ETA verstärkt den Terror

Die baskische Seperatistenorganisation ETA (Euskadi Ta Askatasuna - Baskenland und Freiheit) hat ihre terroristische Aktivität in ganz Spanien enorm verstärkt.

Seit der Aufkündigung eines Waffenstillstands vor gut neun Monaten hat ETA bei zahlreichen Terroranschlägen neun Menschen umgebracht und etliche verletzt. Zu den Opfern gehörten Angehörige des Militärs, der Guardia Civil, ein Journalist der konservativen Tageszeitung El Mundo, Kommunalpolitiker der regierenden Volkspartei (PP), der ehemalige sozialistische Präfekt der baskischen Provinz Guipuzcoa, Ramon Jauregui, und der Präsident des Arbeitgeberverbandes Guipuzcoas, Korda Uranga.

Am 7. August wurden in Bilbao vier mutmaßliche Mitglieder der ETA getötet, als sich der in ihrem Wagen befindliche Sprengstoff entzündete. Einer von ihnen war der Kopf des sogenannten "Kommandos Vizcaya", Francisco Rementeria.

ETA hatte ihre Terrorstrategie wieder aufgenommen, nachdem sie Ende letzten Jahres einen 14-monatigen Waffenstillstand aufgekündigt hatte. Während dieser Zeit hatte die Organisation versucht, mit der Regierung Aznar über eine Ausweitung der Autonomie für das Baskenland zu verhandeln und gleichzeitig ihr eigenes politisches Gewicht innerhalb des baskischen bürgerlichen Lagers zu stärken.

Es kam allerdings nur zu einigen wenigen Verhandlungsrunden. Aznar war lediglich bereit, über die Verlegung einiger ETA-Häftlinge in baskische Gefängnisse sowie über die Entwaffnung der Organisation zu sprechen. Die Regierung wollte der ETA unter keinen Umständen einen größeren politischen Einfluss auf die baskische Politik zugestehen, von der Maximalforderung nach der staatlichen Unabhängigkeit und Einheit aller baskischen Provinzen, einschließlich der drei französischen, ganz zu schweigen.

Aznar ließ im Gegenteil nie Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen, die baskische Frage mit Polizeimethoden lösen zu wollen, und verstärkte die Hatz auf die Mitglieder der ETA während dieser Zeit noch. Nachdem die ETA offensichtlich die Zeit des Waffenstillstandes dazu genutzt hatte, die eigene Logistik und den Nachschub an Sprengmaterial und Waffen zu organisieren, war es nur eine Frage der Zeit, wann die Gewalt wieder eskalieren würde.

Der selbstverschuldete Tod der vier ETA-Mitglieder in Bilbao veranschaulicht geradezu plastisch die politische Sackgasse, in die sich die ETA begeben hat.

ETA wurde am 31. Juli 1959 von einigen baskischen Studenten und Intellektuellen gegründet. Sie ging aus der Studentenorganisation EKIN (Handeln) hervor. Die Gründung der ETA war eine Reaktion auf die Politik der traditionellen baskischen nationalistischen Partei (PNV), die die Interessen der wohlhabenden baskischen Bourgeoisie im Einvernehmen mit der faschistischen Franco-Diktatur wahrzunehmen versuchte. Trotz der politischen, ökonomischen und kulturellen Unterdrückung alles Baskischen durch Franco waren die sozialen Interessen der baskischen Bourgeoisie eng mit jenen der spanischen verbunden. Die in den 50er und 60er Jahren florierende Schwerindustrie in den Zentren um Bilbao und San Sebastian hatte ihren traditionellen Absatzmarkt in Spanien. Und es kam zu einer massenhaften Einwanderung von Arbeitern aus Kastilien, Extremadura und Andalusien, die für Niedriglöhne in den Industrierevieren des Baskenlandes arbeiteten.

ETA hatte in den 60er Jahren beträchtlichen Zulauf aus den Mittel- und Unterschichten der baskischen Gesellschaft. Zahlreiche Studenten, kleine Bauern, Fischer und Kleinunternehmer wandten sich der ETA zu, da die Orientierung des PNV auf die baskische Finanz- und Wirtschaftsoligarchie ihren eigenen sozialen Interessen nicht mehr entsprach. Zudem bewirkte die ständig zunehmende politische und kulturelle Repression der Diktatur, dass die ETA in breiten Teilen der Bevölkerung, vor allem in den ländlichen Gebieten Vizcayas und Guipuzcoas, Rückhalt fand.

Nach Francos Tod und mit dem "Übergang zur Demokratie", der transicion, wurde am 19. Juli 1979 das sogenannte Statut von Guernica verabschiedet, welches dem Baskenland relativ weitreichende Autonomierechte einräumte. So gestand die damalige Regierung des Sozialisten Felipe Gonzalez den Basken ein eigenes Parlament, ein regionales Polizei- und Justizwesen und eine weitgehende Finanzautonomie zu. Zudem war jetzt die baskische Sprache (das Euskera), welche unter Franco verboten war, dem Spanischen gleichberechtigt. In einer zusätzlichen Klausel wurde dem "baskischen Volk" im Rahmen der spanischen Verfassung die Rückforderung weiterer "historischer Rechte" eingeräumt.

Obwohl die Verfassung aus dem Jahre 1978 eine Unabhängigkeit des Baskenlandes ausdrücklich nicht vorsieht, wird diese Klausel von den Nationalisten einschließlich der PNV dahingehend interpretiert, dass das oberste politische Ziel die vollständige staatliche Unabhängigkeit des Baskenlandes sein müsse. Vor diesem Hintergrund setzte ETA ihre Strategie des individuellen Terrors auch während der Zeit der transicion fort.

Die sozialistische Regierung unter Felipe Gonzalez antwortete ihrerseits mit einer Aufrüstung des Polizeiapparates und verschärfter Repression. In diese Zeit fiel auch der sogenannte GAL-Skandal . Unter Gonzalez‘ Verantwortung wurden zwischen 1983 und 1987 quasi paramilitärische Todesschwadrone (Grupos Antiterroristas de Liberacion - GAL) gebildet, die Jagd auf ETA-Mitglieder machten, Attentate verübten, schreckliche Folterungen durchführten und mindestens 28 von ihnen umbrachten.

Dieser Skandal trug erheblich zu der "historischen" Wahlniederlage der PSOE vom März 1996 bei. Zum ersten Mal seit dem Ende der Franco-Diktatur gelangte die rechtsgerichtete, von Jose Maria Aznar geführte PP an die Macht, in deren Reihen sich etliche ehemalige Franco-Vasallen befanden. Aznar setzte die Anti-ETA Politik seiner Vorgänger fort, indem er versuchte, die baskische Frage mit dem Polizeiknüppel zu lösen.

Nachdem die ETA Ende der 90er Jahre die Unterstützung breiterer Bevölkerungsschichten weitgehend verloren hatte und außerdem wichtige Kommandos von der Polizei zerschlagen wurden, änderte sie ihre Strategie. Gemeinsam mit anderen nationalistischen Parteien einschließlich der PNV verabschiedete die parlamentarische Vertretung der ETA, EH ( Euskal Herritarrok - Wir baskische Bürger) im Herbst 1998 den sogenannten "Pakt von Lizarra". Diese Deklaration enthielt die Verpflichtung zu offenen, aber ausschließlich baskischen Verhandlungen über die politische Zukunft des Baskenlandes. Im Zusammenhang mit der Unterzeichnung dieses Paktes kündigte ETA einen unbefristeten, bedingungslosen Waffenstillstand an.

Nachdem auch die letzten Illusionen verflogen waren, dass Aznar Verhandlungen über die baskische Unabhängigkeit führen werde, erklärten die nationalistischen Parteien im Herbst 1999 das Statut von Guernica für aufgehoben, da eine Autonomieregelung die Unterordnung unter den spanischen Zentralstaat bedeuten würde. Angestrebt wurde jetzt ein "Souveränitätsprojekt" für das Baskenland. Daraufhin kündigte ETA Ende November 1999 den Waffenstillstand.

Die bisher neun Toten, die zahlreichen Verletzten und der sogenannte Straßenkampf (kale borroka) in den baskischen Städten haben vor allem zweierlei bewirkt: die Aufrüstung der Polizei und den vollständigen Zusammenschluss fast aller Parteien, Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Gruppen unter dem scheinheiligen Banner des "Kampfes gegen den Terrorismus".

In nahezu allen Landesteilen, vor allem aber im Baskenland selbst, in Madrid und in den Urlauberregionen des Mittelmeeres und Andalusiens wurde die Polizeipräsenz erheblich verstärkt. Fahrzeug- und Routinekontrollen wurden intensiviert. Die wichtigste Polizeigewerkschaft machte sich Anfang August für einen "integrierten Plan" für den Kampf gegen den Terrorismus stark, in dessen Rahmen die wichtigsten Experten der Nationalpolizei, der Guardia Civil, der baskischen Polizei (Ertzaintza) und der Geheimdienste zusammenarbeiten sollen.

Während nach fast jedem neuen Anschlag Hunderttausende von Menschen auf den Straßen gegen die ETA demonstrieren (nach dem tödlichen Anschlag auf den PP-Kommunalpolitiker Carpena gingen in der 500.000-Einwohner-Stadt Malaga 300.000 Menschen auf die Straße), sind sich Regierung und Opposition einig in ihrer Haltung gegenüber der baskischen Frage - und auch darüber hinaus.

Zwischen PP und PSOE gibt es zwar einige kleine Streitereien, z.B. über die Frage, ob mit der PNV im Parlament über den anhaltenden Terror der ETA debattiert werden soll. Die PP verlangt, dass die PNV vorher den Pakt von Lizarra formal aufkündigt, während die PSOE auch ohne diesen formalen Bruch der PNV mit den anderen nationalistischen Parteien zu einer Debatte bereit ist. Aber bezüglich der ETA-Frage gibt es keine Differenzen.

Der frisch zum PSOE-Generalsekretär gekürte Jose Luis Rodriguez Zapatero sagte dazu in einem Interview mit der Zeitung EL PAIS, dass er eine konstruktive Opposition machen wolle und keine Probleme habe, wenn es Übereinstimmung mit der Regierung gebe. Dies gelte um so mehr bei so wesentlichen Fragen wie dem Kampf gegen den Terrorismus, der Regelung der Einwanderung und der anstehenden Verfassungsreform. Zapatero verlangte von der Regierung neue Maßnahmen, um diesen Kampf effektiver zu machen. Auf einer Gedenkveranstaltung für Juan Maria Jauregui am 31. Juli in Leon bestand Zapatero auf der sogenannten "Einheit aller Demokraten" und erklärte, dass seine Partei das Niveau der Zusammenarbeit und die loyalen Beziehungen mit der Regierung noch verstärken werde.

Außerdem spielt die ETA-Strategie der Regierung Aznar bei dem in Angriff genommenen Abbau von sozialen Errungenschaften in die Hände. Obwohl die PP seit den letzten Parlamentswahlen mit einer komfortablen absoluten Mehrheit ausgestattet ist, sucht sie die Unterstützung der parlamentarischen Opposition und der Gewerkschaften für ihr Vorhaben der wirtschaftlichen Liberalisierung, der Deregulierung des Arbeitsmarktes, der Öffnung von Spaniens Wirtschaft für internationale Investoren, der Kontrolle des Staatsdefizits, der "Reform des Sozialstaats" und der Anhebung der Ausgaben für Verteidigung.

Die gesamte spanische Arbeiterklasse ist von diesen Veränderungen betroffen und es hat in den letzten Monaten nicht an gesellschaftlichen Kämpfen gegen diese Entwicklung gefehlt. Es gab große Demonstrationen und Streiks von Studenten und Universitätsprofessoren in Barcelona für den Erhalt und die Verbesserung des öffentlichen Bildungssystems; Bauarbeiter streikten in ganz Spanien gegen die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, die Willkür der Unternehmer und die Zunahme tödlicher Arbeitsunfälle; von März bis in den Juni gab es immer wieder Arbeitsniederlegungen von Beschäftigten der Eisenbahngesellschaft RENFE für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen; Werftarbeiter, Transportarbeiter, Landarbeiter und Bauern streikten in den letzten Monaten wiederholt gegen den Abbau von Subventionen und Beihilfen, die für ihre Existenz unerlässlich sind; es gab einen 7-Tage Streik des Bodenpersonals des Flughafens von Tenerifa für höhere Löhne; usw.

Im Windschatten der gegenwärtigen ETA-Kampagne wird Aznar die "Modernisierung" der spanischen Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben und sich dabei der Hilfe der Opposition und der Gewerkschaften bedienen, um den zunehmenden Protest dagegen unter Kontrolle halten zu können. Bereits Anfang April des vergangenen Jahres, nur drei Wochen nach Aznars Wahlsieg, traf er sich mit den Gewerkschaftsführern Gutierrez von der stalinistischen Gewerkschaft CCOO (Comisiones Obreras) und Candido Mendez, dem Chef der PSOE-nahen Gewerkschaft UGT, sowie mit Vertretern des Arbeitgeberverbandes zu Gesprächen. Dabei ging es formal darum, wie Vollbeschäftigung erreicht und bestehende Arbeitsplätze gesichert werden können. Das wirkliche Ziel dieser Gespräche bestand aber darin, Kündigungen billiger zu machen, Tarifverhandlungen zu dezentralisieren und die Arbeitslosenhilfe zu kürzen.

ETA erweist den spanischen Arbeitern in ihren sozialen und politischen Kämpfen einen Bärendienst und bietet ihren eigenen Anhängern und Sympathisanten nur eine mit pathetischen Phrasen gepflasterte politische Sackgasse. Auf einer Gedenkveranstaltung für die am 7. August getöteten ETA-Mitglieder kamen in Bilbao am 12. August etwa 5000 Menschen zusammen. Der Sprecher von Herri Batasuna, dem politischen Arm der ETA, Otegi, bezeichnete die vier getöteten Kämpfer als "Patrioten", die für eine gerechte Sache gefallen seien. Den Kampf der ETA verglich er mit dem Befreiungskampf der Palästinenser gegen die israelische Besatzung, der Intifada.

Siehe auch:
Die spanische Sozialistische Partei wählt einen Vertreter des "Neuen Wegs" zum Generalsekretär
(12. August 2000)
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