Celler Stadtrat baut Mauer um Flüchtlingswohnheim

Der Unterschied von Wort und Tat

In der niedersächsischen Stadt Celle soll ein Flüchtlingswohnheim mit einer 1,80 Meter hohen Mauer umgeben und damit praktisch in ein Ghetto verwandelt werden. Der Rat hat dies bereits im Februar des Jahres beschlossen.

In der 74.000 Einwohner zählenden Stadt in der südlichen Lüneburger Heide sind neben der CDU - die mit Martin Biermann den Oberbürgermeister stellt - auch die SPD, die Grünen, eine Wählergemeinschaft (WG) und die rechtsradikalen Republikaner im Rat vertreten. Die Entscheidung zum Bau der Mauer wurde von allen Parteien getragen und fiel einstimmig.

Von der Ratsmaßnahme wären zur Zeit 48 Flüchtlinge betroffen, die in dem Heim untergebracht sind. Sie waren in der Vergangenheit bereits des öfteren polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt. Die Einsätze waren durch Verdächtigungen der Nachbarschaft begründet worden, das Heim wäre ein Drogenumschlagplatz. Jedoch konnte die Polizei keine Beweise für den Handel mit Rauschgift finden. In den Augen der lokalen Politiker konnte es trotzdem keine Zweifel am kriminellen Charakter der Heimbewohner geben, wenn "Nachbarn sich bedroht fühlen", einige Heimbewohner "teure Kleidung tragen" und man sowieso von einem "latent kriminellen Potential" sprechen könne, wie dies Myriam Meißner, Sprecherin der Stadt Celle, tut.

Durch die Mauer, die eine Ein- und Ausgangskontrolle ermöglichen soll, wird die Polizei in die Lage versetzt, "da mal sachlich fundiert aktiv zu werden" - wie die Ratsfraktionsvorsitzende der CDU Astrid Peters betont.

Für die Bewohner des Heims bedeutet die Ghettoisierung den Verlust von elementaren Rechten. Die Freiheit, unkontrolliert ihr vorübergehendes Zuhause zu betreten oder zu verlassen, besteht nicht mehr, ebenso wenig wie das Recht, Freunde und Bekannte dort zu treffen, denn Besucher sollen das Heim nicht mehr betreten dürfen. Die Vorverurteilung durch die lokale Politik bedeutet gleichzeitig auch einen Freibrief an Rechtsradikale, ihren dumpfen und bestialischen Fremdenhass an den Bewohnern des Celler Flüchtlingsheims auszulassen.

Die Stadt Celle hat sich bereits früher durch Sympathien für Rechtsradikale einen Namen gemacht. Als vor einem Jahr zwei betrunkene Skinheads einen 44-jährigen Mann, der sie wegen fremdenfeindlichen Äußerungen kritisiert hatte, bestialisch zu Tode traten, verkündete die Polizei, dies sei "keine politische Tat". Die Täter, so Polizeisprecher Joachim Lindenberg, seien lediglich "einfältige Jungs, die nicht wissen was sie tun". Und als kürzlich Neonazis in der Celler Innenstadt einen antifaschistischen Stand demolierten, schritt die Polizei erst nachträglich ein, obwohl sie vorher von den Rechten selbst mit den Worten: "Entweder ihr räumt den Stand ab oder wir", telefonisch gewarnt worden war.

Die unheilvolle Allianz, mit der nun alle Parteien - von den Rechtsradikalen über die sogenannten Volksparteien bis hin zu den Grünen - dem Bau der Ghettomauer zugestimmt haben, kennzeichnet eine neue Stufe der offiziell geschürten, fremdenfeindlichen Stimmung. Die Forderung der Grünen nach einer Sondersitzung des Stadtrats zum Thema Rechtsradikalismus erweist sich angesichts dieser Entscheidung als reine Heuchelei. Wer selbst eine Politik des Wegsperrens Fremder hinter Ghettomauern macht, der betreibt rechte Politik und bekämpft sie nicht.

Wie tief die Fremdenfeindlichkeit in der Politik verankert ist, wird auch daran deutlich, dass der Oberbürgermeister der Stadt den Vorwurf mangelnden Problembewusstseins als "völlig absurd" zurückweist. "Wir haben in Celle einen Präventionstreff gegründet und führen gesonderte Stadtteil-Maßnahmen durch. Mehr können wir nicht tun," sagte er.

Dabei hat Europa bereits vor kurzer Zeit ähnliches erleben müssen, als in der tschechischen Stadt Usti nad Labem eine Mauer um zwei Wohnblöcke gezogen wurde, die von Roma- Familien bewohnt wurden, um der Anwohnerschaft deren Anblick zu "ersparen". Weit über die tschechischen Grenzen hinaus wurde dieses "Ghetto für Roma" als Diskriminierung und Nichtbeachtung demokratischen Grundprinzipien und Menschenrechte verurteilt.

Siehe auch:
Staatlicher Rassismus in Tschechien
(10. November 1999)
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