Die neue serbische Regierung steht vor großen Schwierigkeiten

Die westlichen Mächte haben die Parlamentswahlen in Serbien vom 23. Dezember als endgültige Bestätigung für den von den USA geführten 78-tägigen Krieg der NATO gegen die Regierung von Slobodan Milosevic begrüßt. Die demokratische Opposition Serbiens (DOS) unter Führung von Präsident Vojislaw Kostunica errang dabei einen überwältigenden Erfolg.

Die aus 18 Parteien bestehende DOS-Koalition erhielt 64.5 Prozent der Stimmen und mehr als zwei Drittel (178) der 250 Sitze im serbischen Parlament. Milosevics Sozialistische Partei Serbiens (SPS) kam auf etwa 13.5 Prozent der Stimmen und 37 Sitze.. Die jugoslawische Vereinte Linkspartei von Milosevics Ehefrau Mirjana Markovic verschwand mit weniger als 0.4 Prozent der Stimmen praktisch von der Bildfläche.

Pro-Milosevic-Kandidaten gewannen in der Provinz Kosovo eine Stimmenmehrheit, doch nur, weil ethnische albanische Parteien, die die Unabhängigkeit von Serbien anstreben, die Wahl boykottierten.

Ungeachtet der anfänglichen Euphorie über die Amtseinsetzung der pro-westlichen Regierung Kostunicas gibt es wenig Anlass zur Selbstzufriedenheit oder Feierlaune seitens der US und der europäischen Mächte. Der Sieg der DOS trägt nichts zur Stabilisierung des Balkan bei. Gewiss hat die Bundesrepublik Jugoslawien nun ein gefügigeres Regime, doch auch dieses Regime ist von politischen, sozialen und ethnischen Spannungen zerrissen, die sich durch die ruinösen Folgen der westlichen Wirtschaftsblockade noch verschärfen.

Das Wahlergebnis enthüllt das Weiterbestehen nationalistischer Spannungen, wobei vor allem die serbischen nationalistischen Parteien Zugewinne verzeichneten. Die Serbische Radikale Partei von Vojislaw Seselj erhielt mehr als 8.5 Prozent der Stimmen und möglicherweise 23 Sitze. Die nationalistische Koalition um die Partei der Serbischen Einheit, die früher vom inzwischen verstorbenen Kriegsverbrecher Zeljko Raznatovic (oder Arkan) geführt wurde, erzielte 5.3 Prozent und 14 Sitze.

Zusammen mit Milosevics Sozialistischer Partei (die immer noch die größte Partei im neuen Parlament ist) gewannen die Nationalisten insgesamt 27.4 Prozent der Stimmen und 74 Sitze. Dies könnte zu Problemen führen, wenn es innerhalb der höchst instabilen DOS-Koalition zu Unstimmigkeiten kommt. Premier Zoran Djindjic führt die Demokratische Partei an, die größte Gruppe innerhalb der DOS. Wiederholt ist er mit dem populäreren Kostunica aneinandergeraten.

Entsprechend ging die neue Regierung als erstes daran, den Staatsapparat personell zu reorganisieren, um den Einfluss der SPS und Milosevics einzudämmen. Präsident Kostunica schickte 13 Spitzenmilitärs in Rente und berief 17 Botschafter ab, darunter Milosevics Bruder Borislaw. Zahlreiche Staatsbeamte mussten ihren Stuhl für andere räumen.

Die DOS-Regierung hat versprochen, den Polizeischutz für Milosevic aufzuheben und deutete Strafverfolgungsmaßnahmen an. Nach offizieller Lesart widersetzt sich die DOS jedoch Forderungen der USA und Europas, Milosevic dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auszuliefern.

Anlass zu größerer Beunruhigung als die Zwistigkeiten innerhalb der DOS bietet die Aussicht auf weitere nationalistische Unruhen innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien. Diese Probleme zeigen sich in den Forderungen Montenegros, der letzten bei der Bundesrepublik Jugoslawien verbliebenen Republik, sowie in der wachsenden Gefahr seitens des ethnisch motivierten albanischen Separatismus in der serbischen Provinz Kosovo und anderswo.

Anfang Januar versuchte Kostunica zwei Wochen lang, Montenegros Präsident Milo Djukanovic zu bewegen, mit seiner kleinen Republik (650.000 Bewohner) Teil des jugoslawischen Bundesstaates zu bleiben. Djukanovic warf Kostunica daraufhin vor, "Montenegro von Belgrad aus regieren zu wollen". Djukanovic möchte eine gemeinsame Verteidigungs-, Währungs- und Außenpolitik mit Serbien betreiben, während Montenegro als unabhängiger Staat international anerkannt wird.

Meinungsumfragen zeigen, dass die Montenegriner in dieser Frage sehr gespalten sind. Dies könnte weiteres Blutvergießen hervorrufen angesichts des Umstandes, dass Montenegro Jugoslawiens einzigen Zugang zum Meer kontrolliert.

Führende westliche Politiker haben mit Djukanovics separatistischem Programm als Waffe gegen das Milosevic-Regime geliebäugelt. Inzwischen fürchten sie aber, dass die montenegrinischen Forderungen einen Widerhall im Kosovo, in Bosnien und Mazedonien finden, insbesondere infolge des wiederauflebenden albanischen Nationalismus.

Erhielte Montenegro die Unabhängigkeit, ließe sich die Forderung nach der Abtretung des Kosovo an Albanien kaum mehr zurückweisen. Das würde Forderungen der serbischen Minderheit im Kosovo nach sich ziehen, sich Serbien anzuschließen und die Grenzen entsprechend neu zu ziehen. Ein ähnlich schwer kontrollierbarer Prozess könnte dann in Bosnien und Westmazedonien mit seiner albanischen Minderheit beginnen.

Ethnisch motivierte albanische Aufständische greifen seit Monaten Serbiens südöstliche Grenze zum Kosovo an, wobei sie laut einigen Beobachtern die stillschweigende Unterstützung der US-Streitkräfte genießen, die das Gebiet überwachen. Es gab auch mehrere Berichte, wonach Waffen vom Kosovo nach Mazedonien gebracht werden.

Als das neue serbische Parlament am 27. Dezember zusammentrat, bestand eine seiner ersten Amtshandlungen in der Annahme einer Entschließung, mit der die Vereinten Nationen aufgefordert werden, für den Abzug albanischer Kämpfer aus der fünf Meilen breiten entmilitarisierten Zone zwischen Kosovo und Serbien zu sorgen. Die DOS-Regierung hat verlangt, das Abkommen über die entmilitarisierte Zone in dem Sinne abzuändern, dass jugoslawische Truppen dort intervenieren können. In der Entschließung heißt es, Jugoslawien würde niemals zulassen, dass ihm Teile seines Territoriums weggenommen würden.

Dreitägige Verhandlungen zwischen UNO und Nato, die das Kosovo seit Juni 1999 verwalten, sowie serbischen und albanischen Vertretern sollen am 30. Dezember zu einer Vereinbarung geführt haben, die die Spannungen zwischen den beiden Seiten verringert. Dazu gehört auch der Abbau von Stellungen in Südserbien. Doch am 2. Januar fingen ethnische albanische Kräfte an, serbische Polizeistationen am Berg Svet Ilija, der innerhalb der entmilitarisierten Zone liegt, mit Minenwerfern anzugreifen.

Auch die sozialen Beziehungen in Serbien sind zum Zerreißen gespannt. Gleich bei ihrem Amtsantritt bekam die DOS den Langzeit-Effekt des Kriegs und der Wirtschaftssanktionen, die das Land ruiniert haben, vor Augen geführt. Im ganzen Land gab es Stromabschaltungen von bis zu 12-stündiger Dauer; 75 Prozent der Haushalte waren betroffen.

Bombenschäden an Elektrizitätswerken und andere wirtschaftliche Schwierigkeiten haben dazu geführt, dass Jugoslawien die Zahlungen an Russland für Erdgaslieferungen sowie an angrenzende Balkanstaaten für Elektrizität aus dem gemeinsamen Verteilernetz der Region eingestellt hat. Das Netz wurde aufgrund der internationalen Sanktionen schlecht gewartet, nur ein Drittel der notwendigen Arbeiten am Netz wurden letztes Jahr ausgeführt.

Beinahe die halbe Hauptstadt Belgrad war Ende Dezember ohne Strom. Viele Fabriken in ganz Serbien wurden geschlossen.

In der mittelserbischen Stadt Cacak verhängten die Behörden den Ausnahmezustand, nachdem eine wichtige Relaisstation zusammengebrochen war und etwa 800.000 Menschen für mehr als 24 Stunden keinen Strom mehr hatten. Alle Fabriken, Geschäfte, Schulen und Kindergärten wurden vorübergehend geschlossen. Demonstranten in Nis, der drittgrößten Stadt Serbiens, warfen Steine gegen die Büros der örtlichen Stromgesellschaft, blockierten Strassen , verbrannten Reifen und setzten Mülltonnen in Flammen.

Jugoslawien schuldet Russlands Gas- und Ölgiganten Gazprom mehr als 300 Millionen US-Dollars und hat zugesagt, diese Schulden zu bedienen, wenn Russland in diesem Jahr weitere 53 Mrd. Kubikmeter Erdgas liefert. Dies allein würde den Löwenanteil der 200 Millionen Dollar kosten, die die Europäische Union zugesagt hat sowie eines ähnlichen Betrags von den USA. Nichts bliebe übrig, um die schlimmen Härten zu mildern, denen die serbische Arbeiterklasse ausgesetzt ist.

Die Löhne sind auf etwa 40-50 US Dollar die Woche gefallen. Hilfsorganisationen wie Oxfam betreiben Suppenküchen, die allmonatlich Zehntausende Menschen versorgen. In Serbien gibt es, als Ergebnis ethnischer Konflikte in der Region, etwa 700.000 Flüchtlinge, die vollständig auf Hilfe angewiesen sind.

Diese Situation kann sich nur verschlimmern angesichts der Zusagen von Kostunica und Djindjic, die marktwirtschaftlichen Sparmassnahmen durchzusetzen, die der Westen verlangt.

Am 26. Dezember sagte Djindjic einem Treffen von 200 Geschäftsleuten, dass sie das entscheidende Wort in der Festlegung der Regierungspolitik hätten, und dass "die Wirtschaft, nicht die Politik, Priorität für die Regierung" sei. Er versprach, wichtige Gesetze, darunter Maßnahmen zur Förderung von Auslandsinvestitionen, im Februar zu verabschieden. Eine weitere Privatisierung staatlicher Unternehmen, viele neue Schließungen und Arbeitslose wären die Folge.

Djindjics Wunsch nach einer "stabilen Umgebung" deutet auf die darüber Nervosität hin, wie die Öffentlichkeit auf eine solche Politik reagieren wird. "Die Leute sollten keine großen Lohnerhöhungen fordern oder gleich Streikmaßnahmen ergreifen," sagte Djindjic.

Vertreter der westlichen Mächte vor Ort teilen Djindjics Befürchtungen. Adrian Severin, Leiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Serbien, warnte: "Die gesamte Region ist weiterhin in jeder Hinsicht instabil. Es wird sehr viel Mühe kosten, die Köpfe und Herzen zu öffnen, und große Summen von Kapital und finanzieller Unterstützung, um ein Minimum von Stabilität auf den Balkan zu bringen."

Angesichts einer bevorstehenden republikanischen Administration in den USA kann man allerdings kaum erwarten, dass so große Summen nach Serbien fließen. Schlüsselfiguren des Bush-Lagers, wie die nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, haben einen militärischen Rückzug der USA vom Balkan gefordert. Europa soll die Kosten für die fortgesetzte Kontrolle über den Balkan und den wirtschaftlichen Wiederaufbau tragen.

Siehe auch:
Politische Lehren aus dem Balkankrieg
(16. Juni 1999)
Loading