51ste Berlinale: Teil 2

Weitere Filme der Berlinale

Der Schneider von Panama von John Boorman

Auf der WSWS wurde vor kurzem das Werk des britischen Schriftstellers John Le Carré besprochen. In den besten seiner Spionageromane bewies Le Carré ein feines Gespür für die britische Klassenstruktur. Nach Le Carrés Ansicht war die Spitze des "Circus" (Spitzname für das Hauptquartier des britischen Geheimdienstes MI5) besetzt von der sogenannten Alten Schule von Leuten aus der gehobenen Mittelklasse und aristokratischen Schichten, die verteidigten, was sie für traditionelle britische Werte hielten, und insbesondere die Unterordnung Großbritanniens unter die amerikanischen "Cousins" (CIA) gering schätzten. In den mittleren Ebenen des Geheimdienstes befinden sich laut Le Carré haltlose Elemente aus der Mittelklasse, die sehr darauf erpicht sind, die Karriereleiter hochzusteigen (am deutlichsten wird dies in seinem am stärksten autobiografisch geprägten Roman: Ein blendender Spion). Die Drecksarbeit erledigen die robusten, halbproletarischen "Laternenanzünder" für den Geheimdienst.

Le Carrés Darstellung der Infiltration der höchsten Ränge des MI5 durch pro-kommunistische sowjetische Maulwürfe, die Thema einiger seiner Romane ist, würde weit hergeholt erscheinen, wenn sie nicht so nah an der Wahrheit läge - sie ruft eine Zeit Anfang und Mitte der 30-er Jahre in Erinnerung, als eine ganze Schicht der britischen Intelligenz und bürgerlichen Jugend die Dritte Internationale und Stalin als Gegengewicht zu Hitler betrachtete. Zahlreiche Romane Le Carrés wurden vom britischen Fernsehen verfilmt und boten höchst unterhaltsames Material: Ein Mord erster Klasse; Agent in eigener Sache; Dame, König, As, Spion. Auf der Kinoleinwand waren seine Werke weniger erfolgreich. Der Spion, der aus der Kälte kam(1965) blieb vor allem wegen Richard Burtons schauspielerischer Leistung in Erinnerung. Die Filmversion von Le Carrés Roman über eine radikale Schauspielerin, die zur Unterstützung arabischer nationalistischer Bewegungen geködert wird, Die Libelle(1984), war nicht so erfolgreich - und schlecht besetzt mit Diane Keaton in der Hauptrolle.

Dieses Mal hat Le Carré mit dem erfahrenen Regisseur John Boorman zusammengearbeitet, um die Filmversion seines vorletzten Buches, Der Schneider von Panama, zu erstellen. Es ist ein grimmige Satire auf die Spionagegemeinschaft im Westen nach dem Kalten Krieg. Was den Film besonders faszinierend macht, ist die Darstellung seiner Hauptperson, des britischen Spions Andy Osnard (gespielt vom letzten James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan). Le Carrés Spione hatten nie viel gemeinsam mit dem Glamour und den Abenteuern eines James Bond. Seine bekannteste literarische Figur ist der äußerst nüchterne und zurückhaltende George Smiley.

Vor dem Hintergrund seiner klassischen Bildung und Erziehung fühlt sich Smiley inmitten seiner Bücher von Dichtern der Antike wohler als im Rampenlicht der Geheimdienstarbeit. George Smiley ist ein typischer Vertreter der "Alten Schule". Ein unheilvolles Zeichen für Smiley und seinesgleichen war die Wahl einer Kaufmannstochter aus Grantham, Margaret Thatcher, zur Premierministerin. Ihr Nachfolger war John Major (dessen Vater irgendwann einmal in einem echten Zirkus aufgetreten war), dem wiederum Tony Blair folgte. Der letzte Nagel im Sarg von Smiley und der Alten Schule war der Zusammenbruch des stalinistischen Ostblocks und das Ende des Kalten Krieges.

Die Hauptfigur in Der Schneider von Panama ist das vollkommene Gegenteil zu dem sich im Hintergrund haltenden Smiley. Osnard ist ein arglistiger, habgieriger, zupackender und sexbesessener Mensch. Nachdem er mit der Frau eines Diplomaten geschlafen hat, steht er vor dem Ende seiner Karriere und wird in die Provinz, in das britische Konsulat in Panama abgeschoben. Spione werden im Alter von etwa 40 Jahren ausrangiert. Osnard plant seinen Ruhestand und braucht einen letzten großen Coup. Er rekrutiert einen Maßschneider, Harry Pendel, für seine Dienste, der offensichtlich den Sprung aus der Saville Row [der ersten Adresse für Maßkleidung in London] nach Panama gemacht hat, um Kleider für die Reichen und Mächtigen anzufertigen. Tatsächlich hat Pendel einige Leichen im Keller.

Seine Arbeit als Schneider verschafft ihm engen Kontakt zu den herrschenden Kreisen in Panama, aber auch mit den dürftigen Resten einer ehemaligen Oppositionsbewegung. An einer Stelle erklärt der Film, wie die amerikanische Regierung unter Bush (senior) den Staatsstreich organisierte, durch den General Manuel Antonio Noriega an die Macht kam. Als später Noriega den amerikanischen Interessen im Wege stand, organisierte Bush dessen Absetzung. Eine amerikanische Militäroperation, die Noriega stürzen sollte, wurde auch als Gelegenheit benutzt, um die inländische Opposition gegen seine Herrschaft in Panama physisch auszulöschen.

Osnard ermutigt Pendel, eine Opposition zu erfinden, die kurz davor steht, einen Staatsstreich in Panama durchzuführen. Osnard hat nicht das geringste Interesse an der Wahrheit - sein Geschäft ist das Aushecken von Plänen. Was er braucht, ist eine Lüge, die groß genug ist, um Whitehall in London und Langley, Virginia (das CIA-Hauptquartier) davon zu überzeugen, Millionen in die Aufstandsbekämpfung zu investieren, die Osnard dann zu veruntreuen gedenkt. Die Handlung wechselt von den Straßen Panamas zu den Korridoren der Macht in Großbritannien und Amerika. Aus ihren eigenen sehr verschiedenen, aber immer verlogenen Gründen nehmen führende Politiker und hohe Militärs die Geschichte einer Stillen Opposition begierig auf, obwohl es nicht den geringsten Anhaltspunkt für ihre Existenz gibt. Man fühlt sich erinnert an George C. Scotts General in Stanley Kubricks Dr. Seltsam, oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben, einen amerikanischen General, der die versammelte CIA-Garde schwärmerisch davon in Kenntnis setzt, dass "noch ein Stern in der amerikanischen Fahne fehlt". Eine Operation für die amerikanische Invasion in Panama wird in Gang gesetzt.

Anders als in seinen früheren Romanen und ihren Verfilmungen ist in Der Schneider von Panama kein einziger sympathischer Charakter im gesamten transatlantischen politisch-geheimdienstlich-militärischen Überbau zu finden. Folgt man Le Carré und Boorman, so sind wir heute wirklich in der Hand von Idioten und Wahnsinnigen.

Bamboozled (It's Show Time) - Spike Lee

Spike Lee hat den Titel seines neuen Films einem Schlagwort entlehnt, das Malcolm X in einer Rede benutzt hat. Die Hauptfigur des Films, Pierre Delacroix, arbeitet bei einer großen Fernsehstation als Drehbuchautor. Er ist der einzige Schwarze bei einem großen Redaktionstreffen, wo in einem überfüllten Raum neue Ideen für eine Show besprochen werden. Delacroix hat seinen Job satt und möchte ihn aufgeben. Um aus seinem Vertrag herauszukommen, muss er gefeuert werden. Er kommt auf die Idee, eine neue Show zu entwickeln, die derartig grotesk ist, dass er hinausgeworfen werden muss (ein Plot, der Mel Brooks Frühling für Hitler entlehnt wurde). Seine Idee besteht darin, all die rassistischen Elemente des Minstrel [weißer, als Schwarzer zurechtgemachter Sänger und Komiker] und der ersten Fernsehsendungen wiederzubeleben. Die neue Show soll "Mantan: The New Millennium Minstrel Show" heißen und von den Figuren "Mantan" und "Sleep and Eat" getragen werden.

Die Show käut jedes erdenkliche gegen Schwarze gerichtete, rassistische Stereotyp wieder, und zur großen Überraschung ihres Machers ist sie ein großer Erfolg. Spike Lees Philosophie, die sich im Film ausdrückt, ist nicht schwer zu beschreiben: Kratz an der Oberfläche eines beliebigen weißen Amerikaners und du wirst immer einen Rassisten finden. Seine Lösung für das Problem des Rassismus ist ebenso banal wie seine Einstellung: Black Empowerment, die Stärkung der schwarzen Minderheit durch staatliche Maßnahmen. In einem Interview mit einer deutsche Tageszeitung sagte Lee, dass die Dinge nur dann zum Besseren gewandelt werden können, wenn andere Leute (d. h. schwarze Leute) darüber entscheiden, was im Fernsehen und Kino gezeigt wird.

In der vielleicht aufschlussreichsten Szene im ganzen Film besucht Delacroix seinen Vater, der als Komiker in einem Nachtclub von und für Schwarze arbeitet. Wir hören, wie sein Vater eine Reihe bösartiger Witze reißt, Thema sind weiße Nonnen, die geil sind auf schwarzes Fleisch. Die Witze sind übel, spucken Gift und Galle gegen Weiße. Nach der Show gratuliert Delacroix seinem Vater. Der Vater zeigt bescheidenen Stolz auf seine Arbeit und gibt zu verstehen, dass er auf seine Art seinen Prinzipien und Werten treu geblieben ist, während sein Sohn durch seine Arbeit in den großen Medienkonzernen gezwungen war, Kompromisse zu schließen.

Lee hat einige Bücher gelesen und ist intelligent genug, seine Spuren einigermaßen zu verwischen. Er erklärt, dass Mark Twains Huckleberry Finn ein großes Werk ist und spricht sich gegen die Zensur des Buchs aus. Aber im Laufe des Films erweist sich Lee als Experte, um das Ego jener Schichten der schwarzen Mittelklasse zu stimulieren, die von der Empowerment-Politik in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft am meisten zu erwarten haben. Alles in allem ist Bamboozled ein plumpes und manipulatives Werk.

Zwei biografische Filme

Flucht ins Leben ist ein größtenteils dokumentarischer Film von Wieland Speck und Andrea Weiß und behandelt das Leben von Klaus und Erika Mann - zwei Kindern des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. Die englischen Synchronstimmen von Klaus und Erika Mann werden von den Schauspielern und Geschwistern Corin und Vanessa Redgrave gesprochen. Eisenstein ist ein Spielfilm des kanadischen Regisseurs Renny Barlett und handelt vom Leben des großen russischen Filmemachers Sergej Eisenstein.

Beide Filme zeigen die Schwierigkeiten, Biografien von komplexen Persönlichkeiten in komplexen Zeiten im Zeitraum von weniger als zwei Stunden zu behandeln. In einer zusammengeflickten und unbefriedigenden Weise vermischt Flucht ins Leben dokumentarisches Material mit dramatischen Szenen, die von Schauspielern gespielt werden. Besonders Erika Manns Engagement in einem satirischen Kabarett in den 20-er und 30-er Jahren (Die Pfeffermühle) wird in einiger Länge gezeigt und der Aufstieg der Nazis behandelt. Gleichzeitig unterlässt es der Film, die ideologischen Debatten und politischen Zusammenstöße zu erwähnen, an denen die Sozialdemokraten und die Kommunistische Partei beteiligt waren.

Diese Konflikte spielten in der Entwicklung von Klaus Mann mit Sicherheit eine Rolle. 1934 nahm er an einem internationalen Schriftstellerkongress in Moskau teil, der den Weg für die Wende der Komintern hin zur Volksfront bereitete und die Idee des sozialistischen Realismus einem internationalen Publikum vorstellte. Mann schreibt in seinen Tagebüchern vernichtend über die Lebensbedingungen gewöhnlicher Arbeiter in Moskau, und von dieser Zeit an war er davon überzeugt, dass Stalins Kommunismus keine fortschrittliche Alternative zum Faschismus darstellen konnte.

In einer Diskussion nach dem Film fragte ich die Regisseurin Andrea Weiß, warum die Kommunistische Partei und ihr Einfluss auf Intellektuelle in dem Film nicht erwähnt würden. Sie antwortete, dass es ein Platzproblem gegeben habe und ihr Buch zum gleichen Thema sich mit der politischen Entwicklung von Klaus Mann beschäftige. Das ist alles andere als eine ausreichende Antwort. Es ist bedauerlich, dass eine ernsthafte Analyse der Rolle des Stalinismus oft das Erste ist, was unter den Tisch fällt, wenn politische Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts behandelt werden.

Eisenstein ist ein Sprint durch verschiedene Etappen im Leben des Filmemachers, von seiner Arbeit nach der Russischen Revolution mit dem Theaterregisseur Vsevolod Meyerhold bis zu seinem Tod, als er von Stalin gejagt wurde. Der Film ist leider sehr oberflächlich. Er versucht, den Übergang von der Euphorie der anfänglichen Revolutionszeit zur Bevormundung der Kunst unter der Stalin-Bürokratie zu behandeln. Wir sehen zum Beispiel, wie Eisenstein den Befehl erhält, Trotzki aus seinem Film Oktober herauszuschneiden - aber alles wird viel zu schnell behandelt.

Abgesehen von einem kurzen Hinweis auf Eisensteins Gebrauch der Dialektik in seiner berühmten Prahm-Szene in Panzerkreuzer Potemkin(1925) wird seine Filmästhetik, ihr Bezug zu seinen politischen Ideen und wie seine Konzeptionen unter den Beschränkungen des Stalin-Regimes gelitten haben nicht wirklich behandelt. Die Anmerkungen zum Film verweisen auf Eisensteins spitze Zunge und seinen scharfen Verstand, aber ab einer bestimmten Zeit nutzen sich ständigen kernigen Entgegnungen des Eisenstein-Darstellers Simon McBurney ab. Der maßgebliche Film über einen der maßgeblichen Filmemacher des 20. Jahrhunderts muss noch gedreht werden.

Siehe auch:
Eine elende Strapaze: Europäische Filme beim diesjährigen Berliner Filmfestival
(2. März 2001)
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