Das Treffen von Bush und Blair zeigt wachsende Differenzen zwischen den USA und Europa

Als erster europäischer Führer hat Tony Blair, der britische Premier, den amerikanischen Präsidenten George W. Bush besucht. Aber das Treffen in Camp David vom letzten Wochenende, von dem Blair hoffte, es würde ihm ein gewisses in- und ausländisches Prestige verschaffen, brachte nur die klaffenden Löcher in der internationalen Strategie seiner Regierung ans Tageslicht.

Blair konnte dieses Treffen, das auf einen kurzen Aufenthalt in Kanada folgte, kaum erwarten. Schon seitdem die Republikaner im letzten November die amerikanischen Wahlen gestohlen hatten, versuchte sich der Labour-Führer permanent bei der neuen Regierung einzuschmeicheln. Blair, der die erdrückenden Beweise für Wahlfälschung einfach ignorierte, war denn auch der erste europäische Führer gewesen, der Bush zum Amtsantritt als Präsident gratulierte und sich über zwei Monate lang um ein Gespräch unter vier Augen bemühte.

Blairs Berater sagten, der Premierminister - ein enger Freund des früheren amerikanischen Präsidenten Bill Clinton - sei ganz erpicht darauf gewesen, zu beweisen, dass die "besondere Beziehung" zwischen den USA und Großbritannien trotz des Machtwechsels weiterhin stark sei. Der britische Premier rühmt sich seiner Fähigkeit, über den "ideologischen Graben" hinweg zu arbeiten, und ist stolz auf seinen Mangel an politischen Prinzipien. Er prahlt damit, dass seine Flexibilität die Labour Regierung in die Lage versetzt habe, sich auf ihre Hauptaufgabe zu konzentrieren - die vom Kapital geforderten sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen einzuführen, wozu er Konzernchefs, Mitglieder der oppositionellen Konservativen Partei sowie auch der Liberalen Demokraten eingespannt hatte.

Da in den nächsten zwei Monaten eine Parlamentswahl erwartet wird, hoffte Blair, freundliche Beziehungen zu Bush würden die Vorwürfe der Konservativen entkräften, politische Differenzen zwischen den zwei Führern schwächten die transatlantische Allianz. Großbritanniens Teilnahme an den Luftangriffen gegen den Irak am 16. Februar unter Führung der USA war mindestens zum Teil darauf gerichtet, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Während seiner Audienz mit dem Präsidenten vermied Blair jedes möglicherweise empfindliche Thema und schilderte wie üblich das Vereinigte Königreich als Amerikas entschiedensten und loyalsten Verbündeten.

Im Gegenzug schmeichelte Bush Blairs ego - obwohl die Art und Weise, wie er das tat, eher die eines Herrn war, der seinen wohlerzogenen Pudel lobt. Zweimal während ihrer gemeinsamen Pressekonferenz am Sonnabend fiel Bush ein, um an Stelle des Premierministers zu antworten, wenn Blair zu derart umstrittenen Themen wie das geplante amerikanische Raketenabwehrsystem gefragt wurde. Als er gefragt wurde, welche gemeinsame Grundlage die beiden Führer hätten, antwortete Bush spontan, dass beide die gleiche Zahnpastamarke benutzten, während Blair lapidar erwiderte, sie beide liebten Frau und Kind.

Trotz größter Bemühungen wurden dennoch die Spannungen sichtbar. Während der Pressekonferenz beschrieb der Premierminister Großbritannien als "Brücke" zwischen Europa und Amerika. Blair betonte, die "besonderen Beziehungen" seien nicht von Personen, sondern von gemeinsamen Interessen abhängig. Diese Phrasen sind nicht neu. Nach dem zweiten Weltkrieg, als der Kalte Krieg seinen Anfang nahm, präsentierte sich England in der Rolle des wichtigsten Verbündeten Amerikas in Europa.

Dies war für Großbritannien lebenswichtig, wurde es dadurch doch in die Lage versetzt, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und internationalem Ansehen zu bewahren, obwohl es sein Empire verloren hatte und wirtschaftlich und industriell abstieg. Darüber hinaus konnte es die USA als Gegengewicht zu seinen wichtigsten europäischen Rivalen Deutschland und Frankreich nutzen. Dies ist heute, nach der Einführung des Euro, um so wichtiger, weil sich England bis jetzt schließlich einem Beitritt widersetzt hat, da die britische herrschende Klasse nicht in der Lage war, ihre tiefen politischen Differenzen über eine Übernahme der gemeinsamen europäischen Währung beizulegen. Angesichts heftiger Bemühungen Frankreichs und Deutschlands, die Europäische Union (EU) als Handelsblock zu konsolidieren, um den USA die Stirn zu bieten, gerät Großbritannien zunehmend in Gefahr, an den Rand des kontinentalen Geschehens gedrängt zu werden.

Blair hofft, dass gute Beziehungen zu den USA - besonders in militärischen Fragen - die globalen Ambitionen Großbritanniens retten und es mit dringend benötigtem politischem Gewicht in Europa ausstatten könnten. Dies würde auch den USA nützen, wie Blair während seines Besuchs erklärte, weil England weit besser als sein Verbündeter funktionieren könnte, wenn es "in Europa Gehör hätte und Macht und Einfluss". Eine andere Überlegung der Regierung geht dahin, dass sich eine weitere Unterstützung der USA bei der Lösung der Differenzen innerhalb Großbritanniens über die Frage seiner Europaorientierung als nützlich erweisen könnte.

Das Problem besteht jedoch darin, dass Blairs "Brücken"-Strategie den Versuch darstellt, eine Kluft zu überbrücken, die immer weiter auseinander klafft. In den vergangenen Jahren sind die USA und die EU in einer ganzen Reihe von Fragen zusammengestoßen - von Handelskonflikten bis hin zu Differenzen über die Irak- und Balkanpolitik. In einem Kommentar, der noch vor dem Treffen von Bush mit Blair erschien, schrieb die Washington Post: "Nachdem die gemeinsame Bedrohung durch die Sowjetunion sie nicht mehr zusammenhält, schlagen die Vereinigten Staaten und Europa oftmals in Handels-, Umwelt- und sozialen Fragen verschiedene Wege ein."

Die Bush-Regierung hat bereits eine neue Aggressivität in ihrer Außenpolitik zu erkennen gegeben, die durch keine Rücksicht auf einen Konsens mit den Alliierten gezügelt wird. Die Luftangriffe der USA diesen Monat auf Bagdad waren eben so sehr als eine Warnung an ihre Kritiker in Europa wie an Saddam Hussein gerichtet; um amerikanische Interessen zu vertreten, wird Washington wenn nötig auch einseitig handeln.

Die zunehmend harte Position der US-Regierung gegenüber Europa fand auch in der Tatsache seinen Ausduck, dass Blair bei den ersten Treffen Bushs mit internationalen Führern erst an armseliger dritter Stelle kam - nach Mexiko und Kanada - und dass seine Audienz auf weniger als 24 Stunden beschränkt wurde.

Während Blair versuchte, als "ehrlicher Makler" aufzutreten, machten US-Repräsentanten klar, dass Amerika auf jeden Fall die Nase vorn hat. So machte sich Richard Perle, Reagans stellvertretender Verteidigungsminister, in BBC Radio Four über die Idee einer "Brücke" zu Europa lustig. In einer verhüllten Warnung an England sagte Perle: "Wir wollen Freunde, wir wollen Verbündete, wir suchen keine Brücken. Die Auffassung, dass Großbritannien die USA anderen gegenüber irgendwie repräsentiere, ist wirklich kein Thema. Das ist eine ziemlich absurde Vorstellung."

Die offizielle Antwort der Bush-Regierung war etwas umsichtiger, aber enthielt die gleiche Botschaft. Condoleeza Rice, Bushs nationale Sicherheitsberaterin, sagte: "Ich glaube nicht, dass der Präsident Premierminister Blair als eine Art Vermittler mit den europäischen Verbündeten betrachtet ..."

Blair hatte gehofft, beim Abschluss eines Abkommens zwischen den USA und Europa über das Nationale Raketenabwehrsystem (NMD) eine Rolle spielen zu können. Das NMD-Schutzschild soll angeblich jede angreifende Rakete abfangen, die von einem sogenannten "Schurkenstaat" abgefeuert werden könnte, bevor sie überhaupt amerikanischen Boden erreicht. Das System wurde von Russland und China verurteilt, weil es einen Bruch des ABM-(Anti-Ballistic Missile)-Vertrags von 1972 beinhaltet und ein neues internationales Aufrüstungswettrennen zu entfachen droht. Mehrere europäische Mächte erklärten außerdem, dass es die Einheit der Nato unterminiere.

In einem Interview mit dem US-Magazin Forbes hatte Blair vor seinem Besuch geäußert: "Es [das NMD] befindet sich ganz klar in der Kiste mit dem Etikett: ‚Mit Vorsicht öffnen‘. Es ist eine sehr empfindliche Angelegenheit. ... Meine persönliche Meinung ist, dass es, vorausgesetzt man geht umsichtig vor, einen Weg gibt, sowohl Amerikas Ziele als auch die Sorgen der andern zu berücksichtigen."

Indem er die Diskussionsthemen auf die Weiterverbreitung von Waffen auf Abrüstungsmaßnahmen ausdehnte, hoffte Blair, die Opposition der Europäer gegen NMD herunterzuspielen oder zumindest die Aufmerksamkeit davon abzulenken. Weil die Effektivität des NMD Programms von mehreren amerikanischen Basen in Großbritannien abhängt, hatte Blair auch gehofft, seine Bitten, doch eine versöhnlichere Haltung einzunehmen, würden bei Bush größeres Gewicht haben. Aber Washington hat klar gemacht, dass es das NMD Programm ungeachtet internationaler Opposition weiter vorantreiben werde. Bushs Sprecher Ari Fleischer machte am Samstag Abend nach der Abreise des Premierministers vor der Presse deutlich, dass ungeachtet des "Diskussionsprozesses" mit anderen Ländern die USA in Bezug auf den Raketenabwehrschirm keine Kompromisse machen werden.

Die gleiche Konfrontationshaltung wurde in der Frage der geplanten europäischen schnellen Eingreiftruppe an den Tag gelegt. Führende Republikaner haben ihre Opposition zu einer europäischen Armee unüberhörbar deutlich gemacht, die sie als eine Bedrohung für die beherrschende Stellung der von den USA dominierten Nato betrachten. Die USA haben versucht, Nato-Länder wie die Türkei, die nicht Mitglied der EU sind, in die militärische Planung für die schnelle Eingreiftruppe zu integrieren, um ihre Unabhängigkeit zu unterhöhlen, was aber von der EU abgelehnt wurde.

Blair war bemüht, den Republikanern zu versichern, dass die neue Armee keine Bedrohung für die militärische Vorherrschaft der USA sein werde. Die schnelle Eingreiftruppe werde lediglich ein weiterer Pfeil im Köcher der Nato sein, versicherte der Premierminister dem Präsidenten.

Das ist aber nicht wahr. Besonders Frankreich besteht darauf, dass die EU die 60.000 Mann starke Armee allein kontrollieren müsse. Aus Berichten über die Ergänzungen zum EU-Vertrag von Nizza vom letzten Jahr, der die Strukturen der schnellen Eingreiftruppe skizziert, geht hervor, dass die Nato "die Autonomie der Entscheidungsfindung der EU voll respektieren" müsse, und dass "während einer Operation die gesamte Kommandokette unter der politischen Kontrolle und strategischen Leitung der EU bleiben muss". Es heißt dort weiter: "Die Beziehungen zwischen der EU und der Nato werden die Tatsache widerspiegeln, dass die beiden Organisationen gleichberechtigte Partner sein werden."

Blairs Trumpf gegenüber Bush war, dass Großbritanniens Teilnahme an der neuen Truppe sicherstellen werde, dass sie sich nicht nach den Vorstellungen Frankreichs entwickle. Bush betonte in seiner sorgfältig erwogenen - offenbar mit den höchsten Kreisen der Regierung und des Pentagon abgestimmten - Antwort, dass die USA auch nichts anderes akzeptieren würden. Blair "hat mir versichert, dass die europäische Verteidigungsstreitmacht in keiner Weise die Nato unterhöhlen wird", betonte der Präsident. "Blair hat mir außerdem versichert, dass es ein gemeinsames Kommando geben wird; dass die gesamte Planung innerhalb der Nato stattfinden wird; und dass nur dann, wenn nicht die ganze Nato eine Mission unternehmen will, die Verteidigungskräfte möglicherweise allein in Aktion treten werden." Mit anderen Worten würden die USA nur dann eine europäische Verteidigungsstreitmacht dulden, wenn sie dem Diktat der USA unterworfen wäre.

Blairs Haltung wurde von allen Seiten kritisiert. In Großbritannien beschuldigte die konservative Opposition den Premierminister, die USA zu täuschen. Europäische Politiker zweifelten seine Berechtigung an, in ihrem Namen zu sprechen. Zu Blairs Rede vor dem kanadischen Parlament, in der er gesagt hatte, Großbritannien könne sich mit beiden Seiten gut stellen und den USA und der EU dienen, bemerkte Elmar Brock, der deutsche Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments, dass das nicht möglich sei. "Man muss zu einem Lager gehören, um bei der anderen Seite glaubwürdig zu sein."

Die Tatsache, dass über militärische Fragen zwischen den USA und Europa inzwischen in Begriffen wie ‚Lager‘ und ‚Partei ergreifen‘ gesprochen wird, deutet auf definitive Verschlechterungen der Beziehungen zwischen den beiden hin. Unter diesen Bedingungen des Auseinanderdriftens der beiden Kontinente stellt die Financial Times fest, dass "Mr. Blairs Wunsch, weiterhin die traditionelle Rolle Großbritanniens als eines Brückenbauers zwischen Amerika und Europa zu spielen, zunehmend hoffnungslos erscheint. Wie es ein hoher Beamter der Clinton-Regierung ausdrückte: ‚Der Boden, auf dem Blair steht, wird täglich wackliger.‘"

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