Der Demokrat Gore wählt Lieberman zum Vize

Ein Kotau vor der republikanischen Rechten

Mit der Auswahl Senator Joseph Liebermans zu seinem Stellvertreter hat der demokratische Präsidentschaftskandidat Al Gore deutlich gemacht, dass es bei den Wahlen im November keinen wesentlichen politischen Unterschied zwischen den Demokraten und den Republikanern geben wird.

Die Wahl des Senators aus Connecticut scheint vor allem von zwei Überlegungen diktiert worden zu sein: Erstens wollte man einen Vizepräsidentschaftskandidaten wählen, dessen Wirtschafts- und Sozialpolitik weit rechts im politischen Spektrum der demokratischen Partei angesiedelt ist; zweitens sollten damit die republikanischen und rechten christlichen Intriganten beschwichtigt werden, die ein ganzes Jahr lang dafür gekämpft hatten, die Clinton-Regierung zu stürzen.

Wenn der demokratische Parteitag nächste Woche beginnt, wird es viele schöne Worte über die Beziehung der Demokraten zur arbeitenden Bevölkerung geben. Allein der Charakter der zwei Präsidentschaftskandidaten der Partei entlarvt dies als Betrug.

Lieberman machte sich einen Namen, als er als erster demokratischer Senator auf dem Höhepunkt des Monika-Lewinsky-Skandals Clinton öffentlich verurteilte. Anfang September 1998, nachdem Clinton vor der Grand Jury ausgesagt hatte und bevor Sonderermittler Kenneth Starr seinen mit Sex-Geschichten gespickten Bericht an den Kongress übergab, hielt Lieberman im Senat eine Rede, in der er Clinton für sein unmoralisches Verhalten und für seine irreführenden Erklärungen über seine Beziehung zu Lewinsky verurteilte.

Liebermans Rede heizte die Medienkampagne an, verlieh Starr dringend benötigte Glaubwürdigkeit und ermutigte die Republikaner im Repräsentantenhaus, im darauffolgenden Dezember das Impeachment (Amtsenthebungsverfahren) gegen Clinton zu eröffnen. Er hielt sie zu einem Zeitpunkt, als eine Meinungsumfrage gerade aufzeigte, dass in der Bevölkerung weit verbreitete Opposition gegen Starrs Hexenjagd vorherrschte.

Gores Wahl ist der durchsichtige Versuch, den Anstrengungen der republikanischen Kandidaten Bush und Cheney entgegenzuwirken, die die Clinton-Gore-Regierung als unmoralisch und skandalgezeichnet darstellen. Die Republikaner verfolgen diese Taktik, und gleichzeitig versuchen sie, sich vom Impeachment und dem Senatsprozess gegen Clinton zu distanzieren, weil sie genau wissen, dass diese Episode auf eine enorme Feindschaft unter breiten Schichten der Bevölkerung stieß. Schließlich haben die politischen Folgen der damaligen Verschwörung zur vernichtenden Niederlage der Republikaner bei den Kongresswahlen von 1998 und zum Rücktritt des republikanischen Sprechers des Repräsentantenhauses, Newgt Gingrich, geführt.

Wenn Gore und die Demokraten bereit wären, die Bedrohung demokratischer Grundrechte zu entlarven, die in der Starr-Untersuchung enthalten war - bei der Führer der Republikaner, rassistische und faschistische Elemente der christlichen Rechten, Medienkommentatoren und Reaktionäre in der Bundesjustiz bis zum höchsten Richter am Obersten Gericht eine Rolle spielten - dann würden sie die Impeachmentverschwörung ins Zentrum ihrer Wahlkampagne stellen. Eine solche Enthüllung würde zweifellos bei den Wählern starke Unterstützung gewinnen.

Eine derartige Mobilisierung der in der Bevölkerung existierenden Befürchtungen einer Gefahr für demokratische Rechte scheidet jedoch für eine Partei aus, die das bestehende wirtschaftliche und politische System verteidigt und sich immer offener an die rechte Politik der Republikaner anpasst. Gores Ernennung von Lieberman entspricht vollkommen der Haltung der Demokraten während und nach dem gescheiterten Versuch, Clinton aus dem Amt zu jagen. Taten die Demokraten mit Clinton an der Spitze doch alles, um die Bedrohung der demokratischen Rechte, die der Impeachmentaffäre zu Grunde lag, vor dem amerikanischen Volk zu verschleiern.

Als Gore seinen "running mate", seinen zweiten Mann, der Öffentlichkeit vorstellte, beeilte sich Clinton, Lieberman zu loben, und erklärte den Reportern: "Ich denke, er ist einer der besten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Er ist ein außergewöhnlicher Mann."

Im Gegensatz zu Gores opportunistischen Kalkulationen legitimiert die Auswahl Liebermans nur das republikanische Impeachmentverfahren und verleiht dieser Show an moralischer Überlegenheit noch Glaubwürdigkeit. Das Fernsehen reagierte auf die Nachricht von Liebermans Wahl, indem es mehrmals Ausschnitte seiner Rede im Senat von 1998 zeigte, in der er Clinton verurteilt hatte.

Dieses jüngste Manöver ist für den heutigen Vizepräsidenten Gore typisch. Im März noch setzte er sich im Fall Elian Gonzales öffentlich in Gegensatz zur Politik seiner eigenen Regierung, als er die Kampagne der rechten kubanischen Exilgruppen unterstützte, die die Rückkehr des Jungen mit seinem Vater nach Kuba zu verhindern trachteten.

Genau wie bei der Elian-Gonzales-Affäre unterstreicht auch die Auswahl Liebermans die Kluft, die das politische Establishment von den Sorgen und Stimmungen der breiten amerikanischen Bevölkerung trennt. Als Gore und seine Berater sich damals so an die Castro-feindlichen Kräften in Miami anpassten, hatten sie die Reaktion im Volk völlig falsch eingeschätzt. Die Öffentlichkeit lehnte es rundheraus ab, dass das elementare Recht eines Vaters, mit seinem Kind zusammen zu sein, derart missachtet werden sollte. Diese Abscheu schlug sich in einem allgemeinen Rückgang von Gores Umfragewerten nieder.

Bei seiner Auswahl Liebermans wiederholt Gore nun das gleiche Muster und demonstriert, dass die "öffentliche Meinung", auf die die politische Elite reagiert, nur aus dem rechten Konsens der privilegiertesten sozialen Schichten besteht, zu der auch die Meinungsmacher und das Washingtoner Establishment gehören.

Liebermans politische Bilanz

In seinen zwei Amtsperioden als Senator hat sich Lieberman viele der eigentlichen Themen der republikanischen Partei zu eigen gemacht, zum Beispiel die Teilprivatisierung der Sozialversorgung, Gutscheine für den Schulbesuch und das Schulgebet - was im Gegensatz zu den öffentlich vertretenen Positionen Gores steht.

Man braucht nur Liebermans Website anzuwählen, um eine Vorstellung von der Politik dieses Mannes und der Mächte, denen er verpflichtet ist, zu erhalten. Auf dieser Website rühmt sich der Senator von Connecticut seiner "Geschäfts-, Handels- und Wirtschaftsfreundlichkeit".

Man findet dort auch die folgenden unterstützenden Zeilen des Kolumnisten der Washington Post: "Senator Joe Lieberman ist eine Verkörperung und ein Apostel der demokratischen Philosophie, die das marktorientierte Denken der Reagan-Revolution mit einer muskulösen Verteidigungs- und Außenpolitik vereinigt".

Was die Außenpolitik angeht, so ist Lieberman, ein Mitglied des Senatskomitees für die bewaffneten Streitkräfte, einer der leidenschaftlichsten Exponenten des amerikanischen Militarismus. In seinem ersten Jahr im Senat unterstützte er die US-Invasion in Panama, und wenig mehr als ein Jahr später war er an der Ausarbeitung der Resolution über den Golfkrieg beteiligt und befürwortete als einer der wenigen demokratischen Senatoren die Autorisierung dieser US-geführten Invasion. Außer ihm stimmte auch der damalige demokratische Senator Gore dafür.

Vor kurzer Zeit hat er für die zügige Schaffung eines Raketenabwehrsystems plädiert. Sein Enthusiasmus für Militärausgaben hat ihn bei den in Connecticut stationierten Luftfahrtgesellschaften, wie zum Beispiel Pratt & Whitney, der Tochter der United Technologies, beliebt gemacht.

Innenpolitisch war Lieberman immer ein zuverlässiger Partner der Wirtschaft. Seine Website lobt ihn als jemanden, der "für ausgewogene Haushalts- und Steuerdisziplin kämpft" und der "die Steuern auf Kapitalgewinnen beschneidet, um einen Anreiz für neue Investitionen für die amerikanische Industrie zu schaffen". Um die [in Hartford gelegenen] Versicherungsgiganten zu unterstützen, verbündete er sich mit dem republikanischen Senator John McCain, um ein Gesetz über die Haftung von Produktherstellern abzuändern. Die Lieferanten von Rohmaterialien, die zur Herstellung medizinischer Geräte benötigt werden, werden dadurch geschützt.

Er verbündete sich mit Elementen, die alles tun, um die staatliche Erziehung abzuwerten. Er stimmte dafür, die Finanzierung von Privatschulen zu erweitern, und unterstützt Schulgeld-Gutscheine, die es den Eltern ermöglichen sollen, ihre Kinder auf Kosten der Steuerzahler in Privatschulen, auch in religiöse Schulen, zu schicken. Er unterstützt außerdem den Vorschlag von George W. Bush, steuerfreie Sparkonten für die Bildung zu entwickeln, die es ermöglichen sollen, sowohl private als auch öffentliche Schulen zu besuchen.

Liebermans Bürgerrechts-Bilanz ist um nichts besser: Er tritt für einen "Schweigemoment" in den Schulen ein, der für Gebete genutzt werden könnte. In seinem politischen Werdegang befürwortete er einmal den Einsatz von Militär bei der Drogenbekämpfung. Als Befürworter der Todesstrafe war er einer der Unterstützer des jüngsten Kriminalgesetzes.

Lieberman war einer der ausdrücklichsten demokratischen Unterstützer des Sozialhilfegesetzes, das die staatliche Hilfe für Langzeitarbeitslose abschaffte. Er übernahm die republikanische Ausdrucksweise über sogenannte Familienwerte und warf sich in die Pose des "moralischen Gewissens" der demokratischen Partei. In dieser Eigenschaft tat er sich mit dem ehemaligen republikanischen Erziehungsminister William Bennett zusammen, um Razzien bei der Musik- und Unterhaltungsindustrie zu befürworten.

Seit 1995 ist Lieberman Vorsitzender des demokratischen Führungsrates, der Gruppe, die unter anderen von Gore und Clinton gegründet wurde, um die Partei nach rechts zu drücken und ihre früheren Verbundenheit mit einer Politik der Sozialreformen abzubrechen.

Siehe auch:
Weitere Artikel zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen
Loading