Fünfzig chinesische Kinder bei Feuerwerksexplosion in ihrer Schule getötet

Die Einwohner von Fanglin, einem verarmten Bergdorf in der Provinz Jiangxi im Osten Chinas, haben einen fürchterlichen Preis für die Einführung der kapitalistischen Ordnung durch die Regierung in Peking bezahlt. Am 6. März um elf Uhr dreißig erschütterte eine riesige Explosion die örtliche Volksschule, in der die Schulkinder Feuerwerkskörper für ein Unternehmen montierten, das dem Sohn eines lokalen Regierungsbeamten gehört.

Die Detonation zerriss vier Klassenzimmer im Inneren des zweistöckigen Gebäudes - Glassplitter fanden sich noch in mehreren hundert Metern Entfernung. Erschütterte Dorfbewohner berichteten, dass 50 der 200 Schulkinder des Dorfes und vier Erwachsene getötet wurden. Weitere 27 Kinder erlitten schwere Verbrennungen und andere Verletzungen. Sie schilderten furchtbare Szenen von unter den Trümmern begrabenen, zerquetschten und verstümmelten Kinderleichen und verzweifelten Eltern, die mitten in diesem Chaos nach ihren Söhnen und Töchtern suchten.

Die Explosion wurde in einem der Klassenzimmer ausgelöst, in dem neun- bis elfjährige Kinder Lunten in Feuerwerkskörper montierten, die zuvor von älteren Schülern mit Schwarzpulver gefüllt worden waren. Während die genaue Unglücksursache noch unbekannt ist, gab ein von Reuters während der Rettungsarbeiten interviewter Regierungssprecher an, die Ursache seien "höchst wahrscheinlich ... Knallfrösche, aber ein endgültiges Ergebnis sei erst nach den Untersuchungen der Ermittler zu erwarten." Eltern erklärten, dass die Explosion deshalb so stark war, weil in der Schule Säcke mit Schwarzpulver gelagert wurden.

Ein 13-jähriges Mädchen, Gao Yun, sagte der Agentur Reuters: "Wir begannen mit der Montage von Feuerwerkskörpern vor vier Jahren, ein- oder zweimal die Woche. Schüler höherer Klassen fertigten die Explosivkörper an, während die unteren Klassen die Zündschnüre anbrachten. Wenn wir viel schafften, gaben uns unsere Lehrer Geschenke wie Stifte oder Blöcke. Wenn wir aber das Ziel nicht erreichten, durften wir nicht nach Hause."

Das Dorf Fanglin und die nahegelegene Stadt Tanbu befinden sich im Bezirk Wanzhai, dem Zentrum der Feuerwerks-Industrie, in der ein Fünftel der dortigen Bevölkerung beschäftigt ist. Wie die Regierungszeitung China Daily berichtete, befinden sich zahlreiche Feuerwerksfabriken in unmittelbarer Nähe der Schule, eine nur 1500 Meter entfernt.

Dorfbewohner berichteten ausländischen Medienvertretern, dass eine geschäftliche Abmachung zwischen dem Schuldirektor und einem Lehrer bestand, dessen Vater der Parteisekretär in Fanglin ist. Im Gegenzug für die Erlaubnis, die Schulkinder als unbezahlte Arbeitskräfte auszubeuten, erhielt die Schule einen bestimmten Prozentsatz der Profite.

Schon seit drei Jahren hatten die Eltern ihre Bedenken und Besorgnis vorgebracht, doch das Netz aus persönlichen, profitträchtigen Beziehungen zwischen der illegalen Schul-Fabrik und den örtlichen Autoritäten garantierte, dass nichts geändert wurde.

Ding Mingzing, die ihren neunjährigen Sohn bei der Explosion verlor, gab gegenüber Agence France Press an, dass sich die Schüler abhetzten, um Aufträge für das Qingming Festival oder das Grave Sweeping Festival am 5. April zu erfüllen. Die Schule hätte den Kinder Geldstrafen auferlegt, die die vorgegebene Quote verfehlten. "Die Schule sagte, dies sei ein Muss. Das wurde als ‚sich selbst während der Schulzeit durch Arbeit unterstützen‘ bezeichnet.

In einer Straße sah ich, wie vier Familien zur gleichen Zeit Trauerfeiern vor ihren Häusern abhielten. Die Eltern weinten und schrien: ‚Die Kinder starben ohne Grund.‘ Sie verfluchten Himmel und Hölle. Die Schule sollte eigentlich der sicherste Ort sein", sagte Ding.

Zhang Minggeng, deren Tochter und zehnjähriger Sohn bei der Explosion ums Leben kamen, sagte: "Es gibt kein Gesetz. Mein Sohn berichtete mir, sein Lehrer hätte ihn dazu gezwungen, auf dem Boden zu knien und ihn geschlagen, wenn er sich weigerte, Feuerwerkskörper zu produzieren. Ich beschwerte mich bei den städtischen Behörden. Sie sagten, sie würden dies untersuchen, aber sie machten dem kein Ende.

Ich will Gerechtigkeit, ich will Bestrafung. Ich will, dass sich die Verantwortlichen uns Bewohnern stellen."

Das Schicksal der Kinder von Fanglin hat einen Aufschrei der Empörung und Wut ausgelöst, der weit über den Bezirk Wanzhai hinausgeht. Zum einen, weil die Ausbeutung der Kinderarbeit von Schülern weit verbreitet ist, zum anderen aber aufgrund der Verantwortlichkeit der Regierungsstellen, die dies tolerieren oder organisieren.

Laut Ding Mingzing reagierte ein Vertreter der städtischen Behörden auf die Nachricht des Todes der Kinder gegenüber den Dorfbewohnern mit der Bemerkung: "Das ist nicht so schlimm, es ist eine Art Familienplanung." Ding berichtete: "Er musste um sein Leben rennen. Die Menschen waren sehr zornig. Können Sie sich einen Beamten, ein Mitglied der Kommunistischen Partei, vorstellen, der so etwas zu den Massen sagt?"

Offizielle Beschönigungen

Im Mittelpunkt der Empörung steht hauptsächlich die nationale Regierung in Peking und insbesondere Premier Zhu Rongji. Nur Stunden nach der Tragödie veröffentlichten Zeitungen, Fernsehstationen und Websites in China, Hong Kong und weltweit die Anschuldigungen der Eltern, die Schule sei als Fabrik genutzt worden.

Mit den Nachrichten während des Nationalen Volkskongresses konfrontiert, bestritt Rongji rundweg die Nutzung der Schule zur Produktion von Feuerwerk und behauptete, die Explosion sei die Tat eines Wahnsinnigen.

Auf einer Pressekonferenz erklärte er: "Es ist sicher nicht der Fall, dass die Volksschule versuchte, durch die Vermietung von Lagerraum für Feuerwerksbestandteile Geld zu verdienen. Ein geisterkranker Mann hatte Probleme. Er transportierte diese Feuerwerkskörper und anderen Materialien ins Erdgeschoss, zündete sie und sprengte sich selbst in die Luft."

Die Medien und der Staatsapparat in China versuchen nun sicherzustellen, dass diese eklatante Vertuschung nicht nur die offizielle, sondern die einzige Version dessen wird, was in der Volksschule von Fanglin geschah. Die Polizei hat Fanglin komplett abgeriegelt. Sie errichtete Straßensperren und wies ausländische Journalisten an, in die Provinzhauptstadt Nanchang zurückzukehren. Internet Chat-Rooms wurden von allen Nachrichten, die die offizielle Erklärung in Frage stellten, gesäubert und die Telefonverbindung mit dem Dorf unterbrochen.

Laut einer Darstellung in der Peoples Daily habe ein Mann namens Li Chuicai, den die Dorfbewohner "Psycho" nannten, sein geistiges Gleichgewicht verloren, nachdem ihn seine Frau vor zwölf Monaten verlassen hatte. Das habe zum Mord und Selbstmord in der Schule geführt. Die Polizei behauptet, einen Notizblock in Li's Haus gefunden zu haben, in dem er erklärt habe: "Ich werde mich opfern, alle sprengen, alle verbrennen."

Doch schon vor der Nachrichtensperre über die Ereignisse in Fanglin, konnten die Bewohner ihre Version der Geschichte berichten. Li Chuicai, der nun zum Sündenbock der Tragödie gemacht wird, war geistig geringfügig zurückgeblieben, trug deshalb seinen Spitznamen und war in der Schul-Feuerwerks-Fabrik beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Säcke mit Schwarzpulver in das Gebäude zu tragen. Zwar hatte seine Frau ihn verlassen, doch neigte er niemals zu Gewalttätigkeiten und zeigte keine Anzeichen einer depressiven Psychose.

Zhang Minggeng kommentierte die offizielle Darstellung Pekings verbittert: "Es ist nicht wahr. Sie lügen alle und versuchen, die Zentralgewalt zu decken. In China helfen Beamte Beamten. Niemand hilft uns." Zhang Cungen, dessen Sohn getötet wurde, sagte der South China Morning Post: "Die Person, die sagt, dieser Mann (Li Chuicai) sei geisteskrank, ist der wirklich Geisteskranke."

Ein Elternteil meinte: "Sie wälzen alle Verantwortung auf ihn. Er ist jetzt tot und wir können ihn nichts mehr fragen. Und sie wollen sogar keine Reporter, inklusive unserer eigenen aus Hunan und Guangdong mehr reinlassen." Ein anderer fügte hinzu: "Die Kinder starben unschuldig. Sie wollen all die schlechten Menschen aus der Sache raushalten."

Nach einem der letzten Berichte aus dem Dorf organisierten 2000 Dorfbewohner aus Fanglin und den umliegenden Ortschaften am 9. März eine Demonstration gegen die Behauptungen aus Peking und forderten, die örtlichen Beamten vor Gericht zu stellen.

Eine weitverbreitete Praxis

Die Tragödie in Fanglin und die Vertuschungsversuche der Regierung unterstreichen die Tatsache, dass die Pekinger Bürokratie nichts mit Sozialismus zu tun hat. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat das Regime die Beschränkungen für den kapitalistischen Markt und den Zufluss ausländischer Investitionen immer rascher abgebaut - ein Prozess, der eine tiefe soziale Polarisierung und die brutalsten Formen der Ausbeutung nach sich zog.

Mitglieder der Bürokratie und die mit ihnen verbündeten kapitalistischen Unternehmer haben enorme Vermögen angehäuft und können ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung finanzieren. Doch der für die überwältigende Mehrheit der Kinder einzig zugängliche Bereich der öffentlichen Bildung ist verrottet und fehlende Finanzen zwingen viele Schulen, ihre Schüler als billige Arbeitskräfte zu verhökern.

Die chinesische Regierung behauptete einst, jedem Kind werde eine kostenlose, neunjährige Schulausbildung garantiert. Doch seit den frühen 90er Jahren strich Peking diese Garantie ersatzlos und machte die Provinzregierungen für die Finanzierung der Schulen in den ländlichen Regionen verantwortlich, in denen immer noch die Masse der Bevölkerung lebt. Das Bildungsbudget der Regierung wird überwiegend für die reicheren städtischen Gebiete und insbesondere für die höhere Schulbildung genutzt. Über ein Drittel der nationalen Bildungsfinanzierung fließen in Hochschulen und Universitäten, die von nur 0,5 Prozent der Bevölkerung besucht werden.

China investiert dieses Jahr nur 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Bildungssektor, das sind 21,9 Milliarden Yuan (2,6 Milliarden Dollar) - eines der niedrigsten Niveaus in Asien. Selbst die sogenannten Entwicklungsländer investieren - zum Vergleich - durchschnittlich 4,1 Prozent ihres BIP in die Bildung, die entwickelten Länder durchschnittlich 5,3 Prozent.

Provinz- und Lokalregierungen haben ihrerseits die Lasten des Bildungswesens in Form von Schulgebühren und Abgaben auf die Eltern abgewälzt. Während Schulen für die politische und neue Wirtschaftselite Gelder über Beziehungen und Gebühren erhalten, haben Schulen in Arbeitervierteln oder ländlichen Gebieten hierin enorme Schwierigkeiten.

Die durchschnittliche Schulgebühr einer ländlichen Schule beträgt 300 Yuan, eine große Hürde in Anbetracht eines Durchschnittseinkommens von 2000 Yuan in diesen Regionen. Sogar die offiziellen Medien geben zu, dass fünf Millionen Kinder zwischen sieben und elf Jahren, hauptsächlich Mädchen, nicht zur Schule gehen, weil sich ihre Eltern dies nicht leisten können. Viele Schulen in ländlichen Gebieten beschäftigen unausgebildete Lehrer, da deren Gehälter niedriger sind. Es gibt unzählige Berichte in Regionalzeitungen über marode Schulgebäude, Mangel an Papier und anderen Schreibutensilien und weitere Symptome einer generellen Krise des Bildungswesens.

Die chinesische Regierung hat Schulen mit Finanzierungsengpässen angewiesen, kommerzielle Unternehmungen einzurichten, eine Praxis, die sich stark ausgebreitet hat. 1996 veröffentlichte die offizielle New China News Agency einen Bericht, der die sogenannten Schul-Unternehmen pries. Der Bericht prahlte, diese von Volks- und weiterführenden Schulen betriebenen Unternehmen hätten von 1991 bis 1995 37 Milliarden Dollar erwirtschaftet, bei einer jährlichen Wachstumsrate von 33,2 Prozent. Außerdem konstatierte der Report, dass 710.000 Volks- und weiterführende Schulen oder 93 Prozent aller Schulen in China kommerzielle Unternehmen betrieben.

Die hohen Profite resultieren natürlich aus der billigen Arbeit der Kinder, die oft schmutzige oder manchmal sogar gefährliche Arbeiten ausführen müssen. Chinesische Schulen züchten Schweine, unterhalten Bauernhöfe, betreiben Marktbuden, nähen, reinigen oder montieren - zumindest in einer Region - Feuerwerkskörper. Der größte Teil der Gewinne fließt nicht in die Taschen der Schüler oder Eltern, noch nicht einmal in die der Schulen, sondern in die der diversen lokalen Beamten und der beteiligten Unternehmen. Die Tragödie von Fanglin gibt einen kurzen Einblick in die schrecklichen Konsequenzen für die Schüler und deren Familien.

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