Rücktritt des Premierministers enthüllt wachsende Spaltungen in den herrschenden Kreisen Algeriens

Am 26. August reichte Premierminister Ahmed Benbitour seinen Rücktritt beim algerischen Präsidenten Bouteflika ein. Bouteflika nahm den Rücktritt sofort an und beauftragte seinen Kabinettsleiter, Ali Benflis, eine neue Regierung zu bilden. Der Sturz der Benbitour-Regierung zeugt von wachsenden Spaltungen in Algeriens herrschenden Kreisen, die im Inland mit zunehmenden sozialen Spannungen konfrontiert sind und im Ausland unter dem Druck des Pariser Clubs - des Konsortiums internationaler Banken, des IWF und der Weltbank - stehen, die eine Schuldenrückzahlung verlangen.

Abdelaziz Bouteflika wurde im April 1999 zum Präsidenten gewählt. Die Generalskaste der algerischen Armee hatte ihn zum Kandidaten der regierenden Koalition gemacht, die von der Nationalen Demokratischen Sammlung (RND) und von der FLN (der Nationalen Befreiungsbewegung) geführt wird. Die Wahlen waren so offensichtlich gefälscht, dass sechs der wichtigsten Oppositionsparteien noch am Wahltag eine gemeinsame Erklärung abgaben, worin sie den Wahlbetrug anprangerten und ihre Kandidaten zurückzogen. Sie ließen jedoch ihre Namen nicht vom Wahlzettel streichen, so dass Bouteflika weiterhin behaupten konnte, er sei demokratisch gewählt worden.

Sobald er fest im Sattel saß, versuchte Bouteflika sich von der Politik des totalen Kriegs gegen die islamische Guerilla zu distanzieren, der von der Armee seit ihrem Putsch im Jahr 1992 geführt wird. Er eröffnete eine Kampagne der "nationalen Versöhnung" und schlug der größten Guerillagruppe eine Amnestie vor. In Verhandlungen mit Abassi Madani, dem Führer der FIS (Islamische Heilsfront) und Madani Mezrag, dem Führer der AIS (Islamische Heilsarmee), des Militärflügels der FIS, konnte er die Auflösung der AIS zu bewirken, deren Mitgliedern er im Gegenzug eine Amnestie anbot. Ungefähr 1.500 ihrer Milizen gaben bis zum Ultimatum im Januar den Kampf auf. Viele von ihnen dürften allerdings algerische Geheimdienstagenten sein, die die AIS und andere bewaffnete Gruppen infiltriert hatten.

Die Auflösung der AIS trug jedoch wenig dazu bei, den ständigen Krieg zwischen der Armee und den verschiedenen terroristischen Gruppen beizulegen, für den die Landbevölkerung einen schrecklichen Blutzoll bezahlen muss. Der FIS-Führer Mandani hatte bereits zwei Jahre vor Ablauf des Ultimatums im Januar einen Waffenstillstand ausgerufen. Aber die AIS war trotz ihrem Status als militärischer Flügel der FIS bei weitem nicht die größte der islamischen Guerilla-Gruppen. Die Hauptgruppe, die Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) und ihre vielen Splittergruppen wie die Safalisten für Predigt und Kampf (GSPC) verweigerten sich der Amnestie.

Obwohl die Terroranschläge in den algerischen Großstädten zahlenmäßig abgenommen haben, berichtet die französische Tageszeitung Libération, dass seit Anfang Juli jede Woche sechzig bis hundert Menschen getötet worden seien. Die meisten Opfer wurden von Guerillagruppen abgeschlachtet, die Dörfer angreifen oder Straßenblockaden auf dem Land errichten. Nach dem Scheitern einer Armeeoffensive, die nach Ablauf des Amnestie-Ultimatums eröffnet worden war, um die GIA und andere Guerillagruppen zu eliminieren, war die Zahl der Toten noch gestiegen. Ende Juli setzte Frankreich Algerien erneut auf die Liste der Länder, von denen sich französische Bürger fernhalten sollten, wenn sie nicht "unaufschiebbare berufliche Gründe" für einen Besuch hätten. Auch Washington empfahl amerikanischen Staatsbürgern, Reisen nach Algerien zu vermeiden.

Die Wahl Bouteflikas und seine Versöhnungspolitik waren eine Antwort auf die Forderung der USA und der Europäischen Union an das Militärregime, Algerien stabiler und sicherer für internationale Investitionen zu machen. Aber Bouteflika hatte wenig Spielraum. Es brauchte acht Monate, bis das erste Kabinett ernannt war; und unter dem Druck der herrschenden militärischen Koalition gewährte deren mächtigen Cliquen zwei Drittel der Ministersessel.

Seit der Amnestie hat Bouteflika versucht, sein eigenes Ansehen und das Ansehen Algeriens zu heben, indem er sich auf internationale Diplomatie verlegte. Vor kurzem wurde er in Paris als erster algerischer Führer seit den achtziger Jahren mit rotem Teppich begrüßt. Die USA und andere Westmächte warben in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen um seine Unterstützung, und seine Berater waren an der Aushandlung des Waffenstillstands zwischen Äthiopien und Eritrea beteiligt.

Jedoch hat die Unfähigkeit der Armee, mit der GIA und anderen Guerillagruppen fertig zu werden, zu wachsender Unzufriedenheit der Westmächte mit der Militärregierung geführt, die auch durch die Bildung eines neuen Marionettenkabinetts kaum beschwichtigt wird. Das Magazin Economist kommentiert: "Mögliche Investoren werden Algerien auch in Zukunft nur als unsicheren Kantonisten betrachten, wenn die Macht weiterhin von unberechenbaren Militaristen und ihren Marionetten ausgeübt wird".

Während die unmittelbare Terrorbedrohung in den algerischen Städten etwas zurückgeht, leben die lange bestehenden sozialen Spannungen wieder auf. In den letzten zehn Jahren hat das Regime das Durchschnittseinkommen in Algerien auf fünfzig Prozent des Niveaus von 1990 heruntergedrückt. Eine enorme Vermögenspolarisierung hat stattgefunden, während die Regierung die strukturellen Anpassungsmaßnahmen des IWF durchsetzt.

Seit ihrem finanziellen Beinahe-Bankrott 1994 haben die algerische Regierung und die schmale Schicht von Geschäftsleuten in ihrem Dunstkreis sich durch steigende Einkommen infolge höherer Preise der Öl- und Gasexporte bereichert. Unterdessen wurde die große Bevölkerungsmehrheit in schlimmste Armut gestoßen. Jeder verdienende Algerier muss mindestens noch sechs weitere Menschen ernähren; fast siebzig Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos (75 Prozent der Algerier sind jünger als 30 Jahre), und selbst nach offiziellen Statistiken wohnen in jeder Wohnung mindestens sieben Personen.

Die weitverbreitete soziale Unzufriedenheit kam erstmals in den Aufständen von 1985 und 1988 gegen das erschütterte und korrupte FLN-Regime zum Ausdruck. Seitdem Frankreich in den Verträgen von Evian 1962 Algerien in die Unabhängigkeit entlassen hatte, hatte die FLN-Regierung ihre führende Stellung im nationalen Befreiungskampf ausgenutzt, um ihr Image als "anti-imperialistische Kraft", die in Algerien "den Sozialismus aufbaut" zu legitimieren.

Die betrügerischen Behauptungen der FLN wurden entlarvt, als Mitte der achtziger Jahre die Ölpreise purzelten. Ungeachtet ihres anti-imperialistischen Gehabes erwies sich die FLN-Regierung als unfähig, eine funktionierende nationale Wirtschaft aufzubauen. Die algerische Wirtschaft war ganz und gar von Öl und Gas, den einzigen Exportprodukten, abhängig - fünfzig Prozent des Staatshaushalts und ein Viertel des Bruttosozialprodukts des Landes nährten sich daraus. Um die Forderungen des IWF und der Weltbank nach Schuldenrückzahlung zu befriedigen, griff die FLN zunehmend zu Lohnsenkungen, einer Verschlechterung des Lebensstandards und Fabrikschließungen.

Die FIS benutzte die Angriffe auf die Lebensbedingungen, die Armeerepression und die Korruption der FLN, um den islamischen Fundamentalismus zu verbreiten. Darauf reagierte Präsident Chadli Benjedid zuerst mit einer Reform, durch welche die Alleinherrschaft der FLN beendet wurde und die freie Wahlen zuließ. Aus den ersten Kommunalwahlen, die 1990 stattfanden, ging die FIS siegreich hervor und verdrängte die FLN aus den meisten Bürgermeisterämtern. Im April 1991 gingen neunzig Prozent der algerischen Arbeiter während eines Generalstreiks gegen das FLN-Regime auf die Straße, obwohl die FIS-Gewerkschaften zum Boykott aufgerufen hatten.

Das alte FLN-Regime begann aufzuweichen und wurde durch innere Kämpfe zerrissen. Im Mai 1991 versuchte die FIS einen Generalstreik auf die Beine zu stellen, der jedoch keine Unterstützung gewann. Darauf ging sie im Juni und Juli zu Aufständen gegen die Regierung über. Dies verschaffte der Armeeführung die Gelegenheit, auf die sie schon lange gewartet hatte. Truppen und Panzer wurden auf die Straßen gebracht und Präsident Chadli wurde gezwungen, den Notstand auszurufen. Aber Chadli beugte sich schließlich den Forderungen der FIS und rief im Dezember einen Generalstreik aus. Das FLN-Regime war zu dieser Zeit schon vollkommen diskreditiert. Obwohl die Stimmen für die FIS abnahmen (sie erhielt zehn Prozent weniger Stimmen als bei den Kommunalwahlen), erlitt die FLN eine verheerende Niederlage, und das Fehlen jeglicher politischer Alternative für die Arbeiterklasse ermöglichte es der FIS, die erste Runde der Wahlen für sich zu verbuchen.

An diesem Punkt zwang die Armee Chadli, die Wahlen vor einer katastrophalen zweiten Runde auszusetzen. Wenig später, im Januar 1992, zwang sie Chadli zum Rücktritt, nahm die Macht in einem Staatsstreich in die eigenen Hände und erklärte die FIS für illegal. Seither ist der Bürgerkrieg nicht mehr abgebrochen. Schätzungsweise 100.000 Menschen haben in den Kämpfen bereits ihr Leben verloren, und viele weitere wurden zur Flucht gezwungen. Nach den anfänglichen Hoffnungen auf eine Verbesserung der sozialen Bedingungen und einem Ende des Bürgerkriegs wird Bouteflikas Regime immer unpopulärer. In Algiers kommt es regelmäßig zu Protesten verschleierter Frauen, der "Mütter der Verschwundenen", die Tausende Menschen beklagen, die nach ihrer Verhaftung durch die Sicherheitskräfte nie wieder gesehen wurden.

Die Auflösung der AIS und Verringerung der Gewalt hat Algerien nur unter noch stärkeren Druck seitens des IWF und der westlichen Regierungen gebracht, weitere Kürzungen der Sozialausgaben vorzunehmen und noch mehr staatliche Industriebetriebe zu privatisieren. Bouteflikas Regierung kann keines der Probleme lösen, die aus der Abhängigkeit von Algeriens Wirtschaft vom westlichen Imperialismus herrühren und in den achtziger Jahren bereits aufgedeckt worden waren, noch kann sie die akuten Widersprüche auflösen, die zum Bürgerkrieg geführt haben und sich in den letzten zehn Jahren nur verschlimmert haben.

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