Al Gore entdeckt den Populismus

Das verknöcherte Establishment reagiert auf die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft

In seiner Rede am Donnerstag vergangener Woche vor dem nationalen Parteitag der Demokratischen Partei schlug Vizepräsident Al Gore, der Präsidentschaftskandidat der Partei, einen populistischen Ton an. Er stellte sich selbst als Fürsprecher der arbeitenden Bevölkerung und Kämpfer gegen "mächtige Kräfte und mächtige Interessen" dar.

Zwar versicherte er der Finanzelite, den Steuerkonservatismus der Clinton-Regierung beizubehalten - wobei er den Vorschlag des republikanischen Präsidentschaftskandidaten George W. Bush, die Steuern um 1,3 Billiarden Dollar zu senken, anprangerte und versprach, voraussichtliche Haushaltsüberschüsse zum Schuldenabbau zu nutzen -, doch im Mittelpunkt von Gores Rede stand ein Appell an diejenigen, die er "arbeitende Familien" nennt.

Verglichen mit der Rede von Präsident Clinton, die dieser drei Tage zuvor gehalten hatte, gab es bei Gore eine unübersehbare Schwerpunktverlagerung. Clinton verteidigte in seiner Rede seinen Ruf und seine Leistungen. Er zeichnete das Bild eines zufriedenen Landes, das einen beispiellosen Wohlstand genießt.

Dagegen las Gore nur kurz die offizielle Litanei über den "Erfolg" der Demokraten herunter - Haushaltsüberschuss in Rekordhöhe, niedrige Inflation, 22 Millionen neue Jobs - und gab sich Mühe, "den privaten Sektor, den Motor unseres Wirtschaftswachstums" zu bejubeln. Den Rest seiner Rede verwandte er dagegen darauf, sich selbst mit dem "Kampf" arbeitender Familien zu identifizieren. Er stellte sich als Werkzeug des "Wandels" dar, als "Kämpfer" gegen die "alte Garde" des Reichtums und der Privilegien.

Die unmittelbare Reaktion aus dem Lager Bushs bestand darin, Gore des Anstachelns zum "Klassenkriegs" zu bezichtigen. Aber am Tag nach dem Parteitag, auf der anschließenden Wahlkampfreise, steigerte Gore seine populistische Rhetorik noch. Er verurteilte die "Sonderinteressen der Reichen und Mächtigen" und sagte auf Massenversammlungen in Wisconsin, der Zweck seiner Wahlkampagne sei, "zu sagen, dass die Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika die Nase voll hat. Wir wollen diese Veränderungen und wir gehen zur Wahlurne, um die Veränderungen zu bekommen."

Einige Kommentatoren mutmaßten, dass Gores populistisches Glücksspiel ins Leere gehen würde, weil Wachstum und soziale Zufriedenheit Aufrufe zum sozialen Kampf überflüssig gemacht hätten. Doch die ersten Umfrageergebnisse, die Gore jetzt vor Bush oder gleich auf zeigen, lassen vermuten, dass Gores Gerede von einem Kampf gegen Macht und Privilegien Wirkung zeigt.

In seiner Rede vor dem Parteitag bezichtigte Gore Bush und die Republikaner des "Nachgebens gegenüber den großen Pharmakonzernen" und sagte: "Sie stehen für die Mächtigen. Wir stehen für die Bevölkerung." Er nahm bestimmte Bereiche der Großindustrie ins Visier: "Große Tabakkonzerne, große Ölindustrie, die großen Verschmutzer, die pharmazeutischen Unternehmen, die HMOs (Vertrauensärzte der privaten Krankenkassen), manchmal muss man bereit sei, sich zu erheben und Nein zu sagen, damit Familien ein besseres Leben führen können." Gegen Ende seiner Rede rief Gore die legendäre Rede John F. Kennedys vor dem Parteitag der Demokraten 1960 ins Gedächtnis und appellierte an junge Menschen, "unsere Welt mit neuem Leben zu erfüllen".

Gore verurteilte solche Programmpunkte der Republikaner wie die Vergabe von Schulgutscheinen (die private Schulen den öffentlichen gleichstellen) und die Teilprivatisierung der Sozialversicherung; er kritisierte die Opposition der Republikaner gegen eine Reform der Wahlkampffinanzierung und Waffenkontrolle und ihre Feindschaft gegenüber dem Recht auf Abtreibung. Er sprach von "zerfallenden Schulen", dem Elend älterer Mitbürger, die zwischen dem Kauf von Nahrung und verschriebenen Medikamenten entscheiden müssen, und der Weigerung der HMOs, notwendige medizinische Behandlungen zu sanktionieren.

Er schlug eine Reihe von gemäßigten Reformen vor, die aus einem Teil des erwarteten Haushaltsüberschusses finanziert werden sollen: Steuersenkungen für die Mittelklasse, ein Zuschuss zu verschriebenen Medikamenten für Rentner, mehr staatliche Gelder für öffentliche Schulen, eine "Erklärung der Patientenrechte", um die Macht der HMOs zu beschränken, allgemeine Gesundheitsversorgung für Kinder, Kindergärten für alle, eine Ausweitung der Kinderfürsorge, erweiterter Familienurlaub und Kururlaube und eine Erhöhung des Mindestlohns.

Familienwerte, Glaube, Recht und Ordnung

Diese Reformversprechen waren mit der Beschwörung von "Familienwerten" und des "Glaubens" vermischt - den Steckenpferden des rechten Flügels der Republikaner -, sowie mit Vorschlägen, die Polizei zu stärken. Gore gelobte, 50.000 Polizisten neu einzustellen, und wiederholte seine Forderung nach einer Verankerung der sogenannten "Rechte des Opfers" in der Verfassung. Er unterstützte die Bemühungen der Republikaner und seines eigenen designierten Vizepräsidenten Senator Lieberman, den ersten Zusatzartikel der Verfassung, das Recht auf freie Rede und freien künstlerischen Ausdruck, im Namen der Widerstandes gegen Sex und Gewalt in der Unterhaltungsindustrie zu unterhöhlen.

Obwohl er den Plan der Republikaner zur Abschaffung der Vermögenssteuer ablehnt, forderte er eine Reform der Bemessung ein, d.h. einen Steuergewinn für die reichsten amerikanischen Haushalte.

Trotz seinem Gerede über den bösen Einfluss "mächtiger Kräfte", ging Gore mit keinem Wort auf die Rolle ein, welche die christliche Rechte sowie Teile der staatlichen Judikative und der republikanischen Führung im Kongress in der Impeachment-Verschwörung gespielt hatten, die die Regierung Clinton beinahe zu Fall gebracht hätte. In Übereinstimmung mit seiner Wahl Liebermans zum Vizepräsidenten distanzierte er sich demonstrativ von Clinton, um die Hintermänner des Paula-Jones-Prozesses und des Monika-Lewinski-Skandals zu beschwichtigen, die versucht hatten, den Präsidenten zu stürzen.

Gores Reformvorschläge würden, wenn sie durchgeführt werden, zwar einigen Arbeiterfamilien zugute kommen. Sie sind aber weit davon entfernt, einen "Krieg gegen die Armut" darzustellen oder einen umfassenden Versuch, die Krise im Bereich von Bildung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum anzugehen, den zunehmenden Verfall der Städte aufzuhalten oder chronische Armut, Obdachlosigkeit und Unterernährung zu bekämpfen.

Der Widerspruch zwischen Gores Rhetorik und dem kümmerlichen Ausmaß seiner Reformvorschläge wird von der Größe des erwarteten Haushaltsüberschusses unterstrichen: 4,6 Billiarden Dollar während der nächsten zehn Jahre, wenn man die offiziellen Schätzungen als verlässlich annimmt. Mehr als die Hälfte dieser Summe soll nach Gores Vorstellungen in den Abbau der Staatsschulden fließen, die bis zum Jahre 2012 vollständig getilgt sein sollen. Keiner seiner Vorschläge beinhaltet eine Steuererhöhung für die Reichen oder irgendeine andere Form von Umverteilung des Reichtums von der Spitze zu den niederen Rängen der ökonomischen Leiter. Trotz all seiner Phrasendrescherei stellt Gore nicht die zutiefst ungleiche Verteilung der Früchte des Wirtschaftswachstums in Frage, die in ihrer großen Masse an die oberen zehn Prozent der Bevölkerung gefallen sind.

Sowohl Gore als auch die Delegierten des Parteitags übersahen den schreienden Widerspruch, dass der amtierende Vizepräsident, ein Produkt des Washingtoner Establishments mit engen familiären Verbindungen zu Occidental Petroleum, als Tribun des Arbeiters auftrat, und das in einer Halle, die mit den Logos der Konzerne gepflastert war, die den Parteitag mit Millionensummen finanzieren, um den Schutz ihrer Interessen unter einer Gore-Regierung sicherzustellen.

Nach der Rede trafen die Parteitagsdelegierten mit den Lobbyisten der Konzerne, Hollywoodgrößen und der High Society von Los Angeles bei einem Konzert im Shrine Auditorium zusammen. Die Veranstaltung diente dem Sammeln von Spenden und erbrachte 5,2 Millionen Dollar für die Demokratische Partei - die größte Menge an Bargeld, die die Partei jemals bei einer Veranstaltung gesammelt hat.

Ein bedeutender Strategiewechsel

Trotz seiner Heuchelei stellt Gores populistische Wende einen politisch bedeutsamen Wechsel in der Wahlkampfstrategie dar, dessen Konsequenzen weit über kurzfristige wahltaktische Überlegungen hinaus reichen könnten. Während des gesamten Zeitraums der Vorwahlen schwankte Gore zwischen gelegentlichen populistischen Parolen und Appellen an die bessergestellten sozialen Schichten, die vom Steuerkonservatismus und den Haushaltskürzungen unter Clinton profitiert hatten. Die meiste Zeit attackierte er seinen Gegner in den Vorwahlen, den ehemaligen Senator von New Jersey Bill Bradley, von rechts und verurteilte Bradley Vorschlag nach umfassender Gesundheitsversorgung als finanzpolitisch unverantwortlich.

Als er jedoch in den Umfrageergebnissen zurückblieb und einem republikanischen Wahlkampf gegenüberstand, der sein rechtes Programm in das gemäßigte Gewand des "mitfühlenden Konservatismus" verpackte, schlossen Gore und seine Berater, dass ihre einzige Chance auf einen Wahlsieg im November darin bestände, an breite Schichten der arbeitenden Bevölkerung zu appellieren und deren angestaute Frustration und Unzufriedenheit anzuzapfen.

Dies ist allerdings eine gefährliche Taktik mit potentiell explosiven Folgen für das bürgerliche politische Establishment, das über zwanzig Jahre lang die wachsenden sozialen Nöte der arbeitenden Menschen ignoriert hat und seine Politik offen den Interessen der Wirtschaft und der privilegiertesten ökonomischen Schicht unterordnete. Insbesondere die Demokratische Partei hatte demonstrativ den Sozialreformismus über Bord geworfen, mit dem sie seit Franklin D. Roosevelts New Deal identifiziert wurde.

Innerhalb der herrschenden Wirtschaftselite und ihren beiden politischen Parteien herrscht eine greifbare Angst, dass jeglicher Appell an die soziale Unzufriedenheit der Arbeiterklasse eine unkontrollierbare Protestbewegung in Gang setzen könnte. Nicht nur die Republikaner reagierten ablehnend auf die Rede Gores. Seine populistische Wende hat Spannungen innerhalb der Demokratischen Partei Auftrieb gegeben, wie aus den Bemerkungen eines "politischen Strategen aus Clintons Umfeld" hervorging. Dieser, so berichtete die Los Angeles Times, "verzweifelte über den Kontrast zwischen Gores populistischem Ton und der eher integrierenden Note, die Clinton in seiner Rede vor dem Parteitag anschlug".

Der ungenannte Berater Clintons lobte dessen Rede, weil sie "über alle Einkommenslinien, alle Parteien und sicher über alle Klassen hinweg" gereicht habe. Gore, auf der anderen Seite, habe "mit der alten Rhetorik und den alten Bündnissen der Demokraten" gespielt, "anstatt geradeheraus an die Wähler zu appellieren, die jüngst zu Wohlstand gelangt sind und für deren Aufstieg Clinton und Gore mehr Verantwortung haben als irgend jemand sonst."

Der Appell des Demokratischen Kandidaten an die Unzufriedenheit der Wähler aus der Arbeiterklasse kann die Spaltungen in der herrschenden Elite nur vertiefen, die sich seit dem Ende der Impeachment-Episode nicht vermindert haben. Dies wurde durch die Nachricht bestätigt, die am Tag der Rede Gores durchsickerte, dass Kenneth Starrs Nachfolger als unabhängiger Ermittler eine neue Grand Jury eingesetzt habe, um gegen Clinton zu ermitteln. Dieser Schritt dient dazu, den Präsidenten anzuklagen, nachdem er sein Amt abgelegt hat.

Zu den Meinungsverschiedenheiten, die auf höchster Ebene ausgefochten werden, gehört ein Streit über die Wirtschaftspolitik, in dessen Mittelpunkt die erwarteten Haushaltsüberschüsse stehen. Führende Vertreter des Finanzkapitals, darunter der republikanische Vorsitzende der Notenbank Alan Greenspan, haben sich öffentlich gegen Bushs Plan gestellt, 1,3 Billiarden Dollar - das sind beinahe 60 Prozent des für die nächsten zehn Jahre angenommenen Überschusses - für globale Steuersenkungen auszugeben. Statt dessen favorisieren sie Gores Versprechen, mehr als die Hälfte des erwarteten Überschusses für den Abbau der Staatsschulden zu verwenden.

Greenspan und Co. halten Bushs Vorschlag für leichtsinnig und kurzsichtig. Sie sind sich sehr wohl bewusst, dass die Überschusserwartungen in großen Teilen irreal sind, da sie auf der weit hergeholten Annahme basieren, dass sich der Wirtschaftsboom ungebrochen fortsetzt. Außerdem betrachten sie die Reduzierung der Staatsschulden als notwendig, um Kapital für private Investitionen freizusetzen und die Zinsen niedrig zu halten. Dies, so hoffen sie, seien die wesentlichen Voraussetzungen, um den Kapitalfluss in die Aktienmärkte und damit die Hausse aufrechtzuerhalten.

Andere Teile der Wirtschaft unterstützen Bushs Plan, weil sie keinen Grund sehen, warum sie auf eine massive Steuersenkung verzichten sollten. Dies hätte in ihren Augen den zusätzlichen Nutzen, dass es die Möglichkeiten der nationalen Regierung, Gelder für Sozialprogramme zur Verfügung zu stellen, weiter beschneiden würde.

Was steckt hinter Gores populistischer Wende?

Gores populistische Wende ist ein Ausdruck grundlegender Überlegungen, die über den unmittelbaren Stimmenfang hinausgehen. Die Demokratische Partei ist dank ihrer reformistischen Vergangenheit und ihrer langen Erfahrung im Bändigen von Klassenkonflikten sensibler gegenüber drohender gesellschaftlicher Unruhe als die Republikaner. Gores Entscheidung, an die arbeitende Bevölkerung zu appellieren, ist der Versuch eines Teil des politischen Establishments, sich an die wachsende soziale Wut über einen stagnierenden Lebensstandard und wirtschaftliche Ungleichheit anzupassen, um diese Klassenspannungen zu kanalisieren und im Zaum zu halten.

Indem sie populäre Erwartungen wecken, lassen sich die Demokraten allerdings auf ein riskantes Spiel ein. Sobald die tiefsitzende Entrüstung und das Gefühl der Unterdrückung artikuliert werden, selbst wenn es auf solch zynische Art geschieht wie bei Gore, wird ein Prozess in Gang gesetzt, der seine eigene Logik und Dynamik entfaltet. Auf ähnliche Weise kann ein Appell an den Idealismus der Jugend zu einem Prozess der politischen Radikalisierung beitragen, die auf das politische Establishment als Ganzes zurückprallt. Diese Gefahr ist für die herrschende Elite um so größer, als die Gesellschaft heute wesentlich stärker polarisiert ist, als zur Zeit von John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson.

Clinton selbst kam an die Macht, indem er an die Feindschaft der Bevölkerung gegen die Republikaner nach zwölf Jahren gesellschaftlicher Reaktion unter Reagan und Bush appellierte. Clinton weckte die Erwartungen der arbeitenden Bevölkerung vor allem mit seinem Versprechen, eine allgemeine Gesundheitsversorgung einzuführen. Als die Demokraten die Gesundheitsversorgung angesichts des Widerstands von Wirtschaft und Republikaner fallen ließen, obwohl sie das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses kontrollierten, nahm die öffentliche Ablehnung die Form eines massiven Rückgangs von Wählerstimmen aus der Arbeiterklasse an, und die Republikaner holten einen erdrutschartigen Sieg bei den Wahlen zum Kongress 1994. Clintons Kapitulation in der Gesundheitsfrage und seine nachfolgende Übernahme der republikanischen Sozialpolitik spielten eine enorme Rolle bei der Entfremdung großer Bevölkerungsteile vom Zwei-Parteien-System.

Sollte Gore auf der Grundlage eines populistischen Appells gewählt werden, wird sein unweigerliches Scheitern bezüglich der Erwartungen, die er im Wahlkampf geweckt hat, die Bedingungen für eine Welle sozialer Unruhe und eine schnelle politische Radikalisierung großer Teilen der Arbeiterklasse schaffen. Trotz all dem Gerede von unendlichem Wohlstand ziehen sich in der Tat Sturmwolken über den 2000-er Wahlen zusammen, teilweise in der Gestalt eines Schwindel erregenden Außenhandelsdefizits und der daraus resultierenden Gefahr einer Dollar-Krise. Das unvermeidlichen Platzen der Spekulationsblase an der Wall Street und der Beginn einer Rezession werden auf einen Schlag die objektive Verschlechterung der gesellschaftlichen Stellung der Arbeiterklasse offen legen, die bis zu einem gewissen Grade vom Boom verdeckt war.

Historisch gesehen treten die gefährlichsten Situationen für verschanzte herrschende Eliten dann ein, wenn die Umstände deren Umorientierung und Anpassung an neue soziale Bedingungen erfordern. Keine der zwei Parteien des amerikanischen Kapitalismus ist gut vorbereitet, um zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine solche Anpassung zu vollziehen.

Vor allem die Demokratische Partei ist eine ganz andere Organisation als die Partei von Franklin D. Roosevelt, Harry Truman oder sogar Kennedy und Johnson. Mehr als zwei Jahrzehnte der Anpassung an die zunehmend rechte Wirtschafts- und Sozialpolitik des Big Business haben ihre einstige Massenbasis in der Arbeiterklasse und der Mittelklasse unterhöhlt. Sie wurde zur Partei von Sektionen des Finanzkapitals und anderen Teilen der Wirtschaftselite sowie privilegierten Schichten aus der oberen Mittelklasse - von Hollywood, der Gewerkschaftsbürokratie und den privilegiertesten Schichten unter den Schwarzen und anderen Minderheiten.

Solch eine Organisation ist weitaus weniger als die alte Demokratische Partei in der Lage, die Massen davon zu überzeugen, dass sie ihre Interessen vertritt, und somit den Klassenkampf im Zaum zu halten. Aus den ersten Reaktionen auf Gores Rede wird bereits klar, dass jeder Versuch, eine ernsthafte Sozialreform durchzuführen, die Gräben in der Partei derart vertieft, dass es zu einem Bruch kommen könnte.

Es ist unmöglich vorauszusagen, ob Gore seinen neuentdeckten Populismus beibehalten wird oder ob er die Pose unter dem Druck innerhalb und außerhalb der Demokratischen Partei über Bord wirft. Solch eine Wendung wäre nichts Neues für einen Mann, der Karriere gemacht hat, indem er sein Fähnlein nach dem Wind hängte und sich nach den Erwartungen und dem Druck der Mächtigen richtete. Es ist ebenfalls unmöglich, den Ausgang der Wahlen im November vorauszusagen.

Dass Gore sich allerdings genötigt sieht, an die soziale Wut der arbeitenden Bevölkerung zu appellieren, ist ein Anzeichen von lang herangereiften, großen Veränderungen. Diese leiten eine neue Periode des sozialen Kampfes und der politischen Radikalisierung ein und werden die objektiven Bedingungen für die Entwicklung einer unabhängigen politischen Massenpartei der Arbeiterklasse schaffen.

Siehe auch:
Weitere Artikel zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen
Loading