Für welche sozialen Kräfte spricht Ralph Nader?

Der Präsidentschaftskandidat der amerikanischen Grünen

In den vergangenen Wochen hat der Präsidentschaftskandidat der amerikanischen Grünen, Ralph Nader, vor großen Versammlungen in Portland, Minneapolis, New York City, Oakland und anderen Städten gesprochen. Seine öffentlichen Reden haben viele Studenten und Gymnasiasten beeindruckt, die sich über die soziale Ungleichheit, den Einfluss großer Konzerne auf die Politik und Umweltprobleme Gedanken machen. Der Verfasser dieser Zeilen beobachtete die Wahlkampfveranstaltung Naders an der Universität von Michigan in Ann Arbor.

In seiner Rede vor dem überwiegend aus Studenten bestehenden Publikum bestand Nader darauf, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Demokraten und den Republikanern gebe, die beide als politisches Instrument mächtiger Konzerninteressen fungierten. Der grüne Kandidat bezeichnete Al Gores Populismus als Wahlmanöver und sagte, der demokratische Kandidat sei den selben großen Öl-, Versicherungs- und Pharmariesen verpflichtet, die er zu bekämpfen behaupte. "Acht Jahre lang haben sie vor diesen großen Konzerne kapituliert, und jetzt, wo sie Euch wie alle vier Jahre einmal einen Tag lang brauchen, servieren sie Euch dieses populistische Geschwätz. Das ist alles Theater, und wir müssen es durchschauen und Konsequenzen ziehen," erklärte er dem Auditorium.

Wenn Nader davon spricht, dass sowohl Demokraten wie auch Republikaner von Konzerninteressen beherrscht seien, hat er recht. Aber seine Kritik des Zweiparteiensystem ist schematisch, oberflächlich und auch inkonsequent. Wie viele Liberale, die enttäuscht vom Rechtskurs der demokratischen Partei sind, verbindet Nader seinen Angriff auf die Demokraten mit Appellen an ihren sogenannt progressiven Flügel und nährt die Hoffnung, dass die Partei unter Druck gesetzt werden könnte, um zu einer Politik der liberalen Reformen zurückzukehren.

Den Kern dieser Inkonsequenz bildet Naders Weigerung anzuerkennen, dass jede Politik - und ganz besonders diejenige der zwei Parteien des amerikanischen politischen Establishments - eine Klassengrundlage hat. Das bringt ihn dazu, bei seiner Kritik am Monopol der zwei Parteien die Existenz von begrenzten, aber realen und zeitweise sehr scharfen Differenzen zwischen den Parteien zu leugnen oder zu ignorieren - Differenzen, die Konflikte innerhalb der kapitalistischen Finanz- und Politikerelite widerspiegeln.

Diese Konflikte nehmen manchmal enorme Ausmaße an, wie zum Beispiel während der republikanischen Impeachment-Kampagne gegen Clinton, die sich zum Versuch eines Staatsstreichs auswuchs. Nader, wie viele radikale Kritiker Clintons, reihte sich in diese reaktionäre und antidemokratische Verschwörung ein und erklärte öffentlich, er hätte für Clintons Amtsenthebung gestimmt, wäre er Senatsmitglied gewesen. Dies zeigt unter anderem, dass er die Degeneration der bürgerlich demokratischen Einrichtungen in den USA grob unterschätzt und die Gefahr für die demokratischen Grundrechte der Amerikaner ignoriert.

An der Universität von Michigan drehten sich Naders Ausführungen über die Wurzeln des Zweiparteienmonopols und seine Perspektive um drei große Themen: die Rolle des Staates, die Auswirkungen der Globalisierung und die Tragfähigkeit des nationalen Reformismus im allgemeinen und der AFL-CIO Gewerkschaftsbürokratie im besonderen.

Den Staat betrachtet Nader im Wesentlichen als eine neutrale Institution, die durch Basisbewegungen unter Druck gesetzt werden kann, die Wirtschaftsinteressen in Schach zu halten. Er bezeichnete seine Kampagne als "authentische politische Bewegung", die sich auf Bürgerinitiativen stütze, die Armut, Umweltzerstörung, Billiglöhne und den Niedergang des öffentlichen Nahverkehrs bekämpften. Solch eine Bewegung sei notwendig, behauptete er, "weil die politische Bühne heute von zwei korrupten Parteien beherrscht wird, die Bürgerinitiativen in Washington und im ganzen Land immer stärker daran hindern, ihre Chance zur Beeinflussung der öffentlichen Politik für eine gerechtere Gesellschaft und Welt wahrzunehmen."

Nader sagte, seine Kampagne "richte sich gegen die Extremisten in den Konzernen, die unsere Regierung korrumpiert haben". Sie ziele auf die "Wiederherstellung der Souveränität des Volkes" über die "Souveränität der Konzerne" ab. Nader vertrat immer wieder die Auffassung, dass eine aktive und engagierte Bürgerschaft "unsere Regierung" auf ihre Seite ziehen könne, ohne die gegenwärtige Wirtschaftsordnung umzuwälzen.

In seiner Begründung für die Gangbarkeit dieser Perspektive nahm Nader Bezug auf die Vergangenheit. Er sprach über die Populisten, die Gegner der Kinderarbeit, die Suffragetten, die Sitzstreikenden und die Bürgerrechtsaktivisten. In diesen Kämpfen, sagte er, habe Amerika gesagt: "Schade um eure Konzernprofite, wenn ihr Kinder in den Fabriken arbeiten lasst. Schade um Euch, Banken und Eisenbahnen, wenn Ihr hohe Zinsen und Frachttarife kassiert und die kleinen Bauern und all jene schädigt, die zur großen Populistenbewegung gehören. Und schade um Euch, ihr Autokonzerne, wenn ihr den Arbeitern verbietet, in die Gewerkschaft einzutreten und um ihre Rechte zu kämpfen."

Diese Version der Geschichte ist jedoch sehr weit von der Wahrheit entfernt. Es ist eine grobe Verfälschung und Verflachung, welche die Auffassung stützen soll, der Staat sei eine neutrale Institution, und der korrupten Gegenwart eine mystifizierte Vergangenheit entgegenstellt.

Erstens war der Staat selbst in Zeiten sozialer Reformen wie des New Deal der dreißiger Jahre immer noch ein Instrument der mächtigsten Konzern- und Finanzinteressen. Er war niemals von ihnen unabhängig. Sein Zweck bestand damals wie heute darin, die wesentlichen Interessen der herrschenden Klasse zu verteidigen, vor allem ihren Besitz und ihre Kontrolle über die Produktionsmittel. Er tat dies in jener Zeit teilweise mit Hilfe sozialer Reformen.

Gerade weil der Staat unter dem Profitsystem notwendigerweise ein Instrument der herrschenden Wirtschaftsinteressen bleibt, waren auch die Reformen, die Roosevelt in den dreißiger und Johnson in den sechziger Jahren einführten, nur sehr beschränkt: Sie erreichten nicht einmal das Niveau von Sozialleistungen, wie sie nach dem zweiten Weltkrieg von westeuropäischen Regierungen eingeführt wurden. Die meisten dieser Sozialmaßnahmen haben sich außerdem als sehr kurzlebig erwiesen.

Zweitens waren die sozialen Errungenschaften, die mit Bewegungen wie den CIO-Gewerkschaften in den dreißiger und den Bürgerrechtsbewegungen in den fünfziger und sechziger Jahren verbunden sind, nicht, wie Nader behauptet, das Produkt wohlwollender Regierungen. Sie waren das Ergebnis von Massenstreiks, an denen Millionen Arbeiter teilnahmen, in vielen Fällen von Sozialisten geführt, die der herrschenden Klasse die Frage "Sein oder Nicht-Sein" stellten. Unter Bedingungen massiven Drucks von unten verstanden die scharfsinnigsten kapitalistischen Politiker wie Roosevelt, dass es nötig war, gewisse Konzessionen an die Arbeiterklasse und andere unterdrückte Schichten zu machen, um das Profitsystem vor einer drohenden sozialen Revolution zu retten.

Liberale Verteidiger des Kapitalismus haben gerade in Reformperioden immer wieder behauptet, dadurch sei die marxistische Auffassung widerlegt, der Staat sei ein Werkzeug der ökonomisch herrschenden Klasse. Aber sogar in Zeiten sozialer Reformen trat die eigentliche Rolle des Staates als gewaltsames Repressionsinstrument gegen die Arbeiterklasse immer wieder zum Vorschein, wenn die grundlegenden Interessen der herrschenden Elite in Gefahr gerieten.

An solchen Zwischenfällen gab es auch unter Roosevelt keinen Mangel, wie das blutige Massaker an streikenden Stahlarbeitern am Memorial Day 1937 zeigt. In der Nachkriegszeit wurde die Bürgerrechtsbewegung unterdrückt und der Staat reagierte mit äußerster Gewalt auf die Aufstände in den Städten und auf die Antikriegsbewegung, um nur einige Beispiele zu nennen. Das gleiche gilt für die jüngere Zeit, als der Nachkriegsboom zu Ende ging und beide Parteien zum direkten Angriff auf die Arbeiterklasse übergingen. Das begann unter Carter und Reagan und setzt sich bis auf den heutigen Tag fort. Dazu gehörte auch die Unterstützung der Regierung für die Zerschlagung der Gewerkschaften in den achtziger und neunziger Jahren: die Entlassung der PATCO-Flugzeuglotsen, der Einsatz von staatlicher Kavallerie und privaten Schlägertrupps um Streiks zu brechen, und das Wiederaufleben von Schauprozessen gegen Arbeiter und von Morden an Streikposten.

So ist auch, im Gegensatz zu Naders Behauptungen, der Einfluss des Kapitals auf die Regierung und die zwei politischen Parteien nichts Neues. Er war über ein Jahrhundert lang wesentlicher Bestandteil der amerikanischen Politik. Wenn dieses Monopol in den Vereinigten Staaten offener aufgeübt wird als in anderen Ländern, dann deswegen, weil die amerikanische Arbeiterbewegung niemals den wichtigen Schritt vollzogen hat, eine eigene politische Partei aufzubauen.

Naders Leugnung des Klassencharakters des kapitalistischen Staates hat reaktionäre Konsequenzen für die von ihm befürwortete Politik. Obwohl er eine Reduktion des amerikanischen Militärhaushalts fordert, behauptet Nader, das Militär sei dazu da, um die Interessen der amerikanischen Bevölkerung und nicht die des US-Imperialismus zu verteidigen.

Das Programm der Grünen Partei der USA nimmt eine ähnliche Haltung ein und erklärt, dass die USA "eine lebensfähige amerikanische Militärmacht, eine zurückhaltende außenpolitische Doktrin und Einsatzstrategien" brauche, "die von realen, nicht inhaltsleeren oder eingebildeten Bedrohungen für unser Volk, unsere demokratischen Institutionen ausgeht und die US-Interessen in Rechnung stellt." Gestützt auf die gleiche Perspektive haben die "pazifistischen" Grünen in Deutschland, die sich in einer Koalitionsregierung befinden, eine offen pro-imperialistische Politik eingenommen und den Krieg der NATO gegen Jugoslawien unterstützt.

Nader äußert ähnliche Ansichten über Polizei und Gerichte und behauptet, sie seien Teil "unserer Regierung", nicht Instrumente der Klassenunterdrückung. In Ann Arbor beklagte Nader, dass Polizeibrutalität und Skandale "die Durchsetzung von Recht und Gesetz und die Polizei in Verruf" brächten. Er fuhr fort: "Wenn wir eine gesetzestreue Nation haben wollen, dann müssen wir auch öffentlichen Respekt für die Ordnungshüter haben."

Wirtschaftsnationalismus

Da wo er eine Erklärung für die Rechtswende der kapitalistischen Parteien liefert, sieht er die Verantwortung bei der Globalisierung. Er identifiziert die wachsende Dominanz transnationaler Produktion und transnationalen Handels mit einzelnen Handelsverträgen und Institutionen, wie der Welthandelsorganisation (WTO), der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond (IWF).

"Die WTO", erklärte er der Zuhörerschaft in Ann Arbor, "unterwirft Amerika dem Diktat des internationalen Handels". Globalisierung, sagte er, führe "zur Unterwanderung unserer lokalen, staatlichen und nationalen Souveränität durch nicht-öffentliche Gerichtshöfe im schweizerischen Genf," die internationale Arbeits- und Umweltstandards festlegten, so dass "wir nicht mehr an unsere eigenen Gerichte" appellieren können. Nader beschuldigte die WTO und andere Institutionen, einen "schleichenden Staatsstreich" gegen die USA auszuführen.

Dies ist ein Appell an den amerikanischen Nationalismus. Wie wir während unserer Berichterstattung über den Nominierungsparteitag der Grünen im vergangenen Sommer schrieben, hat Nader ziemlich bewusst versucht, an jene zu appellieren, die vom Präsidentschaftskandidaten der Reform Partei, Patrick Buchanan, fasziniert waren, der Handelsverträge mit Mexiko und China auf ähnliche Weise angriff, weil sie angeblich die amerikanische Souveränität verletzten.

In seiner Rede in Ann Arbor behauptete Nader, die amerikanische Gesellschaft sei früher demokratischer und egalitärer gewesen, als die Weltwirtschaft den nationalen Markt noch nicht völlig beherrscht habe. Mit der Globalisierung, so sagte er, funktionierten die WTO und andere Handelsabkommen nach ganz andern Prinzipien als den angeblich in den USA herrschenden, d.h. sie stellten den Profit über die Bedürfnisse der Menschen. Diese globalen Einrichtungen verlangten, dass die USA ihre Standards mit Ländern in Übereinstimmung bringen, die "sogar noch weniger demokratische Infrastruktur haben als wir", was zu einem sinkenden Lebensstandard und zur Unterminierung der Rechte der amerikanischen Bevölkerung führe.

Naders Bemerkungen sind von amerikanischer Arroganz und Überlegenheitsdünkel nicht bloß angehaucht. Die Auffassung, das Problem der einfachen Menschen in den USA bestehe darin, nicht den gleichen Zugang zur WTO wie zu amerikanischen Institutionen zu haben, ist einfach absurd. Welchen Einfluss haben amerikanische Bürger auf die Entscheidungen der amerikanischen Bundesbank, ein Gremium, das niemals gewählt wurde, dessen Entscheidungen über Zinssätze und Geldmenge direkte Auswirkungen auf Arbeitsplätze, das Lohnniveau, die Mieten und Hypothekenzinsen und das allgemeine wirtschaftliche Wohlergehen von Millionen arbeitender Menschen haben? Was den Kongress betrifft, so gibt Nader selbst zu, dass dieses Gremium buchstäblich für den meistbietenden Konzern zum Verkauf ansteht.

Nader zeigt hier typische Symptome von parlamentarischem Kretinismus, der Demokratie einfach mit der Existenz von Wahlen und Parlamenten gleichsetzt. Er zeigt auch eine übertriebene Achtung vor dem juristischen Berufsstand und den Gerichten, denen er zutraut, dass sie gesellschaftliche Mängel entscheidend zurechtrücken könnten. Das ist nicht überraschend, blickt er doch selbst auf eine lange Karriere als Wachhund und Schiedsrichter über die Konzerne zurück.

Was die WTO angeht, so wird sie zum großen Teil von US-amerikanischen Konzerninteressen kontrolliert. Das Problem mit dieser und ähnlichen Institutionen ist vom Standpunkt der Arbeiterklasse nicht, dass sie nicht genügend von den USA kontrolliert werden. Das Problem ist, dass sie von der Kapitalistenklasse kontrolliert werden.

Was Nader beklagt, ist die Tatsache, dass die Globalisierung die Perspektive des nationalen Reformismus unterhöhlt hat, auf die sich die Gewerkschaften, Bürgerrechtsorganisationen und liberalen Protestgruppen lange Zeit gestützt haben. Transnationale Konzerne sind heute weniger abhängig von einem nationalen Angebot an Arbeitskräften und weniger auf nationale Märkte begrenzt. Sie sind in der Lage, die Produktion leichter in andere Länder zu verlegen, wo sie die niedrigsten Kosten und die höchsten Erträge finden. Dieser Prozess hat die soziale Bedeutung der Gewerkschaften stark vermindert, die Millionen ihrer Mitglieder verloren haben und heute nur noch einen kleinen Prozentsatz der Arbeiterklasse repräsentieren.

Je mehr die Lebensfähigkeit der national reformistischen Perspektive untergraben wird, desto enger versucht sich Nader an die Gewerkschaften, Bürgerrechtsgruppen und liberalen Lobbyisten zu halten und die wirtschaftlichen Vorgänge zu verschleiern, die zu ihrem Zerfall geführt haben. Er trauert einer halb-mystischen Vergangenheit nach, als der Nationalstaat angeblich noch wirtschaftliche Sicherheit und demokratische Grundrechte garantierte. Es ist nicht überraschend, dass er in dieser Beziehung im großen und ganzen die Ansichten der AFL-CIO-Gewerkschaftsbürokratie teilt.

Nader und die Grünen gehen sogar noch weiter: Sie befürworten "regional begrenzte Wirtschaftsformen" und verherrlichen lokale Kleinunternehmen. Nader schreibt, die Regierung müsse "Unternehmen im kleineren Maßstab" unterstützen, die, wie er behauptet, "leichter einer demokratischen Kontrolle unterworfen werden können, weniger leicht damit drohen, ihre Tätigkeit ins Ausland zu verlegen, und leichter zu überzeugen sind, ihre Interessen in Übereinstimmung mit den Interessen der Gemeinschaft zu bringen" (zitiert aus GATT, NAFTA und die Subversion des demokratischen Prozesses, von Ralph Nader und Lori Wallach).

Im Zeitalter des Internets und der globalen Produktion rufen Nader und die Grünen zu einer Rückkehr zur kleinformatigen, lokal gestützten Wirtschaft auf. Dies ist eine reaktionäre Utopie - ein Versuch, den menschlichen Fortschritt umzudrehen und die Produktivkräfte in die Grenzen des Nationalstaats und sogar in primitivere und provinziellere politische Formen zurück zu zerren. Während Nader und die Grünen ein idyllisches Bild der vorindustriellen oder frühindustriellen Zeit ausmalen, war die Realität für die große Mehrheit der Arbeiter auch damals alles andere als idyllisch.

Soziale Ungleichheit, Armut und wirtschaftliche Unsicherheit sind nicht das Produkt der globalen Integration der Wirtschaft an sich, sonder der Unterordnung der globalisierten Wirtschaft unter den Kapitalismus. Die großen Veränderungen in der Weltwirtschaft der letzten zwanzig Jahre bestätigen Marx‘ Analyse des Kapitalismus als wesentlich international und expandierend, außerdem bestätigen sie die internationale Orientierung der sozialistischen Bewegung, seit dem Kommunistischen Manifest in den berühmten Worten ausgedrückt: "Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!"

Der Prozess der Globalisierung hat Hunderte Millionen Arbeiter in den gemeinsamen Kampf gegen die transnationalen Konzerne hineingezogen und eine beispiellose Gelegenheit geschaffen, die nationalen Grenzen niederzureißen und eine internationale sozialistische Strategie auszuarbeiten. Wenn die technologischen und produktiven Fortschritte, die mit der Globalisierung verbunden sind, unter die Kontrolle der Produzierenden dieser Welt gestellt werden, ermöglichen sie zum erstenmal in der Geschichte, Arbeitsplätze, einen annehmbaren Lebensstandard und demokratische Rechte für alle Menschen der Welt zu schaffen.

Der Sozialismus geht von der Entwicklung der Produktivkräfte aus, die, wie Marxisten erklären, die Vorbedingung für die Schaffung einer wirklich gleichen und menschlichen Gesellschaft ist. Die Grünen tendieren dagegen dazu, den wirtschaftlichen Fortschritt selbst - nicht den Kapitalismus - als größte Gefahr für die Menschheit zu betrachten, und sie versuchen den Nationalstaat als Gegengewicht zur globalen Entwicklung der Produktivkräfte zu erhalten.

Illusionen in den AFL-CIO und die Demokraten

Die Substanzlosigkeit von Naders Perspektive wird durch die Institutionen unterstrichen, die er als "progressiv" anpreist. Dazu gehören auch die AFL-CIO-Gewerkschaften, die nach jahrzehntelangem Verrat, Zusammenarbeit mit dem Management, Korruptionsskandalen und Unterdrückung der Rechte der Mitglieder ihre Glaubwürdigkeit bei breiten Schichten von Arbeitern weitgehend verloren haben.

Obwohl er die Vereinigten Gewerkschaft der Autoarbeiter (UAW) vor den Kopf stieß, als er unsichere Autos anprangerte und gerichtliche Schritte gegen korrupte Führer der Teamster-Gewerkschaft unterstützte, hat sich Nader in den letzten zehn Jahren bemüht, ein Bündnis mit der Gewerkschaftsbürokratie zu schließen. Vor einigen Monaten appellierte er an die Vorsitzenden von UAW und Teamsters, Steven Yokich und James P. Hoffa, ihn zu unterstützen. Beide Gewerkschaftsführer lobten Nader für seine Unterstützung ihrer chauvinistischen Kampagnen gegen das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA und das Handelsgesetz mit China.

Naders Appell an die AFL-CIO-Bürokratie wirft eine interessante Frage auf: Wie tief kann seine Opposition gegen die demokratische Partei sein, wenn er sich mit der Gewerkschaftsbürokratie, einer der wichtigsten Stützen dieser Partei, verbündet? Tatsächlich zeigen Naders Schlussbemerkungen an der Universität von Michigan, dass der Kandidat der Grünen Partei keineswegs einen wirklichen Bruch mit den Demokraten will, sondern seine Rolle darin sieht, die beiden kapitalistischen Parteien zu beeinflussen.

Nader gab der Hoffnung Ausdruck, genügend Stimmen für die Grünen zu gewinnen, um "den Mehrheitsstatus zu erlangen [d.h. sich für Wahlen zu qualifizieren und Staatsgeld zu kassieren], um dadurch in Washington zum Aufpasser dieser zwei korrupten Parteien zu werden und ihnen Feuer unterm Hintern machen zu können". Er wiederholte diesen Punkt in einem Brief an die New York Times vom 27. Oktober, in dem er schrieb: "Wir streben langfristig politische Reformen durch eine wachsende Partei an, die die beiden Parteien zu Reformen drängt."

Als ein Ergebnis seines Wahlkampfs gibt Nader die Stärkung des liberalen Flügels der demokratischen Partei an, der dadurch ermutigt werde, dem rechten Democratic Leadership Council die Kontrolle zu entreißen. Gegenüber der Baltimore Sun sagte er: "Nach der Wahl werdet ihr sehen, wie viel Respekt die Demokratische Partei von Clinton, Gore und Lieberman dem progressiven Flügel entgegenbringen wird. Weil sie wissen, dass der progressive Flügel jetzt eine alternative Heimat hat."

Über welchen progressiven Flügel spricht Nader? Die sogenannten Progressiven und Liberalen in der demokratischen Partei haben sich hinter jede reaktionäre politische Maßnahme der Clinton-Regierung gestellt, von der Abschaffung der Sozialhilfe über die Führung von imperialistischen Kriegen bis hin zu "Law and Order"-Angriffen auf Bürgerrechte und der wirtschaftsfreundlichen Haushaltspolitik der Regierung. Ein gemäßigter Republikaner von vor dreißig Jahren hätte Schwierigkeiten, sich mit der Politik dieser sogenannten Progressiven zu identifizieren.

So wie Nader den Klassencharakter des kapitalistischen Staates leugnet, so leugnet er, dass Parteien gesellschaftliche Klassen vertreten. Er will uns weismachen, dass die Rechtsentwicklung der Demokraten nicht das Ergebnis veränderter Ansprüche des kapitalistischen Marktes sei, sondern einfach der Ansichten von Clinton, Gore und Co.

Nader ist fähig, die offensichtlichen Übel des Kapitalismus zu erkennen und zu verurteilen. Aber er tut so, als seien das lediglich Missbräuche und Ungerechtigkeiten einer ansonsten funktionstüchtigen Wirtschafts- und Sozialordnung. Auf der Grundlage anderer, gerechterer Ideen könnten Reformen im Interesse der Menschen durchgeführt werden. Nader und die Grünen weisen die Auffassung zurück, dass die Interessen der Arbeiterklasse und der herrschenden Klasse unvereinbar sind, und dass der Klassenkampf der grundlegendste Fakt des modernen Lebens ist.

In seiner ganzen Karriere appellierte er an das aufgeklärte Eigeninteresse und die Menschenfreundlichkeit der herrschenden Klasse und ihrer Vertreter. Auf dieser Grundlage weist Nader den Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von den zwei Parteien und der kapitalistischen Politik insgesamt zurück.

Naders Politik entspricht den Ansichten und der Position einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht. Er artikuliert den Zorn und die Opposition von Schichten des Kleinbürgertums - kleiner Farmer, Ladenbesitzer, höherer Angestellter, Akademiker und der herkömmlichen Mittelstandsunternehmer, die unter dem Druck der Großindustrie und der Globalisierung stehen. Seine Perspektive ist das Eingreifen der Regierung, um primitivere wirtschaftliche Beziehungen und die von ihnen abhängigen Klassen am Leben zu erhalten.

Das politische Wunschdenken, der Eklektizismus, die inneren Widersprüche der Grünen, ihr Mangel an einer konsequenten und wissenschaftlich begründeten Perspektive - das sind die Kennzeichen der Mittelschichten der Gesellschaft, die vom Großkapital ausgepresst und destabilisiert werden.

Eine Partei des Kleinbürgertums ist unfähig, ein konsequent unabhängiges Programm auszuarbeiten. Letztendlich können diese gesellschaftlichen Schichten nur eine Zwischenrolle zwischen den zwei großen konkurrierenden Klassen der Gesellschaft spielen - der Arbeiterklasse und der Kapitalistenklasse.

Veranstaltung an der Berliner Humboldt-Universität:
Die amerikanische Präsidentschaftswahl und ihre internationale Bedeutung

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