Clintons Rede vor dem Parteitag der Demokraten: Prahlerei am Rande des Abgrunds

In seiner Rede Montag Abend vor dem Parteitag der Demokraten in Los Angeles spielte Bill Clinton sein größtes politisches Talent aus. Er führte seine Fähigkeit vor, rechte Politik in "linke" Rhetorik zu kleiden. Wie die enthusiastische Reaktion der Delegierten zeigte, war er voll und ganz in seinem Element.

Sein Hauptthema umriss er gleich im einleitenden Satz. Er behauptete, dass die acht Jahre Regierungszeit der Demokraten "ein nie da gewesenes Ausmaß an Wohlstand, Frieden und Fortschritt" gebracht habe. Ein Wechselspiel von Betrug und Selbstbetrug war hier zu beobachten, an dem Redner und Publikum mit gleicher Begeisterung teilnahmen.

Clintons rosiges Porträt des Lebens in Amerika hatte zwar nichts mit der sozialen Wirklichkeit zu tun, mit der die breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung konfrontiert sind. Sie entsprach jedoch der Stimmung jener Schichten, die in hohem Ausmaß von dem Börsenboom der letzten sieben Jahre profitiert haben - vor allem die Finanzaristokratie und oberen Schichten der Mittelklasse. Diese sind zur Hauptstütze der Demokratischen Partei geworden, während ihr rechter Kurs breite Massen der arbeitenden Bevölkerung abstößt.

Clinton sprach im Staples Center zu einem Publikum, das weitaus wohlhabender als die übrige Bevölkerung ist. Das Gebäude war mit den Logos der Konzerne gepflastert, die den Kongress mit Millionen Dollar gesponsert hatten, um sicherzustellen, dass ihre Interessen von der nächsten Regierung gewahrt werden würden. Eine Untersuchung über die soziale Stellung der Delegierten zeigte, dass 57 Prozent aus Familien mit einem Jahrereinkommen von über 75.000 Dollar (160.000 DM) kamen, während der Anteil dieser Einkommensschicht an der Gesamtbevölkerung nur 18 Prozent beträgt. Volle 25 Prozent hatten Einkommen zwischen 100.000 und 200.000 Dollar, Zahlen, die fast an die Einkommen der Delegierten auf dem Parteitag der Republikaner heranreichen.

Die soziale Physiognomie seiner Adressaten trägt natürlich einiges zur Erklärung der verzerrten und engstirnigen Sicht auf die amerikanische Gesellschaft bei, die in Clintons Rede zum Ausdruck kam. Welche sozialen Kräfte waren auf dem Kongress versammelt? Fast ein Drittel waren Gewerkschaftsfunktionäre oder -mitglieder, die der Bürokratie nahe stehen, - "Arbeiteraristokratie" wurden solche Leute einmal genannt. Ein weiteres Drittel bestand aus Schwarzen und Hispanics, die durch die "Affirmative Action" (Programme zur Förderung des Aufstiegs von ethnischen Minderheiten) und verschiedene Regierungssubventionen reich geworden sind. Hollywood war stark vertreten, sowohl unten in der Halle wie auch in den exklusiven Logen, ebenso Rechtsanwälte und andere wohlbestallte Selbständige.

Während beim Parteitag der Republikaner in Philadelphia kaum verhüllter Klassenhass in der Luft lag, so war die vorherrschende Atmosphäre beim Kongress der Demokraten die einer stupiden Selbstzufriedenheit, in der reale soziale Konflikte und politische Krisen außen vor blieben.

Zu Beginn seiner Rede versuchte Clinton, die Errungenschaften seiner Regierung hervorzuheben, indem er das heutige Reich der Glückseligkeit in Amerika mit dem verglich, was nach zwölf Jahren Regierungszeit der Republikaner geherrscht hatte. Im Jahr 1992, so Clinton, "war unsere Gesellschaft gespalten, unser politisches System gelähmt" und "stieg die Ungleichheit bei den Einkommen massiv an".

Niemand schien den schreienden Widerspruch zwischen den Worten Clintons und der Wirklichkeit Amerikas im Jahr 2000 zu bemerken. Es ist eine wohl dokumentierte Tatsache, dass unter Clinton die soziale Ungleichheit noch schneller gewachsen ist. Die USA sind heute stärker gespalten zwischen einer märchenhaft reichen Oberschicht und der großen Mehrheit der Bevölkerung, als jemals zuvor in den letzten fünfzig Jahren. Während ein paar Millionen vom Aktienmarkt über Nacht zu Millionären gemacht worden sind und die schon vorher großen Vermögen explosionsartig weiter wuchsen, haben sich Dutzende Millionen nur über Wasser halten können, indem sie länger gearbeitet und Schulden gemacht haben. Die sozialen Probleme haben sich verschärft: 45 Millionen Amerikaner sind ohne Krankenversicherung, die staatlichen Schulen verfallen, Hunger und Obdachlosigkeit nehmen zu.

Eine jüngere Studie des "Conference Board" ergab, dass der Anteil der Vollzeitbeschäftigten, die in Armut leben, Ende der neunziger Jahre höher war als während der siebziger, und ihre Zahl seit 1994 angestiegen ist.

Was die Stärke des politischen Systems angeht, so drückt sich die weitverbreitete Verachtung des Zwei-Parteien-Systems in immer neuen Rekorden an Wahlenthaltung aus. Aber der schärfste Ausdruck der Krise des politischen Systems sind die erbitterten Konflikte im Washingtoner Establishment, die in der Lahmlegung der Bundesregierung 1995-96 und dem Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton 1998-99 gipfelten.

Nichts macht die selbst auferlegte Blindheit und politische Feigheit Clintons und der Demokraten deutlicher, als die völlige Abwesenheit von jedem Bezug auf die rechte Verschwörung, mit dem ihn die Republikaner aus dem Amt jagen wollten. Dass Clinton dieses Thema meidet, obwohl der Lewinsky-Skandal und das Amtsenthebungsverfahren immer noch drohend über seiner Regierung, den Wahlen und seinem Privatleben schweben, ist nicht überraschend. Nur vier Tage vor seiner Rede auf dem Parteitag erniedrigte sich Clinton sogar vor einem Publikum christlicher Fanatiker, um die faschistischen Elemente in und um die Republikanische Partei zu besänftigen, die seine Regierung stürzen wollten.

Clinton und die Demokraten sagen nichts über die Spannungen, die das politische System zerreißen, und machen sich sogar vor, dass sie keine große Bedeutung hätten, aber dennoch gibt es heftige Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Elite, und sie nehmen an Schärfe zu. Sie bilden den wirklichen Hintergrund des künstlichen Trubels der Wahlkampagne.

So gibt es hinsichtlich der Wirtschaftspolitik Auseinandersetzungen darüber, wie die voraussichtlichen Haushaltsüberschüsse eingesetzt werden sollen. Clinton hob in seiner Rede den Unterschied zwischen dem Plan der Demokraten, die damit die Staatsverschuldung abbezahlen wollen, und dem der Republikaner hervor, die den Überschuss für Steuersenkungen für die Reichen verwenden wollen. Kein Plan berücksichtigt die dringenden sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Menschen; die Pose der Demokraten, Haushaltsdisziplin zu wahren, entspricht jedoch den Forderungen des Finanzkapitals, die von Leuten wie dem früheren demokratischen Finanzminister Robert Rubin und dem republikanischen Chef der Zentralbank Alan Greenspan vertreten werden.

Dieser Teil der herrschenden Klasse betrachtet die republikanische Politik als verantwortungslos und fürchtet deren möglicherweise katastrophale Folgen. Er ist sich der Gefahr bewusst, dass der spekulative Boom möglicherweise ins Gegenteil umschlägt, und sieht in der Rückzahlung der Staatsschulden einen Weg, mehr Kapital für private Investitionen freizumachen und so einen Börsencrash und eine unkontrollierte Rezession zu vermeiden.

Die republikanischen Vertreter des Kapitals wollen dagegen eher die habgierigsten Unternehmer und kleinen und mittleren Geschäftsleute fördern, die sich weniger von langfristigen Überlegungen als von ungehemmter Gier leiten lassen.

Auch hinsichtlich der Sozialpolitik sind die herrschenden Kreise gespalten. Die Demokraten sind aufgrund ihrer ganzen Geschichte vorsichtiger, vor allem aus Angst über die sozialen Folgen eines unverhüllten, frontalen Angriffs auf die Arbeiterklasse. Während sie im wesentlichen ihre frühere Politik der sozialen Reform aufgegeben haben, verfügen sie doch noch über eine lange Erfahrung im Umgang mit sozialen Konflikten.

Letztlich kann jedoch auch die geschickteste Politik die Realität der wachsenden Ungleichheit und des sozialen Verfalls nicht verschleiern. Clintons Beschwörung von Wohlstand und Fortschritt hat jenseits des Staples Center wenig Glaubhaftigkeit.

Auf dem Höhepunkt des Nachkriegsbooms fanden die übertriebenen Behauptungen der bürgerlichen Politiker über sozialen Fortschritt einen Widerhall in der Bevölkerung, weil breite Schichten der Arbeiterklasse tatsächlich einen steigenden Lebensstandard erfuhren. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Selbst damals führten die bescheidenen Versuche, einen Sozialstaat aufzubauen, angesichts der Widersprüche des US-Kapitalismus nicht zum Erfolg. Am Ende seiner Rede nahm Clinton einen merkwürdigen Bezug auf die soziale Krise, die Amerika Mitte und Ende der sechziger Jahre geschüttelt hatte. Er versuchte, die Schuld am Zusammenbruch der letzten längeren Periode wirtschaftlichen Wachstums auf die Wahl von Richard Nixon 1968 zu schieben.

Im Jahr 1964, so Clinton, "als wir das längste Wirtschaftswachstum unserer Geschichte genossen, hätten wir uns nicht träumen lassen, dass Vietnam Amerika so spalten und verletzen würde." Er fuhr fort: "Und dann gab es, ehe wir uns versahen, Aufstände in den Strassen, sogar hier. Die Führer, die ich als junger Mann bewunderte, Martin Luther King und Robert Kennedy, wurden erschossen. Lyndon Johnson ... erklärte, er würde wegen der tiefen Spaltung der Nation nicht noch einmal antreten."

Hier hat der Präsident beschrieben, wie die Vereinigten Staaten zu einer Zeit von sozialen Konflikten zerrissen wurden, als es tatsächliche und erhebliche Verbesserungen des Lebensstandards für breite Schichten der Bevölkerung gegeben hatte. Während seiner eigenen Amtszeit hat es dagegen einen Boom gegeben, der in überwältigendem Ausmaß einer dünnen Schicht an der Spitze der Gesellschaft zugute gekommen ist. Seine Regierung ist darüber hinaus bei sozialen Einschnitten, von denen die wirtschaftliche Existenz Dutzender Millionen Menschen betroffen ist, wesentlich weiter gegangen als alle ihrer Vorgänger.

Wenn die Ereignisse der sechziger Jahre eine Lehre enthalten, dann, so sollte man meinen, besteht sie in der Unvermeidlichkeit noch größerer sozialer Konflikte, die dem derzeitigen Boom unausweichlich auf dem Fuß folgen werden. Clinton jedoch brüstete sich im nächsten Atemzug, in welch beschaulichem Zustand er das Land hinterlassen habe, "ohne größere innere Krise und ohne Bedrohung von außen".

Die Demokraten wie die Republikaner praktizieren, wenn auch in etwas unterschiedlicher Art, die Politik der Illusionen. Darin erkennt man die Blindheit jeder herrschenden Elite am Vorabend großer Schocks und Umwälzungen. Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte haben sich enorm explosive soziale Widersprüche angehäuft, auf deren Konsequenzen weder das politische Establishment noch die Gesellschaft als ganze vorbereitet ist.

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