prozent der Patienten mit einer Kaposi-Geschwulst, einer Krebsart im Zusammenhang mit HIV, hatten die Chance auf eine vernünftige Diagnose und Behandlung. Nur jedes zweite Krankenhaus war mit Technologie und Medizin zur Behandlung von Atemwegserkrankungen ausgerüstet, und weniger als die Hälfte verfügten über starke Schmerzmittel. Aus dem Bericht geht hervor, dass dies die am besten ausgerüsteten Krankenhäuser mit dem meisten Personal waren. In den übrigen Krankenstationen ist die Situation noch viel schlimmer.

Infolge fehlender Medikamente wird Tuberkulose oft nicht behandelt. Vierzig Prozent der Aids-Patienten erkranken an offener Tuberkulose. In Sambia, wo die TB-Fälle von 1992 bis 1998 um 600 Prozent zugenommen haben, "ist angemessene Behandlung zunehmend problematisch geworden, weil den Krankenstationen die TB-Medikamente ausgingen."

Gleichzeitig behindert die Zunahme der Aids-Fälle die Behandlung anderer Krankheiten. In Ruanda werden über 66 Prozent des Gesundheitsbudgets für die Behandlung von Aids-Patienten ausgegeben, und in Simbabwe ein Viertel. Aids-Patienten beanspruchen vierzig Prozent der Betten im Kenyatta National Hospital in Nairobi, Kenia, und siebzig Prozent der Betten in Südafrika. Die Krankenhäuser von Kenia verzeichnen eine höhere Sterblichkeit von Nicht-Aids-Patienten, weil diese erst in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium aufgenommen werden.

Außerdem hat der Mangel an angemessener Diagnose und Behandlung von Aids zu einer unverhältnismäßig hohen Todesrate beim Pflegepersonal selbst geführt, was die Krankenbetreuung noch einmal verschlechtert. Von 1980 bis 1990 stiegen die Todesfälle unter dem Personal eines Krankenhauses in Sambia um das Dreizehnfache an, was vor allem auf die Immunschwächekrankheit zurückzuführen ist.

Im scharfen Gegensatz dazu ist die Todesrate in den hochindustrialisierten Ländern in Nordamerika und Europa stark rückläufig, obwohl Aids dort etwa zur selben Zeit wie in Afrika ausbrach. Das ist vor allem auf die Einführung einer bestimmten Medikamentenklasse vor fünf Jahren zurückzuführen, die als hochaktive Antiretroviral-Therapie bekannt ist. Diese Medikamente haben Aids zwar nicht besiegt, den HIV-Blutzoll jedoch entscheidend vermindert.

In Kanada sind die Aids-Toten von 1995 bis 1999 um mehr als das Siebenfache zurückgegangen. In den Vereinigten Staaten ist die Aids-Todesrate um mehr als die Hälfte verringert worden. Sie ist besonders bei denjenigen abgesunken, die Zugang zur hochaktiven Antiretroviral-Therapie hatten, während sie für diejenigen ohne diese Möglichkeit noch angestiegen ist.

Die Kosten dieser Medikamente haben sie für Millionen HIV-infizierter Menschen in der Sub-Sahara und andern Weltregionen unerschwinglich gemacht. Die durchschnittlichen Kosten für den Cocktail aus drei Medikamenten belaufen sich auf 17.000 Dollar pro Jahr (ca. 35.000 Mark), nicht zu reden vom sehr hohen Niveau der Gesundheitsfürsorge, das für ihre fachgerechte Verabreichung und die Behandlung von Nebenwirkungen erforderlich ist. In vielen Ländern würden die Kosten für die Anschaffung der Antiretroviral-Medikamente zu den aktuellen Preisen mehr als das gesamte Bruttosozialprodukt verschlingen.

Außerdem haben Pharmakonzerne und die US-Regierung bestimmte Länder daran gehindert, eigene Formen dieser Medikamente zu produzieren. Als 1997 Südafrika ein Gesetz zur Zwangslizenzierung dieser Medikamente verabschiedete, reichten dreißig Pharmakonzerne in Südafrika, Europa und den USA Klage ein, und die Clinton-Regierung drohte mit Handelssanktionen. Der Rechtsstreit wurde erst zu Beginn diesen Jahres beigelegt, als die AZT-Hersteller zustimmten, den Preis um 85 Prozent zu reduzieren. In dieser Zeit stieg die Infiziertenrate von zwölf auf zwanzig Prozent. Im übrigen sub-saharischen Afrika ist eine preiswerte Antiretroviral-Therapie nur im Zusammenhang mit ganz wenigen örtlichen Versuchsreihen zu bekommen.

Drei Niveaus der Gesundheitsversorgung

In dem Bericht werden drei Versorgungsebnen vorgeschlagen: das Grundpaket, das mittlere und das umfassende Paket. Der Bericht schlägt vor, jedes Land solle das Paket wählen, das es sich leisten könne. Nur das umfassende Paket beinhaltet die dreifach Antiretroviral-Therapie, die sich in den letzten Jahren in Nordamerika und Europa als effektive Methode erwiesen hat, die Todesrate zu verringern.

Die Grundversorgung und das begleitende Paket sind beschränkt auf:

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freiwillige HIV-Beratung und -Test

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psychologische Unterstützung für HIV-positive Menschen und ihre Familien

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lindernde Behandlung (d.h. Behandlung ohne Heilung) von Lungenentzündung, Mundsoor und Lungentuberkulose

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Vorbeugung gegen Infektionen mit Cotrimoxazole Prophylaxe für HIV-Positive mit Symptomen.

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Offizielle Anerkennung und Unterstützung für kommunale Aktivitäten, die die Auswirkungen von HIV-Infektionen reduzieren.

Selbst wenn diese Maßnahmen im sub-saharischen Afrika in vollem Umfang verwirklicht würden - was schon ein großer Fortschritt wäre, weil die meisten Länder sie sich bisher nicht leisten konnten - würden sie bestenfalls Neuinfektionen reduzieren, aber wären nicht einmal ein Versuch, das Leben von Millionen schon HIV-Infizierter zu retten.

Eine intensive Präventionskampagne hat in Uganda die Steigerungsrate von ihrem Höhepunkt von 14 Prozent auf jetzt acht Prozent reduziert. Auch in Sambia gibt es Anzeichen, dass die Steigerungsrate ihren Höhepunkt überschritten haben könnte und die Aufklärungskampagne Wirkung zeigt.

Natürlich sind solche Programme notwendige Komponenten einer wirksamen Strategie gegen Aids, aber sie stützen sich in erster Linie auf Furcht. In dem Bericht wird eingestanden, dass der Rückgang der Steigerungsraten vor allem daher kommt, dass eine Generation junger Menschen herangewachsen ist, die sieht, was Aids ihren Eltern oder ihren älteren Geschwistern angetan hat, und entschieden hat, länger sexuell enthaltsam zu leben.

Auch sieht das Grundpaket keinerlei Behandlung HIV infizierter schwangerer Frauen vor, um die Übertragung des Virus auf das neugeborene Kind zu verhindern. Letztes Jahr sind in Afrika mehr als eine halbe Million Kinder mit HIV infiziert worden, der allergrößte Teil davon von ihren Müttern, und sie werden sterben, bevor sie ein jugendliches Alter erreichen.

Mehrere Jahre lang hat sich eine Behandlung schwangerer Mütter mit AZT in Verbindung mit einer Kaiserschnitt-Geburt und Flaschenfütterung als höchst effektiv bei der Verhinderung der HIV-Übertragung von der Mutter aufs Kind erwiesen. Ein solches Programm kostet 1.000 Dollar im Monat, was die Möglichkeiten der meisten sub-saharischen Länder bei weitem übersteigt. Außerdem haben Mütter in dieser Region überhaupt keinen Zugang zu Milchpulver oder sauberem Trinkwasser, mit dem es angesetzt werden könnte.

Erst im letzten Teil des UN/WHO-Berichts wird die Frage der Kosten von Medikamenten und Behandlung überhaupt angesprochen. Auf Seite 81 des 103 Seiten starken Berichts heißt es in einem Satz:

"Die hohen Kosten der Antiretroviral-Medikamente und die hochentwickelten medizinischen Instrumente, die für eine Verfolgung des Genesungsprozesses der Patienten und zur Überwachung von Nebenwirkungen notwendig sind, sind bisher in den Entwicklungsländern ein entscheidendes Hindernis für den Zugang der großen Mehrheit der HIV-infizierten Menschen zu dieser Behandlung gewesen."

Eine Studie des Londoner Aids-Programms Panos besagt, dass es zu heutigen Preisen im Jahr sechzig Milliarden Dollar kosten würde, die weltweit zwölf Millionen HIV-Infizierten mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten zu behandeln. Allein in Sambia würden die Kosten auf 2,7 Milliarden Dollar im Jahr ansteigen; das wären 76 Prozent des Bruttosozialprodukts dieses Landes.

Die Vorschläge in dem Bericht konzentrieren sich darauf, dass die Länder mit den großen Pharmaproduzenten Preisnachlässe aushandeln und über Schuldenerlasse verhandeln sollten und setzen damit das Thema fort, dass Lösungen der Krise vor Ort gefunden werden müssen. Es werden mehrere Beispiele zitiert, in denen Länder für bestimmte Versuchsreihen Preissenkungen bei den Medikamenten erreichen konnten. So konnte zum Beispiel Uganda die tägliche AZT-Dosis für 4,34 Dollar erhalten, statt der 10,12 Dollar, die sie in den USA kostet. Aber selbst zu den reduzierten Preisen bleibt das Medikament für die große Mehrheit der an Aids erkrankten Menschen außer Reichweite.

Der Panos-Bericht schätzt, dass die Arzneimittelpreise um 95 Prozent gesenkt werden müssten, damit die große Mehrheit der Infizierten sie sich leisten könnten.

Siehe auch:
UN-Bericht über Aids zeichnet ein Bild der Verwüstung - Teil 1
(21. Juli 2000)