Irans Außenminister Kharrazi besucht Deutschland

Überraschend hat der iranische Außenminister Kamal Kharrazi am 8. und 9. Februar Deutschland besucht. Er traf sich dort zu Gesprächen mit Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne), Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos), dem Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses des Bundestags Hans-Ulrich Klose sowie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Bundeskanzler Gerhard Schröder (alle SPD).

Zeitgleich fanden in mehreren Großstädten im Iran Proteste gegen die Unterdrückungspolitik des islamischen Regimes statt, an dem sich mehrere tausend Menschen beteiligten. Nach Angaben der Opposition wurden sie gewaltsam aufgelöst und dabei Hunderte Teilnehmer festgenommen, Dutzende verletzt und ein Mensch getötet. Der Besuch Kharrazis wurde bis zur letzten Minute geheimgehalten. Im Juli letzten Jahres hatte Irans Präsident Mohammed Khatami Deutschland besucht. Damals hatten trotz massiver Polizeipräsenz und einer wüsten Pressekampagne gegen die iranische Opposition Tausende Iraner gegen den Besuch protestiert.

Das deutsche Außenministerium hielt sich über den Inhalt der Gespräche bedeckt. Man habe regionale Fragen zu Tschetschenien, über die Lage im Nahen Osten nach der Ministerpräsidentenwahl in Israel, Sicherheitspolitik und Abrüstung sowie die Lage im Iran selbst und die Beziehungen beider Länder diskutiert, hieß es. Auch die Menschenrechtslage im Iran sei dabei angesprochen worden, versicherte das Außenamt, das von insgesamt "guten Gesprächen" berichtete.

Die staatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA berichtete, Müller habe eine "Ausweitung der bilateralen Beziehungen, besonders im Bereich Wirtschaft und Handel", und höhere Hermes-Bürgschaften, d.h. deutsche Exportkredite, zugesichert. Das iranische Radio meldete BBC zufolge zufrieden, die deutsche Regierung habe laut Kharrazi "verstanden, dass sie ihre Beziehungen zum Iran so gestalten müsse, dass sie sich nicht in die inneren Angelegenheiten unseres Landes einmischen."

Am 18. Februar soll Thierse für vier Tage in den Iran reisen. Kanzler Schröder, der schon länger angekündigt hatte, "in naher Zukunft" das Land zu besuchen, nahm eine entsprechende Einladung von Khatami an, allerdings unter dem Vorbehalt, dass "die richtigen Rahmenbedingungen" gegeben sein müssten. Worin diese Bedingungen bestehen sollen, wollte das Auswärtige Amt nicht sagen. Schröder dementierte, den Besuch verschoben zu haben.

Die Neue Züricher Zeitung vom 10. Februar kommentierte das folgendermaßen: "Nach der Verurteilung von Reformern in Teheran wegen der Teilnahme an einer Konferenz in Berlin hatte Schröder im Januar von seinen schon damals bestehenden Reiseplänen zunächst Abstand genommen. Die harten Urteile gegen Journalisten, Autoren und Bürgerrechtsaktivisten sowie die allgemeine Verschlechterung der Menschenrechtslage hatten die deutsch-iranischen Beziehungen im Januar belastet. So wurde der deutsche Botschafter in Teheran ins Außenministerium einbestellt. Jetzt ist Berlin überraschend schnell zu seiner bisherigen Linie der zielstrebigen Annäherung an Iran zurückgekehrt ...

Bei Khatamis Deutschlandbesuch im letzten Jahr hatte die Bundesregierung keinen Zweifel daran gelassen, dass sie innerhalb der Europäischen Gemeinschaft am deutlichsten für ein engeres Verhältnis zu Teheran eintritt ... Menschenrechtsfragen - dies zeigt auch der Umgang mit China und Russland - spielen für die Außenpolitik der rot-grünen Koalition tatsächlich keine allzu große Rolle."

Propaganda und Wirklichkeit

Deutsche Presse und Regierung haben den warmen Empfang für Kharrazi mit der üblichen Propaganda gerechtfertigt: Man müsse Kontakt halten zu der iranischen Regierung von Präsident Khatami, d.h. den sogenannten "Reformern", um ihnen im Fraktionskampf gegen die "konservativen Hardliner" den Rücken zu stärken. Tatsächlich sind seit Khatamis Besuch im vergangenen Juli in Deutschland in einer fast parallelen Entwicklung die Beziehungen Irans zu Deutschland und der EU besser, die Unterdrückung und Armut dagegen schlimmer geworden. Ein Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9. Februar fasste die seitherige Entwicklung nüchtern zusammen: "Der Rückschlag der iranischen Reformgegner gegen Präsident Khatami und seine Reformer nimmt immer mehr die Ausmaße eines Vernichtungsfeldzuges an ... Die Warnungen Khatamis, dass gesellschaftliche Entwicklung nicht ohne Freiheit möglich sei, ... klingen immer hohler."

Im August unterband der religiöse Führer des Staates, Khamenei, mit einem Machtwort jede weitere Diskussion im Parlament über Lockerungen des Pressegesetzes. Insgesamt sind in den letzten neun Monaten über 30 Zeitungen und Zeitschriften verboten worden, d.h. fast alle Organe der "Reformer". Fast zwei Dutzend Journalisten und Verleger sitzen unter absurden Anklagen im Gefängnis. Etwa achtzig weitere Politiker, Studentenführer und Kleriker sind in Haft oder vor Gericht.

Ebenfalls im August letzten Jahres kam es nach einer gewalttätigen Provokation religiöser Fanatiker zu schweren Straßenschlachten zwischen Studenten und Arbeitern auf der einen und den religiös-fanatischen Milizen und Sicherheitskräften des Regimes auf der anderen Seite. Es gab 70 Verletzte, und der Ausnahmezustand wurde verhängt. Mittlerweile laufen deswegen noch 140 Gerichtsverfahren - vorwiegend gegen die Demonstranten.

Im September verhängte ein Berufungsgericht hohe Haftstrafen gegen iranische Juden, die in einem politischen Schauprozess wegen "Spionage" angeklagt worden waren. Im Januar diesen Jahres teilten ihre Anwälte mit, das oberste Gericht habe einen Berufungsantrag abgelehnt.

Anfang Oktober wurde die Bildung einer Spezialeinheit bekannt gegeben, die gegen "kulturelle, soziale und wirtschaftliche Unsicherheit" vorgehen soll. Die Einheit überfällt und terrorisiert seitdem Cafés, Kinos und Privatwohnungen, wo Männer und Frauen sich gemeinsam treffen und unterhalten. Die Einheit, die sich offenbar aus religiösen Fanatikern rekrutiert, hat keine Hemmungen, auch wehrlose Frauen mit Knüppeln zusammenzuschlagen. Anschließend werden sie verhaftet und von Richtern im Schnellverfahren abgeurteilt. Ende November meldete eine konservative iranische Zeitung stolz, die Einheit habe in 40 Tagen bereits 40.000 "Einsätze" durchgeführt. Im Januar und Februar diesen Jahres sind Privatpartys mit mehreren hundert Teilnehmern gestürmt worden. Mehrere Frauen erhielten "zur Strafe" jeweils 70 Peitschenhiebe. Außerdem sind in diesem Jahr schon zwei Frauen zum Tod durch Steinigung verurteilt worden.

Eine Gesetzesänderung, mit der das Heiratsalter für Mädchen von neun Jahren heraufgesetzt werden sollte, kam nach dem Veto des konservativen "Wächterrats" nicht zustande, ebenso wenig wie ein Gesetz, mit dem Frauen das Studium im Ausland erleichtert werden soll.

Mitte Januar ergingen die Gerichtsurteile gegen iranische Teilnehmer an der Berliner Konferenz der den deutschen Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung vom vergangenen Jahr. Der Journalist Akbar Ganji wurde mit am härtesten bestraft. Er erhielt zehn Jahre Gefängnis plus anschließende Verbannung in einen abgelegenen Ort. Er war vor allem durch seine Artikel und ein Buch über die sogenannten "Serienmorde" bekannt geworden. Ganji und andere Journalisten hatten darüber geschrieben, wie während der neunziger Jahre unter der Präsidentschaft von Hashemi Rafsanjani, heute die "graue Eminenz" der Konservativen, an die hundert kritische Intellektuelle ermordet worden waren. Sie beschuldigten außerdem Rafsanjani, den damaligen Geheimdienstchef Ali Fallahian und andere ähnlich ranghohe Politiker und Kleriker als Drahtzieher.

Ende Januar wurden wegen vier derartiger Morde von Ende 1998 - nur soviel sind nach offiziellen Angaben vorgekommen - insgesamt 15 Angeklagte verurteilt, zwei davon zum Tode. Keiner von ihnen hatte einen hohen Dienstrang inne. Der Richter stellte fest, es habe sich um eine isolierte Gruppe innerhalb des Sicherheitsapparates gehandelt. Er betonte, sie hätten auf eigene Initiative gehandelt, der Fall sei damit abgeschlossen und "unautorisierte Enthüllungen" streng verboten. Angehörige der Opfer boykottierten aus Protest gegen die Urteilsverkündung und verurteilten sie als "Farce". Ihre Anwälte hatten "aus Gründen der nationalen Sicherheit" wichtige Akten nie zu sehen bekommen und waren teilweise sogar selbst eingesperrt worden.

Führende Politiker der "Reformer" müssen sich wegen absurder Anklagen vor Gericht verantworten. Darunter sind auch bekannte Persönlichkeiten wie Reza Khatami, der Bruder des Präsidenten, der stellvertretende Innenminister und Leiter der letzten Parlamentswahlen, Tajzadeh, und der letztes Jahr nach einer wütenden konservativen Kampagne zurückgetretene Kulturminister Mohajerani. Die Vorsitzenden des Wächterrats und des obersten Gerichts haben offen die Parlamentsmehrheit wegen deren angeblich zu liberaler Haltung angegriffen.

Khatami und seine Anhänger im Parlament haben der Offensive der Rechten nichts ernsthaftes entgegengesetzt, sieht man von allgemeinen Phrasen über die Notwendigkeit von Demokratie und Toleranz und der Schädlichkeit von Extremismus und Intoleranz ab. Khatami selbst jammerte in einem Interview Ende letzten Jahres, ihm fehlten die Mittel, um Willkür und Verstöße gegen die Verfassung zu verhindern. Als daraufhin aber im Parlament, wo die Reformer mehr als zwei Drittel der Sitze innehaben, Anträge auf eine Verfassungsänderung für mehr Vollmachten des Präsidenten vorbereitet wurde, ruderte Khatami sofort zurück. Die Verfassung sei "unser gemeinsamer Ausgangspunkt, ihre Änderung unzulässig". Als der Präsident im Dezember bei einer Rede vor Studenten mit dem Ruf "Freiheit für die politischen Gefangenen" konfrontiert wurde, antwortete er, woher sie denn wüssten, dass die Gefangenen unschuldig seien.

Im Februar diesen Jahres erzwangen die "Reformer" mit der Drohung strafrechtlicher Verfolgung die Flucht der Korrespondentin des britischen Guardian, Geneive Abdo, und ihres Mannes Jonathan Lyons, dem Leiter des iranischen Büros der Nachrichtenagentur Reuters. Grund: Abdo hatte ein Interview mit Akbar Ganji geführt, in dem dieser gewarnt hatte, die staatliche Repression würde zu einer "sozialen Explosion" führen. Abdo kommentierte: "Der Radikalismus von Herrn Ganji im Interview ... machte die breitere Reformbewegung gegenüber Kritik von Seiten des konservativen Establishments verwundbar. Herrn Ganji, den die politische Verurteilung zu zehn Jahren Gefängnis durch ein Gericht der Hardliner gerade als Helden der Reformer bestätigt hatte, konnte man deshalb nicht angreifen, also wurde ich angegriffen."

Europäische Interessen

Die Konservativen haben allerdings gegen eine begrenzte Öffnung der iranischen Wirtschaft und verstärkte Zusammenarbeit mit der EU keineswegs etwas einzuwenden. Privatisierungen und Gesetze zur Zulassung privater Banken und zum Schutz ausländischer Investitionen blockierten sie nicht. Im Sommer und Herbst letzten Jahres besuchten Bundesarbeitsminister Walter Riester und Wirtschaftsminister Müller den Iran.

Auf Müllers Besuch im Oktober folgte nach Angaben der Deutsch-Iranischen Handelskammer im November eine Wirtschaftsdelegation, die 1. Runde eines deutsch-iranischen Investitionsschutzabkommens, sowie Aufträge für Continental über Technologie für Reifenbau, für Siemens über 20 Dieselzüge und für Krupp zum Bau der weltweit größten Anlage zur Herstellung von Polyethylen. Im Öl- und Gassektor haben zudem u.a. französische, italienische, russische und japanische Konzerne investiert. Insgesamt hat die EU einen Anteil von über 50 Prozent am iranischen Außenhandel, während Deutschland größter einzelner Handelspartner ist und mit 1 bis 1,5 Mrd. DM 10-15 Prozent der iranischen Importe abdeckt. Schröder hatte mit Khatami letztes Jahr eine Vervierfachung der Hermes-Bürgschaften [Exportkredite] auf eine Milliarde DM vereinbart.

Deutschland und andere europäische Mächte verfolgen jedoch durch die Zusammenarbeit mit dem Iran weitergehende politische, wirtschaftliche und geostrategische Interessen.

Das zwischen dem Kaspischen Meer und dem Persischen Golf gelegene Land besitzt die zweitgrößten Erdgas- und die fünftgrößten Erdölreserven. Iran baut sein Pipelinenetz massiv aus und befindet sich bisher mit Kasachstan, Turkmenistan, der Ukraine und Armenien in Verhandlungen über den Transport von Öl und Gas. Mit der Türkei ist im Januar die Eröffnung einer Eisenbahnlinie vereinbart worden, die von Alma-Ata (Kasachstan) über Taschkent (Usbekistan) und Teheran bis nach Istanbul reichen und so Zentralasien wirtschaftlich mit Europa verbinden soll. Letzte Woche kündigte die EU-Kommission an, mit Iran über ein umfassendes "Handels- und Kooperationsabkommen" verhandeln zu wollen.

Ein nicht unwichtiger Punkt ist schließlich die Lage im Nahen Osten. Es dürfte der EU kaum entgangen sein, dass der Iran bei allem Wortradikalismus gegen Israel und die USA in den letzten Monaten seine Beziehungen nicht nur zum traditionellen Verbündeten Syrien, sondern auch zu den traditionell pro-westlichen Regimes in Saudi-Arabien und Kuwait ebenso wie zu Marokko, Ägypten und Jordanien, die mit Israel seit langem vergleichsweise gute Beziehungen unterhalten, zielstrebig verbessert hat.

Die Neue Züricher Zeitung kommentierte am 9. Februar: "Wegen seines vermuteten Einflusses auf radikale islamische Gruppen erhofft sich Brüssel als politische Dividende gefestigter bilateraler Beziehungen zu Teheran auch eine konstruktive Rolle Irans bei der Lösung oder zumindest Eindämmung des Nahostkonflikts. Die Lähmung des Friedensprozesses blockiert die von der EU vor fünf Jahren ausgerufenen Pläne für den schrittweisen Aufbau eines alle Mittelmeer-Anrainerstaaten einschließenden euro-mediterranen Raumes des Friedens und der Stabilität, des gemeinsamen Wohlstandes und gegenseitigen Verständnisses [prosaischer: einer Wirtschaftsunion].

Im Hinblick auf bessere Zeiten bestätigte letzten November eine Außenministerkonferenz der EU und ihrer Euromed-Partnerstaaten diese Politik, der auch der Kommissionspräsident Prodi mit seinen Besuchen im Maghreb und diese Woche in Jordanien, Libanon und Syrien trotz allen Widrigkeiten neuen Schwung zu geben versucht."

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