"Substanzieller" Einbruch an den Aktienmärkten

In den letzten Jahren waren die Stürme auf den globalen Finanzmärkten in der Regel von der beruhigenden Beschwörungsformel der Kommentatoren und Marktanalysten begleitet, dass die Weltwirtschaft trotz aller vordergründigen Probleme "in ihrer Substanz" gesund sei.

Im Fall des letzten Absturzes, der die Wall Street am Montag vergangener Woche ereilte und sich schnell um die ganze Welt verbreitete, ist nun aber klar, dass "substanzielle Faktoren" der kapitalistischen Weltwirtschaft, vor allem geringeres Wachstum und sinkende Profite, die Quelle der Turbulenzen sind.

An der Wall Street gingen sowohl der Dow Jones Index wie auch der repräsentativere Standard & Poor Index (S&P) um mehr als vier Prozent zurück, während der Index der Technologiewerte, Nasdaq, sogar um sechs Prozent nachgab. Der S&P-Index steht jetzt 22 Prozent unter seinem Hoch von vor einem Jahr. Damit ist die Wall Street offiziell in eine Baisse eingetreten, die durch einen Rückgang um 20 Prozent definiert ist. Nachdem der Nasdaq am Montag unter 2000 Punkte gefallen war, steht er jetzt um 62 Prozent unter den 5000 Punkten, die er auf seinem Höhepunkt erreicht hatte.

Die starken Verkäufe vom Montag wurden offensichtlich von nicht abreißenden Berichten großer Konzerne, vor allem aus den Telekommunikations- und High-Tech-Branchen, über geringere Profiterwartungen und niedrigere Umsätze ausgelöst. Der größte Chiphersteller der Welt, die Intel Corporation, brachte den Ball vergangene Woche ins Rollen, als er für das erste Quartal einen Rückgang der Gewinne um 25 Prozent (statt der erwarteten 15 Prozent) sowie eine Verringerung seiner Belegschaft um 5.000 Personen in den nächsten neun Monaten bekannt gab.

Was jedoch dem Markt den Rest gab, war die Ankündigung von Cisco Systems am späten Freitag Abend nach Handelsschluss, seine Stammbelegschaft um 5.000 zu verringern, und die gleichzeitige Warnung des Vorstandsvorsitzenden John Chambers, die Kürzungen seien die Reaktion auf die "ersten Anzeichen, dass der Konjunktureinbruch in den USA sich bereits in andere Teile der Welt ausdehnt".

Der Gesamtverlust an Papierwerten von fast einer halben Billion Dollar hat die Befürchtung verstärkt, dass der Einbruch an der Börse zu einem weiteren Rückgang des privaten Verbrauchs und der Investitionen führen und dadurch die Wirtschaft in die Rezession treiben werde. Man fragt sich offenbar nur noch, wie tief diese Rezession ausfallen wird.

Die schlechten Nachrichten über sinkende Profite und Arbeitsplatzvernichtung reißen nicht ab. Am Montag gab der zweitgrößte Hersteller von Mobiltelefonen, Motorola, die Streichung weiterer 7.000 Stellen bekannt, nachdem er schon im Dezember 9.000 Arbeitsplätze abgebaut hatte. Der schwedische Telekommunikationsausrüster Ericsson warnte, er werde im ersten Quartal wohl einen Verlust machen und das bisher erwartete ausgeglichene Ergebnis nicht erreichen, und der Umsatz werde gleich bleiben oder sogar sinken, anstatt um 15 Prozent zu steigen.

Die Gesellschaft erklärte, das Geschäft "besonders mit allen Kunden in den USA zeigt ein langsameres Wachstum... weswegen Kapitalinvestitionen verschoben werden".

Ganz allgemein werden die Profitprognosen nach unten revidiert. Die Washington Post berichtete, dass die Analysten "ihre Voraussagen für das durchschnittliche Gewinnwachstums im dritten Quartal glatt auf fünf Prozent halbiert haben". Für das laufende Quartal wird ein Verlust von 5,2 Prozent erwartet. Schätzungen vom letzten November waren noch von einer Steigerung um 11 Prozent ausgegangen.

Der Einbruch an der Wall Street breitete sich rasch um die ganze Welt aus. Am Dienstag brach die Tokioter Börse auf ein Niveau ein wie seit 1984 nicht mehr; der Nikkei-Index fiel unter 12.000 Punkte, verglichen mit 39.000 Punkten zu der Zeit, als der Boom Ende der achtziger Jahre auf seinem Höhepunkt stand.

Die asiatischen Märkte fielen nach dem Absturz der Wall Street um drei Prozent zurück. Die Australian Financial Review berichtete, die Märkte "zeigen Anzeichen von Panik", obwohl eine "Wiederholung des Kollapses von 1997-99 unwahrscheinlich ist".

In vieler Hinsicht ist die Situation heute aber ernster als vor drei Jahren. Damals wurden die asiatischen Wirtschaften noch durch den stabilen Boom der US-Wirtschaft gestützt. Heute werden sie von zwei Seiten gleichzeitig bedrängt.

Der Vize-Vorsitzende von Goldman Sachs, Robert Hormats, fasste das in die Worte: "Asien ist jetzt von zwei Schocks bedroht: erstens durch den Rückgang der Käufe von amerikanischen Firmen und von Firmen, die High-Tech-Ausrüstung und High-Tech-Komponenten bestellen; und zweitens durch die weitere Verschlechterung der Lage in Japan, das auch heute noch der größte Kapitalgeber und der größte Markt für Rohstoffe und für Industriegüter in Asien ist."

Die Abhängigkeit der asiatischen Wirtschaften von den USA wird durch folgende Zahlen beleuchtet: Die Exporte in die USA machen 24 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von Malaysia aus, 20 Prozent des BIP von Singapur, 16 Prozent im Fall der Philippinen und je 12 Prozent für Thailand und Taiwan.

Fiktives Kapital

Der Niedergang der globalen Börsen ruft in der Finanzpresse Besorgnis hervor. In einem Leitartikel vom 10. März, dem ersten Jahrestag des Höchststands des Nasdaq, erklärte der Economist, dass die Märkte weltweit im Durchschnitt mindestens zwanzig Prozent unter dem Vorjahreshoch lägen. "Im vergangenen Jahr haben allein die amerikanischen Aktien vier Billionen Dollar an Wert verloren, das entspricht 40 Prozent des BIP des Landes. Der Kollaps der Aktienwerte nach dem Börsenkrach von 1987 war mit 20 Prozent des BIP nur halb so stark gewesen."

Der Leitartikel wies ferner darauf hin, dass letztes Jahr die gesamte globale Marktkapitalisierung 35 Billionen Dollar betrug, das entspricht 110 Prozent des globalen BIP. Verglichen damit betrug die globale Marktkapitalisierung im Jahre 1990 nur 40 Prozent des globalen BIP.

Da die Börsenbewertung letztlich auf Profite und Vermögen gestützt sein muss, weist diese Zahl auf den zunehmend fiktiven Charakter der Aktienwerte hin. Das heißt, ihr realer Werthintergrund ist nur ein Bruchteil ihres angeblichen Papierwerts.

Aber das bedeutet nicht, das die Börse für das Funktionieren der "realen" Wirtschaft keine Rolle gespielt hätte. Im Gegenteil: steigende Aktienkurse haben eine zentrale Rolle für den High-Tech-Investitionsboom in den USA gespielt, wo das Risikokapital einen großen Teil der Mittel für Start-up-Unternehmen und deren Einführung neuer Technologien zur Verfügung stellte. Die Lieferanten dieses Kapitals erhalten ihre Mittel dann durch die bei den Börsengängen solcher Firmen aufgeblasenen Aktienkurse vervielfacht zurück.

Mit dem Verfall der Märkte ist dieser Mechanismus so gut wie gestorben. Das Risikokapital zögert unter depressiven Marktbedingungen, neue Projekte aufzulegen, bei denen es sich nicht einmal sicher sein kann, das investierte Kapital zurückzuerhalten, von den hohen Profiten der Vergangenheit ganz zu schweigen.

Viel ist in letzter Zeit über die Folgen des Kursrückgangs für die Verbraucherausgaben geschrieben worden. Weitaus schlimmere Auswirkungen könnte die Marktschwäche allerdings auf neue Firmeninvestitionen haben, besonders im High-Tech-Bereich, der doch für die hohen amerikanischen Wachstumsraten eine so zentrale Rolle gespielt hat.

Auch in Japan zeigt sich ein wichtiger Zusammenhang zwischen den Märkten und der Wirtschaft insgesamt. Dort halten die Banken etwa sechs Prozent ihrer Anlagen in Aktien. Mit der Zunahme fauler Kredite müssen die Banken Aktien mit Gewinn verkaufen, um Ausfälle bei Darlehensrückzahlungen auszugleichen; das dafür notwendige Niveau des Nikkei liegt schätzungsweise zwischen 12.500 und 13.000 Punkten. Da der Index unter 12.000 steht, gibt es inzwischen schon Berichte, dass einige große Banken daran zu Grunde gehen könnten.

Der andauernde Niedergang Japans und die Unfähigkeit der Regierung, die Wirtschaft zu beleben, lösen Spekulationen aus, dass der japanische Boom und Zusammenbruch vor zehn Jahren der Vorbote der heutigen Entwicklung in den USA gewesen sein könnte.

Unter anderen hat der Economist auf kürzliche Bemerkungen des früheren amerikanischen Finanzministers Lawrence Summers hingewiesen, der die Tatsache hervorhob, dass der Konjunkturzyklus in den USA so "neu" auch wieder nicht sei, sondern vielmehr eine Wiederholung dessen, was in der ersten Hälfte des Jahrhunderts stattgefunden habe, und dass er Ähnlichkeiten mit Japan in den achtziger Jahren aufweise.

Nach dieser Analyse ging allen Rezessionen der Nachkriegszeit eine Periode steigender Inflation voraus, die die amerikanische Notenbank (Federal Reserve Board) durch eine Anhebung der Zinsen bekämpfte, wodurch sie die Wirtschaft in die Rezession trieb. Aber diesmal gibt es kein Anzeichen von Inflation. Das charakteristische Merkmal des amerikanischen Konjunkturzyklus waren diesmal vielmehr hohe Investitionen - sie sind in den letzten zehn Jahren von neun auf 15 Prozent des BIP gesprungen -, die jetzt zu Überkapazitäten und daraus folgendem Druck auf die Profitraten geführt haben.

Die Anerkennung dieser Zusammenhänge ist von Summers oder anderen Ökonomen, die solche Ansichten vertreten, nicht zu erwarten. Dennoch weist ihre Analyse auf die grundlegenden Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft hin, die Marx aufgedeckt hat. Der Aufschwung technologischer Innovationen und die damit einhergehende Steigerung der Produktivität geraten in Gegensatz zum Profitzwang der kapitalistischen Wirtschaft. Dies sind die "substanziellen Fragen" die jetzt auf den globalen Finanzmärkten und in der Weltwirtschaft insgesamt ihren Ausdruck finden.

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