Erneut Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften im Iran

Aus Anlass der geplanten Jahrestagung des größten Studentenverbandes im Iran kam es in den letzten Tagen in der Stadt Khorramabad, einem regionalen Zentrum rund 400 km westlich von Teheran, zu heftigen Straßenschlachten zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften des Regimes. Etwa 70 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt in die Krankenhäuser eingeliefert, ein Polizist kam ums Leben. Banken, Verwaltungsgebäude und Geschäfte im Stadtzentrum wurden am Wochenende mit Steinen angegriffen und verwüstet.

Am Donnerstag vergangener Woche begann in Khorramabad die Jahrestagung des studentischen "Büros zur Förderung der Einheit" mit der Verlesung einer Grußadresse von Präsident Mohammed Khatami. Doch die zwei bekanntesten Redner, die als nächstes angekündigt waren, konnten den örtlichen Flughafen nicht verlassen. Die Ansar e-Hisbollah-Miliz hatte ihn umzingelt und legte den gesamten Flugverkehr stundenlang lahm. Hojjatoleslam Mohsen Kadivar, ein vor drei Wochen aus der Haft entlassener oppositioneller Geistlicher, sowie Dr. Abdolkarim Sorush konnten der Einladung des Studentenverbandes nicht folgen. Sie verbargen sich einige Stunden lang in der Flughafenmoschee und wurden dann auf Veranlassung des örtlichen Gouverneurs per Auto nach Teheran zurückgebracht.

Mohammed Rezai, der die Gäste als Vertreter der Provinzregierung am Flughafen hatte empfangen wollen, wurde von der Hisbollah derart zugerichtet, dass er in ein Koma fiel. Rezai ist als Veteran des iranisch-irakischen Krieges schwer körperbehindert und an den Rollstuhl gefesselt.

Unterdessen wurden auch die versammelten Studenten von den Revolutionsgarden, der für ihre Grausamkeit berüchtigten Basij-Miliz und den staatlichen Polizeitruppen der LEF angegriffen und schikaniert. Der Studentenverband brach daraufhin seine Tagung ab, bevor sie richtig begonnen hatte.

Aus Protest gegen diesen Terror versammelte sich im Zentrum von Khorramabad, einer Stadt mit rund 400.000 Einwohnern, eine große Menschenmenge, die Augenzeugenberichten zufolge vor allem Jugendliche umfasste. Es kam bis gestern immer wieder zu heftigen Zusammenstößen, über die wenige Einzelheiten nach außen dringen. Die Stadt wurde für Journalisten gesperrt, frische Truppen wurden angefordert und der Ausnahmezustand verhängt.

Die Reaktion des Präsidenten unterstrich die tiefe Entfremdung zwischen Khatami und den breiten Bevölkerungsschichten, die seine "Reformer" bei den Wahlen im vergangenen Februar mit überwältigender Mehrheit gewählt hatten.

Die von Khatamis Bruder geführte "Islamische Beteiligungsfront", welche die größte Reformerfraktion im iranischen Parlament stellt, veröffentlichte am Sonntag eine Erklärung, in der sie ihre mittlerweile bekannten Aufrufe zu Ruhe und Ordnung wiederholte: "Die Ereignisse in Khorramabad haben gezeigt, dass die Regierung, obwohl die Gegner der Reform das Gegenteil behaupten, nicht genügend Instrumente in der Hand hat, um gemäß ihrem Auftrag die Sicherheit zu gewährleisten. Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass leider die Machtmafias wieder begonnen haben, Unfrieden zu stiften und Krisen zu erzeugen." Ein Abgeordneter der "Beteiligungsfront" ergänzte: "Die Öffentlichkeit hatte nichts mit diesen Vorgängen zu tun, sondern irgend welche Randgruppen, die ihr eigenes politisches Süppchen kochen, zogen andere mit hinein und stifteten sie zu solchen Taten an." Dies bezog er auf die Demonstranten, obwohl auf der Hand lag, dass die Provokation von den rechten Milizen ausgegangen war.

Seit dem Zusammentreten des neuen Parlaments im Frühjahr schrauben die "Reformer" ihre demokratischen Ansprüche Schritt für Schritt zurück, während die Fraktion der alten, "konservativen Machthaber" ihre Stellung systematisch befestigt. Obwohl die "Reformer" eine Mehrheit von über zwei Dritteln der Abgeordneten stellen, erweisen sie sich als Papiertiger. Sie fürchten die Mobilisierung der Bevölkerung weitaus mehr, als den Terror der islamistischen Sicherheitsorgane, und bieten dabei ein in seiner Erbärmlichkeit abstoßendes Schauspiel.

Eine der großen Fragen im Iran, die breite Schichten bewegt und mobilisiert, ist die Pressefreiheit. An den Wahlsieg der Reformer knüpfte sich die Hoffnung auf ein Ende oder zumindest eine Abmilderung der Zensur der islamischen Geistlichkeit, die allein in den vergangenen zwei Jahren zum Verbot Dutzender Zeitungen sowie zur Inhaftierung zahlreicher Journalisten und Verleger geführt hatte und mit einer ominösen Mordserie an Oppositionellen einhergegangen war.

Anfang August sollte nun in der Majlis, dem iranischen Parlament, ein neues Pressegesetz debattiert werden - ein Entwurf der Mehrheit zur Abschwächung der Zensur. Doch dazu kam es nicht, nachdem am 6. August der Oberste Religiöse Führer des Landes, Ali Khamenei, einen Brief an das Parlament gerichtet hatte, der eine solche Debatte rundweg untersagte. Nachdem der Parlamentspräsident diesen Brief verlesen hatte, kam es unter den Abgeordneten zwar zu Schreiereien und Handgreiflichkeiten, doch die Reformer-Mehrheit akzeptierte das Verbot. Das neue Gesetz wurde begraben.

Ermutigt durch diesen feigen Rückzug, belagerten am nächsten Tag islamische Milizen das Parlament und bedrohten die Abgeordneten. Diese versprachen in einem Brief an das Volk, an ihren guten Absichten festzuhalten. Doch leider seien ihre Möglichkeiten aufgrund der Verfassung, nach der die islamische Geistlichkeit nun einmal das letzte Wort habe, sehr beschränkt. Man müsse Ruhe bewahren.

Diese Erfahrung beflügelte die konservative Fraktion sichtlich. Den gesamten August hindurch ergingen Verbote mehr oder weniger oppositioneller Zeitungen. Wie eh und je wurden Journalisten ins Gefängnis geworfen. Präsident Khatami, der sich regelmäßig mit den hohen Vertretern der gegnerischen Fraktion trifft, wurde aus Kreisen der Studenten und Intellektuellen zunehmend des Verrats bezichtigt.

Am 21. August gab Khatami zu seiner Rechtfertigung ein langes Interview im staatlichen Fernsehen, in dem er erneut zur Zusammenarbeit und Versöhnung "im Rahmen des Gesetzes" aufrief: "Ich stimme vollständig damit überein, dass jeder Verstoß und jede Abweichung geahndet werden muss, aber im Rahmen des Gesetzes... Ich hoffe, dass die Akademiker und Denker in der Lage sein werden, die Situation zu erfassen und die Gefahren und Probleme zu erkennen, die uns sowohl im Innern als auch von außen drohen. Ich hoffe, dass sie dazu lernen werden, und dass wir alle gemeinsam in die Richtung gehen werden, das System zu stärken." Indirekt machte Khatami die Presse selbst für ihre Verfolgung verantwortlich: "Ein Problem unserer Presse ist das Fehlen logischer und ethischer Schutzvorrichtungen. Hätte man solche beachtet, dann hätten wir keinen so hohen Preis bezahlen müssen."

Unterdessen treiben die Konservativen ihre Offensive voran. Der Kommandeur der Basij-Truppen kündigte an, die Stärke dieser "Freiwilligenmiliz" solle bis März 2001 um 1,5 Millionen erhöht werden. Momentan gibt es 25 Basij-Zentren im Land, zum Jahresende sollten es bereits 140 werden. Der stellvertretende Innenminister, Gholamhussein Bolandian, kündigte die Zulassung privater Sicherheitsfirmen an. Zur Begründung verwies er auf die wachsende Kriminalität insbesondere unter Jugendlichen.

In einem weiteren Vorstoß forderte am 26. August der Minister für Information (Nachrichtendienste), Hojjatoleslam Ali Yunesi, den Präsidenten auf, den als etwas energischeren Reformer bekannten Minister für Islamische Führung und Kultur, Mohajerani, aus der Regierung zu entfernen. Diese Forderung wird in der iranischen Presse selbst als Versuch der Konservativen bewertet, nach der erfolgreichen Knebelung des Parlaments nun auch die Regierung zu unterhöhlen.

Die Hoffnung, größere demokratische Rechte könnten mittels der neuen Parlamentsmehrheit erreicht werden, erweist sich zunehmend als Schimäre. In diesem Bereich haben die Vertreter des alten Regimes leichtes Spiel. In der Wirtschaftspolitik sieht es etwas anders aus. Hier setzen sich die "Reformer" mit ihrer Politik der Öffnung und Liberalisierung zunehmend durch.

Am 22. August passierte problemlos ein Gesetzentwurf die erste Lesung im Parlament, der vor allem Auslandsinvestitionen anziehen soll. Das neue Gesetz soll eine Vorschrift rückgängig machen, die verhindert, dass ausländische Investoren mehr als 49 Prozent an iranischen Unternehmen besitzen. Der Entwurf garantiert Investoren darüber hinaus Schutz vor Verstaatlichung sowie die uneingeschränkte Rückführung von Gewinnen.

Die staatliche Nachrichtenagentur IRNA meldete am vergangenen Samstag, als Auftakt zur Privatisierung des Staatssektor sollten demnächst einhundert Blei- und Kupferminen zum Verkauf angeboten werden.

Beide Fraktionen, Reformer wie Konservative, fürchten die sozialen Folgen dieser Wirtschaftspolitik, zu der sie keine Alternative sehen. Der Minister für Information sicherte denn auch zu, dass "die Sicherheitskräfte des Landes aktiv bereitstehen, ausländische Investitionen im Iran zu schützen".

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