Bundestag segnet Rentenkürzungen ab

Am 26. Januar beschloss der Bundestag mit 319 Stimmen der rot-grünen Koalition das Rentenreformgesetz. Nach unzähligen Änderungen und Korrekturen in den vergangenen zwei Jahren erhielt das von Bundesarbeitsminister Riester als "größte Sozialreform der Nachkriegsgeschichte" bezeichnete Gesetzesvorhaben die erforderliche Zustimmung auch von früheren Kritikern in der SPD und den Gewerkschaften. Das Gesetz passierte am 16. Februar den Bundesrat und wurde erwartungsgemäß von den unionsregierten Bundesländern abgelehnt. Dennoch tritt der nicht zustimmungspflichtige Teil des Gesetzespaketes, der die Kürzungen der gesetzlichen Rente beinhaltet, nun in Kraft, während die zustimmungspflichtige staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge gestoppt ist und an den Vermittlungsausschuss überwiesen wird.

Schon jetzt gehen Experten davon aus, dass die Rentenfinanzierung bereits in der nächsten Legislaturperiode wieder auf der Tagesordnung stehen wird. Für die Beschäftigten und Rentenbezieher wird die "Rentenreform" als Beginn der schärfsten Einschnitte in die Geschichte eingehen.

Medien und Wirtschaftskreise stellen inzwischen mit Genugtuung fest, dass ausgerechnet eine sozialdemokratisch geführte Regierung die Senkung der gesetzlichen Rente beschließt und mit der geplanten Privatvorsorge eine Teilprivatisierung der Rente einführt, deren staatliche Förderung noch von Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat abhängt. Riesters Gesetz geht damit weit über die Pläne des früheren Arbeitsministers Blüm hinaus.

So stellt die Zeit vom 25. Januar dieses Jahres fest: "Die SPD kann den Menschen offenbar eine ganze Menge zumuten - und mehr durchsetzen, als sie sich neuerdings zutrauen mag. ... Jetzt geht es darum, den Reformeifer nicht zu verlieren und die Prinzipien der Rentenreform auf die anderen Sozialsysteme anzuwenden. Auch im Gesundheitssystem, das ebenfalls unter der Überalterung der Gesellschaft leidet, wäre nötig, was künftig für die Rente gilt: mehr Wahl- und Entscheidungsfreiheit für den Einzelnen - etwa durch die Möglichkeit, auf Leistungen zu verzichten und dafür weniger einzuzahlen. ... Mehr Wahlfreiheit wäre außerdem bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei Pflege- oder Arbeitslosenversicherung dringend geboten."

Absenkung des Rentnenniveaus für alle

Zum zustimmungsfreien Teil des Rentengesetzes, der vom Bundestag verabschiedet wurde, gehört das Altersvermögensergänzungsgesetz. In dessen Mittelpunkt steht die Änderung der Rentenanpassungsformel, die die schrittweise Absenkung des Rentenniveaus für alle jetzigen und zukünftigen Rentner bereits ab 2003 von heute etwa 70 Prozent auf offiziell 67 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns bis zum Jahr 2030 bewirkt. In Wirklichkeit entsprechen die 67 Prozent allerdings nach heutiger Berechnung nur 64 Prozent des Nettolohns, weil die Regierung gleichzeitig die statistische Berechnungsbasis ändert. Selbst die regierungsfreundliche Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ)vom 17. Februar 2001 geht von einer Absenkung der Rentenleistung im Vergleich zur heute geltenden Rentenregelung um 9 Prozent aus.

Durch die Verringerung des Rentenniveaus für alle Rentner sollen die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung von heute 19,1 Prozent relativ stabil gehalten werden und bis zum Jahr 2020 höchstens auf 20 Prozent und bis 2030 auf maximal 22 Prozent des Bruttoeinkommens ansteigen.

Zu den Bereichen, die vom Bundestag in Kraft gesetzt wurden, zählen außerdem die Kürzung der Witwen-/Witwerrente von heute 60 auf zukünftig 55 Prozent. Begründet wird dies mit der künftigen Aufwertung der Rentenanwartschaften durch die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten, da insbesondere Frauen erziehungsbedingte Lücken in der Erwerbsbiografie aufweisen.

Diese Kürzung wird viele Frauen treffen, die wegen Kindererziehung wenig gearbeitet haben, daher keine besser bezahlten Jobs bekommen haben und erst recht keine Karriere machen konnten. Viele Frauen können auf Grund unterbrochener Berufslaufbahn nur schlecht bezahlte Arbeit oder in Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit gar keine Arbeit mehr finden. Die zusätzlichen Rentenpunkte für Kindererziehung können dies nicht ausgleichen. Erst recht werden Frauen aus den genannten Gründen auch künftig kaum in der Lage sein, eigene Leistungen für eine private Altersvorsorge aufzubringen, um die zu erwartenden Minirenten aufzustocken.

Vor allem auf Betreiben der Gewerkschaften war in den letzten Monaten daran gefeilt worden, wie man mit kosmetischen Tricks und Schönrechnerei erreichen kann, dass es so aussieht, als ob das Rentenniveau nicht so tief sinke wie im ursprünglichen Entwurf geplant. Im TV-Wirtschaftsmagazin Plusminus am 13. Februar 2001 wurde die Zustimmung der Gewerkschaften zum Rentenkompromiss in Zusammenhang gebracht mit den Zugeständnissen zu dem auch in der vergangenen Woche verabschiedeten Mitbestimmungsgesetz, das den Gewerkschaften schätzungsweise 50.000 zusätzliche Betriebsratsposten und etwa 12.000 freigestellte Betriebsräte mehr bringen wird. In der Zwischenzeit haben die Gewerkschaften auch eigene Rentenfonds angekündigt.

Als Ergebnis des monatelangen Tauziehens zwischen verschiedenen Interessenverbänden und der Regierung wird bei der Berechnung der Rentenerhöhungen ab diesem Jahr der Anstieg der Arbeitnehmereinkommen nur modifiziert zugrunde gelegt. Die gesetzlich vorgesehenen, aber freiwilligen Aufwendungen zur privaten Altersvorsorge werden vom Lohnniveau, nach dem die Rentenhöhe des folgenden Jahres festgelegt wird, abgezogen. Ebenso wenig wirken sich Steuerrechtsänderungen, die höhere Nettolöhne zur Folge haben, rentensteigernd aus. "Da langfristig ein angemessener Lebensstandard im Alter nur mit zusätzlicher Altersvorsorge erreicht werden kann, ist es folgerichtig, die Aufwendungen für die zusätzliche Altersvorsorge in der Anpassungsformel zu berücksichtigen." heißt es dazu in den im Internet veröffentlichten "Schwerpunkten der Rentenreform" des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 26. Januar 2001.

Ab 2011 wird eine weitere Dämpfung der Rentenanpassung wirksam: Die Rentenerhöhungen werden nur noch auf der Basis von 90 Prozent der Bruttolöhne berechnet. Dafür ließ Arbeitsminister Riester den ursprünglich vorgesehenen Ausgleichsfaktor fallen, der nur die Renten derjenigen in größerem Ausmaß gesenkt hätte, die ab 2011 in Rente gehen. Jetzt wirken sich die Kürzungen auf alle Rentner aus.

Privatrente ohne Beteiligung der Arbeitgeber

Der Teil des Gesetzespaketes, der zustimmungspflichtig war und im Bundesrat scheiterte, nennt sich Altersvermögensgesetz. Dazu gehört unter anderem das Gesetz über die zusätzliche private Altersvorsorge, das zum Januar 2002 in Kraft treten soll. Es legt den geförderten Personenkreis, die Grundsätze der Förderung, die förderfähigen Anlageformen sowie das Förderkonzept fest und regelt die Höhe der staatlichen Zulage bei der Privatvorsorge. Zum Ausgleich für die Verluste bei der gesetzlichen Rente sollen die Beschäftigten ab 2002 privat vorsorgen. Sie sollen 1 Prozent ab 2002 (2 Prozent ab 2004, 3 Prozent ab 2006 und 4 Prozent ab 2008) ihres jährlichen Bruttoeinkommens - ohne Beteiligung der Arbeitgeber - in private Formen der Rentenversicherung einzahlen. Eine staatliche Zulage erhält nur, wer eine entsprechende Eigenleistung von seinem Lohn erbringt und eine Versicherungsvariante wählt, die staatlich zugelassen ist.

Banken und Versicherungskonzerne warten bereits sehnsüchtig auf den Startschuss zu diesem neuen profitträchtigen Betätigungsfeld, da hier große Ströme sicherer Gelder in ihre Verfügungsgewalt fließen werden. Sie sind auch die treibende Kraft, die gesetzliche Sozialversicherungsrente noch weiter zurückzufahren und dafür festgelegte Gelder in ihre Kanäle zu leiten.

Bei der Privatvorsorge ist außerdem zu vermerken, dass Besserverdienende den gleichen Festbetrag als Zuschuss vom Staat erhalten werden wie gering verdienende Arbeitnehmer, die nur unter großen Anstrengungen und Einbußen im Lebensstandard in der Lage sein werden, die entsprechenden Beträge von ihrem Einkommen abzuzweigen. Erstere werden allerdings zusätzlich begünstigt, weil sie durch einen Sonderausgabenabzug auch noch ihre Steuern senken und damit sogar eine höhere Förderquote als mittlere Einkommen erreichen können.

Darüber hinaus gehören zu den zustimmungspflichtigen Bereichen die vorgesehenen Maßnahmen zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung sowie die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die eine Aufstockung der Rente durch Sozialhilfe vorsieht.

Insbesondere gegenüber der Grundsicherung im Alter, bei der die Zahlung von ergänzender Sozialhilfe ohne Unterhaltsrückgriff auf die Kinder und Eltern vorgesehen ist, bestehen weiterhin auch bei SPD-regierten Bundesländern Vorbehalte, weil sie einen Anstieg der Ausgaben für Sozialhilfe in den Städten und Kommunen befürchten.

Trotz der noch auszuhandelnden Punkte stellt die jetzt in die Wege geleitete Rentenreform den konkreten Einstieg in den Ausstieg aus dem Bismarckschen Sozialversicherungssystem dar und hat insofern Durchbruchcharakter. Letztlich soll eine über hundert Jahre alte Tradition geschleift werden, die sich im Rahmen der Globalisierung für das Kapital zunehmend zum Ausbeutungshindernis entwickelt hat. In dieser Hinsicht ist auch die Tatsache von Bedeutung, dass zahllose "Experten" davor warnen, dass die Berechnungsgrundlagen nicht stimmen und die Rentenkürzungen bei weitem zu moderat sind, um lange Bestand zu haben, mit anderen Worten, weitere Rentenkürzungen noch folgen werden.

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