Heftiger Streit über Europäische Armee in Großbritannien

Die Regierung Blair hat zugesagt, 12.500 britische Soldaten, 18 Schiffe und 72 Kampfflugzeuge zur 60.000 Mann starken europäischen Krisenreaktionstruppe beizusteuern, die im Jahr 2003 einsatzbereit soll, und damit erbitterte Angriffe von Seiten der rechten, konservativen Opposition ausgelöst.

Der Vorsitzende der konservativen Tory-Partei, William Hague, wies die Beteuerungen der Regierung, es gehe dabei nicht um den Aufbau einer Europäischen Armee, mit Verachtung zurück. Der außenpolitische Sprecher der Tories, Francis Maude, erklärte, es handle sich um ein "politisches" und nicht um ein "militärisches Unternehmen", das zu Zusammenstößen der Europäischen Union mit den USA führen werde. Und die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher nutzte den zehnten Jahrestags ihres Amtsverlusts, um die Pläne der Labourregierung zum "Aufbau einer neuen Europäischen Armee" zu denunzieren. Ein solcher Schritt werde die Nato "spalten und zerstören" und diene ausschließlich dazu, die "politischen Eitelkeiten" von Premierminister Blair zu befriedigen, wetterte sie.

Der Daily Telegraph, die Mail und andere konservative Presseorgane haben sich diesen Angriffen angeschlossen. Die führende Rolle hat dabei die Sun übernommen, das auflagestärkste britische Boulevardblatt, das zum Pressekonzern von Rupert Murdoch, News International, gehört.

Blair, der gerade bei Präsident Putin in Moskau zu Besuch weilte, wurde von der heftigen Reaktion der Presse scheinbar völlig überrascht. Er reagierte, indem er den "antieuropäischen Medien" Unehrlichkeit vorwarf und erklärte: "Die Vorstellung, Großbritannien solle sich an den Rand der EU zurückziehen, der wichtigsten strategischen Allianz vor unserer Haustür, ist für unser Land völlig wahnsinnig." Er schrieb sofort einen Brief an die Sun, den diese am 22. November veröffentlichte. Darin heißt es: "Im Gegensatz zu dem gestern veröffentlichten Unsinn haben die USA und die Nato diese Initiative ausdrücklich begrüßt."

Die Sun schoss aus allen Rohren zurück. Um das Eurokorps zu verurteilen, ließ sie eine Reihe führender Militärs aufmarschieren, deren Namen sich wie ein Who is Who der wichtigsten Militärinterventionen der vergangenen zwanzig Jahre lesen. Unter ihnen befinden sich General Sir Peter de la Billiere, Kommandant der britischen Streitkräfte während des Golfkriegs, zwei ehemalige Kommandeure des Fallschirmspringerregiments, Admiral Sir Sandy Woodward, der Verantwortliche für den Einsatz im Falklandkrieg, Sir Michael Armitage, ein pensionierter Luftwaffenmarschall, und Feldmarschall Lord Carver, der ehemalige Generalstabschef.

Die selbe Ausgabe der Sun veröffentlichte in Interview mit Thatcher und einen Kommentar mit der Überschrift: "Wem sollen wir vertrauen?" Diese Frage wurde mit den Worten beantwortet: "Müssten wir uns zwischen Maggie Thatcher und Tony Blair entscheiden, stünde das Ergebnis von vornherein fest... Baroness Thatcher ist die Frau, die mit ihrem großen Verbündeten Ronald Reagan den Kalten Krieg gewonnen hat."

Und die Schlussfolgerung lautet: "Wir wissen, wem wir zutrauen würden, die Interessen dieses Landes zu verteidigen. Während der vergangenen Jahre wurde Großbritannien verraten. Es ist Zeit zu sagen: Schluss damit. Großbritannien gehört dem Volk, nicht den Politikern."

Wie lässt sich diese offene politische Kriegserklärung an die Blair-Regierung erklären?

Verteidigungsminister Geoff Hoon machte die britische Truppenzusage am vergangenen Montag auf einem Treffen der EU-Verteidigungsminister, auf dem sich Frankreich und Deutschland zu gleich hohen Zahlen verpflichteten. Die Krisenreaktionskräfte können über eine Distanz bis zu 4200 km eingesetzt werden. Sie werden vom deutschen General Rainer Schuwirth kommandiert. Sein Stellvertreter ist der britische General Graham Messervy-Whiting.

Hoon hat zwar betont, das vereinbarte Abkommen halte explizit fest, es bestehe keinerlei Absicht, eine "Europäische Armee" aufzubauen. Außerdem könne die US-dominierte Nato in jedem Fall als erste entscheiden, ob sie sich militärisch engagieren wolle oder nicht. Trotzdem bedeutet die Entscheidung für eine unabhängige europäische Militärkapazität eine verdeckte Herausforderung der militärischen Vorherrschaft der USA.

Frankreich und Großbritannien haben bereits vor zwei Jahren in St. Malo eine Erklärung über die militärische Zusammenarbeit unterzeichnet. Aber richtig in Gang gekommen sind die Vorbereitungen für eine schnelle Eingreiftruppe erst seit dem Krieg gegen Serbien. Dieser Krieg hat den Europäern - wie schon 1995 der Krieg in Bosnien - die überwältigende militärische Übermacht der USA und ihre eigene Abhängigkeit von diesen bei der Aufklärung und anderen wichtigen militärischen Aufgaben vor Augen geführt.

Die Clinton-Administration hat die europäischen Pläne befürwortet, weil sie darin ein Mittel sah, den Europäern einen größeren Teil der Finanzlasten für die militärische Kontrolle der Welt aufzubürden. Nicht erwünscht waren dagegen europäische Bestrebungen, die Rolle der Nato als militärische Dachorganisation des Westens zu untergraben. Aus diesem Grund ermutigte Clinton die britische Regierung, an den Diskussionen über den Aufbau von Krisenreaktionskräften teilzunehmen. Blair sollte als sein Mann in Europa dafür eintreten, dass die Truppe an die Kommandostrukturen der Nato gebunden bleibt.

Aber unabhängig von den Absichten Blairs oder Clintons läuft die Logik der Entwicklung darauf hinaus, dass sich die europäischen Mächte immer mehr aus der militärischen Abhängigkeit von den USA lösen. So konnten die Kritiker des jüngsten Schritts auf eine Erklärung des EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi verweisen, der im Februar gesagt hatte: "Wenn ihr sie nicht Europäische Armee nennen wollt, dann nennt sie halt nicht Europäische Armee. Von mir aus könnt Ihr sie Margaret nennen, oder Annemarie. Nennt sie, wie ihr wollt."

Die Konservativen sind strikt antieuropäisch eingestellt und würden sich jeder Maßnahme widersetzen, die Großbritannien auf die EU orientiert. Was in der vergangenen Woche zu einer der bisher schwersten Krisen der Blair-Regierung geführt hat, sind grundlegende internationale politische Veränderungen.

Die gegenwärtige Offensive der britischen Rechten fällt zeitlich mit der nach wie vor umstrittenen amerikanischen Präsidentenwahl zusammen. Die Tories und die Medien fühlen sich durch einen wahrscheinlichen Wahlsieg Bushs in den USA gestärkt. Insbesondere Murdoch spielt eine entscheidende Rolle bei dem Bemühen, Bush das Weiße Haus auch mit verfassungswidrigen Mitteln zu sichern. Das World Socialist Web Site hat unter anderem darüber berichtet, wie der Sender Fox TV, der sich in Murdochs Besitz befindet, versucht hat, das Wahlergebnis zu beeinflussen, indem er voreilig meldete, Bush habe den Schlüsselstaat Florida gewonnen.

Wenn die Sun Blairs Behauptung, die USA unterstützten eine unabhängige europäische Verteidigungskapazität, öffentlich abkanzelt, so ist das Ausdruck ihrer Überzeugung, dass angesichts eines unmittelbar bevorstehenden Machtwechsels in den USA alle Fragen wieder offen sind. Während Blair auf die Unterstützung der Europatruppe durch führende Vertreter der amerikanischen Regierung, angefangen bei Clinton selbst, verweist, führt die Sun die Kritik republikanischer Politiker von der Reagan-Administration bis heute ins Feld.

Unter ihnen befinden sich der ehemalige US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger und der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister Richard Perle, der als Verteidigungsminister unter Bush im Gespräch ist. Perle kommentierte: "Es handelt sich um einen französischen Plan, der ihrer ungeheuren Einbildung entspringt." Auch ein Kommentar von Dick Cheney, Bushs Kandidat für die Vizepräsidentschaft, wurde angeführt: "Wir machen uns über eines große Sorgen, das ist die Nato und die Garantie, dass nichts, was in Europa geschieht, sie unterhöhlen kann."

Ein Editorial der Sun vom 24. November enthält folgende drohenden Bemerkungen: "Blair liegt falsch, wenn er behauptet, in Amerika unterstützten alle die Euroarmee. Die Sun hat viel mehr Freunde jenseits des Atlantiks als Blair, und wir wissen, was sie denken. Was Blair zitiert, stammt aus der gelähmten Administration von Clinton, die in den letzten Zügen liegt. Wir setzen unser Vertrauen auf Männer wie Richard Perle, der Verteidigungsminister werden könnte, falls George W. Bush Präsident wird. Wir glauben an Männer wie Weinberger, der George Bush Senior nahe stand, als dieser die CIA führte. Behaupten sie nicht, in den Staaten stünden alle auf ihrer Seite, Herr Blair. Sie tun es nicht. Und auch nicht alle, die diesseits des Atlantiks Uniform tragen, tun es. Wir wissen das, denn die Landser und ihre Vorgesetzten sind enge Freunde der Sun."

Zwei Schlussfolgerungen ergeben sich aus der Offensive der Tory-Rechten und ihrer Sprachrohre unter den Medien.

Erstens: Blairs Versuch, jeglichen Konflikt zwischen den europäischen militärischen Anstrengungen und den strategischen Interessen des US-Imperialismus zu leugnen, lassen sich nicht aufrecht erhalten. Allein die Tatsache, dass sich derart viele hochstehende Republikaner in eine politische Kontroverse in Großbritannien einmischen, weist darauf hin, dass sich unter einer Bush-Administration die unterschwelligen Spannungen zwischen Europa und Amerika verschärfen würden, die bisher auf Handelsfragen beschränkt waren. Die Tories sind sich darüber bewusst und tun alles, um Großbritannien von Europa zu brechen und - in der Tradition der "besonderen Beziehung" der Nachkriegszeit - fest an die USA zu ketten. In nächster Zeit wird man die volle Bedeutung des politischen Konflikts in Großbritannien, der eine wachsende Streitlust von Teilen der herrschenden Klasse in Amerika widerspiegelt, auch in Europa und weltweit spüren.

Zweitens: In den USA bemühen sich die Republikaner, mit einer schmutzigen Einschüchterungskampagne, mit Lügen und Wahlfälschungen das Wahlergebnis auf den Kopf zu stellen und den Weg für eine soziale und politische Offensive gegen die arbeitende Bevölkerung zu ebnen. Die Sun, die Mail, der Telegraph und andere glauben offensichtlich, dass ein ähnlicher politischer Richtungswechsel auch in Großbritannien nötig und möglich ist.

Die amerikanischen Republikaner sind die politischen Gesinnungsbrüder der britischen Konservativen. In beiden Parteien existiert ein Kern von faschistischen Elementen und Militärs, die rasch die Hoffnung verlieren, sie könnten ihre Interessen mit demokratischen Herrschaftsmethoden durchsetzen.

Murdoch ist die lebendige Verkörperung all jener, die aus der wirtschaftlichen Deregulierung der achtziger Jahre am meisten Profit geschlagen haben. In der Thatcher-Ära diente die Sun als Flaggschiff der wirtschaftlichen Deregulierung, der Privatisierung, der Zerschlagung der Gewerkschaften und des Sozialabbaus.

1997 unterstützte die Sun Blair bei den Wahlen, weil die Tories in breiten Kreisen tief verhasst und außerdem durch die Spaltung in der Europafrage politisch paralysiert waren. Eine New-Labour-Regierung bot die Chance, die Strukturreform des Wirtschafts-, Sozial- und Steuersystems im Interesse der Wirtschaft fortzusetzen und gleichzeitig durch die Ausbeutung der traditionellen Verbindungen Labours zur Arbeiterklasse eine gewisse soziale Stabilität aufrecht zu erhalten.

In jüngster Zeit ist jedoch eine tiefe Unzufriedenheit mit Blair deutlich geworden. Die rechteren Teile der herrschenden Kasse sind zur Auffassung gelangt, dass Labour nicht die nötige Entschlusskraft aufbringt, um es mit der Arbeiterklasse aufzunehmen, weil die Partei immer wieder versucht, eine breite Übereinstimmung für eine Politik zu erzielen, die die Gesellschaft derart spaltet, dass sie sich nur mit repressiven Mitteln durchsetzten lässt. Dass Murdoch jetzt zu populistischer, gegen die Regierung gerichteter, nationalistischer und ausländerfeindlicher Rhetorik greift und gleichzeitig direkt an das Militär appelliert, macht deutlich, dass ein bedeutender Teil der herrschenden Klasse Großbritanniens den Einsatz solcher Mittel zur Durchsetzung seiner Interessen in Betracht zieht.

Siehe auch:
US-Wahlen: Rechte Republikaner bereiten sich auf Gewalt vor
(25. November 2000)
Loading