Türkische Armee tötet kurdische Zivilisten im Nordirak

Die türkische Luftwaffe hat nach Berichten unterschiedlicher Gruppen am 15. und 17. August mehrere Luftangriffe im Nordosten der Provinz Erbil im Nordirak durchgeführt, bei denen eine hohe Zahl von Zivilisten, größtenteils Frauen und Kinder, getötet oder verwundet wurden.

Nach Angaben der KDP (Demokratische Partei Kurdistans) kamen bei dem Angriff 38 Personen ums Leben, elf wurden verletzt und vier gelten als vermisst. Die Irakische Kommunistische Partei (IKP) berichtete am 18. August von einem Luftangriff auf die Dörfer Lulan und Khazina im Nordosten der Provinz Erbil. Es seien zwölf Bomben abgeworfen worden. 41 Zivilisten, meist Frauen und Kinder, seien getötet und 57 verletzt worden.

Ein Sprecher des "Kurdischen Nationalkongresses" (KNK) nannte als Ort des Bombardements Kendeko. Den Widerspruch zu den Angaben der IKP konnte er auf Nachfrage nicht erklären, schloss aber nicht aus, dass es sich um benachbarte Dörfer handle. Auch Kendeko liegt im Nordosten der Provinz Erbil. Nach seinen Angaben hat es bei dem Angriff am 15. und einem weiteren, weniger schweren Luftangriff am 17. August 44 Tote und über 70 Verletzte gegeben. Es soll auch zum Einsatz von chemischen Waffen, möglicherweise Napalmbomben gekommen sein. Die Opfer gehörten zu einem halbnomadischen Stamm von Hirten.

Nach anfänglichem Leugnen gab die Türkei schließlich zu, am 15. Bombenangriffe durchgeführt zu haben. Man bekämpfe mit den Militäroperationen im Nordirak jedoch ausschließlich die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und keine Zivilisten. Die PKK nutzt den Nordirak seit langem als Rückzugsgebiet, insbesondere seit ihrer offiziellen Entscheidung vor einem Jahr, den Kampf gegen die Türkei zu beenden und alle Kämpfer abzuziehen. Die Opfer hatten jedoch nach Aussagen überlebender Zeugen wie auch der KDP mit der PKK nichts zu tun.

Für die KDP selbst ist der Vorfall äußerst peinlich. Sie fungiert seit Jahren praktisch als Söldner Ankaras und hat die türkische Armee bei ihren Einmärschen im Nordirak im Kampf gegen die PKK aktiv unterstützt. Dafür lässt sie sich gut bezahlen: Das irakische Regime umgeht teilweise das Wirtschaftsembargo des Westens, indem es billigen Diesel in die Türkei schmuggelt, durch die von der KDP kontrollierte Region. Diese soll dabei geschätzte 300 bis 400 Millionen Dollar im Jahr an "Transitgebühren" verdienen, ihre Haupteinnahmequelle. Dementsprechend nahm KDP-Führer Masud Barzani die Türkei sofort in Schutz: Das Massaker sei ein bedauerliches "Versehen", für das eigentlich die PKK verantwortlich sei! Vermutlich wegen ihrer Existenz.

Ebenso entlarvend war die Reaktion der USA. Der Bombenangriff fand nämlich genau in der Region statt, die von ihnen seit 1991 zur "Flugverbotszone" erklärt worden ist - für die irakische Luftwaffe. Dies wurde ganz ausdrücklich mit dem "Schutz der kurdischen Zivilbevölkerung im Nordirak" begründet.

Von kurdischen Journalisten hinsichtlich des Massakers letzte Woche befragt, weigerte sich ein Sprecher der amerikanischen Botschaft in Ankara, das Verbrechen zu verurteilen oder auch nur ein Wort des Bedauerns zu äußern: "Dieser Vorfall ist von türkischen Soldaten realisiert worden. Berichte darüber haben wir zur Kenntnis genommen. In den Berichten gibt es auch Informationen über den Einsatz chemischer Waffen. Ich werde den Vorfall jedoch nicht bewerten oder nähere Informationen geben."

Die USA lasse dem türkischen Staat in der "Schutzzone" beim Morden freie Hand: "Dieser Vorfall geht die USA nichts an. Wenden Sie sich an die türkische Regierung. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen."

Der Botschaftssprecher meinte nur ganz allgemein: "Wir sind immer dafür, Angriffe und Opfer zu begrenzen. Diese Art Operationen müssen sich natürlich gegen terroristische Stützpunkte richten." Er betonte jedoch, die USA verteidigten "grundsätzlich das Recht der türkischen Regierung, gegen PKK-Terroristen im Nordirak" vorzugehen.

Erst Ende Juli hatte die Clinton-Regierung der Firma Bell grünes Licht gegeben, der Türkei 145 Kampfhubschrauber "King Kobra" zu liefern. Kommt das Geschäft zustande, hat es ein geschätztes Volumen von 3,5 Milliarden Dollar.

Die deutsche Regierung hat ihr Einverständnis für einen am 23. August unterzeichneten Vertrag gegeben. Danach will die deutsche Firma Fritz Werner eine Fabrik zur Herstellung von Gewehrmunition im Wert von 90 Millionen DM an die Türkei liefern. Außerdem will die Türkei möglicherweise 1.000 deutsche Kampfpanzer Leopard II im Wert von mehreren Milliarden DM kaufen. Letztes Jahr war bereits ein Testexemplar geliefert worden, die Tests dürften jedoch mittlerweile abgeschlossen sein. Gegen die Panzerlieferung hat es jedoch wegen der brutalen Unterdrückungspolitik des türkischen Staates erheblichen Widerstand bis in Teile der deutschen Regierungsparteien hinein gegeben. Eine Entscheidung über eine Genehmigung des Verkaufs hat die Bundesregierung deshalb bis jetzt immer wieder verschoben.

Siehe auch:
Wo liegt der Weg zu wirklicher Demokratie in der Türkei?
(16. September 1999)
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