Rechtsradikale im Dienst des Verfassungsschutzes

Seit mehreren Monaten beherrscht das Thema rechte Gewalt die öffentliche Debatte. In vielen Medienkommentaren und Stellungsnahmen von Politikern wird fast täglich die unnachgiebige und konsequente Haltung der Staatsorgane im Kampf gegen den Rechtsradikalismus hervorgehoben. Bekannt gewordene Einzelheiten über die Arbeit des Verfassungsschutzes lassen das Verhältnis von Staat und Rechtsextremen allerdings in einem anderen Licht erscheinen.

Im Nachrichtenmagazin Der Spiegel und der Berliner Zeitung sind Berichte erschienen, wonach der Geheimdienst in mehreren Bundesländern Führungskader der faschistischen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und andere Rechtsradikale als bezahlte Informanten anheuerte. Das volle Ausmaß dieser Zusammenarbeit liegt noch im Dunkeln. Offenbar hinderte aber eine rechtskräftige Verurteilung wegen Volksverhetzung oder versuchten Mordes den Verfassungsschutz bisher nicht daran, einen Rechtsradikalen auf seine Gehaltsliste zu setzen. Dabei sollen auch Gelder des Verfassungsschutzes zum Aufbau der rechten Szene und für Neonazi-Werbung ausgegeben worden sein. Wie weit die Verfassungsschutzinformanten auch als Lockspitzel und Agents provocateurs gehandelt haben, ist umstritten. Aber einige Fakten legen es zumindest nahe.

Anfang Juni meldete Der Spiegel(Ausgabe 40/2000), dass der Neonazi Thomas Dienel von 1996 bis 1997 in Thüringen als V-Mann beschäftigt wurde. Dienel war Anfang der 90-er Jahre NPD-Vorsitzender in Thüringen und gründete später die Deutsch-Nationale Partei. Als er wegen Volksverhetzung, antisemitischer Propaganda und Betrug inhaftiert wurde, nahm er mit dem Verfassungsschutz Kontakt auf. Nach seiner vorzeitigen Entlassung hatte er nach eigenen Angaben etwa 80 Treffen mit Geheimdienstmitarbeitern und kassierte für seine Informationen rund 25.000 DM.

In der Tagesschau vom 31. August erklärte Dienel, er habe diese Gelder nicht privat verwendet, sondern als "Spendengelder" für die rechte Szene betrachtete und für die Beschaffung von rechtem Propagandamaterial genutzt. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Affäre wurde der Präsidenten des Landesverfassungsschutzes, Helmut Roewer, vom Dienst suspendiert und später in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Ein von Landesinnenminister Christian Köckert (CDU) eingesetzter Sonderermittler hat seitdem vor allem dafür gesorgt, dass keine weiteren Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.

Auch nach Beendigung seiner Geheimdiensttätigkeit musste Dienel nicht auf staatliche Finanzhilfe verzichten. Er hatte vorgebaut und heuerte als Chefredakteur einer geplanten rechten Postille namens Stimme für Deutschland an. Das thüringische Sozialministerium zahlte den "Existenzgründern" einen Zuschuss von 18.000 DM. ( Spiegel 40/2000)

1997 warben mecklenburgische Verfassungsschützer das NPD-Mitglied Michael Grube an und zahlten ihm für Spitzeldienste monatlich 500 bis 700 Mark. Bei seiner Selbstenttarnung im vergangenen Jahr gab der 21-jährige Grube brisante Informationen preis. Seine beiden V-Mann-Führer "Klaus" und "Jürgen" hätten ihm empfohlen, sich als NPD-Kreisvorsitzenden für Wismar und Nordmecklenburg wählen zu lassen. Grube glückte der Aufstieg innerhalb der NPD und unter seiner Führung wuchs der ihm unterstellte NPD-Kreisverband von 12 auf 50 Mitglieder.

Dennoch verließ Michael Grube Anfang 1999 die NPD und gründete zusammen mit anderen militanten Neonazis die Sozialistische Volkspartei (SVP). Mit Mitgliedern dieser Organisation verabredete er einen Brandanschlag auf eine Pizzeria in Grevesmühlen, der im März 1999 in die Tat umgesetzt wurde. Nach eigenen Angaben schlug Grube in der Brandnacht selbst die Scheibe der Pizzeria ein, durch die Komplizen zwei Molotowcocktails warfen. Der Anschlag zerstörte die Existenzgrundlage des nepalesischen Inhabers, der dadurch arbeitslos und später abgeschoben wurde.

Einige Tage nach dem Anschlag wurde Michael Grube verhaftet und im Dezember zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Vor Gericht rechtfertigte er sein Verbrechen mit dem Hinweis, er habe im Verdacht gestanden, ein Spitzel zu sein, und durch den Brandanschlag diesem Gerücht entgegenwirken wollen.

Um der Vermutung entgegenzutreten, das Landesamt für Verfassungsschutz habe diese Straftat billigend in Kauf genommen, um einen gut positionierten Informanten zu schützen, lud das Amtsgericht Wismar zwei Mitarbeiter des Verfassungsschutzes als Zeugen, die übereinstimmend erklärten, weder vor noch nach der Tat habe ihnen ihr V-Mann von seiner Beteiligung an diesem Anschlag berichtet.

Doch die Tatsache bleibt, dass ein vom Geheimdienst bezahlter Informant einen rechtsradikalen Brandanschlag organisiert, sich daran beteiligt, und anschließend seine Straftat mit seiner Agententätigkeit gerechtfertigt hat. Was unterscheidet derartiges Verhalten von dem eines Agents provocateurs? In diesem Zusammenhang ist auch die Zeugenaussage des NPD-Landesvorsitzenden Hans-Günter Eisenecker interessant. Er bestätigte vor Gericht, dass gegen Grube Verdächtigungen in Umlauf gewesen seien, ein Spitzel zu sein, weil dieser unter anderem immer wieder "Schritte unternommen hat, um Leute zu illegalen Taten anzuhalten". ( Berliner Zeitung, 18. Oktober 1999)

Darüber hinaus widerlegt die schnelle Behauptung der Staatschützer, sie seien zu keinem Zeitpunkt über den Brandanschlag auf die Pizzeria informiert gewesen, ihr eigenes Argument, man brauche rechtsradikale Spitzel, um frühzeitig über rechte Gewalttaten informiert zu sein.

Vor Gericht beschrieb Michael Grube sehr ausführlich seine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz und machte darauf aufmerksam, dass nicht nur er Informationen lieferte, sondern auch umgekehrt. Nach seiner erfolgreichen Wahl zum NPD-Kreisvorsitzenden sei er in die Arbeit des Geheimdienstes gegen mutmaßliche Linksradikale eingeweiht worden. 1998 sei ihm eine Namensliste von möglichen Teilnehmern einer Veranstaltung in Bad Kleinen vorgelegt worden, die dort zum Gedenken an das 1993 erschossene RAF-Mitglied Wolfgang Grams stattfinden sollte. "Das sind die wahren Staatsfeinde", hätten seine beiden V-Mann-Führer bei der Übergabe der Liste erklärt. ( Berliner Zeitung, 18. Oktober 1999)

Es ist bekannt, dass Rechtsradikale ihre politischen Gegner mittels schwarzer Listen und Steckbriefe verfolgen und terrorisieren. Falls hier einem NPD-Funktionär tatsächlich Namenslisten von Linken ausgehändigt oder ihm Einsicht in derartige Listen verschafft wurde, wäre dies nicht nur ein eklatanter Bruch elementarer Daten- und Persönlichkeitsschutzrechte, sondern würde auch die Frage aufwerfen: In wieweit handelte in diesem Fall der Verfassungsschutz als Komplize der Rechtsradikalen?

Mehrmals tagte in dieser Angelegenheit im Schweriner Landtag bereits eine Parlamentarische Kontrollkommission (PKK). Doch die Ergebnisse sind ernüchternd. Der politisch verantwortliche Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Gottfried Timm (SPD), verteidigte die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes mit der Bemerkung: "Bei der Führung des V-Manns ist kein Fehler gemacht worden", und ergänzte: "Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus müssen wir mit denen zusammenarbeiten, die in der Szene aktiv sind."

Der CDU-Landtagsabgeordnete Armin Jäger, der eine Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission beantragt hatte, unterstützte die Erklärung von Minister Timm. Jäger war selbst Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern gewesen, bevor 1998 die SPD im Bündnis mit der PDS die Regierung im nord-östlichsten Bundesland übernahm und die erste "rot-rote Landesregierung" bildete.

Ein anderer Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Mecklenburg-Vorpommern ist Matthias Meier. Er war Kreisvorsitzender der NDP in Stralsund und stellvertretender Landesvorsitzender, bevor er im März diesen Jahres alle Ämter niederlegte, weil er enttarnt worden war. (NPD-Presseerklärung vom 16. Juli 2000)

Im Bundestagswahlkampf 1998 hatte Meier den "parteilosen" Manfred Roeder als Direktkandidaten nach Stralsund geholt. Obwohl die rechtsextremistischen und antisemitischen Tiraden Roeders, die bereits früher zu rechtskräftiger Verurteilung geführt hatten, bekannt waren und Roeders Vortrag an der Führungsakademie der Bundeswehr 1995 Aufsehen erregt hatte, änderte der Verfassungsschütz nichts an seinem Verhältnis zu Meier. Dieser plante und organisierte paramilitärische Übungen und gründete 1998 den Kampfbund Nord, der zur Vorbereitung auf den Untergrundkampf dienen sollte. Noch kurz vor seiner Enttarnung versuchte Meier, in der Skinhead-Szene neue Informanten für den Verfassungsschutz zu werben.

Siehe auch:
Wie staatliche Stellen den Rechtsradikalismus fördern
(29. September 2000)
"Staat schlag zu!"
( 23. August 2000)
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