Grüne Parteiführung unterdrückt Proteste gegen Atomtransporte

Kabarettist müsste man sein. Die grüne Regierungspartei liefert derzeit Material, für ein neues Stück aus dem ökologischen Tollhaus - Realsatire vom feinsten. Die Führungsgremien der Partei, die vor nicht all zu langer Zeit aus der Friedens- und Anti-Kernkraft-Bewegung entstanden war, versucht Atomtransporte in Castorbehältern durchzusetzen und wendet sich dabei scharf gegen ihre eigenen Mitglieder, die dagegen protestieren wollen. Der jüngste grüne Streit stellt alles in den Schatten, was diese Partei seit Regierungsantritt an politischen Purzelbäumen und Wendemanövern geboten hat.

Schritt für Schritt hat Bündnis90/Die Grünen in den vergangenen gut zwei Jahren als Regierungspartner der SPD in allen Bereichen, in denen sie früher opponierte und protestierte eine 180-Grad-Wendung vollzogen: in der Friedenspolitik, in Auffassungen über demokratische und basisorientierte Parteistrukturen oder in sozialen Fragen. Dass dies auch in der Atomkraft nicht anders ist, wurde bereits im Sommer letzten Jahres mit dem sogenannten "Atomkonsens", der Einigung zwischen Bundesregierung und Atomindustrie über die Zukunft der Atomwirtschaft, deutlich.

Damals hatte der grüne Umweltminister Jürgen Trittin in allen Punkten der Atomindustrie nachgegeben und eine Einigung unterschrieben, die für einen Großteil der Kernkraftwerke eine Bestandsgarantie für die nächsten drei Jahrzehnte bedeutet. Das hinderte ihn damals nicht, diesen "Atomkonsens" wortreich als "Einstieg in den Ausstieg" aus der Atomkraft umzudeuten.

Trittin, der früher kaum eine Demonstration gegen Kernkraftwerke und Castortransporte ausließ und sich nicht selten medienwirksam aus Sitzblockaden von Polizeikräften wegtragen ließ, versucht nun die Kernkrafttransporte durchzusetzen. Seit der frühere Sitzblockierer auf dem Ministersessel sitzt blockiert er die Proteste.

Dabei scheut er sich nicht, alle Argumente auf den Kopf zustellen. In einem Schreiben an seine parteiinternen Gegner mahnte er vor einer Woche: "Wollen wir glaubhaft bleiben, müssen wir zu den Konsequenzen unserer Politik stehen". Zwar ist es mutig für einen grünen Minister von "Glaubwürdigkeit" zu sprechen. Doch lässt Trittin keinen Zweifel daran, dass sich die Koordinaten seiner Glaubwürdigkeit ins Gegenteil verkehrt haben.

Nachdem der "Atomkonsens" eine Weiterführung der Kernkraftwerke auf absehbare Zeit beinhaltet, müsse die grüne Regierungspartei nun auch ohne wenn und aber für einen reibungslosen Betrieb der Atomkraftwerke sorgen und diesen gewährleisten. Dazu gehören eben auch die Atomtransporte in den Castorbehältern, so sein neues Credo.

Mehrere solcher Transporte mit hoch radioaktivem Material hat die rot-grüne Regierung bereits geplant: am 28. Februar vom Atomkraftwerk Neckarwestheim ins Zwischenlager nach Ahaus und dann am 27. März von der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague, Frankreich, ins womöglich zukünftige Endlager nach Gorleben. Dort soll, wie in Sellafield, Großbritannien, für neue abgebrannte Brennstäbe aus deutschen Atomkraftwerken Platz geschaffen werden.

Ohne derartige Transporte ist gegenwärtig eine Weiterproduktion in den Kraftwerken nicht möglich. Daher war die Sicherung der Ausfuhr abgebrannter Brennstäbe auch unter der Kohl-Regierung bereits eine wichtige Form, in der diese die Atomwirtschaft unterstützte. Sitzblockaden von Atomkraftgegnern richteten sich folglich nicht nur gegen strahlende Castoren und die großen Gefahren dieser Transporte durch Ballungszentren, sondern zielten darauf ab, durch den Transportstopp den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken insgesamt unmöglich zu machen.

Weil diese Form des Protests aber noch nie einen Castor-Transport verhinderte - die Kohl-Regierung setzte gegen die Demonstranten immer massiv Polizei und Wasserwerfer ein - erklärten die Grünen damals, nur in der Regierungsverantwortung könne dem Wahnsinn der Atomkraft und den Gefahren für die Bevölkerung Einhalt geboten werden. Nun sind sie seit zwei Jahren an der Macht und was hat sich ändert? Der alte Wahnsinn wird lediglich neu begründet. "Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich", sagt der Volksmund und als wolle er dies um jeden Preis bestätigen, handelt Trittin als Schutzpatron der Atomwirtschaft. Im Brustton der Überzeugung behauptet er, die grünen Castoren seien völlig gefahrenlos und die reibungslose Zusammenarbeit mit der Atomlobby diene ohnehin nur dem "Einstieg in den Ausstieg".

Die Arroganz und die Skrupellosigkeit, mit der die Parteispitze der Grünen dabei vorgeht, spricht Bände über die Verwandlung der ehemaligen Öko-Partei.

In einer Resolution des grünen Parteirats vom 22. Januar wird erklärt, dass im Gegensatz zu den Transporten unter der Kohl-Regierung jetzt "die Kontaminationswerte während des gesamten Transportvorgangs mit ausreichender Sicherheit eingehalten werden". Nicht nur betroffene Bewohner der Transportstrecke bezweifeln dies.

Von Sicherheit der Bevölkerung spricht ohnehin niemand mehr an der Spitze der Grünen, vielmehr geht es darum, Argumentationslinien gegen den Widerstand der Bevölkerung zu entwickeln. Die Formel: "Wir wollen den Ausstieg durch den Atomkonsens erreichen", wird in verschiedenen Varianten wiederholt. Dann folgt der Kernsatz: "Der Versuch, nicht sicherheitsbedingte Stillstände zu erreichen, ist mit dem Atomkonsens nicht vereinbar. ... Das gilt auch für die Blockade notwendiger Transporte, wie sie von Teilen der Anti-Atom-Bewegung vertreten wird." Der Parteirat ruft daher "unsere Kreis- und Ortsverbände dazu auf, nur solche Demonstrationen zu unterstützen, die sich dafür einsetzen, dass der Atomausstieg unter Einhaltung höchstmöglicher Sicherheit erfolgt", mit anderen Worten, nur Jubelparaden für die Regierungspolitik zu unterstützen.

Nachdem sich innerhalb der Anti-Atom-Bewegung, vor allem im betroffenen Niedersachsen, gegen diesen Beschluss Protest regte, wurde Trittin in dem bereits erwähnten Brief vom 6. Februar an die niedersächsischen Kreisverbände deutlicher. Unumwunden verlangt er, von jeglichen Protesten gegen die Atomwirtschaft Abstand zu nehmen. Selbstverständlich verteidigt er Sitzblockaden als "eine Form des zivilen Ungehorsams". Doch wenn es dabei um die Atomwirtschaft geht versteht er keinen Spaß: "Nur weil jemand seinen Hintern auf die Straße setzt, finden wir das noch nicht richtig." Gegen die Castor-Transporte "zu demonstrieren hält der Parteirat ... für politisch falsch. Nicht weil wir etwas gegen Sitzblockaden, Latschdemos oder Singen haben, sondern weil das Anliegen weshalb gesessen, gegangen oder gesungen wird, ablehnen."

"Die Voraussetzungen für die Durchführung der Transporte sind gegeben", schreibt Trittin. "Und deshalb gibt es für Grüne keinen Grund, dagegen zu demonstrieren." Basta!

Grünen-Parteichef Fritz Kuhn reist derweil durch die Kreis- und Ortsverbände und versucht, die Parteibasis auf Regierungskurs zu bringen. Auch er bemüht immer wieder den "Atomkonsens", den "Einstieg zum Ausstieg", als Druckmittel, die Basis mundtot zumachen. Wie in einer Beschwörungsformel kreisen all seine Argumente um jenen "Atomkonsens", der sich so devot und bedingungslos auf die Seite der Wirtschaft schlägt, dass diese es bisher noch gar nicht als notwendig empfand, ihre Unterschrift darunter zu setzen.

Als die Partei der Grünen vor gut 20 Jahren entstand, bildeten Anti-Atomkraft-Initiativen einen nicht unerheblichen Teil ihrer Basis. Heute nutzt diese Partei ihre staatliche Macht, um jegliche Opposition gegen Atomkraft zu unterdrücken. Ihre Rechtswende kennt keine Grenzen. Aus der Logik ihrer Argumente folgt schon bald der Ruf nach dem Polizeiknüppel und härteren Strafen gegen Atomkraftgegner.

Apropos Glaubwürdigkeit: Die ehemalige Vorstandsprecherin der Grünen Gunda Röstel verdient ihre Millionen inzwischen als Managerin für Projektentwicklung und Unternehmensstruktur bei der Gelsenwasser AG, einer Tochter des E.ON-Konzerns, der unter dem Slogan "Neue Energie" (Wasser, Sonne, Wind) billigen Atomstrom vertreibt.

Siehe auch:
"Atomkonsens" garantiert jahrelangen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke
(29. Juni 2000)
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